Die drei Geschichten, die mir mein Sauhund über seinen Aufenthalt an Queen Victorias Hof erzählt hatte, gingen mir einfach nicht aus dem Kopf. Irgendetwas musste da noch sein. Irgendetwas, das mir der Sauhund verschwiegen hatte. Ob dies nun wissentlich oder unwissentlich war, tat nichts zur Sache. Mein weiblicher Instinkt sagte es mir. Ich musste es erfahren, komme, was wolle. Nur wie? Das war mir immer noch ein großes Rätsel.
Wie er an den Hof kam, war noch harmlos für seine Verhältnisse. Wobei man bei ihm das Wort harmlos in die Länge ziehen konnte wie ein Gummiband. Dabei war es wirklich harmlos. Und obwohl er Queen Victorias Zofe Charlotte hinterher starrte, als hätte sie Honig am Hinterteil und er war die Biene, die daran kleben blieb, war er standhaft, im wahrsten Sinne des Wortes. Nein, nicht wie manche, die die Sauhundgeschichten kennen, vielleicht denken. Die Dame ging als Jungfrau in die Ehe.
Dass er sich auch noch Hals über Kopf in das Mädchen verlieben musste, war wohl eher ein Zufall. Gevatter Zufall war schon ein sehr eigenartiger Geselle und passte zu meinem Sauhund wie die Faust aufs Auge. Da kannte ich meinen Liebsten gut genug und wusste, wie schnell er sich für schöne Frauen begeistern konnte. Genauso schnell entliebte er sich wieder, wenn seine Gelüste gestillt waren. Bei Charlotte war das nicht so. Im Gegenteil. Sie verehrte er und hielt sich zurück.
Dann noch das mit der Köchin Margareth, die ihm schamlos den Kopf verdrehte und so tat, als wäre sie unbedarft. Dabei hatte sie Mann und Kinder zu Hause. Besser gesagt wäre es, sie war skrupellos, mit den Gefühlen des Sauhunds zu spielen. Einen groben Ehemann zu Hause zu haben, hieß noch lange nicht, dazu berechtigt zu sein. Das hatte der Sauhund wahrlich nicht verdient, obwohl er nie Kostverächter war. Natürlich hatten beide ihren Spaß miteinander, das nicht einmal zu knapp. Doch so eine Sauerei war einfach nicht zu verzeihen.
Ich wüsste nicht, dass es vor Margareth eine einzige Frau in seinem Leben gab, von der sich im Streit entzweit hatte. Mal abgesehen von der falschen Frau, der er am Hof von König Ludwig XV. begegnet war und mit der er Hals über Kopf aus St. Petersburg fliehen musste, da sie dort als Frankreichs Spione aufgeflogen waren.
Es war eine Crux, nicht zu wissen, was los war mit ihm. Da war etwas, da war ich mir sicher. Die Reaktion meines Sauhunds beim Erzählen seiner Geschichten aus England ließen bei mir keine Zweifel. Allerdings würde es nichts bringen, ihn zu bedrängen und nachzufragen. Er würde dicht machen. Es gäbe kein Durchkommen. Die Mauern um ihn herum wären standhafter als die von Alcatraz. Was also tun? Abwarten war wohl die einzige Alternative.
Wer mich kennt, wird wohl wissen, dass Geduld nicht gerade meine Stärke ist. Aber was blieb mir anderes übrig? Oder der eigenartige Geselle namens Zufall spielte mir die Karten in die Hände. Wer weiß das schon so genau? Daher ließ ich es auf mich zukommen.
Die Wochen vergingen und ich war immer noch keinen Schritt weiter gekommen in der heiklen Sache. Es geisterte in meinem Kopf herum, dass ich kaum noch zur Ruhe kam. Fast fehlte noch, es raubte mir den Schlaf. Zum Glück blieb mir das erspart. Ich schlief traumlos und wie ein Stein.
Wer konnte es ahnen, meinem Sauhund entging meine Unruhe keinesfalls. Ich bemerkte es nicht einmal, dass er mich beobachtete und sich Gedanken über mich machte. Er war halt ein Meister in der Kunst des Verstellens. Ich beherrsche diese Gabe leider nicht so gut wie er und so stellte er mich eines Tages zu Rede.
„Meine geliebte Lustspalte. Ich kann das nicht mehr mit ansehen“, sprach er mich an, als ich in der Küche in Gedanken versunken am Herd stand. Eigentlich wollte ich aufpassen, dass die Suppe nicht überkochte. Doch die brodelte wie verrückt im Topf und schlug Blasen. Fast die Hälfte des Topfinhalts hatte sich bereits auf der Herdplatte verteilt und diesen ohne Ende versaut. Es roch leicht angebrannt.
Ich schrak hoch. „Was hast du gesagt?“, fragte ich.
„Ich sagte, ich kann das nicht mehr mit ansehen“, wiederholte meine Schnüffelschnauze seine Worte.
