Kapitel 2
An diesem Tag hatte ich stundenlang vergeblich draußen am Feldrand auf der Lauer gelegen und ohne nennenswerten Erfolg mein Jagdrevier durchstreift. Irgendwann in der Abenddämmerung schlenderte ich missmutig und mit grummelndem Magen zurück zu meiner Behausung, wo wie immer ein gut gefüllter Futternapf und mit etwas Glück auch einige Streicheleinheiten auf mich warten und meine Stimmung deutlich aufbessern würden.
Noch ein kleines Stück… bis zum Ende der Straße und einmal um die Kurve, dann war ich da.
Das Auto stand nur ein paar Pfoten weit von meinem Zuhause am Straßenrand. Es war ziemlich lang und hinten offen, und als ich vorbeispazierte, strömte aus dem Wageninneren ein köstlicher Duft.
Hühnchen?
Leckere Sheba-Pastete, die ich über alles liebte?
Bei dem Gedanken daran zog sich mein leerer Katzenmagen voller Begierde zusammen.
Ich umrundete das fremde Gefährt neugierig und sah mich vorsichtig um. Weit und breit war kein Zweibeiner zu sehen. Aber dieser herrliche Duft war betörend und ich hatte doch so schrecklich großen Appetit!
Kurz entschlossen sprang ich zwischen die Tüten und Taschen, mit denen das Auto vollgestopft war. Nur mal schnell schauen, wo die Pastete zu finden war. Vielleicht kurz kosten und schnell wieder weg.
Selbstvergessen nahm ich die Witterung auf, folgte meinem feinen Näschen und schob mich zielstrebig zwischen den Gepäckstücken hindurch weiter ins Innere des unbekannten Wagens.
Da!
Mir lief voller Vorfreude bereits das Wasser im Mäulchen zusammen. Hier hinten musste es sein…
Und tatsächlich!
Es war eine einzelne, unscheinbare Papiertasche, aus der dieser köstliche Duft strömte. Ich kletterte auf die weiche Decke, die danebenlag und versuchte in die Tasche zu spähen, als ich hinter mir plötzlich Schritte hörte.
Ein fremder Zweibeiner?
Oh, er durfte mich nicht entdecken, denn sicher würde er ganz schrecklich mit mir schimpfen, wenn er merkte, dass ich ihm seine Pastete wegfressen wollte.
Schnell duckte ich mich zwischen die zahlreichen Gepäckstücke und legte die Ohren an.
Sekunden später gab es einen dumpfen Knall und es wurde deutlich dunkler um mich herum. Mein Herz machte vor Schreck einen entsetzten Hopser. Der Zweibeiner hatte die Autoklappe geschlossen, durch die ich hereingeschlichen war!
Ich saß in der Falle.
Oh nein, nein!
Ich muss doch hier wieder raus!
Panisch sah ich mich um und suchte nach einem Fluchtweg, als ich eine zweite Tür klappen hörte. Sekunden später wurde der Motor gestartet und das Auto setzte sich in Bewegung.
Wo fuhr dieses Ding hin?
Zu mir nach Hause?
Einmal die Straße runter und wieder rauf?
Unsicher tapste ich zurück zu der duftenden Tüte, an der ich jedoch nach diesem Schreck keinerlei Interesse mehr verspürte. Stattdessen ließ ich mich auf der danebenliegenden Decke nieder, um abzuwarten, wann das Gefährt endlich wieder anhalten würde und ich unbemerkt davonschleichen konnte, sobald sich eine der Türen öffnete.
Doch das Auto hielt nicht an.
Es fuhr und fuhr, brummte gleichmäßig und schaukelte beim Fahren leicht vor sich hin.
Es machte mich müde, sehr müde, und irgendwann schlief ich erschöpft ein…
Als ich erwachte, war es stockdunkel.
Wo war ich?
Zu Hause? Nein, das hier war nicht mein Zuhause. Die Decke, auf der ich lag, war auch nicht meine.
Was war passiert?
Langsam versuchte ich meine Gedanken zu ordnen und das monotone Brummen und Schaukeln um mich herum zu deuten.
Ein Auto?
Autofahren kannte ich ja von meiner Zweibeiner-Familie. Aber wenn sie mit mir unterwegs waren, lag ich immer in einer Art Katzenkorb mit einem Gitter vor dem Ausgang. Hier war kein Korb, und auch kein Gitter. Und das war auch nicht das Auto meiner Menschen.
Das war…
Ein fremdes Auto, in das ich gesprungen war, weil etwas gut gerochen und mich neugierig gemacht hatte!
Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufrichteten und mein Fell sich panisch sträubte.
Oh nein, nein! Ich war in einem fremden Auto eingeschlafen!
Anhalten! Sofort anhalten!
Ich wollte laut um Hilfe schreien, doch es kam kein einziger Ton aus meinem Mäulchen. Die Panik schnürte mir die Kehle zu.
In diesem Moment hielt das Auto an. Das Brummen hörte auf und es wurde still.
Kurz darauf klappte eine Tür. Schritte näherten sich und hinter mir wurde die Klappe geöffnet, durch die ich hereingeschlichen war. Ich duckte mich tiefer zwischen die Taschen und Tüten, um nicht entdeckt zu werden. Abwarten und bei der ersten sich bietenden Gelegenheit schnell die Flucht ergreifen! Heim zu meiner Familie, zu meinem Fressnapf und den geliebten Streicheleinheiten!
„Da bist du ja! Hattest du eine gute Fahrt?“, hörte ich plötzlich eine mir unbekannte helle Stimme sagen. Doch die Stimme galt nicht mir, sondern dem Zweibeiner, der soeben meine Fluchttür geöffnet hatte.
„Hallo mein Schatz!“, erwiderte er und umarmte die Person mit der hellen Stimme.
„Ich hatte Glück, es war nicht viel los unterwegs. Hilfst du mir beim Ausladen?“
Während die beiden Zweibeiner einige der Taschen und Tüten ergriffen, duckte ich mich wieder tief in mein Versteck. Nur nicht entdeckt werden! Ich wollte jetzt wirklich ganz schnell nach Hause.
Als die beiden Zweibeiner kurz darauf vom Auto weggingen, nutzte ich meine Chance, zwängte mich durch die Gepäckstücke, sprang beherzt hinaus und rannte los, so schnell ich konnte. Geradeaus, bis zum Ende der Straße, um die Kurve und…
Das war nicht mein Zuhause!
Im fahlen Licht der Straßenlaternen blieb ich stehen und sah mich irritiert um.
Alles sah fremd aus. Eine breite Straße, aber keine kleinen Häuschen, keine Hecken, nur große Bäume und ein verwildertes wenig einladendes Gebüsch vor einem riesigen Gebäude mit vielen Fenstern.
Wo war ich ???