Die Sache mit dem gemeinsamen Essen erwies sich als praktisch, denn die angespannte Lage hatte sich gelöst.
Ich spürte, wie sich unter den Anwesenden der Mut wieder durchsetzte. Zuversicht war ein wichtiges Hilfsmittel, wenn wir erfolgreich sein wollten.
Ich hatte nicht vor, mich zum Sprecher der ganzen Gruppe aufzuschwingen. Meine Aufgabe als Vermittler war abgeschlossen, darum wartete ich ab, wie die üblichen Anführenden jetzt weiter vorgehen wollten.
Es dauerte auch nicht lange, als sich aus einer etwas abseits stehenden Gruppe, ein Wesen, ein stattlicher Wolf, löste und sich räusperte. Es war natürlich Akk, der ein unüberschaubar großes Rudel der verschiedensten Wesen anführte und sich seiner Anhängerschaft sicher sein konnte. Die hielten zusammen wie Pech und Schwefel, ich konnte das beurteilen, denn ich gehörte selbstverständlich dazu. So einschüchternd der Wolf für seine Feinde aussehen mochte, wir kannten sein butterweiches Herz und vor allem seine Fähigkeit, nach jedem Tod wieder zum Leben zu erwachen. Ganz ohne Wiedergängermerkmale. Akk stand den anwesenden Dämonen in furchterregendem Aussehen und Größe in keinster Weise nach, er war ebenso imposant wie sie.
Die Unterhaltungen verstummten und aller Augen richteten sich auf ihn.
Er wandte sich zunächst an die Dämonen, die ihn aufmerksam beobachteten und respektvoll einen Schritt zurück gingen und leicht den Kopf neigten.
»Wir haben euer Angebot überdacht und uns entschlossen, es anzunehmen. Wir werden also bis zur Überfahrt mit euch gemeinsam kämpfen und hoffen natürlich auf einen Sieg, denn sonst wäre hier alles vergeblich gewesen. Wir sichern euch eine gefahrlose Überfahrt mit euren Familien zu und eine Trennung danach, die ohne Feindseligkeiten vonstatten gehen soll. Da ihr unbewaffnet hergekommen seid, werden wir euch mit Rüstungen und Waffen ausstatten, damit ihr die Wiedergänger mit uns zusammen in Schach halten, beziehungsweise unschädlich machen könnt. Ihr wisst doch, welche Schwachstellen unsere Gegner haben, oder? Ich frage mich auch, wie sie gedenken, eine Überfahrt von Belle zu S.T. zu bewerkstelligen, denn diese ist eigentlich nur für anerkannte Belletristicans möglich. Habt ihr eine Ahnung, wie sie das schaffen wollen? Gibt es Schwachstellen bei ihnen, wenn ja, welche? Warum kann man sie nur durch Köpfen vernichten? Kennt ihr den Grund dafür? Wir müssen schnellstens einen handlungsfähigen Plan für uns alle ausklabüsern, denn eines der Schiffe ist bereits gefährlich nahe an der Küste.«
Der Sprecher der Eisdämonen, der schon bei mir für sie gesprochen hatte und dessen Namen ich bisher nicht kannte, trat einige Schritte vor. Er drehte sich um und ließ seinen Blick erst über seine Leute, dann über die Bewohner von Belle schweifen, ehe er antwortete.
