EPILOG
Jeany POV:
„Schau mal, die sieht aus wie unsere Mali.“
Gedankenverloren stand meine Tochter vor einem Plakat der Zoohandlung im Einkaufspark. Es war Anfang Dezember und wir waren beide unterwegs, um ein paar Weihnachtseinkäufe zu erledigen.
Ich trat neben sie und legte ihr meine Hand auf die Schulter.
„Du hast recht, das ist auch so ein hübsches dreifarbiges Glückskätzchen.“
„Aber Malis Gesicht war besonders gezeichnet. Ich würde sie aus hundert anderen erkennen“, erwiderte sie und ich sah, wie so oft in letzter Zeit, die Traurigkeit in ihren Augen.
Mali, die einjährige Katze meiner Tochter und ihrer Familie war seit nunmehr fast zehn Wochen spurlos verschwunden. Sie hatten sie überall gesucht, Flyer gedruckt und verteilt, bei allen Nachbarn nachgefragt und diese gebeten, in ihren Kellern und Garagen nachzuschauen. Und sie hatten immer wieder gehofft, ihr schmerzlich vermisstes Kätzchen würde eines Tages plötzlich wieder auftauchen.
Allerdings wusste meine Tochter aus ihrer langjährigen Erfahrung als Tierarzt-Assistentin, dass verschwundene Katzen äußerst selten nach so langem Verschwinden wieder unversehrt zurückkehrten.
Trotzdem blieb die Hoffnung.
Aber die Wochen vergingen und Mali kam nicht wieder.
Inzwischen glaubten wir, ehrlich gesagt, nicht mehr daran, sie wiederzusehen. Wir waren alle unsagbar traurig darüber, denn wir kannten Mali, seit meine Tochter die Kleine als Katzenbaby aus dem Tierheim geholt hatte.
Mein Enkel Jonas hing sehr an seinem Kätzchen. Unzählige Male war er mit ihr im Arm eingeschlafen. Mali hatte ihn nie gekratzt oder angefaucht, sie war pflegeleicht und sehr gesellig gewesen. Ein richtiges Familienkätzchen. Er vermisste sie furchtbar und wollte auch langer Zeit des Wartens und Bangens nicht über eine neue Fellnase nachdenken. Er wollte seine Mali.
Aber leider gibt es nun einmal Dinge im Leben, die sind nicht zu ändern, auch wenn sie noch so wehtun. Und so musste Jonas in den vergangenen Wochen lernen, dass weder Mama noch Papa Wunder vollbringen und Mali einfach wieder herzaubern konnten. Das war eine wirklich schmerzhafte Erfahrung für den Vierjährigen.
Mit einem Seufzen holte mich meine Tochter aus meinen Gedanken.
„Ich befürchte, wir müssen allmählich akzeptieren, dass sie nicht wiederkommt.“, sagte sie und wandte sich von dem Plakat ab. „Na komm, wir haben noch viel vor.“
In diesem Augenblick klingelte ihr Handy.
Beim Blick aufs Display verzog sie das Gesicht. „Eine fremde Nummer. Da hat sich sicher nur jemand verwählt“, meinte sie und wollte den unbekannten Anrufer schon wegdrücken, doch ich hielt sie zurück. „Geh ruhig ran, so viel Zeit haben wir noch.“
„Ja bitte?“
Meine Tochter hatte das Gespräch angenommen und lauschte angespannt.
„Ja... richtig, die bin ich. Um was geht es denn?“
Nach ein paar Sekunden wurden ihre Augen kugelrund, sie griff nach meinem Arm und starrte mich an, als habe sie einen Geist gesehen.
Ich hielt unwillkürlich die Luft an und wartete gespannt.
„Was? Sind Sie ganz sicher?“
Plötzlich rollte eine Träne über ihr Gesicht.
„Was ist denn los?“, fragte ich zutiefst beunruhigt.
„Sie haben Mali gefunden…“, flüsterte sie schluchzend und lauschte weiter gespannt in ihr Handy.
„Tot…“, schoss mir die traurige Gewissheit durch den Kopf, „Oh Gott, sie ist tot.“
„Sie lebt“, sagte meine Tochter mit vor Aufregung zitternder Stimme, als hätte sie meine furchtbaren Gedanken geahnt. Hektisch begann sie mit der freien Hand in ihrer Tasche zu kramen. „Moment, ich suche nur schnell etwas zum Schreiben...“
Eilig zerrte ich Kugelschreiber und Einkaufszettel aus meiner Umhängetasche und reichte ihr beides, so dass sie schreiben konnte. Sie kritzelte einen Namen und eine Telefonnummer auf den Zettel und nickte dann unter Tränen. „Danke, haben Sie vielen lieben Dank. Ich melde mich bei Ihnen, sobald ich wieder zu Hause bin, und dann verabreden wir alles.“
Als sie aufgelegt hatte, fiel sie mir um den Hals.
„Mali lebt!“, wiederholte sie unter Tränen.
Ich schluckte, denn ich war nah dran, vor Freude mitzuheulen.
„Erzähl…“
„Eine Frau hat mich angerufen, eine Lehrerin. Sie hat Mali gefunden. Und sie ist mit ihr zum Tierarzt gefahren, weil Mali sich eine Erkältung eingefangen hat. Der Tierarzt hat den Chip ausgelesen und die Frau hat bei TASSO angerufen. Von denen hat sie meine Telefonnummer bekommen.“
„Unglaublich!“ Sprachlos schüttelte ich den Kopf. „Und wo ist Mali jetzt? Hier in der Nähe von uns?“
„Nein. Das wirst du mir jetzt kaum glauben. Sie ist nicht in der Nähe.“
Meine Tochter atmete tief durch und sah mich bedeutungsvoll an.
„Mali ist rund einhundert Kilometer von hier in … gefunden worden.“
ENDE
Das war meine (teilweise) wahre Geschichte über Mali und einen jener seltenen glücklichen Zufälle, die uns ab und zu an „kleine Wunder“ glauben lassen. Natürlich war der Teil, in dem ich über Malis Abenteuer und über die graugetigerte Mieze erzählt habe, frei erfunden, denn wir wissen ja nicht, was das Kätzchen im Einzelnen während der zehn Wochen erlebt hat.
Wir wissen nur, was uns die nette Frau, die Mali bei sich aufnahm und zum Tierarzt brachte, berichtet hat.
Ich bedanke mich bei allen Lesern, die hier mitgefiebert, mitgelitten und manchmal auch über Mali geschmunzelt haben.
Danke für euer Interesse.
Eure Jeany
©JeanyEvans 2023