Das Procedere lief genauso glatt ab, wie beim ersten Mal.
Svante beruhigte sich und gab bereitwillig seinen Herzsplitter an den Spiegel ab, die Hexe und ich erledigten den Rest.
Als mir der Wikinger verschmitzt aus dem Spiegel zuzwinkerte wusste ich, dass es lief. In die richtige Richtung.
»Bevor ich euch diesen Spiegel aushändige, müsst ihr mir Fünkchen zurückgegeben. Quid pro quo. Ihr dürft einmal hineinsehen, aber die Übergabe erfolgt, nachdem ihr mir mein Kind gegeben habt. Das ist nicht verhandelbar.«
Ich spürte meine innere Unruhe wieder aufflackern und schon verströmte ich wieder eine Hitze, die meine Nachbarn ein wenig abrücken ließen.
Der Anführer knurrte ein wenig unwillig, aber nachdem er in den Spiegel gesehen hatte, ließ er sich darauf ein.
Lässig winkte er seinen Leuten, die daraufhin den Käfig mit Fünkchen herüberbrachten und ihn abstellten. Akk kam in der Zwischenzeit mit dem Vertrag von der anderen Seite und stellte sich herausfordernd vor den Anführer, hielt ihm das Papier vor die Nase. Der sah sich in aller Seelenruhe seinen Spiegel an und ignorierte Akk noch für einen Moment, der sich davon aber nicht provozieren ließ. Geduldig wartete er ab.
Ich war sofort zum Käfig gerannt und holte mein Kind zu mir, das sich sofort an mich kuschelte und froh war, endlich von den Monstern weg zu sein.
»Darüber sprechen wir später noch«, raunte ich ihr streng zu, aber ich lächelte so überglücklich, dass mich die Kleine vermutlich nicht sehr ernst nahm und nur still nickte.
Während Akk und der Anführer den Vertrag unterzeichneten, nahm ich Svante und Katelli zur Seite und erzählte ihnen, was sie jetzt gleich tun sollten.
»Ihr müsst fliegen. Zusammen und schnell zu dem zweiten Schiff, den der Vertreter des Anführers befehligt. Sie müssen unbedingt den Vertrag kennen und sich ebenfalls mit all den anderen daran halten, sonst war das hier alles umsonst. Da sie euch noch für Feinde halten, könnte es schon gefährlich werden, solange sie euch nicht zuhören. Ich hoffe, dass ihr das hinbekommt. Nehmt meinen Spiegel mit, aber passt gut auf ihn auf und auf die Fahne auch. Sonst werfen uns die Wiedergänger am Ende noch Vertragsbruch vor.«
Katelli nickte und als ich zu Svante hinübersah, erkannte ich ein zufriedenes Gesicht.
Er umklammerte entschlossen seine Axt und schien offensichtlich bereit, sofort loszustürmen. Ich hob kurz die Hand, denn der Anführer kam zurück in der Hand die Fahne und den Vertrag. Er hielt mir beides hin und seinerseits seine offene andere Hand.
»Jetzt gib mir den Spiegel vom Wikinger, Feuerweib«, knurrte er und ich ließ meine Flammen züngeln, damit er nicht noch näher kam. Er zog unwillig seine Augenbrauen zusammen, blieb aber stehen und wir tauschten die gewünschten Utensilien.
Ich reichte die Fahne und meinen Spiegel an Svante, während ich den Anführer nicht aus den Augen ließ. Der grinste dämlich in seinen Spiegel und interessierte sich nicht mehr für uns, was mir ganz lieb war.
»Los, ihr beiden. Beeilt euch. Ich schicke die Eisdämonen auf einem anderen Weg zu ihren Familien, damit wir das bald alles hinter uns haben. Seid vorsichtig.«
Katelli und der Schamane ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie stoben davon Richtung Küste und ich ging hinüber zu Akk, damit er einen Teil der Eisdämonen in ihre Heimat schicken sollte, was er umgehend in die Wege leitete. Ich konnte nicht mehr viel tun, jetzt mussten wir abwarten.