„Was?“, wollte ich wissen. Ich konnte mir partout keinen Reim darauf machen, was er meinen könnte.
„Seit Wochen läufst du hier herum wie Falschgeld. Mir scheint, du wirst krank“, erwiderte der Sauhund.
„Ich bin nicht krank“, wehrte ich ab. Dabei wedelte ich mit meinem Kochlöffel. Beinahe hätte ich den Sauhund am Kopf getroffen. Im letzten Moment konnte er beiseite springen und sich vor dem gefährlichen Küchenutensil in Sicherheit bringen.
„Aber irgendetwas ist mit dir“, bohrte er weiter in der offenen Wunde.
„Was soll sein? Mir geht es gut! Und nun lass mich in Ruhe kochen, die Suppe ist fast fertig“, fuhr ich ihn an. Langsam, aber sicher schwante mir, was er meinen könnte. Ich bekam es mit der Angst zu tun.
Doch weit gefehlt. Der Sauhund ließ mich nicht in Ruhe. Er nahm mir den Kochlöffel aus der Hand und stellte den Herd ab.
„Nun sieh dir mal diese Sauerei an“, meinte er und zeigte auf die verschmutzte Herdplatte. „Sieht das so aus, als wärst du mit vollem Einsatz beim Kochen? Das sieht bei dir meines Erachtens ganz anders aus.“ Er blickte mich ernst an. „Also meine geliebte Lustspalte! Raus mit der Sprache! Was bedrückt dich?“
„Nichts“, sagte ich erneut. Um nicht weiter sprechen zu müssen, griff ich nach einem Lappen und machte mich daran, die Herdplatte zu putzen.
„Jetzt lass endlich diese scheiß Herdplatte!“, fuhr mich der Sauhund zornig an. Er entriss mir den Lappen und warf ihn ins Spülbecken. „Seit Wochen geht das schon so! Das ist nicht mehr normal! Und du weigerst dich vehement, mir von deinen Sorgen zu berichten! Vertraust du mir nicht mehr? Ich verstehe dich nicht.“ Der Sauhund war außer sich. „Wenn es ums Vertrauen geht, müsste ich arg beleidigt sein. Ich vertraue dir seit dem ersten Tag und was machst du?“
„Doch, ich vertraue dir“, murmelte ich, „aber…“
„Was aber?“, unterbrach mich der Sauhund und rollte mit den Augen. „Lass diese blöde Suppe jetzt Suppe sein und komm mit!“
Er fasste mich am Arm und führte mich ins Wohnzimmer. Dort musste ich auf dem Sofa Platz nehmen. Er setzte sich neben mich. Zärtlich zog er mich an sich. Ein leichtes Zittern durchfuhr mich, doch das war schnell wieder vorbei, wenn ich daran dachte, was mir nun bevorstand. Ich wollte meinen Schatz keinesfalls bedrängen. Aber es musste wohl sein, wenn ich alles erfahren wollte. In meinem Magen rumorte es unwillig, irgendetwas stieß mir sauer auf. Aber das war scheinbar nur die Aufregung. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und geflüchtet. Doch es ging kein Weg daran vorbei, ich musste dem Sauhund meine Gedanken enthüllen.
„Nun komm schon. Raus mit der Sprache“, flüsterte er mir kaum hörbar ins Ohr.
„Na gut“, gab ich klein bei und räusperte mich. „Aber nicht sauer sein“, bat ich ihn.
„Kommt drauf an, welche Vergehen du mir beichten musst“, meinte er scherzend.
Jetzt verdrehte ich die Augen. „Es ist kein Vergehen. Ich war immer brav. Und wenn es eines gewesen sein sollte, wüsstest du es längst.“
„Ich weiß, meine Liebe“, sagte meine Schnüffelschnauze nur und ließ mich weitersprechen.
Anfangs tat ich mich etwas schwer, meine Gedanken in Worte zu fassen. Aber dann sprudelte es aus mir heraus wie aus einem Springbrunnen, was in den letzten Wochen der Grund meiner Grübeleien gewesen war und mich gefangen gehalten hatte.
Als ich zum Ende kam, blickte mich der Sauhund an. „Und das bedrückt dich so sehr?“, fragte er dann.
Ich nickte nur.
„Gut, ich werde dir alles erzählen, auch wenn es mir schwerfällt. Ich musste es auch erst einmal verdauen. Aber nach den vielen Jahren kräht um das Geschehen wohl kein Hahn mehr“, sagte er darauf. „Doch ich berichte nicht sofort. Jetzt habe ich erst einmal Hunger?“ Er grinste schief. „Wann ist die Suppe fertig?“, foppte er mich.
„Blödmann“, erwiderte ich nur und machte mich flugs auf in die Küche, um dort von der Suppe noch zu retten, was zu retten war.
© Salika von Wolfshausen/ 25.11.2024