Der Schankraum des Gasthauses war Tummelplatz für alle Bewohner des Örtchens, Reisende und andere Gestalten, die auf der Durchreise waren. Bunt war das Sortiment an Menschen - fahrende Händler, Bürger und Bauern saßen gleichermaßen zusammen, um den Abend bei einem Humpen Bier und klimpernder Musik aus einem alten Klavier ausklingen zu lassen. Die wenigen Frauen waren leicht als das zu erkennen, was sie waren, denn ihre Kleidung war grell und ihre Gesichter angemalt.
Aufmerksam behielt Remy die Gäste im Auge. In Thalea war es leicht gewesen, in einer vollen Taverne den Leuten die Geldbeutel aus den Taschen zu stehlen und das war eine Einnahmequelle nicht nur für Leute wie Remy, sondern auch ein nettes Zubrot für Freudenmädchen, die keinen Freier für die Nacht finden konnten oder wollten. Wer wollte schon einem fettleibigen Apotheker oder einem heruntergekommenen Landarbeiter zu Diensten sein, wenn es leichter war, sein Geld direkt zu stehlen?
Rowan bekam von der Anspannung seines Reisegefährten nichts mit. Er ließ sich das nicht herausragende, aber reichliche Essen schmecken und entsprach dem Wein mehr, als er es im Palast des Königs getan hatte. Seit über einer Woche hatte es keine solchen Annehmlichkeiten mehr gegeben und selbst wenn das hieß, dass er, Rowan, verwöhnt war, er wollte sich für heute Nacht einfach etwas gönnen. Wenn das bedeutete, betrunken zu Bett zu gehen, dann war das eben so.
Es hatte nicht lange gedauert, bis sich zwei der Mädchen, den rosigen Gesichtern und knospenden Brüsten nach womöglich kaum siebzehn, zu dem attraktiven Prinzen und seinem Gefährten gesellt hatten. Remy hatte durch einen harten Tritt gegen das Schienbein verhindern können, dass Rowan, bereits angeheitert, seinen vollständigen Namen sagte. Einer musste so viel Verstand haben, das nicht so laut herumzubrüllen. Schließlich hatte König Thedosio bereits einmal einen Meuchelmörder auf den annwynischen Thronfolger angesetzt. Wer sagte denn, dass es nicht weitere gab, nachdem der erste keinen Bericht erstattet hatte?
Und nun saß Remy Rowan gegenüber, der in der einen Hand einen Hähnchenschenkel hielt und in der anderen einen Weinkelch, und sah dabei zu, wie die beiden Dirnen ihn anhimmelten und über jedes noch so weinselige Wort kicherten, als wäre es das Lustigste, das sie jemals gehört hatten. Freilich mussten sie an der Kleidung des Prinzen bemerkt haben, dass er ein wohlhabender Mann war, auch ohne seinen Titel zu kennen. Jemand, der so gekleidet war und mit einem Diener reiste, war kein armer Schlucker, der nicht für einen Fick bezahlen konnte.
»Ihr seid sicher ein großer Abenteurer«, säuselte eines der Mädchen, mit hellblonden Haaren. Das Kleid, das es trug, zeigte mehr als es verhüllte und ein süßlicher Geruch, wie von einem sehr billigen Duftwasser, ging von dem Freudenmädchen aus.
»Und sehr stark«, ergänzte die zweite Dirne und umschloss mit ihren dürren Fingern Rowans Oberarm. Der grinste wie ein Hammel und schien sich großartig zu fühlen, so gebauchpinselt zu werden. Remy presste die Lippen zusammen, kaute länger an seinem Fleisch herum als nötig und betrachtete die ganze Sache genervt. So etwas war es also, was dem großen Prinzen von Annwyn gefiel? Er ließ sich von einer solch billigen Nummer ködern, die nicht einmal besonders ausgefallen war? Remy hatte sein Leben lang mit Huren zu tun gehabt, die raffinierter und verführerischer vorgegangen waren. Dass Rowan so ein Trottel war, konnte der Dieb kaum glauben. Hatte er es wirklich so nötig? Es waren noch keine zwei vollen Tage vergangen, seit Remy und er ...
