Happy End
oder
Die Vergänglichkeit des Seins
"When Castiel first laid a hand on you in hell he was lost!"
Hester zu Dean
Wenn Dean lachte, lachte sein ganzes Gesicht, sein ganzer Körper. Dann strahlten nicht nur seine Augen heller als sonst, sondern auch seine Seele. Besonders wenn Castiel es war, der ihn zum Lachen brachte. Aber dann stieg der Engel nicht mit ein, er starrte nur. Und so erstarb Deans Lachen. Verunsichert fühlte er sich befangen, gehemmt. Er wollte nicht, dass Cas dachte, er würde sich über ihn lustig machen. Es war nur wirklich süß gewesen. Je länger Cas starrte, desto verlegener wurde Dean, bis er sich betreten über den Nacken rieb und herausstammelte: "Alter, was?"
Und da lächelte Castiel und sagte: "Du hast ein schönes Lachen, Dean."
Ein wenig wehmütig versuchte er es sich so gut wie möglich einzuprägen, denn bittersüß wog die Gewissheit: Ein Happy End hängt immer davon ab, an welcher Stelle man aufhört die Geschichte zu erzählen.
Deans Lachen währte nicht für immer. Er hatte aufgehört zu trinken, von einem Tag auf den anderen kein Alkohol mehr. Denn mit jedem Schluck hatte er ihre Verbindung mehr und mehr betäubt, hatte er sich immer stärker von Castiel abgeschnitten gefühlt, immer weiter von ihm entfernt. Doch der kalte Entzug setzte dem Jäger zu. Nicht nur sein Band zu dem Engel konnte er nun uneingeschränkt fühlen, sondern auch all das, was er mit dem Alkohol zu unterdrücken versucht hatte. Schuld, Trauer, Depression, Wut. Lang verdrängte Erinnerungen kehrten plötzlich zurück. Angefangen mit dem gewaltsamen Tod seiner Mutter, dem Kind, das er nie hatte sein dürfen, und einem Vater, der nie einer gewesen war. Der Tag, an dem Sam nach Stanford gegangen war. Menschen, die er geliebt und verletzt hatte. Menschen, die ihm genommen worden waren. Menschen, die er selbst getötet hatte, direkt oder indirekt. Die Jahrzehnte der qualvollen Folter in der Hölle und wie er selbst damit begonnen hatte.
Eine Hand auf seiner Schulter. Er wollt sie abschütteln. Er verdiente es nicht…
Castiel. Castiel war da. Eine Stimme, die leise Worte in seinen Schmerz sprach.
„Sag mir, was du brauchst.“
„Dich.“ Ich brauche dich.
„Dann nimm mich“, ohne zu zögern.
Und mit diesen Worten überließ Castiel, Engel des Herrn, einem kranken, zweifelnden, sündhaften Menschen die Führung; dem einen Menschen, der nicht nur die Finger seiner Hülle in stillschweigendem Flehen zwischen den seinen zerquetschte, sondern auch noch Castiels heftig schlagendes Herz in unsicheren Händen hielt. (1)
„Ich will dich nicht verletzen…“
„Nimm mich, Dean.“ Es war keine Bitte.
Es war kein Sex. Sie konnten nicht so miteinander schlafen wie andere Paare es taten. Es war nichts, das sie leichthin oder nur zum Spaß tun konnten. Es war eine Vereinigung nicht bloß ihrer Körper. Sie sprachen nicht darüber. Sie verloren nie ein Wort darüber, wie sehr es sie beide zerstörte, wie sie Mal für Mal daran zerbrachen. Der Akt erschütterte sie jedes Mal aufs Neue bis ins Mark. Es hatte Folgen, Konsequenzen.
Nachdem sie miteinander geschlafen hatten, wirkte Castiel angeschlagen und matt, von Mal zu Mal mehr. Anfangs hatte der Engel lediglich begonnen zu schlafen und zu essen, und Dean hatte sich einreden können, dass durch ihre Verbindung bloß seine Menschlichkeit auf Cas abfärbte. Doch dabei war es nicht geblieben. Seine übernatürlichen Selbstheilungskräfte hatten gänzlich nachgelassen, hinzu kamen immer längere Phasen der Erschöpfung. Heute war es besonders deutlich.
Seine brüchige Stimme drang kaum über das dumpfe Rauschen in seinen Ohren. „Dean… Dean, meine Gnade… Ich kann meine Gnade nicht mehr fühlen…“ Der Jäger konnte die aufkommende Panik in seinen geweiteten Augen sehen. „Sie ist noch da, aber… aber ich kann sie nicht mehr fühlen…“
„Cas, ich… Cas…“ Hilflos suchend blickte Dean den Mann vor sich an, dem ungewohnten Gefühl ausweichend, nicht zu wissen, was er tun sollte, den Umstand verdrängend, dass es nichts gab, das er tun konnte. Was der Engel in diesem Moment erlebte, musste so sein, wie plötzlich zu erblinden oder querschnittsgelähmt zu sein. Augen und Beine waren noch da, aber völlig nutzlos, empfindungslos.
