Die Wesen von Anderswo – Tag 51 des Jahres 898-57K CCT
Wo fängt man an, wenn man so eine katastrophale Geschichte zu erzählen hat, wie ich. Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Besser gesagt, ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nicht mehr wieso genau das alles angefangen hat. Wahrscheinlich habe ich es vergessen oder einfach verdrängt, wegen all der Katastrophen, die passiert sind. Verdrängen ist einfacher, als sich mit der rauen Realität auseinanderzusetzen. Aber es birgt auch ein Risiko. Oh ja, sogar ein großes Risiko. Denn das Ganze fliegt einem irgendwann um die Ohren und die Wahrheit kommt sowieso am Ende raus. Ich schreibe diese Zeilen als der wohl letzte Überlebende des Projektes „Deeper Depths“. Jenem vielversprechenden und kostspieligen Unterfangen der Timurai Cooperatio, das jetzt zu einem Grab geworden ist. Es ging angeblich darum, Forschungsfortschritte auf dem Gebiet der Nanostrings und Invasiver Robotertechnik zu erzielen. Doch im Kern ging es wieder einmal nur um das Eine. Macht und Profit zu vermehren, indem man heimlich eine unsichtbare Waffe entwickelt, um sie später verschiedenen Kriegsparteien exklusiv anzubieten. Der Höchstbietende bekäme dann den Zuschlag, denn die Nachfrage bestimmt den Preis. So war der freie Markt und so würde er immer bleiben. Gewinnmaximierung, egal was es auch kosten mag. Aber bei der Timurai Cooperatio kam noch erschwerend hinzu, dass man Kosmos weit sowieso schon Marktführer im Waffengeschäft war. Was also sollte dann diese neuerliche heimliche Forschungsoffensive? Bekam man ganz Oben den Hals nicht voll? Die Begierde nach mehr und die gleichzeitige Undankbarkeit über das, was man schon hat, war schon immer der Untergang aller empfindungsfähigen Kulturen. Was soll ich sagen, die Gesellschaft, für die ich arbeite, ist stinkreich und korrupt bis ins Mark. Und zu meinem Leidwesen ist das Vorstandsmitglied, dem ich unterstell bin, der Schlimmste von allen.
Obwohl ich wahrscheinlich einer der loyalsten Mitarbeiter aller Zeiten war, bin ich heute nur noch dem Rest Leben gegenüber loyal, dass ich noch besitze und natürlich der neugefunden Freiheit, von der ich später noch berichten werde. Denn der Feind, dem ich hier gegenüberstehe heißt der Tod. Deswegen, habe ich die wage Hoffnung, dass dieser Bericht der Timurai Cooperatio das Genick bricht. Denn sie ist in ihrer Gier für all das hier verantwortlich. Warum nur? Timurai hatte schon alles. Interspezies-Gruppen aus allen Winkeln des Kosmos nahmen Jahr für Jahr tausende Streamsprünge nach Baldor auf sich, um auf den jährlichen Waffenbasaren der Gesellschaft teilnehmen zu dürfen. Welch Wahnsinn befiehl also den Vorsitzenden Gonrar, als er das „Deeper Depths“ Projekt vorantrieb und absegnete. Er hätte doch auch in die vertiefende Blasterforschung investieren können, die meines Wissens nach ebenfalls auf dem Tisch lag und viel Profit hätte bringen können. Woher ich das weiß? Na ja, ich habe es seinerzeit auf seinen Tisch gelegt, bevor ich diesen verdammten Auftrag hier notgedrungen annehmen musste. Was hätte ich denn machen sollen? Es hieß friss oder stirb. Ich fraß und nun muss ich mich übergeben, und zwar kontinuierlich. Im Nachhinein kann man immer schnell mit Fingern auf andere zeigen, aber das soll nicht heißen, dass ich schuldlos bin. Nein, nein, ganz und gar nicht. Jedoch wollte ich es nie soweit kommen lassen. Man hatte mir, wie gesagt nur wenig Spielraum gelassen. Hätte ich abgelehnt, wäre vielleicht ein anderer noch unbesonnenerer Mann an diesen Auftrag gelangt, als ich einer bin. Schließlich habe ich in Kona studiert. Renommierter und kultivierter gehts in diesem Teil des Kosmos nun wirklich nicht.
Zurück zum Anfang.
Betrachten sie dies hier als meinen Abschied. Ein Schuldeingeständnis und mit der Tat, die ich plane zu begehen, auch gleichzeitig meine Buße und mein Geschenk an die Nachwelt. Ich werde Ihnen alles der Reihe nach schildern. Hoffentlich kommt in Zukunft niemand mehr auf die dämliche Idee, man könnte tiefer in die Geheimnisse der Nanowelt eindringen und darin herumpfuschen, als der Schöpfer uns das erlaubt. Für keinen Reichtum aller bekannten Welten und für keine Macht würde ich jemals wieder solch eine Dummheit begehen und die Gezeiten selbst herausfordern, wie wir Narren es getan haben. Was dann folgte, war schrecklich und gerecht. Ich möchte pathetisch behaupten, es war schrecklich gerecht. Und enden wird es hier mit mir. Als Forschungsleiter der Anlage G-HAN 89, war mir die Verantwortung über 420 Mitarbeiter, 7000 Testobjekte und Material im schwindelerregenden Wert von 3,7 Billionen Credits übertragen worden. Forschungslabors, Stirilräume, Kleinstbiotope, Teilchenbeschleuniger, insgesamt 100 kg kostbare Magosmetalle und vieles mehr. Die Station selbst war äußerst geräumig und und jeder Mitarbeiter hatte eine eigene Unterkunft. Wir waren autark und konnten uns zur Not, monatelang selbst versorgen. Zusätzlich kam jede Woche ein Transporter, der Nachschub und persönliche Post für die Mitarbeiter an Bord hatte. Die Einrichtung war vom Feinsten, wir hatten einfach alles, was das Forscherherz höher schlagen lässt. Materiell gab es nichts zu beanstanden und auch wenn unsere Tage dort voller Arbeit waren, konnten wir uns mit der Situation und den Bedingungen glücklich schätzen. Nur waren wir leider nicht bei klarem Verstand und haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt, bevor es zu spät war. Besser gesagt, ich habe sie nicht erkannt. Und ich war verantwortlich. Ich habe mich immer für einen Mann der Wissenschaft gehalten und das tue ich sogar jetzt noch. Aber was ich gesehen und erlebt habe, kann man nur noch als metaphysisch bezeichnen, wenn man kein völliger Ignorant ist. Oh, was für eine Verantwortung lag doch auf meinen Schultern und ich Trottel hatte keine Ahnung. Dies war nicht meine erste Leitungsaufgabe aber sicherlich meine Größte und wenn sich die Ereignisse wie geplant weiterentwickeln, gewiss meine Letzte.