Der Junge schluckte krampfhaft und trank aus seinem eigenen Becher. Er hatte Bier, dieses oft verwässerte Weingesöff konnte er nicht leiden.
Die Dunkelhaarige der beiden Prostituierten, die noch immer des Prinzen Oberarm massierte, wandte den Kopf zu Remy um und lächelte süßlich.
»Du bist auch ziemlich niedlich. Wohin führt euch der Weg, ihr beiden Abenteurer?«
»Spar’ dir das Süßholzgeraspel. Ich kann deine Dienste nicht bezahlen!«, knurrte der Dieb und die junge Frau zog eine Augenbraue hoch. Sie bemühte sich, ihre zuckersüße Fassade aufrecht zu erhalten, um sich nicht das vielversprechende Geschäft mit dem anderen Kerl zu verderben, der bereits so viel Wein genossen hatte, dass er vermutlich gar nicht mehr zum Zuge kommen würde. Leicht verdientes Geld. Wenn er auch zur Abwechslung mal hübsch war und es sicher Spaß machen würde.
»Macht euch ... nichts draus, ihr Lieben. Mein ... Begleiter ist von der stacheligen Sorte. Der weiß nicht ... was Spaß macht.« Rowan nahm noch einen Schluck aus den Becher und biss von seinem Hähnchenschenkel ab.
Remy schoss die Hitze in die Wangen. Vor Scham, vor Wut, er wusste es nicht. Er hatte dem verfluchten Prinzen bewiesen, dass der mit seiner Annahme falsch lag. Vor zwei Nächten hatte er Rowan Dinge entlockt, für die dieser heute sicher im Boden versinken würde. Dieser Mistarsch! Sollte er doch den Dicken vor diesen Nutten markieren. Sollten sie ihn doch ficken und ausrauben oder ihm sonst eine Pest anhängen.
»Fickt Euch!«, knurrte der Junge, stand auf und verschwand aus dem Schankraum in Richtung Stall. Wütend und frustriert öffnete er die Box seines Wallachs und setzte sich auf einen kleinen Heuballen. Loot schnaubte leise, er erkannte Remys Geruch auch ohne viel Licht.
»Soll er doch machen, was er will. Warum interessiert mich das?«
Stumm lehnte er den Kopf an die Wand des Stalls und lauschte den Geräuschen der Tiere und dem dumpfen Klang der Taverne, der durch die Mauern bis zu ihm drang. Es war kühl, aber so schnell würde Rowan ihn nicht wiedersehen. Als würde Remy jetzt hinaufgehen, wo das verdammte Weißbrot vermutlich gleich beide Nutten bumste. Nur über seine Leiche würde er ins Zimmer zurückkehren!
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Die Freudenmädchen kicherten über die Frechheit des Diebes, seinem Herrn so etwas entgegenzuschleudern. Rowan sah ihm nach, doch durch das schwere Essen und den Wein war sein Kopf nicht mehr so schnell wie sonst. Was hatte er denn gesagt, dass Remy abgehauen war?
»Und, schöner Abenteurer? Habt Ihr Lust auf einen Nachschlag? Uns beide gibt’s zum Preis von einer. Was sagt Ihr?«
Rowan leerte den Becher und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Als er aufstand, wankte er ziemlich und kicherte, als die Mädchen ihn halten mussten. Sie lächelten sich hinter seinem Rücken an, denn sie wussten, es war ein leichtes Geschäft mit jemandem, der betrunken so heiter und sanft war. Andere Männer tranken und wurden dann grob, schlugen oder fesselten sie, brüllten herum oder übten sehr harten Verkehr an ihnen aus. Die Sanftmütigen wollten oftmals nur kuscheln oder reden oder schliefen irgendwann einfach ein.