Beherrscht zwang sich Castiel ruhig zu atmen, „Es ist okay, es ist okay“, als müsste er nicht nur Dean, sondern auch sich selbst überzeugen, „Ich kann dich fühlen.“ Ein leichtes Lächeln erschien in seinen Zügen. „Meine Gnade im Tausch für dich. Ein geringer Preis.“
Doch eine Ahnung beschlich den Jäger, dass die Kosten diesmal zu hoch waren.
Castiel: „I‘m fine.“
Dean: „No, you‘re not. How long you got?“
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Es war 21 Uhr, als Castiel den Schlüssel im Schloss klicken hörte. Bestimmt hatte ihm der Jäger mitgeteilt, wo er hingegangen war, aber Castiel konnte sich nicht mehr daran erinnern. Ihm war schwindelig und er war müde, so müde. Dean fand ihn auf der Seite liegend, Arme und Beine hingen ungelenk von der Couch, die Augen geschlossen, die Atemzüge bemessen und tief. Er hatte auf ihn gewartet, natürlich hatte er das.
Castiel hörte, wie Dean über den Flur lief und seine Schritte vor der Couch langsam zum Stillstand kamen. Er schaffte es nicht die Augen zu öffnen, um dieses innig tiefe Lächeln zu sehen, das er so sehr liebte. Um zu sehen, wie Dean sich über ihn beugte, so nah, dass Castiel die Hitze spüren konnte, die von dem Körper des Jägers ausstrahlte. Wimpern fächerten auf seiner Wange. Deans Arm schob sich unter seine Knie, ein weiterer unter seinen Rücken und hob ihn an seine Brust. Innerlich musste Castiel trotz seiner Erschöpfung schmunzeln bei den Erinnerungen, die sich da verschwommen rührten.
Er spürte den Ruck, als Dean den ersten Schritt machte, nahm wahr, wie Dean die Tür aufstieß. Und am Rande seines engelhaften Bewusstseins regte sich das schlechte Gewissen bei der Art wie der Mensch keuchte, bis sie oben angelangten. Aber er lag eng geschützt in Deans Armen, warm gegen Deans sich hebende und senkende Brust gepresst, noch nie hatte er sich anderswo so in Sicherheit gefühlt. Und so verschwanden die anklagenden Gewissensbisse in seinem dämmrigen Zustand. Er hörte, wie eine andere Tür aufgestoßen wurde und fühlte sich langsam auf die weichen Laken ihres Bettes gesenkt. Für einen Moment herrschte Stille und Castiel konnte Deans Augen auf sich spüren. Er konnte sich seinen Blick vorstellen, die Liebe in seinen Augen, der besondere Zug um seinen Mund. Dean beugte sich wieder über ihn und seine Lippen streifen Castiels Stirn, seine Nase, seine Augenlider, seine Lippen.
„Gute Nacht, Cas.“
Das Bett sank ein, als Dean sich an seine Seite schmiegte, die Nase in Cas Haar. Sanft zog er den Engel in seine starken Arme. Noch immer war diese Nähe erstaunlich. Der Körper des anderen Mannes an seinem eigenen, konnte er dessen Atem fühlen, hören, seinen Duft riechen. Ein Ziehen in seiner Brust, als er daran dachte, dass es eine Zeit ohne all das gegeben hatte. Nicht zum ersten Mal fragte sich Dean, wie er es ertragen hatte, dem Engel nicht nah sein zu können.
Im Halbschlaf murmelte Castiel vor sich hin, kaum zu verstehen: „Es tut weh… Es tut weh…“
„Was?“ Erschrocken rückte Dean von ihm ab. „Cas, was tut dir weh?“ Sofort läuteten all seine Alarmglocken. War der Engel verletzt? Hatte er ihn verletzt? Oder war etwas passiert während er weg gewesen war?
Kurz sah Castiel ihn verwirrt an, dann antwortete er jetzt deutlich wacher: „Alles okay. Mir geht es gut.“
Zum wiederholten Male in den letzten Tagen hatte Castiel behauptet, alles sei okay. Dean hatte es auf sich beruhen lassen wollen, aber er konnte doch sehen wie Cas immer schwächer wurde. Und das machte ihm Angst. Der Jäger wusste, Castiel verheimlichte ihm etwas, spürte, dass etwas nicht in Ordnung war, ganz und gar nicht. Wütend funkelte er ihn an. „Nein, nichts ist okay! Du wirst mir jetzt sagen, was mit dir los ist.“ Dem Ärger wich die Sorge, sie war deutlich aus seinem Gesicht zu lesen. „Sag mir, was mit dir nicht stimmt…“
Dean beobachtete, wie sein Gegenüber sich aufsetzte. Bei dem ernsten Ausdruck in dessen Augen zog sich sein Herz unangenehm zusammen.