Plötzlich schoss etwas um die Ecke auf mich zu und ich erkannte den Fuwosch Sitala, die sich hektisch umsah und mich dann außer Atem fragte:
»Wo ist er? Ist er schon weg? Ich muss mit, das ist viel zu gefährlich für ihn allein. Katelli wird doch nicht mitkämpfen können. Sie muss mich auch mitnehmen!«
»Meinst du Svante? Die sind schon los, tut mir leid, Tala. Du weißt selbst, dass der Wikinger kaum noch zu halten gewesen ist. Sie haben keine Zeit verschwendet ...«
»Ich MUSS mit! In welche Richtung sind sie auf dem Meer? Ich schwimme hinterher, vielleicht kann ich noch helfen. Ich kann gut und schnell schwimmen!« Wild entschlossen rannte sie los und mir blieb nichts weiter übrig, als hinterherzulaufen. Ich bekam sie gerade noch zu fassen, bevor sie sich in die Fluten stürzen konnte.
»Moment, Tala. Warte kurz. Sie fliegen zu dem zweiten Schiff. Siehst du? Da oben sind sie« Ich deutete in den Himmel, wo man Katelli und Svante sehen konnte, wenn auch nicht sehr deutlich.
Tala nickte ungeduldig.
Ich ließ mich nicht beirren.
»Sieh zu, dass dich niemand entdeckt, dann kannst du vielleicht wirklich eine Hilfe für sie sein. Viel Glück!« Ich zeigte in die Richtung, die sie einschlagen musste und sie schoss mit entschlossener Miene ins Wasser. Pfeilschnell nahm sie die Verfolgung auf und auch wenn Katelli und Svante nichts von der Hilfe wussten, die ihnen auf den Fersen war, gab es mir doch eine gewisse Beruhigung.
Jetzt lag alles in ihren Flügeln, Händen, Pfoten und Hufen.
***
Auch wenn sich bis auf die abgereisten Eisdämonen alle relativ ruhig verhielten, wurde die Anspannung unter uns immer größer.
Es dauerte eine ganze Stunde, ehe sich ein Schiff am Horizont zeigte und noch wussten wir nicht, was uns bei der Ankunft erwarten würde.
Hatten sie es geschafft?
Wer kam jetzt auf uns zugefahren - Freund oder Feind?
Irgendwann waren sie nah genug, um ein aufsteigendes Pferd am Bug zu erkennen. Daneben stand Svante und winkte uns zu.
»Sie kommen und sie haben es geschafft! Sie tragen keine Fesseln, also haben sich die Wiedergänger an den Vertrag gehalten!«
Hinter mir brach Jubel aus, der Anführer mit seinem Gefolge stand daneben und nickte gelassen. Er war immer noch zufrieden mit seinem Spiegel und unterhielt sich leise mit "seinem" Wikinger, was ihm ausgesprochen gut zu gefallen schien.
Sehr erleichtert beobachtete ich, dass es nur dieses eine Schiff war, dass unsere Küste ansteuerte. Das hieß, dass die anderen Wiedergänger bereits auf dem Rückweg waren und die auf dem Schiff nur noch den Anführer und seine Mannen abholen wollten. Katelli und Svante schienen unversehrt, was mich ungemein erleichterte, doch konnte ich bisher den Fuwosch noch nicht sehen. Unruhig spähte ich immer wieder über das Schiffsdeck und endlich konnte ich sie sehen. Sie stand am anderen Ende des Decks und hatte die Mannschaft im Auge. Es sah auch bei ihr alles in Ordnung aus, ich atmete auf.
Ihre Geschichte, die sie uns erzählen sollten, auf die wir so brennend warteten, musste warten, bis die Wiederkehrer endlich abgereist waren, denn unsere Besprechungen hatten sie nun lange genug belauscht.
Sie sollten einfach verschwinden.
Wichtig für uns war erstmal nur, dass unsere Freunde unverletzt, so sah es aus, und erfolgreich zu uns zurückgekehrt waren.
Ich gab Akk Bescheid, dass wir uns den Bericht der drei Helden erst nach Abreise anhören wollten, wenn wir wieder unter uns waren. Er stimmte zu und gab leise Anweisungen.
Das Schiff kam näher und näher und ging endlich vor Anker. Das Beiboot wurde herabgelassen und wenig später tauschten sie die Plätze: Katelli, Svante und der Fuwosch stiegen aus und der Anführer bestieg mit seinen Männern das Beiboot.