Mit einiger Mühe brachten die beiden Dirnen Rowan die Stiege hinauf und die Hellblonde musste die Aufgabe übernehmen, die Tür des Zimmers aufzuschließen, da Rowan das Schlüsselloch nicht traf.
»Ich kann das ... sonst besser«, nuschelte er und kicherte.
»Aber sicher, mein Schöner. Komm, lass uns dir helfen«, säuselte das dunkelhaarige Freudenmädchen und verfrachtete ihn mit dem Hinterteil auf die Bettkante. Sie zog an seinen Stiefeln, während ihre Kameradin die Schnüre ihres Mieders löste, sich neben Rowan setzte und seine Schultern zu massieren begann.
»Du bist ja ganz verspannt. Wir helfen dir, gleich geht es besser, du wirst sehen.« Sie kroch aufs Bett, kniete sich hinter ihn und während ihre Finger seinen Nacken kraulten, beugte sie sich etwas hinunter, um seinen Hals zu küssen. Der schwere, süße Geruch ihres Duftwassers lag klebrig in Rowans Nase, der so viel getrunken und gegessen hatte, dass ihm beinahe von dem Dunst schlecht wurde. Sein vernebelter Verstand sah einen Moment dabei zu, wie die andere Dirne, die ihm die Stiefel ausgezogen hatte, nun vor dem Bett hockte und geschickt versuchte, seine Hosen zu öffnen.
Rowan schluckte schwer, als sich ihm die Kehle zuzog. Übelkeit staute sich in ihm auf und alle Lust war ihm vergangen. Er zuckte zurück und ergriff die Hände des Mädchens.
»Warte«, murmelte er. »Nicht ... ich ... kann nicht.«
Die Dunkelhaarige ließ ihre Handfläche über den Schoß des Prinzen gleiten. »Dein Körper sagt was anderes.«
»Aber ... ich nicht ...«, Rowan erhob sich und machte einen Schritt von den beiden Mädchen weg. »Es tut mir leid ... ich ... hab’s mir anders überlegt ...« Er wankte und seine Zunge schien am Gaumen zu kleben. Er hatte eindeutig viel zu viel getrunken.
»Es kostet trotzdem!«, fauchte die kleine Blonde und der Prinz nickte nur. Er warf den beiden eine Münze zu.
»Geht jetzt!«
Schnaubend machten die beiden Freudenmädchen einen Abgang und Rowan schloss die Tür hinter ihnen ab. Wankend goss er sich aus einer Kanne etwas Wasser in eine Waschschüssel auf der Kommode und tauchte das Gesicht hinein. Das billige Duftwasser klebte wie ein Pesthauch an ihm und erst nach mehreren großen Schlucken aus der hohlen Hand glaubte er, ihn vertrieben zu haben. Nüchtern war er noch lange nicht wieder, doch er hatte auch nicht mehr das Gefühl, sein Magen würde auf der Kippe stehen.
Was war er hier im Begriff gewesen, zu tun? Er hatte sich noch nie mit einer Hure eingelassen, geschweige denn gleich mit zweien davon! Schnaufend ließ er sich auf das Bett sinken und fiel auf seinen Rücken. Hatte sein besoffenes Gehirn ihn zwingen wollen, sich zu beweisen, dass er immer noch Frauen begehrte, nachdem, was mit Remy geschehen war? Unsinn, das spielte doch keine Rolle. Oder?
Unwillig brummend blickte er an die Decke und beobachtete einen Weberknecht bei seiner Wanderschaft. Er bemerkte nicht, wie die Zeit verging, nur dass die Kerze schrumpfte, und zuckte zusammen, als es gegen die Tür pochte.