»Ich denke, das ist eine gute Entscheidung. Wir stehen zu unserem Wort und werden euch unterstützen im Kampf. Der Grund, warum man die Dämonen nur durch Köpfen vernichten kann ist ganz einfach. Wiedergänger haben ihr Herz im Kopf und nicht im Körper. Aber das Köpfen kann man nur, wenn man in den Nahkampf geht. Andere Schwachstellen sind uns leider nicht bekannt. Ich vermute sehr stark, dass sie die überwältigten Belle-Bewohner anschließend ersetzen wollen, wie - keine Ahnung. Vielleicht durch Magie? Das wäre die einzige Möglichkeit für sie, die Überfahrt stattdessen anzutreten, oder? Wir müssen also verhindern, dass sie hier in Massen anlegen und uns überrollen. Wir sind ihnen, trotz Nahkampferfahrung, zahlenmäßig gnadenlos unterlegen. Darüber müssen wir uns alle klar sein. Ich würde vorschlagen, dass wir sie versuchen, mit kleineren Booten abzulenken und dazu zu verleiten, ihre Richtung zu ändern, die Küste erstmal außen vor lassen. Das könnten die Belletresticans übernehmen, wenn sie die Dämonen nicht zu dicht an sich heranlassen und gut auf sich aufpassen, sich nicht treffen lassen. Sie sollten sich mit Booten gut auskennen und mit ihnen ausgesprochen perfekt umgehen können. Ich hoffe, da habt ihr einige Leute, die das übernehmen können? Natürlich gehen einige von uns trotzdem mit ihnen mit. Das erste Schiff sollten wir dennoch landen lassen. Nur wenn wir ihnen entgegentreten, kann man vielleicht auch noch mit ihnen reden, wenn sie vorher mit ihren Kanonen nicht zuviel kaputt geschossen haben. Aber wie ich sehe, habt ihr ja hier jede Menge Abwehrmöglichkeiten. Die Mauern und Barrikaden sehen stabil aus, eure Golems könnten uns prima unterstützen, wenn sie hier aufschlagen. Jetzt verstehe ich langsam, warum wir so oft an euch gescheitert sind, obwohl ihr ja eigentlich viel schwächer seid. Die Kreativität hat euch sehr viele Vorteile verschafft.«
Er schmunzelte sogar andeutungsweise bei seinen letzten Worten, auch wenn die Situation im Grunde nicht besonders lustig war.
»Wenn wir die erste Besatzung überwunden haben, könnten wir versuchen in einem Bogen in unsere Heimat zurückzusegeln und nach unseren Familien zu sehen. Wir würden sie natürlich gern mit hierher bringen, denn sie sind dort schutzlos, wenn wir hierbleiben bis zur großen Reise. Immer vorausgesetzt, dass wir diesen Krieg gewinnen.«
Akk hatte ruhig zugehört und nickte nun zustimmend.
Während der Reden hörten wir alle die Einschläge auf Belletristica aus Richtung der Küste, was die Dringlichkeit ihrer Bespechung eindrucksvoll unterstrich.
Während leises Gemurmel unter den Bewohnern und Dämonen einsetzte, erfasste mich ein ungutes Gefühl, aber ich konnte es nicht orten. Natürlich war die allgemeine Lage bedrohlich, aber ich hatte das Gefühl, es hatte nichts mit den Dämonen und unseren Problemen mit ihnen zu tun. Ich sah mich unauffällig um, konnte aber nichts entdecken.
Die nächsten Worte von vorne lenkten mich ab.
»Die Idee erscheint mir ganz passabel. Unsere Golems stehen bereit, die Barrikaden sind in Stellung und ...«
Plötzlich entstand Unruhe am hinteren Ende der Gruppe.
Bewegung setzte ein und eine aufgeregte Stimme erscholl immer lauter werdend aus dieser Richtung hier nach vorne. Sie kam mir bekannt vor und sie rief meinen Namen? Ich erstarrte augenblicklich, dann richtete ich mich auf und meine Flammen begannen unruhig zu züngeln. Schlagartig erschienen etliche Schnecken aus den Falten meines Kleides. Mitglieder des Rudels, denen es logischerweise zu warm wurde, wenn ich mich aufregte. Die kleinste, Malwen Sitala, hatte sich in meine Hand geflüchtet.
Hastig setzte ich alle Schneckenwesen von meinem Kleid ab, hinunter auf den Boden, damit sie keinen Schaden nehmen konnten, ehe sich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Unruheherd vor mir richtete.
