Es gibt eine sermowische Vogelart, die in unserer heutigen Welt selten geworden ist. Zu anderen Zeiten war der blaue Ara jedoch oft in jenem Land der verborgenen Quellen anzutreffen. Sein Gefieder in der Farbe des Himmels muss dieses Märchen begründet haben, welches auch die kulturelle Unterdrückung durch celyvarische Missionare überlebte. Dass wir die Geschichte nach Jahren des erzwungenen Schweigens noch immer hören können, ist ein ebensolches Wunder wie es hier berichtet wird.
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Nach dem Prompt „Spix-Ara“ bzw. „Blaues Wunder“ der Gruppe „Crikey!“
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Es war einmal eine Zeit der Kälte, die unser Land befiel und andauerte. Die Sonne erhob sich nicht mehr und so verdorrten die Pflanzen und die Tiere fanden keine Nahrung mehr.
Die Priester befragten die Götter, doch erhielten sie keine Antwort. Sie waren verlassen worden. Sofort begannen sie, nachzuforschen, wie sie die Götter erzürnt hatten. Sie forschten und forschten, doch sie fanden keine Lösung, hatten sie die Gesetze doch stets befolgt! Was sie nicht ahnten, war, dass eben dies das Problem war. Sie hatten die Gesetze höher erhoben als ihre Aussage. In ihren Zeremonien predigten sie die Stunde der heiligen Ruhe, doch fanden die Zeremonien oft in dieser Stunde statt, sodass es keine Ruhe gab. Es hieß, dass niemand Hunger leiden solle, und doch mussten viele hungrig warten, bis Rituale abgeschlossen waren. Zuletzt hatte nun ein hoher Priester sein heiliges Schweigen nicht gebrochen, obwohl er durch einen Ruf Trost hätte spenden können an Unzählige, die in tiefer Verzweiflung seinen Rat gesucht hatten. Und folglich hatten die Götter sich abgewandt von jenen, die in ihrer Bestrebung, zu dienen, den wahren Dienst verkannten.
In ihrer Not zogen all die Erdvölker aus der Wüste und immer weiter, in unbekannte Länder, bis sie an das Ufer eines großen Sees gelangten, dessen Wasser bitter und giftig war. Hier hielten sie, in dem Wissen, dass sie nicht mehr weiterkonnten. Sie waren geschwächt und verloren.
Angsterfüllt suchten sie weiterhin nach dem Grund für all ihr Elend. Sie beschuldigten sich gegenseitig. In jener dunklen und kalten Zeit wurde viel gestohlen und manch eine traurige Tat begangen.
Doch es gab ein Mädchen, das sich all der Dunkelheit widersetzte. Sie teilte ihre spärlichen Rationen mit jedem, der sie darum bat. Sie half, wo sie konnte, und obwohl es sie schmerzte, befolgte sie jedes der Gesetze schweigend. Sie litt Hunger. Viele nutzten ihre Freundlichkeit aus. Selbst ihre Familie schimpfte schließlich mit ihr, denn ihre Großzügigkeit würde ihren Geschwistern noch zu Schaden gereichen. Doch sie hielt an ihrer Tugend fest. Wider alle Wahrscheinlichkeit konnte sie ihre Familie überzeugen, ihr zu helfen, und schließlich ihre Freunde.
Doch ach, Großzügigkeit ist nur leicht, wenn man reich ist. Doch die Erdvölker jener Zeit besaßen nichts. Nur die Hoffnung blieb ihnen, dass ein Gebet erhört werden möge. Während die anderen immer mehr und immer größere Opfer erbrachten, wies das Mädchen ihre Familie an, mit Freunden zu teilen, statt den Göttern zu opfern. Am Ende jedoch waren jene, die Opfer erbrachten, zahlreicher. Sie überfielen die kleine Gruppe und stahlen ihnen alles, und was ihnen blieb, hatten das Mädchen, seine Familie und Freunde schließlich aufgebraucht.
Angst griff um sich und sie diskutierten lange, ob sie nicht doch ein Opfer bringen sollten. Oder vielleicht stehlen, was ihnen gestohlen worden war.
Das Mädchen verbat es ihnen, doch im Geheimen weinte sie bittere Tränen, denn auch sie sah keinen Ausweg mehr.