»Von jedem Bewohner Belles einen Spiegel, nicht vergessen. Sonst finden wir einen Weg, um euch in der neuen Heimat doch noch heimzusuchen«, knurrte der Anführer zum Abschied und ich nickte nur beruhigend.
»Ihr bekommt zu jedem Spiegel sogar noch die Laternen, die euch ein wenig Licht spenden sollen, wenn hier alle anderen Lichter ausgehen. Keine Sorge, wir halten uns an die Abmachung. Gute Heimreise«, wünschte ich fast amüsiert, denn nun fiel endlich die Anspannung ab.
Die Erinnerlinge tauchten schlagartig auf, als die Wiedergänger verschwunden waren, das war bestimmt ein gutes Zeichen.
Ich musste lächeln, als sie in einem Schwarm um unsere Helden herumschwirrten, bis sie sich letztlich wieder verteilten und ihren Aufgaben nachgingen.
Wir umringten unsere strahlenden Helden, die sehr zufrieden aussahen.
»Erzählt schon! Wie ist es gelaufen? Haben die euch gleich zugehört, oder musstet ihr doch noch kämpfen?«
»Was haben die gesagt? Haben sie euch angegriffen?«
Wie habt ihr das geschafft? Hat die Fahne geholfen?«
Ist Aniellas Spiegel heil geblieben?«
»Habt ihr ...?«
»Stopp! jetzt seid doch mal still«, brüllte Svante endlich.
Katelli schnaubte in die eingetretene Stille. Svante holte tief Luft.
Aus der Gruppe der Wartenden löste sich eine zierliche Gestalt. Nina, die Träumerin, stürzte zwischen den Wesen hervor, geradewegs auf den Wikinger zu und schmiss ihn beinahe um mit ihrem Schwung. Mit dieser Begrüßung hatte er wohl nicht gerechnet.
Atemlos sagt sie deutlich für alle hörbar:
»Ich hatte solche Angst um dich! Ich wollte dir doch noch Glük wünschen und dann warst du schon weg ...« Sie schmiegte sich an den verlegen wirkenden Wikinger, der sie aber trotzdem liebevoll umarmte.
»Niniii, das weiß ich doch auch so, die Zeit drängte eben. Großartige Abschiede waren da nicht möglich. Jetzt bin ich ja wieder da. Lass mich erstmal erzählen, was überhaupt geschehen ist, ja? Wir sprechen nachher noch darüber, in der Taverne. Da sind dann nicht so viele Leute dabei.« Er schickte einen bedeutungsvollen Blick auf die Versammlung vor sich. Nina folgte seinem Blick und erstarrte.
Sie schaute sich erschrocken um, als wenn ihr jetzt erst bewusst wurde, dass um sie herum ganz Belle versammelt war.
»Ja, nat... natürlich«, stotterte sie und stellte sich nun brav neben Svante, um seinen Ausführungen zu folgen. Doch da schob sich Ninas Freundin, die Vampchimistin, durch die Menge und zog sie energisch, aber liebevoll zurück in die Menge. Stille trat ein.
Dann startete Svante den zweiten Versuch:
»Also Katelli hat mich hingeflogen und sie hat das so hoch oben gemacht, dass die uns praktisch erst mit der Landung auf Deck gesehen haben. Katelli hatte die Fahne im Maul und hat sie hin und her geschwungen, sodass sie tatsächlich kurz irritiert waren. Dann aber wollten sie uns trotzdem noch angreifen, aber ich konnte sie mit der Axt auf Abstand halten. Beinahe hätte ich doch noch zwei von ihnen köpfen müssen, aber dann kam uns jemand zu Hilfe, mit der wir gar nicht gerechnet hatten. Sitala von Fuwosch lugte über die Reling. Tala, erzähle weiter. Wie bist du da hingekommen?«
Sitala war es fast ein wenig unangenehm, aber da sie nun alle anstarrten, erzählte sie schnell, wie sie hinter Katelli und Svante hergeschwommen war.