Etwas hüpfte auf und ab und schrie immer wieder meinen Namen. Die Belletristicans wichen erschrocken vor dem Wirbelwind zurück. Ein zweites Wesen, das ich von hier aus noch nicht erkannte, folgte ihm mühselig. Erst als sie sich aufrichtete, erkannte ich die nette Zwergin mit ihren Häkelnadeln.
Es war die mollige Dirgis und sie war ausgestattet mit ihrem Lederwamps für Kämpfe, aber auch ihre so typische Schürze durfte nicht fehlen, in deren Taschen sich meistens sehr viele nützliche Dinge befanden. Ich musste beinahe ein wenig schmunzeln, als ich mich an die vielen Fallstricke erinnerte, die sie gehäkelt hatte, um die Wiedergänger aus dem Tritt zu bringen, wenn sie auf Belle landeten.
Jetzt aber war sie arg bemüht, dem hüpfenden Hut zu folgen und da war mir auch klar, wer da vorneweg hüpfte und nach mir schrie. Der Kobold war es! Seine Stimme überschlug sich mehrfach, sodass ich nicht verstand, was er mir mitteilen wollte. Angesichts seiner Fassungslosigkeit war ich jedoch sehr besorgt und merkte gar nicht, dass ich die Hand der Hexe neben mir so fest drückte, bis sie empört schrie. »Aua, das tut weh!«
Entschuldigend sah ich sie an und ließ ihre Hand los. Lese-Springer nickte einigermaßen besänftigt. Glücklicherweise hatte ich nicht eines ihrer Schachspiele beschädigt, die sie so abgöttisch liebte und von denen sie stets einige bei sich trug.
Nervös ließ ich meinen Blick über sie gleiten. Sie trug ein schönes braunes Kleid, darüber einen schneeweißen Mantel, der hervorragend zu ihren wilden, langen brünetten Haaren und blauen Augen passte. Sie sah wie immer schick aus.
Bei Leses Schmerzenschrei hatte sich sofort ein weiteres Mitglied aus Akks Rudel, der neben der Hexe gehockt hatte, aufgerichtet und ließ ein lautes Knurren hören. Unser Schamane Svante mit seinen vielen geheimnisvollen Fähigkeiten, seines Zeichens unerschrockener Wickinger, war wohl der Meinung, dass sein Eingreifen vonnöten war. Ich versuchte mich an einem entschuldigenden Lächeln und winkte kraftlos mit der Hand ab, denn mich hatte tatsächlich eine große Angst erfasst.
Lese lächelte Svante freundlich an und bot ihm eine entspannende Schachpartie an, was der angesichts der angespannten Lage aber ablehnte. Es lag Dramatik in der Luft.
Daher steckte Lese ihr Spiel wieder weg und sah ebenfalls dem hüpfenden Hut entgegen.
Der kleine Kobold hatte sich nun endlich seinen Weg gebahnt durch die Menge und stürzte außer Atem auf mich zu. Sein Hemd war aus der Hose gerutscht, nur der Ledergürtel hielt seine Hose noch an Ort und Stelle und er japste nach Luft, sodass ich immer noch nichts von ihm erfahren konnte.
Die Anspannung unter allen Anwesenden stieg.
Nun hatte auch Dirgis den Kobold eingeholt und wedelte atemlos mit Wollresten, um den Kobi etwas zu züglen, aber der ließ sich nicht bremsen. Endlich brachte er seine Botschaft keuchend heraus.
»Aniella! Fünkchen ist verschwunden! Sie sucht dich und irrt hier allein herum ...«
Mir fuhr der Schrecken in alle Glieder und ich musste fast durchsichtig aussehen, so sehr blieb mir die Luft weg.
Fünkchen.
Mein Fünkchen.
Es sollten doch alle meine Kinder in der Festung sein?
Dann brach die Hölle los und ich brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, was gerade passiert war ...