Wieder kamen sie in einen dunklen Gang, wieder führte er sie in einen neuen Raum, wieder schloss sich der Eingang hinter ihnen sofort wieder. Und wieder wartete gegenüber eine neue Tür mit einem Zahlenfeld daneben auf sie.
„Was glaubt ihr, wie viele Räume gibt es hier?“, wollte Chloe leise wissen.
Cassandra zuckte mit den Schultern. „Ich frage mich eher, wo wir hier sind. Wir laufen seit dem ersten Rätselraum in die gleiche Richtung. Wenn das so weiter geht, nun ja, so viele Häuser mit dieser Länge gibt es nicht.“
„Ist mir egal, wie viele es sind“, warf Hermine ein. „Solange wir am Ende wieder rauskommen und dem Mistkerl gehörig in den Hintern treten können.“ Oder wahlweise eins auf die Nase geben, wie sie es mit Malfoy getan hatte. Dieser Moment gehörte noch immer zu ihren liebsten Erinnerungen.
„Ok, was ist es diesmal? kniZ × nesiE × ielB“, las Chloe vor. „Was sind das denn für komische Wörter?“
„Ich glaube“, murmelte Cassandra und legte den Kopf schief. „Ich glaube, die sind spiegelverkehrt geschrieben. Dann heißt es Blei x Eisen x Zink.“
„Das sind verschiedene Metalle“, fiel Hermine als erstes ein. Kunststück, damals als sie den Kessel gekauft hatte, hatte es die alle ebenfalls in dem Laden gegeben. Am Ende war es natürlich der gewünschte aus Zinn geworden. „Nur was bedeutet das X?“
„Normalerweise, dass etwas multipliziert werden soll“, meinte Chloe. „Aber hier sind keinerlei Hilfsmittel.“
„Multiplizieren kann ich im Kopf“, sagte Cassandra beinahe beleidigt. „Ich brauche nur die richtigen Zahlen.“
Hermine war verwirrt. Zahlen? Sollte es doch noch was für ihr Arithmantik-Wissen zu tun geben? Natürlich könnte sie die Wörter auszählen, das war nicht so schwer. Allerdings wäre es mit einem Blatt Papier deutlich einfacher.
„Vielleicht die Ordnungszahlen?“ Chloe klang unsicher, aber zumindest Cassandra schien etwas mit diesem Wort anfangen zu können.
Hermine dagegen ärgerte sich erneut, dass Hogwarts die Muggelbildung so sträflich vernachlässigte. „Was sind Ordnungszahlen?“
„Ähm, das hatten wir letztens in der Schule“, begann Chloe, immer noch sehr zögernd, aber es schien sie zu beruhigen, dass niemand etwas gegen ihre Idee einzuwenden hatte. „Die Ordnungszahl gibt die Anzahl der Protonen an, die sich im Atomkern des Elements befinden. Nein, sorry, jedes Atoms dieses Elements, so heißt es richtig. Sie zeigt außerdem die Position des Elements im Periodensystem.*“
Als wäre das das Stichwort gewesen, begannen die Wände um sie herum zu leuchten. Im ersten Moment sah Hermine nur bunte Vierecke, doch als sich ihre Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnten, erkannte sie, dass jedes der Felder beschriftet war. Genau genommen standen auf jedem Feld entweder ein oder zwei Buchstaben und eine ein- bis dreistellige Zahl.
„Wow“, hauchte Chloe. „Ist es das, was ich denke?“
„Wenn du denkst, dass das ein Periodensystem ist, dann denke ich das gleiche“, antwortete Cassandra lächelnd. „Jetzt müssen wir nur noch die richtigen Elemente finden. Du kennst nicht zufällig die Abkürzungen, die wir brauchen?“
„Das heißt Symbole“, verbesserte Chloe und verzog das Gesicht. „Dass ich meinem Chemielehrer mal dankbar bin für seinen strengen Unterricht, hätte ich auch nicht erwartet. Er ist die letzten zwei Wochen ständig drauf rumgeritten. Eisen ist Fe, da bin ich mir sicher. Das hab ich auswendig gelernt, weil es so gar nichts mit dem Wort zu tun hat. Und Blei ist Pb, das ist einfach, das ist der erste und der letzte Buchstabe vom englischen Wort für Blei, plumb**. Und Zink ist entweder Zk oder Zn, da bin ich mir nicht sicher.“
„Ok, also müssen wir diese Buchstabenkombinationen finden“, brachte Hermine es auf den Punkt.
Cassandra nickte nur, sie hatte schon zu suchen begonnen. Allerdings gab es 118 Felder, die scheinbar völlig wahllos angeordnet waren. Es machte die Suche nicht unbedingt einfacher, dass außerdem manche der Felder aufflackerten und zwischendurch wieder dunkel wurden, ebenfalls ohne erkennbares System, seit Chloe die Symbole der Elemente genannt hatte. Es verursachte ihr Kopfschmerzen und das gleich aus zwei Gründen. Zum einen mochte, nein, brauchte sie Regelmäßigkeit, denn ihr Kopf versuchte automatisch, Muster zu finden, um das nächste Ergebnis zu berechnen. Und zum anderen mochte sie den Gedanken nicht, dass sie durchgehend beobachtet wurden. Und anders konnte es ja kaum erklärt werden, dass das Periodensystem genau in dem Moment das Leuchten begonnen hatte, als sie es haben wollten und dann flackerte, sobald sie wussten, was sie suchten.