Castiel wusste, er würde es nicht länger verbergen können. Vor diesem Moment hatte er sich gefürchtet. So lang wie möglich hatte er das von Dean fernhalten wollen. „Meine Gnade zerfällt, ich sterbe.“
Die Worte schnitten in seine Eingeweide wie ein stumpfes rostiges Schwert. Schock. Augenblicklich verlor Dean den Halt, es war als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Das ist nicht wahr, das kann nicht wahr sein, das darf nicht wahr sein… Panik erfasste ihn, eine Woge aus Furcht drohte ihn zu überrollen. Er hörte sein eigenes Blut dumpf in seinen Ohren rauschen. Seine Umgebung nahm er nur noch gedämpft wie durch eine Wattewand war, so unwirklich.
Erbittert versuchte Dean sich innerlich zur Beherrschung zu rufen. Er war ein Jäger, verdammt nochmal! Der Tod begleitete ihn ein Leben lang. Sein Alltag bestand darin ihm so oft wie möglich von der Schippe zu springen. Sein eigenes Ende bereitete Dean keine Furcht, schon so lang nicht mehr. Doch wenn es um andere ging, um solche die er liebte, setzte seine erlernte Abgeklärtheit aus. Das Leben anderer war schon immer wichtiger gewesen als sein eigenes. Er durfte sich jetzt nicht in seinen Verlustängsten verlieren! Es war Zeit für den Problemlösemodus.
„Wie können wir es aufhalten?“ Konnte Cas nicht einfach auf die Energie seiner Seele zugreifen, so wie er gesagt hatte, und seine Batterien wieder aufladen? Oder konnten sie zur Not nicht seine Gnade entfernen und ihn zu einem Menschen machen? Oder die Gnade anderer Engel benutzen, um ihn wieder aufzupäppeln? Oder…
Vorsichtig berührte Castiel seinen Arm. „Du kannst nichts tun. Bis auf das eine.“ Der Engel wusste, Dean würde alles tun. Alles. „Mich gehen zu lassen.“ Heftiges Kopfschütteln, er wollte das nicht hören. „Lass mich gehen.“
„Nein…“
„Dean…“
„Wie lange noch?“ Der Jäger war aufgestanden. Sein leerer Blick suchte nach etwas, an dem er sich halten konnte, und fand doch nichts.
„Mir bleiben ein paar Wochen“, und leiser setzte er nach, „Vielleicht zwei.“
„Wieso?“, brachte der Mensch mit erstickter Stimme hervor.
„Dean.“ Das war nicht wichtig. Es spielte keine Rolle mehr.
„Wieso?!“
Vor ihm stand ein gebrochener Mann. Castiel schloss die Augen, er konnte ihn jetzt nicht ansehen, konnte nicht mehr mitansehen wie Deans Welt zerfiel. „Bei deinem dritten Neumond, als wir uns zum ersten Mal aus freien Stücken ohne den Zwang des Fluchs einander hingegeben haben, entstand unser asirutho, unser ĥuyodo. Unsere Verbindung. Das besiegelte Band.“ Zögerlich fuhr er fort: „Dann aber habe ich deine Seele berührt und mit meiner Gnade den Fluch herausgebrannt, und die finale Vereinigung wurde ausgelöst. Ich musste meine Gnade praktisch von deiner Seele wegreißen. Seitdem war jede weitere Annäherung wie ein Tropfen für einen Verdurstenden.“
„Meine Nähe tut dir weh“, die Worte blieben Dean im Halse stecken. „Das heißt, seit dem Tag als du mir den Fluch aus der Seele gebrannt hast… Seit diesem Tag habe ich dich jedes Mal ein Stück mehr getötet, wenn wir miteinander geschlafen haben?!“ Da erinnerte Dean sich an seine eigenen Worte: Als Jäger werde ich nicht alt werden und du auch nicht solang du bei mir bleibst.
„Das hat es nur beschleunigt.“ Und trotzdem hatte er es nicht bleiben lassen können, hatte sich nicht von dem Menschen fernhalten können, wie ein Süchtiger, der seinen nächsten Schuss brauchte.
„I was getting too close to the humans in my charge. You.“
Castiel zu Dean 4x16
1) Platypusaurus: down we fall. 2019