Dean: "It's not too late, Cas. We can fix this."
Castiel: "Dean, it's not broken."
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In der Wärme des beheizten Bunkers begann Deans ausgekühlte Haut unangenehm zu kribbeln. In der Hoffnung es würde besser werden, rieb er seine brennenden Hände aneinander, was den Effekt allerdings nur noch verstärkte, als würde er sie unter kochendes Wasser halten. Ein bekanntes Gefühl aus Kindertagen.
Sam war nirgends zu sehen. Gut, das war gut. Er spürte, wie Castiel ihm in sein Zimmer folgte. Beim Geräusch der sich schließenden Tür zuckte Dean kaum merklich zusammen und hoffte, dass der Engel es nicht bemerkt haben würde. Um sich eine weitere demütigende Reaktion seinerseits zu ersparen, sah er Castiel hinter sich nicht an. Ohne sich umzudrehen, entledigte er sich seiner für diese Jahreszeit viel zu dünnen Jacke und ließ sie achtlos auf sein Bett fallen.
Das spärliche Licht der alten Nachttischlampe, die das Zimmer nur unzureichend ausleuchtete, fiel dem Engel nicht auf, denn Deans Seele hüllte den gesamten Raum in ihren gleißenden Schein, sichtbar allein für ihn. Sie erstrahlte allen Widrigkeiten trotzend noch so kraftvoll und klar wie am ersten Tag, wunderschön trotz oder gerade wegen all der tiefen Narben, machten sie Dean doch zu dem, der er war. Jede von ihnen erinnerte an all das, was sie bereits gemeinsam durchgestanden hatten, und bezeugte, wie stark sie einander machten. Mit und für den anderen waren sie fähig Dinge zu tun, die sie zuvor nicht für möglich gehalten hatten.
Der Jacke folgte das Hemd. In dem dunklen T-Shirt, das noch seinen Oberkörper bekleidete, fühlte Dean sich seltsam nackt. Er atmete tief durch, dann ging er zu der alten Kommode, füllte ein Glas mit Whisky und leerte es in einem Zug. Die raue Flüssigkeit brannte, während sie seine Kehle hinab lief. Ein vertrautes Gefühl. Genau das, was er jetzt brauchte.
„Du bist nervös“, stellte Castiel fest.
„Und du bist nicht gekommen“, lenkte der Blonde aus einem Reflex heraus ab. Sofort als die Worte gefallen waren, bereute er sie. Wieder einmal hatte er gesprochen ohne vorher darüber nachzudenken. Oder waren seine Gedanken schneller aus seinem Mund geflüchtet, als er sie hätte verhindern können? Ärgerlich auf sich selbst biss er sich auf die Unterlippe. Diese Unterhaltung driftete in eine Richtung ab, die ihm gar nicht gefiel, und er war auch noch selbst schuld daran.
Unbehaglich verlagerte Dean sein Gewicht. Nur langsam wurden seine Glieder wieder warm. Doch zu der Glut in seinen Händen gesellte sich nun auch die seiner Wangen. Schon bald würde der Fluch diese Hitze in seinen Lenden konzentrieren, er spürte es. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit.
Verwirrt legte Castiel den Kopf schief. „Aber ich bin doch hier, Dean.“
Dean verdrehte die Augen. Er hatte gehofft, sich die Peinlichkeit des Erklärens sparen zu können. Er hatte gehofft, überhaupt niemals über diese Nacht vor einem Monat sprechen zu müssen. Auch wenn sie sich heute wiederholen würde.
„Du hast sofort aufgehört, als ich… als ich meinen Höhepunkt erreicht hatte.“ Dean hatte mehr als deutlich gespürt, das Castiel noch immer hart gewesen war, als er sich ihm entzogen hatte. Castiel hatte sich keine Erleichterung verschafft und sich die Befriedigung verwehrt. So betrachtet hatte der Engel genau das Gegenteil von dem getan, wie er selbst bei Melanie gehandelt hatte. Castiel hatte seine eigenen Bedürfnisse zum Wohle des anderen zurückgestellt.
„Ich kann diese Hülle beherrschen“, entgegnete dieser. Natürlich hatte er danach nicht weitergemacht, schließlich hatte er nichts davon zum Vergnügen getan. Er hatte dem Menschen weh tun müssen. Nein, nicht müssen. Man hatte immer eine Wahl und Castiel hatte gewählt. Wenn er nur daran dachte, es heute wieder zu tun... Der Engel erschauderte.
Dean stutzte. Castiel hatte seine Hülle aktiv beeinflusst? Hieß das etwa, dass Castiels Erektion gar nicht echt gewesen war? „Also hast du gar nichts gefühlt als du… als wir…?“
„Ich habe sehr viel gefühlt, Dean, aber Lust war das nicht.“ Sie wussten beide, es hatte nicht daran gelegen, dass ihn Dean nicht erregte.
„Du hast geweint.“ Nur zu gut erinnerte er sich an das Gefühl von Castiels Tränen auf seiner Haut, während dieser in ihn eingedrungen war. Und wie Castiel ihm den Halt gegeben hatte, den der Engel selbst schon längst verloren hatte.
