Rating: P12
Nach dem Prompt „Kleiber/Holzfäller“ der Gruppe „Crikey!“
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Am nächsten Morgen war der Zorn der Männer noch nicht verflogen. Grimmige Blicke empfingen sie, als Nifa etwas zu spät beim Frühstück erschien.
Dabei hatte sie nicht verschlafen. Sie wachte eigentlich immer mit den ersten Sonnenstrahlen auf, lange bevor ihre Familie aufstand. Seit Jahren war sie es gewohnt, im Bett zu liegen und den Tätigkeiten der Diener zu lauschen, während sie darauf wartete, dass es Zeit für das Frühstück wurde. Als sie heute hier erwacht war, hatte sie die Degradierung vergessen und sich im Gästezimmer eines niederen Adeligen gewähnt. Die feinste Unterkunft der Holzfäller war nicht besonders luxuriös, aber die Männer der Segalegno hatten sich sichtlich bemüht.
Erst der Ruf eines Kleibers hatte sie aus ihren Gedanken gerissen und daran erinnert, wo sie hier war. Etwas zu spät, aber immerhin ...
Nach dem Frühstück marschierten die Männer davon. Es waren acht, und sie alle schüchterten Nifa ein. Unrasierte Kerle, selbst die Brust und die dicken Arme voller dunkler Wolle. Sie waren wortkarg und schauten finster unter dichten Brauen. Vielleicht gaben sie sich alle Mühe, abschreckend auf junge Adelige zu wirken. Vielen von ihnen fehlten Finger, sie hatte einige gruselige Narben bemerkt. Und gesprochen hatte kaum einer von ihnen mit ihr. Einer, der der Anführer zu sein schien, hatte ihr gesagt, dass es Mittags Essen geben würde, wenn sie pünktlich wäre.
Ansonsten erwarteten die Segalegno offenbar von ihr, dass sie in ihrem Zimmer sitzen blieb und Däumchen drehte. In ihrem Gepäck hatte sie Stickwerk gefunden, sogar ein Buch mit Anleitungen, einen Nähsatz, Schmuck und Kleider. Ganz eindeutig ein Geschenk ihrer Mutter.
Nifa hatte sich dagegen entschieden, dem kaum verhohlenen Erziehungsversuch nachzugeben, und war zu einem Spaziergang aufgebrochen. Zum ersten Mal gab es keine Amme, die sie in ein Mieder zwängte, und sie konnte eine Reithose und ein Hemd tragen, ohne auf die perfekte Farbzusammenstellung zu achten. Kleidung zu tragen, weil sie ihr gefiel und gut passte - das war eine ungewohnte Freiheit.
Während sie durch den Wald in der Nähe streifte, versuchte sie, Vogelstimmen zu erhaschen. Hier draußen gab es andere Vögel als in den Gärten der Städte. Von ihrem Sommersitz kannte sie viele, aber längst nicht alle. Wenn sie im Sommer mit der ganzen Familie auf dem Anwesen einfielen, flohen viele Vögel, aber hier schienen sie sich mit den Menschen arrangiert zu haben. Nifa hatte sogar ein Vogelhäuschen erspäht. Ganz so harte Kerle waren diese Holzfäller vielleicht doch nicht.
Sie erstarrte, als sie Stimmen hörte, und ging rasch hinter einigen Erlen in Deckung. Wer die streitenden Männer waren, wusste sie nicht, dazu kannte sie die acht zu schlecht. Aber die Worte konnte sie bald gut verstehen.
"Wir sind hier aber kein Erziehungsheim!"
"Ist ja nicht für lang. Das Mädel wird ein paar Nächte in sein Kissen heulen und dann geläutert zu Mama und Papa zurücklaufen. Bei den anderen hat es ja auch nicht lang gedauert."
"Aber bis dahin frisst das Prinzesschen hier mit, ohne auch nur einen Finger zu krümmen! Wenn diese hohen Herrschaften uns wenigstens bezahlen würden. Aber nein, sie schieben nur den unliebsamen Nachwuchs hier ab. Bei den Göttern, das ist demütigend!"
Der andere Mann seufzte, müde und offenbar genervt, als würde er diese Diskussion oft führen. "Lass uns die Scheite machen. Wir müssen jetzt ein Zimmer mehr beheizen."
"Verdammter Adelssprössling!", murrte der andere. Dann erklang regelmäßiges Hacken.
Nifa merkte, dass ein kalter Hauch ihre Wangen streifte. Erschrocken wischte sie die Tränen ab und glättete ihre Kleidung, während sie aufstand und ihren Atem beruhigte. Was hatte sie auch erwartet, wenn sie einfach lauschte? Vermutlich hatten sie alle recht - ihre Mutter und die Holzfäller und sie alle. Sie gehörte in einen Palast. In ein feines Kleid, als Schmuckstück an die Seite irgendeines Grafens.
Sie sollte ihre Träume aufgeben und heimkehren, bevor sie noch mehr verletzt wurde.
In diesem Moment hörte sie fernen Gesang. Eine langsame Abfolge von Pfeiftönen, auf- und absteigend. "Wiiü wiiü wiiü ..."
Sie lächelte. Der Kleiber! Er war noch in der Nähe, obwohl sie bereits hörte, dass hier und dort Bäume krachend fielen. Es schien ihr fast, als würde er ihr Mut zuflüstern.
Sie straffte sich, nahm sich noch einen Moment, um jede Spur der Tränen zu verbergen, dann schlenderte sie auf die Männer zu. Die beiden beugten sich über einen großen Hackklotz und wechselten sich damit ab, große Baumscheiben in Scheite zu schlagen.
Sie bemerkten Nifa erst, als sie fast bei ihnen war.
"Oh. Hallo, meine Dame." Die Verbeugung wirkte fast freundlich. Hätte sie das Gespräch nicht gehört, wäre ihr der abschätzige Blick des einen entgangen.
"Verzeiht, ich will nicht stören ...", begann sie langsam und klammerte die Hände an ihr Hemd. "Nur ... ich wollte wissen, ob ich helfen kann."
"Helfen?" Der Kerl, der sie so grimmig angesehen hatte, lachte jetzt. "Wir können dir doch keine Axt in die Hand geben!"
"Darf ich es wenigstens probieren?", bat sie mit allem Mut, den sie aufbringen konnte.
Das Gelächter des Mannes verstummte. "Ehrlich?"
Sie reckte das Kinn und lächelte offensiv. "Ehrlich."