Zwei oder drei Stunden waren vergangen, in denen Remy im Stall bei Loot gesessen hatte. Der Friese hatte sich irgendwann hingelegt und so hatte der Junge sich an ihn gelehnt, um nicht vor Kälte zu bibbern. Doch einschlafen konnte er nicht. Sein Kopf ließ ihm keine Ruhe. So sehr er auch wollte, dass es ihm gleich war, machte er sich dennoch Sorgen um den Prinzen. Der war so besoffen gewesen, diese Nutten könnten ihn sogar ohne weiteres einfach abstechen. Remy wollte es nicht, doch es war ihm nicht egal, ob Rowan, diesem Arsch, etwas zustieß. Sie hatten sich versprochen, aufeinander Acht zu geben in der Wildnis.
Brummend erhob der Dieb sich, kraulte seinem leise schnaubenden Wallach noch ein letztes Mal das Fell und verließ die Box wieder, sich das Stroh von den Hosen putzend. Im Schankraum konnte Remy die zwei Huren ausmachen, die Rowan so schamlos angegeifert hatten. Sie hatten sich bereits an einen anderen Herren herangeschmissen. Gut zu wissen, dass Remy sie wenigstens nicht mit dem Prinzen im Bett vorfinden musste!
Sonderbar geknickt stapfte der Junge die Treppe nach oben und legte sein Ohr an die Zimmertür. Es war abgesperrt und ärgerlich aufstöhnend hieb Remy mit der Faust gegen das Holz.
»Hey, Rowan!«
Der Schlüssel im Schloss drehte sich und der Prinz öffnete, noch immer etwas wackelig auf den Beinen, aber vollständig bekleidet. Die Kerze war nur noch wenige fingerbreit hoch und es roch nach dem widerlichen Rosenwasser und Kerzenwachs. Den Mund verziehend, schloss Remy die Tür ab und ging hinüber zum Fenster, um es zu öffnen.
»Gut zu wissen, dass es nicht die ganze Nacht gedauert hat. Ich hätte ungern im Stall geschlafen. Hat’s wenigstens Spaß gemacht, ja?« Remy hörte selbst, wie bissig er klang und presste die Lippen zusammen.
»Es war lustig, ich ...«
»Schön! Aber ich will nichts davon wissen! Es geht mich nichts an, wen Ihr fickt, okay? Und es interessiert mich auch nicht! Oder ob Ihr Euch besauft und ein paar Nutten Euren Namen nennt, nachdem Ihr gerade einem Attentat entkommen seid. Das ist mir alles egal. Das sollte es sein. Aber ich bin der Einzige an diesem Abend gewesen, der bei Verstand war!«
»Remy.«
»Haltet den Mund, verdammt. Lasst mich in Ruhe, ich will ins Bett gehen. Ihr habt die letzten zwei Tage Eure Zähne kaum auseinander bekommen, um mit mir zu reden, dann braucht Ihr jetzt nicht damit anfangen!«
Rowan schnaufte und er wusste nicht, ob es noch an dem zu vielen Alkohol lag oder nicht, aber er streckte die Finger aus und packte Remy. Ihn zu sich ziehend, legte er ihm die Hand auf den Rücken und umarmte ihn.
»Was ...?«
»Remy, du hast Recht.« Der Prinz schmiegte seine Wange an Remys Schulter und schloss die Augen. »Du hast Recht. Ich war ein Idiot und ich hab’s übertrieben.«
»Fass’ mich nicht an!«, murmelte der Junge und versteifte den Rücken. »Nicht, nachdem ...«
»Es ist nichts passiert«, erwiderte Rowan und ließ seine Fingerspitzen Remys Nacken streicheln. »Rein gar nichts. Ich hab sie weggeschickt. Das war eine dumme Aktion und vollkommen überflüssig.«
Der Dieb machte sich aus der Umarmung los und einen Schritt zurück. »Schön, dass Ihr das auch einseht!«
»Remy, bitte.«
»Was?!«
Rowan seufzte. Der Alkohol machte ihn atemlos, lockerte aber auch seine Zunge und so musste er sich bremsen. »Du hast Recht, dass es ... nicht gut war, so viel zu trinken. Es war auch wirklich dumm, mich von diesen ... Dirnen einwickeln zu lassen. Himmel, stell’ dir vor, ich hatte noch nie eine Hure, warum sollte ich ... also, was ich sagen will ... Ich hab mir etwas ... Ablenkung gegönnt. Ich hatte die letzte Woche Angst, verstehst du? Ich sagte es bereits ... einige Male. Ich hatte richtig Angst ... um dich. Ich wollte und ich will ... dich nicht verlieren. Ich ... hab das gebraucht, das hier. Den ... vielen Wein und das ... mal nicht über das Wenn nachzudenken. Oder über das, was geschehen ist ... zwischen dir und mir. Oder meinst du ... dass ich das nicht tue? Das tue ich andauernd ... und es macht mich wahnsinnig. Dich nicht?«
Remy presste die Lippen zusammen. Die Wärme in seinem Bauch verriet zumindest ihm selbst, dass Rowan Recht hatte.