Da hörte sie den Gesang eines Vogels, und wie sie den Kopf drehte und aufsah, erblickte sie einen großen Vogel von der Farbe des Himmels, der auf einem Ast saß und sang.
Wie verzaubert trat sie auf ihn zu, denn ihr war es, als riefe der Vogel sie. Er flog auf, jedoch nur ein Stück, und landete erneut. Auf diese Weise führte er das Mädchen fort vom bitteren See und hinein in die kalte Wüste. Aber dann entwich er durch einen Felsspalt, und als sie ihm folgte, erblickte sie dahinter ein Tal voller Pflanzen. Blüten verströmten lieblichen Duft, saftig grüne Blätter wurden berieselt von Wasser aus verborgenen Quellen. Viele Fruchtbäume gab es hier, und viel Getier hatte hier Schutz gefunden.
Sofort sammelte das Mädchen, was sie finden konnte. Sie erjagte Tiere, die sich so leicht fangen ließen wie man einen Apfel vom Stamm pflückt. Sie füllte Wasserschläuche. Was sie tragen konnte, das nahm sie mit zu ihrer Familie und ihren Freunden, und teilte es mit ihnen.
Als sie ihnen das Tal zeigen wollte, konnte sie es nicht mehr finden. Doch als sie am nächsten Tag am Meer saß, da erschien wieder der Vogel und führte sie hin. Diesmal war sie aufmerksamer und prägte sich den Weg bis ins letzte Detail ein. Und wieder nahm sie, was sie tragen konnte, zurück zu ihrer Familie.
Doch die anderen Erdvölker hatten von dem plötzlichen Reichtum gehört. Sie überfielen die Gruppe und stahlen alles bis auf die letzte Frucht. Das Mädchen versuchte wieder, zum Tal zurückzukehren. Doch sie konnte den Weg nicht finden. So sehr sie auch suchte, das Tor im Gestein öffnete sich nicht mehr, obwohl ihr die Umgebung so vertraut erschien.
Und erneut weinte sie, doch wieder verbat sie ihrer Familie und ihren Freunden, etwas zu stehlen. Einige gingen nun doch, um bei der größeren Gruppe zu leben. Wie sie aber dort ankamen, fanden sie alle tot vor. Das Essen war vergiftet gewesen und hatte die Räuber bis auf einige Kinder vernichtet. Jene, die von dem Mädchen gegangen waren, kehrten mit diesen Überlebenden heim und berichteten alles.
Am dritten Tag, da der Vogel erschien, folgte das Mädchen ihm wieder. Wieder nahm sie die Speisen, ohne Sorge vor dem Gift, und brachte sie zu ihrer Familie und ihren Freunden. Alle aßen – bis auf jene, die gegangen waren und die Spuren des Gifts gesehen hatten, denn sie fürchteten sich.
Doch niemand starb an jenem Tag. Das Essen war nicht vergiftet.
Am vierten Tag kehrte die Sonne wieder und die Zeit von Dunkelheit und Kälte war vorbei. Das Mädchen, seine Familie und Freunde konnten zurückkehren. Nie wieder sahen sie jenes wunderbare Tal und kosteten nie wieder seine Früchte. Jene, die sich von dem Mädchen abgekehrt hatten, vergaßen diese Zeit schließlich wieder, doch allen anderen war ein ungewöhnlich langes Leben beschieden und nie wieder wurden sie von Leid und Not berührt.
Denn die Götter hatten sie schließlich erhört und gerettet. Um zu helfen, hatten die Götter sich Körper geformt, Vogelkörper aus dem Himmelszelt selbst, und waren als blaue Vögel zur Erde gekommen, um dem Mädchen den Weg zur Rettung zu weisen. Dreimal hatten sie eine Pforte in ihre Welt geöffnet, um den Treuen zu helfen. Die magischen Früchte aus dem Reich der Götter segneten jene, die treu zum Glauben hielten, doch wer gegen die Weisungen verstieß, für den waren sie Gift, und wer den Glauben verlor, der verlor auch die Segnung.
Noch heute sieht man sie, hier und dort, verborgen vor allen Blicken: Vögel, so blau wie das Himmelszelt, deren Gesang uns daran erinnert, der Aussage und nicht der Botschaft selbst treu zu bleiben.