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Nach dem Prompt „Abendländischer Lebensbaum [Pflanzliche Geschichten mit Kuscheltieren]“ der Gruppe „Crikey!“
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Der würzige Duft des Lebensbaumes umhüllte Kerir, als er unter die Thuja kroch. Weinend kauerte der Junge sich zusammen und nahm seine Bärengestalt an. Im dichten Pelz fühlte er sich wohler. Der Baumduft umhüllte ihn, während er die Pranken vor sein Gesicht hob, und beruhigte seine Schluchzer.
Hier fand ihn seine Mutter dann etwas später.
"Was machst du hier, Ker? Deine Freunde sagten, dass du irgendwann einfach weg warst!"
"Die sind doof!", schluchzte der zusammengekauerte Bär.
"Was ist denn passiert?" Seine Mutter setzte sich vor den dichten, immergrünen Busch. Kerir lag im Inneren, zwischen uralten, vertrockneten Blättern und Zweigen.
"Die ... die haben nicht gewartet!", meckerte er zwischen zwei Schluchzern. Sein Weinen wurde wieder heftiger. "Sie sind durch die Tunnel gelaufen und ... und sie haben nicht mal bemerkt, dass ich nicht dabei war!"
"Ah! Verstehe. Weil deine Freunde alle Zwerge sind, kommen sie in den Tunneln ja auch schneller voran."
"Genau. Die sind doof!"
"Zwerge sind nicht doof, Schatz. Sie haben gespielt. Du vergisst dann ja auch oft, auf die Zeit zu achten. Oder zu essen."
Kerir schluchzte und wischte sich die Augen ab. Das wollte er jetzt nicht hören!
"Deine Freunde haben es also nicht böse gemeint", fuhr seine Mutter fort. "Sie haben sich auch große Sorgen gemacht, als sie gemerkt haben, dass du weg warst, und mich sofort geholt."
Kerir schniefte. Sie hatten ihn also doch lieb!
"Es war also einfach Pech, dass sie in Tunneln gespielt haben, für die du etwas zu groß warst."
Langsam robbte er zum Rand des Strauchs und spähte zwischen den Blättern hindurch. "Dann bin ich doof?"
"Wieso das denn?", fragte seine Mutter überrascht.
"Na, weil ich groß bin. Und langsam."
"Mein Schatz ..." Sie strich ihm über den Kopf und zog den kleinen Bären auf ihren Schoß. "Nicht doch! Ein Mensch zu sein hat auch Vorteile, weißt du? Zum Beispiel kannst du höher gelegene Pflanzen erreichen als deine Freunde."
"Sind Menschen dann besser?"
"Niemand ist besser, Schatz. Aber alle sind anders und können manche Dinge gut, andere Dinge schlecht." Sie drückte ihn fest. "Hier in Bugraltan arbeiten wir alle zusammen und helfen einander. Jeder kann etwas anderes gut und so ergänzen wir uns."
Kerir zögerte noch ein bisschen, dann verwandelte er sich zurück. "Dann ... ist es nicht schlimm, groß zu sein?"
"Natürlich nicht." Seine Mutter zupfte ihm ein paar Zweige aus dem Haar. "Und jetzt geh zurück zu deinen Freunden, ja? Damit sie sich keine Sorgen mehr machen."
Kerir rieb sich noch einmal über die Augen und lächelte dann. "Mache ich!"
Seine Mutter sah ihm lächelnd nach, als der Junge davonhüpfte. Wie leicht es doch war, ein Kind zu sein!