»Ich drehe durch bei dem Gedanken daran. Und wie leicht es wäre, einfach die ... Hand auszustrecken und ... dich wieder zu mir zu ziehen. Aber ich bin nicht dumm, Remy. Und ... ich bin auch nicht so naiv wie du denkst, dass ich ... bin. Ich weiß, dass du ... das nicht willst. Und ich weiß, wie du dazu stehst. Aber ich will nur ehrlich mit dir sein. Ich ... habe hier nur dich und du bist mir wichtig.«
»Hör’ auf, bitte.«
»Womit? Wovor hast du denn Angst? Was fürchtest du ... denn so sehr, was ich sagen könnte?«
»Ich weiß es nicht«, wisperte Remy.
Der Prinz streckte die Hand aus. »Du machst mich glücklich«, sagte er leise und ergriff die Finger des Jungen, der sich kaum wagte, den Kopf zu heben. »Ich hatte noch nie so viel Spaß, fühlte mich noch nie so ehrlich von jemandem angenommen und so offen kritisiert wie von dir.«
»Warum dann das Schweigen die letzten Tage?«
Rowan machte einen Schritt auf Remy zu und drückte seine Hand fester. »Zweifel. Ich hatte Zweifel. An mir. Nicht an dir. Du bist zu ehrlich, um mich zu hintergehen. Ich war ... beleidigt. Das war dumm.«
»Also war das alles, auch diese Aktion mit den zwei Nutten, nur um mir eins reinzuwürgen, weil du beleidigt warst? Wirklich sehr erwachsen. Sicher, dass du der Ältere bist?!«
»Nein. Ich bin mir schon lange so einiger Dinge nicht mehr sicher. Außer einer.«
»Die da wäre?«
»In meinem Bett will ich niemand anderen außer dir!«
Remy schnappte nach Luft und wandte sich ab. Er zitterte. »Warum sagst du so was? Du hast ... eine verdammte Verlobte zuhause! Du bist in Trallien, um eine Prinzessin zu finden! Zum Heiraten! Und da kommst du mir mit so einem Unsinn? Der Einzige, den du willst, bin ich? Wofür? Fürs Ficken? Was denkst du, wer ich bin?« Der Junge biss sich auf die Lippe und konnte spüren, wie ihm Tränen der Wut in die Augen stiegen. »Ich«, schniefte er zornig, »bin nicht deine Hure, Rowan!«
»Und ich bin nicht deine, Remy. Du missverstehst meine Absichten vollkommen.«
»Wie könnte ich das falsch verstehen?! Wenn du gefunden hast, was du suchst oder auch, wenn nicht, es spielt keine Rolle. Was kommt, steht doch schon fest. Egal, wie du nach Annwyn zurückkehrst, du heiratest eine deiner beiden Prinzessinnen, welche auch immer da ist oder einwilligt. Wie passt da deine Aussage hinein? Für was brauchst du mich? Wie nennt man das bei Hofe, die Nebenfrauen oder Betthäschen eines Königs, hm?«
»Mätresse«, murmelte Rowan und seufzte. Er musterte Remy, der sich verbissen dagegen wehrte, dass die Feuchtigkeit seiner Augen sich in Tränen auf seinen Wangen niederschlug.