»Als ich ankam, waren die beiden schon an Deck und ich konnte von unten hören, wie sie sich nicht einigen konnten. ich musste unbedingt da hoch, wenn ich helfen wollte. Meine Schneckengene aktivierend, schoben sich meine veränderten Fühler unter meinem Haus hervor. Vorne und hinten jeweils einer, der doppelt so dick ist, wie meine Beine und die sind ja schon recht ansehnlich, nicht? Na, jedenfalls habe ich ja keine zusätzlichen Augen nötig, dafür gibt es an meinen beiden Fühlern über die gesamte Länge Saugnäpfe, mit denen ich an jeder Fläche meinen Körper hochbefördern kann. Sehr praktisch, weil ich während des Aufstiegs jederzeit noch gut um mich beißen kann. Das brauchte ich natürlich diesmal nicht, denn man hatte mich noch nicht entdeckt. Als ich oben ankam, hat mich zuerst Katelli gesehen und ich war froh, dass sie keinen Laut von sich gab. So konnte ich dazwischen funken, als die beiden Monster auf Svante losgehen wollten. Während unser Wikinger sie mit seiner Axt gehörig ins Schwitzen brachte, begann ich damit, speziell für die Wiedergänger präparierte Schleimbällchen, auf sie zu schießen. Sie sind nicht besonders groß, fast nur wie Fliegen, aber sie haben es in sich. Neben einem sehr intensiven Geruch, der sie in kurzer Zeit erstarren lässt, konnten diese Bällchen Gefühle bei Berührung hervorrufen, die schon lustig anzusehen waren. So etwas wie unwiderstehliche Liebe für jeden, den sie ansehen, das war ein Bild für Götter. Sie schmachteten sich gegenseitig an, bis sie so verblieben, wie sie sich da gerade hergegeben hatten, um sich gegenseitig ihre Liebe zu gestehen. Keine Spur mehr von Angriffslust jedenfalls. Wir drei hatten am Ende was zum Lachen. Den Kapitän habe ich davon verschont, der sollte ja von unseren guten Absichten überzeugt werden und dafür hatten wir dann eine Stunde Zeit. Er musste den Vertrag, den ihm Svante vor die Nase hielt, immer wieder vorlesen bis er ihn verstanden hatte. Zusammen mit der Fahne konnten wir ihn endlich überzeugen und nach einer Stunde war die Wirkung der Schleimbällchen vorüber und die Wiedergänger waren bereit, die anderen Schiffe anzusteuern und von unseren Leuten auf See abzuziehen. Danach haben sie uns nach Hause gebracht und ihre Leute hier eingesammelt. Die anderen Schiffe sind unterwegs in ihre Heimat. Der Kapitän hat sich übrigens ausgesprochen sehr gefreut über deinen Spiegel, Aniella. Er wird bestimmt gut auf ihn aufpassen. Es ist vollbracht. Wir waren dann wohl erfolgreich. Die Invasion ist offiziell vorbei. Kein Blutvergießen mehr und wir können uns wieder auf unsere Reise zum S.T. vorbereiten. Die Erinnerlinge werden uns helfen. Und wir werden sie weiter beschützen. Jeder auf seine Weise.«
Sitala trat wieder zurück zu Svante und Katelli und die Menge jubelte ihnen zu. Freudestrahlend nahmen sie die Glückwünsche und Danksagungen entgegen.
Tala hatte es am Ende gut zusammengefasst.
Die Invasion war beendet, die Agressoren waren abgezogen, die Erinnerlinge gerettet.
***
Am Ende des Tages kehrte jeder von uns nach Wochen der Angst und des Kampfes in Frieden in sein Heim zurück. Zusammen mit unseren Lieben konnten wir nun der Abreise beruhigt entgegen sehen. Die Spiegel stellten wir in den folgenden Monaten nach und nach her. Wir lagerten sie gut verpackt in der Nähe der Küste, wie wir es verabredet hatten.
Die Eisdämonen wurden von uns mit ihren Familien in Unterkünften untergebracht, damit auch sie in Frieden auf die Abreise warten konnten. Sie bieben in den nächsten Monaten unter sich, aber wir hatten einen Pakt und keiner hatte den Vorsatz, diesen zu brechen.
Das war nun die allerletzte Schlacht auf Belletristica. Da wir sie überlebt haben, dürft ihr die Taschentücher wieder beiseite legen, denn diese Schlacht ist nun zu
ENDE