„Ja“, gestand der Engel ohne eine sichtbare Regung, aber leiser fügte er hinzu, „Das habe ich nicht beherrschen können.“ Er hatte es nie geschafft seine Gefühlsregungen auszuschalten, so wie all die anderen Engel. Gabriel hatte einst gesagt, dass das seine Stärke sei. Es fühlte sich nicht so an.
„Lass deinen Körper diesmal dich beherrschen, ja?“ Ein schiefes Grinsen zierte Deans Lippen, aus dem schnell jegliche Unsicherheit wich. Castiel keuchte auf, als er ihm unverhofft über seine Mitte strich. Kurz beobachtete der Jäger die Reaktion seines Gegenübers, dann trat er so nah an ihn heran, dass ihm der Atem stockte, und verwickelte ihn in einen hungrigen Kuss. Dieses Verlangen, es war zurück. Und Castiel hieß es willkommen, ließ es geschehen. Deans eine Hand in seinen Haaren, die andere wanderte zurück zu seinem Schritt.
Für einen Moment waren Castiels Gedanken wie leergefegt. Da war nichts als Dean. Dean war überall, an seinem Körper, in seinem Mund. Ihm war bewusst, dass er eigentlich nicht so fühlen durfte, dass er eigentlich gar nicht so fühlen konnte. Aber dieser Mensch versetzte nicht nur seine Hülle in Aufruhr, sondern auch seine Gnade. Sie brodelte in seinem Inneren und Castiel war sich sicher, sie würde sich seiner entreißen, sollte Dean ihn jemals wieder loslassen.
Mir einem sanften aber bestimmten Ruck zog Castiel den Jäger näher an sich. Seine Hände auf Deans Rücken glitten unter sein T-Shirt und spürten den kraftvollen Bewegungen nach, wie Dean sich in seine Berührungen lehnte. Und für einen Moment erlaubte sich der Engel es zu genießen. Feuchte Lippen an seinem Hals, Deans Geschmack noch auf seinen eigenen. Ein erneutes Keuchen entfloh ihm, als die Finger in seinem Schritt fester zudrückten. Er presste sein Gesicht in den blonden Schopf und sog Deans Geruch auf, bevor er seinen Mund wieder in Beschlag nahm und sich ihre drängenden Zungen fanden.
Schwer atmend löste sich Dean ein wenig, als seine Finger auf Muskeln unter nackter Haut trafen. Er hatte Castiel Trenchcoat, Jackett und Hemd ausgezogen ohne es bewusste zu registrieren. Was war da gerade mit ihm geschehen? Sie wussten es. Sie wussten es beide. Aber Dean versuchte diesen Umstand, den Fluch auszublenden, solange es noch möglich war. Castiel hatte es verdient, dass man ihn ansah.
Mit dem Bewusstsein über die Situation, in der sie sich befanden, kehrte auch ein wenig der Nervosität zurück. Sie würden miteinander schlafen. Dean schluckte. Sein Herz klopfte wie das eines Teenagers. Fast ehrfürchtig strich er über Castiels Oberkörper, berührte vorsichtig die vernarbte Sigille auf seiner Brust, spürte die Erhebungen der Haut unter seinen Fingerspitzen, das Narbengewebe. Und er bemerkte wie schön Castiel war. Nicht zum ersten Mal.
Er hatte seine Augen einfach nicht von dem Engel lassen können. Da war schon immer etwas gewesen in der Art wie sie einander anstarrten, wenn der andere nicht hinsah. Und in den intimen Blicken, die sie teilten, konnte jeder das Verlangen nach mehr und das Zögern zu beginnen erkennen, die Luft getränkt von Worten, die niemand auszusprechen wagte. Wie in der Wüste auf Regen zu hoffen. Es war als hätten sie beide sich gewünscht, dass der jeweils andere den ersten, alles verändernden Schritt tun würde.
Die letzte Person, die mich so angesehen hat, habe ich flachgelegt. Oder war es eher gewesen: Das letzte Mal als mich jemand so angesehen hat, wurde ich flachgelegt. Dean wusste es nicht mehr. Aber an Castiels Antwort erinnerte er sich noch genau. Castiel hatte ihm diesem Blick nur noch härter gegeben.
Also, die letzte Nacht auf Erden. Was… was sind deine Pläne? Er hatte damals doch allen Ernstes seinen besten Spruch verwendet. Und dabei war es nicht geblieben: Zwei Dinge weiß ich mit Sicherheit. Erstens, Bert und Ernie sind schwul. Zweitens, du wirst nicht als Jungfrau sterben. Nicht gerade subtil, aber zu subtil für Castiel.