Allerdings, musste sie schließlich feststellen, nachdem sie sich sicher war, jedes Feld mindestens einmal betrachtet zu haben, gab es die gesuchten Symbole nicht. Genau genommen … „Ich glaube, die Buchstaben sind verkehrt herum“, warf sie ihre Vermutung in den Raum. „Ich kenne zwar nur ein paar Elementsymbole, aber die hab ich größtenteils nicht gefunden. He für Helium oder Au für Gold zum Beispiel. Ag für Silber gibt es allerdings.“
„Es gibt da oben aber nochmal Ga“, rief Hermine und deutete auf das Feld, das natürlich genau in diesem Moment ausging.
„Was ist, wenn die Symbole auch spiegelverkehrt sind? So wie die Wörter über der Tür“, schlug Chloe vor.
„Dann müssten wir“, Hermine sah sich suchend um. „Da, da steht Ef. Mit der Zahl 62.“
Auch Cassandra hatte jetzt ein passendes Feld gefunden. „Bp 28“, las sie vor, kurz bevor das Feld sich wieder verdunkelte. „Dann fehlt nur noch Zink.“
Wieder war es Hermine, die das Feld fand. Sie schien wirklich gut in so etwas zu sein. „Nz 03“, rief sie aufgeregt. „Das heißt, wir müssen 62 mal 28 mal 3 rechnen?“
„Das wäre 5.208“, nannte Cassandra beinahe automatisch das Ergebnis. Es war ja auch wirklich eine einfache Rechnung.
Sofort rannte Hermine hinüber zu der Konsole und tippte die Zahlen ein. Die Tür …
… rührte sich nicht. Mit einem ohrenbetäubenden Gong schalteten sich die Lichter ab. Nur das Zahlenfeld spendete jetzt noch Licht in dem Raum. Rote Buchstaben liefen über das Display: Ein Versuch übrig
„Was haben wir falsch gemacht?“, flüsterte Cassandra leise. Sie war sich sicher, dass sie richtig gerechnet hatte. Eigentlich stand das auch gar nicht zur Debatte, sie rechnete immer richtig.
Eine Weile war es ganz still.
„Ich glaub, die Zahlen waren falsch rum“, sagte Chloe schließlich. „Wir mussten die Edelmetalle auswendig lernen, die hab ich gerade noch gesucht. Ich hab Radon gefunden, kurz bevor das Licht ausging. Nr 68. Aber Radon ist eigentlich Rn 86. Die Zahlen sind also auch verkehrt herum gewesen.“
„Bei Merlins Unterhose!“ Hermine stampfte wütend mit dem Fuß auf, zumindest hörte es sich so an. „Da hätte ich aber selbst draufkommen können!“
Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte Cassandra gelacht. Das Mädchen war wirklich putzig und diesen Ärger über sich selbst konnte sie gut nachvollziehen. Ihr hätte das auch auffallen müssen, zumindest den Wert für Gold kannte sie schließlich. Wer mit Ezekiel Jones befreundet war, lernte schließlich früher oder später alles über dieses Metall. Ordnungszahl 79 inklusive. „Niemanden trifft die Schuld“, versuchte sie also, das Mädchen zu beruhigen. „Die richtige Rechnung lautet also 30 mal 26 mal 82. Das ist“, diesmal musste sie eine Millisekunde länger überlegen, „genau 63.960.“
„Wir müssen uns ganz sicher sein, bevor wir es eingeben“, sagte Chloe zaghaft. „Ich will wirklich nicht wissen, was passiert, wenn der letzte Versuch um ist.“
„Bin ich“, erwiderte Cassandra mit fester Stimme. Es war schließlich die einzige Möglichkeit, die Sinn ergab.
„Ich auch“, stimmte Hermine zu.
„Ok.“ Chloe tippte die Zahlen ein, atmete einmal deutlich hörbar tief durch und tippte dann auf ‚bestätigen‘.
Die Tür schwang lautlos auf.
„Das waren doch jetzt fünf Stellen“, sagte Hermine verwirrt. „Wieso konnte ich dann davor mit den vier auch schon bestätigen?“
„Vielleicht“, antwortete Chloe, „braucht man nur mindestens vier Ziffern. Und mehr gehen immer.“
„Vermutlich. Lasst uns weitergehen. Ich will so schnell wie möglich hier raus“, mischte Cassandra sich ein. Gemeinsam betraten sie den Gang.
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* Die Erklärung der Ordnungszahl stammt aus dem gleichnamigen Wikipedia-Artikel. Mein Chemieunterricht ist leider etwas her, weshalb ich mir den für die richtige Formulierung zu Hilfe nehmen musste.
** Natürlich weiß ich, dass die Mädchen alle englisch sprechen, aber da dies ein deutscher Text ist, bin ich den Weg gegangen, den Synchronisationsstudios schon seit Jahren fahren: Einfach übersetzen ^^