»So was soll ich sein?«, murmelte der Junge. »Warum überrascht mich das nicht ... ich war für niemanden je irgendwas. Und ich hab zugelassen, dass du aus mir ein Objekt machst. Weil ich einer dummen Eingebung nachgegeben habe. Weil ich dachte, dir könnte man vertrauen. Weil ich es so sehr wollte ...«
Rowan zog verärgert die Augenbrauen kraus, überwand die Distanz zwischen ihnen erneut und packte ihn an den Schultern. Als Remy wegen seiner Wunde zischte, verlagerte er die Hand.
»Hör’ mir zu, Remy. Bitte.«
»Tue ich doch«, wisperte der Junge. »Es ist nicht deine Schuld, sondern meine. Was dachte ich, würde passieren bei einem Königssohn ... Ich hab dich für naiv gehalten, weil du immer sagst, unter all dem Status und Rang sind wir alle nur Menschen. Es dämlich gefunden, dass du mein Freund sein wolltest. Aber gewünscht hab ich es mir trotzdem. Weil ich irgendwo hingehören wollte anstatt allein zu bleiben. Ich bin der Dumme, nicht du.«
Rowan strich Remy mit dem Daumen über die Wange, als doch eine Träne über diese kullerte. »Ich lasse dich nie allein bleiben. Ich verspreche es dir. Du gehörst zu mir, an meinen Hof, in mein Land, egal was geschieht. Okay?«
»Wie ein Hundewelpe ...«
»Wie mein Freund und Kampfgefährte. Wir schulden einander das Leben, Remy. Und solange ich kann, werde ich verhindern, dass dir etwas geschieht. Ich hab ein Versprechen gegeben, oder nicht?«
Der Dieb nickte. Seine Wut war verraucht und geblieben war Erschöpfung. Ohne Gegenwehr ließ er es geschehen, dass Rowan ihm den Mantel auszog und ihm aus den Schuhen half. In Hemd und Unterhosen auf der Kante des Bettes sitzend, sah er dabei zu, wie der Prinz sich selbst etwas umständlich aus den Kleidern pellte. Er wankte noch immer etwas, auch wenn diese affige Kichrigkeit durch ihre Auseinandersetzung geheilt worden war.
Rowan rieb sich über die Augen und den Kopf, wusch sich das Gesicht und trank etwas, bevor er sich abtrocknete.
»Nicht«, sagte er, als Remy die Decke seines Bettes wegziehen wollte.
»Was? Ich bin müde ...«
»Ich weiß.« Der Prinz ging auf Remy zu und griff nach seiner Hand. »Wie geht es der Wunde?«
»Ich spür’s kaum.«
Rowan senkte den Kopf auf die Schulter des Diebes und drückte seine Lippen leicht darauf, bevor er das Gesicht drehte und dasselbe an Remys Hals tat. Der Junge erschauderte und versteifte leicht das Rückgrat, als die Finger des Prinzen streichelnd wie schon einmal über die Haut des Rückens glitten, erst über dem Stoff und dann darunter.
»Rowan«, murmelte Remy, doch ließ es geschehen. Er hatte zu schnell gelernt, dieses Gefühl der Gänsehaut zu lieben.
»Hm?«, brummte der Prinz und streichelte mit der Nasenspitze über den Kiefer Remys, bevor seine Lippen die seinen fanden. Die Finger des Diebes krallten sich in den Stoff von Rowans Hemd und aufgepeitscht von seinem rasenden Puls schob er ihn schließlich rücklings zum Bett. Kichernd fiel dieser darauf und packte ihn, um ihren Kuss nahtlos fortzusetzen. Remy war stark geworden, stärker als bei ihrem Kennenlernen in Thalea, und sein Gewicht zu spüren, heizte Rowans innere Glut nur noch an. Er hatte die Hände unter den Armen des Anderen durchgeschoben, die Finger in die Schulterblätter gekrallt und hob den Kopf, als der Dieb begann, an der empfindlichen Haut des Schlüsselbeins zu saugen, lustvolle kleine Geräusche dabei machend.