Und dann als der Engel aus dem Fegefeuer zurückgekehrt war… Als Cas aus dem Badezimmer getreten war, neu eingekleidet, rasiert, sauber, hatte Dean seinen Blick nicht von ihm abwenden können. Er war wie hypnotisiert gewesen. Castiel war wieder Cas gewesen, sein Cas, als wäre nichts geschehen. Seine eigene körperliche Reaktion hatte Dean zutiefst verwirrt, im Nachhinein als er wieder hatte klar denken können. Für den Moment hatte er seine Erektion bloß zu verstecken versucht und gehofft, dass Sam nichts bemerkt haben würde, aber dessen Gesichtsausdruck hatte ihm Gegenteiliges verraten: Sam wusste es, er hatte es immer gewusst.
„Cas, was ist das hier? Zwischen uns?“ Er sah Castiel in die Augen. War es nur sexuelle Anziehung? Das konnte nicht alles sein. Er fühlte es.
„Was auch immer wir daraus machen, Dean.“ Castiel lächelte und Dean wollte nichts mehr als ihn zu küssen, um zu erfahren, wie dieses seltene Lächeln schmeckte. Aber er tat es nicht.
Weniger reden, mehr fühlen. Das wäre Deans Devise gewesen unter gewöhnlichen Umständen. Aber nichts an dieser Situation war gewöhnlich. Er hatte hier keine x-beliebige Frau vor sich. Cas war weder weiblich noch beliebig. Cas war sein bester Fr-, nein, Cas war etwas Besonderes, nicht nur weil er männlich war. Cas war männlich. Gott, war er männlich… Die breiten Schultern, die Muskeln, die sich unter seiner Haut bewegten, der feste Griff seiner Hände, der leichte Bartschatten, seine tiefe Stimme, das Gefühl des geschwollenen Geschlechts unter seinen Fingern… Hitze strömte durch Deans Körper. Seine eigene Erektion lag schwer und eingeengt in seiner Jeans. Der Fluch zerrte an seinen Nerven. Weniger reden, mehr fühlen, war gefährlich. Die Unterbrechungen hielten ihn bei klarem Verstand. Noch.
Ihr Gespräch von vorhin war noch nicht beendet. Zumindest nicht für Dean. Castiel wusste jetzt, dass er als Jugendlicher auch von Männern nicht abgeneigt gewesen war. Also wusste er wahrscheinlich auch von seinem Schmerz als er gegen einen Tisch gelaufen war, weil er einem attraktiven Mann nachgesehen hatte, von seinem unverhohlenen Blick auf das Hinterteil eines Matrosen im Jahr 1944 und seinen Blicken auf des Engels Mund. Cas wusste sicher von seiner Schwärmerei für den Seriencharakter Dr. Sexy, von seinem Flirt mit einem männlichen Cop, als er betrunken gewesen war, und von seinen Erklärungen für die lesbische Charlie, wie man einen Mann umgarnt. Vielleicht wusste Cas sogar von seiner einstigen ‚Liaison‘ mit einer männlichen Sirene und von seiner körperlichen Reaktion auf Castiels Anblick, als dieser sich nach dem Fegefeuer wiederhergestellt hatte. Es durfte kaum etwas geben, das der Engel noch nicht von ihm wusste. Und was wusste er von Castiel?
„Stehst du auf Männer, Cas?“ Okay, das war plump, selbst für ihn. Seine Gedanken waren mal wieder einfach so aus seinem Mund gestolpert.
Castiel schüttelte gedanklich den Kopf. Wahrscheinlich kannte niemand diesen Menschen besser als er. Hatte Dean etwa vergessen, wer seine Seele aus der Verdammnis errettet hatte? Er wusste sicher nicht alles von ihm, nicht mehr, aber er wusste genug und er urteilte nicht darüber. Sexualität und Vorlieben mochten Dinge sein, die unter Menschen aus für ihn unerfindlichen Gründen stigmatisiert und mit Scham besetzt waren. Aber wie konnte Dean nur glauben, dass etwas so Menschliches ihn von ihm fernhielt oder schlimmer, ihn von ihm abstieß? Er war aus seiner Liebe zur Menschlichkeit gefallen.
„Nein Dean, ich habe keine Präferenz in Bezug auf das Geschlecht. Für mich ist die Seele wichtiger als der Körper.“
Dean sah aus als hätte Castiel ihn geschlagen. Beschämt wandte er sich ab, wusste er doch, dass sein Körper anziehend war, seine Seele aber musste einen scheußlichen Anblick bieten. Sobald sie sich in die Augen sähen, sähe Cas zu viel. Sähe Dean selbst zu viel. Und er wusste nicht, ob er das würde ertragen können, den Ekel in den blauen Augen.
Doch der Engel spürte beklommen, was Dean fühlte. Also packte er ihn am Arm und drehte ihn wieder zu sich. Deans beschleunigter Atem streifte seine Haut und ihre Blicke begegneten sich.
Gerade wollte Dean sich aus der Berührung winden, als er spürte wie Castiels Griff sich lockerte. Dieser strich über seine Haut als würde er etwas Kostbares, etwas Wertvolles berühren. Und die Art wie der Engel ihn ansah… als wäre er… als wäre er liebenswert.
"There are people, feelings, that I want to experience
differently than I have before. Or maybe even for the first time."
Dean 10x16
(Song zum Kapitel: Young And Beautiful - Lana Del Rey)