POV: Kai
Ich drehte den Ball in meinen Händen, spürte seine raue und vertraute Oberfläche, die dafür sorgte, dass man ihn gut werfen konnte, aber nicht so rau war, dass es unangenehm war. Dann prellte ich ihn ein- und dann zweimal auf den Boden, wobei er sirrte und sicher wieder in meinen Händen landete, worauf ich das ganze Spiel wieder wiederholte. Dabei sah ich Luca die ganze Zeit fest in die Augen, der meinem Blick standhielt, aber alle paar Sekunden von meinem Gesicht zu meinen Händen und dem sich darin befindenden Basketball schaute, als würde er sich mit seinen eisblauen Augen vergewissern wollen, dass er sich nach wie vor an der gleichen Stelle befand. Als er das nächste Mal die Kugel musterte, nutzte ich den Moment aus und sprintete plötzlich, den Ball dribbelnd, Richtung Korb. Diesen reflexartigen Angriff hatte Luca nicht erwartet und verpasste so den Zeitpunkt mich anzugreifen, um den Basketball in seinen Besitz zu bringen, bevor ich punkten konnte. Entspannt machte ich einen Korbleger und lachte: „Nicht ganz so aufmerksam heute? Was ist denn los? So einfach lässt du mich sonst nicht gewinnen.“ Luca kam grinsend auf mich zu und bot mir seine Hand zum Einschlagen hin. „Glückwunsch! Ich bin heute irgendwie woanders mit meinen Gedanken. Ich weiß auch nicht so richtig. Aber was klar ist, ist dass du nicht so einfach einen Basketballer machen kannst. Du weißt wohin mein Herz gehört. Ganz egal wie sehr du mich von deinem komischen Ballspiel überzeugen willst.“ Schmunzelnd musterte ich meinen Kumpel, seine breit gebauten Schulter, die schlanken, aber gleichzeitig muskulösen Arme und das Sixpack, an das sich sein durchgeschwitztes Oberteil schmiegte. „Schade! Ich hatte schon kurz Hoffnung, dass ich dich aus dem nach Chlor stinkenden Schwimmbad herausbekommen würde. Aber ich glaube der Versuch war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.“ Mit Schwung warf ich ihm den Ball zu, den er geschickt auffing. Ich ging in Verteidigungsposition und beobachtete Lucas Körperhaltung, sein kaum merklich angespannten linkes Bein, auf das er sein Gewicht verlagerte, was mir verriet, dass er rechts angreifen würde. „Kai, ich gebe zu, dass dieses Spiel gar keine schlechte Abwechslung zur Schwimmhalle ist. Trotzdem kein Ersatz!“, entgegnete Luca. Mein Blick huschte für nur eine halbe Sekunde zu seinem Gesicht, den scharfen Wangenknochen, den rabenschwarzen Locken und dann zu seinen Augen, die verräterisch funkelten. Doch als ich meinen Fehler bemerkte, war es schon zu spät. Luca lernte schnell und hatte mich mit meinen eigenen Tricks geschlagen. Er war leichthändig den Ball aus zwei Metern Entfernung auf den Korb und traf. Er drehte sich langsam um, eine Augenbraue spöttisch erhoben. „Vielleicht sollte ich doch anfangen Basketball zu spielen. Bin ja anscheinend ganz gut.“ Dabei grinste er schief. Kopfschüttelnd versuchte ich mein Lachen zurückzuhalten und wechselte das Thema. „Was hältst du eigentlich von dieser komischen neuen App? Bittersweet Revenge oder so?“ Seit dem Morgen kursierte sie schon in der Schule und war Gesprächsthema Nummer eins. Besonders große Spekulationen gab es über den Countdown, das Einzige, was bisher in der App zu sehen war. Erst der pulsierende Spruch, dann der seltsame Name, ich meine Bittersweet Revenge, wer denkt sich sowas bitte aus? Und dann erscheint ausschließlich eine Anzeige, die herunterzählt und morgen genau um 12 Uhr abgelaufen sein wird. Was dann passiert? Keine Ahnung. Das weiß wohl nur der Entwickler selbst, der sich bisher noch nicht einmal geoutet hat. Es wäre, als hätte ein Geist sie entwickelt. Keiner weiß, wer es war. „Kein Plan!“, erwiderte Luca, die Augenbrauen nachdenklich zusammengezogen. „Aber irgendwas sagt mir, dass diese App nichts Gutes bedeutet…“