»Bei Solems Bart«, keuchte Rowan leise und schnaufte, als Remy sich über ihn schob, zittrig die Luft einsaugend, hungrig, fordernd die Lippen des Prinzen suchend, mit geschlossenen Augen einen ganz eigenen Rhythmus verfolgend.
Sie bemerkten das Erlöschen der Kerze nicht.
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Remy erwachte mitten in der Nacht. Überdeutlich war er sich des Mannes bewusst, der neben ihm lag und schlief. Rowans Duft umhüllte den Dieb wie eine Decke und mit einem Grinsen erinnerte er sich an die vorangegangenen Stunden. Es war faszinierend zu erleben, wie butterweich der Prinz werden konnte, wenn man nur die richtigen Knöpfe drückte. Seufzend setzte Remy sich auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Er hatte nun begriffen, was die Menschen so scharf aufs Vögeln sein ließ. Obwohl er todmüde gewesen war, hatten ein paar gezielte Zärtlichkeiten Rowans ausgereicht, um Remy wieder hellwach sein zu lassen. Wenn auch nicht lange, hatte es gereicht, um sich eine Weile aneinander zu vergnügen. Ob er wohl ohne sein Wissen irgendein Verbrechen begangen hatte, weil er es gewesen war, der Rowan genommen hatte? Immerhin war der ein Prinz. War es rechtens, dass sich ein Niedriggeborener über einen Hochgeborenen erhob, indem er so etwas tat? Der Junge rieb sich über das Gesicht und schmunzelte. Rowan hatte es zugelassen, oder nicht? Und genossen, ganz eindeutig. Mit einem Prickeln auf der Haut erinnerte sich Remy und wandte den Kopf herum, als der Prinz im Schlaf ein leises Geräusch machte. Im blassen Licht des Mondes bildete seine helle Haut auf der weißen Bettwäsche kaum wirklich einen Kontrast, doch sein dunkles Haar hob sich deutlich vom Kissen ab. Rowan war schön, Remy könnte ihn fast dafür hassen. Es musste irgendeine Macht irgendwo geben, die diesen Menschen so sehr liebte, dass sie ihm alles Gute, was die Welt zu bieten hatte, gegeben hatte. Dem Rest der Menschheit blieb nur, ihn ehrfürchtig anzustarren, zu verehren, zu lieben oder zu begehren. Remy wusste nicht, was davon er tat. Vielleicht ein bisschen von allem. Wieder seufzte er und weckte so den schlafenden Prinzen. Dieser blinzelte leicht, rieb sich über die Augen und wandte den Kopf zu Remy.
»Hey«, murmelte er, »leg dich wieder hin.« Rowan hob die Hand und legte sie auf Remys nackten Rücken, ließ die Fingerspitzen über die Haut gleiten und entlockte dem Jungen ein leises Brummen. Er liebte diese Berührung, hatte es nie gekannt, wie wunderbar es war, wenn einen jemand streichelte. Er rutschte etwas nach unten und bettete seinen Kopf auf Rowans Brust, der weiter unablässig über den Rücken des Diebes strich.
»Beschäftigt dich etwas?«
»Die Welt liebt dich. Das ist ungerecht.«
»Wie?« Rowan gluckste.
»Man kann dich nicht hassen, egal wie sehr man es versucht. Menschen, die es doch können, sind schlecht und verdorben.«
»Tust du das denn? Es versuchen?«
Remy nickte. »Hab ich schon ein paar Mal, ja. Letztes Mal gestern Abend. Aber ich kann nicht.«
»Ich nehm’ das eher als Glück. Ich wäre sehr traurig, wenn du mich nicht mögen würdest.«
»Du bist ein Trottel«, murmelte Remy und presste seine Nase an Rowans Haut. »Als würde es was ausmachen, was ich denke.«
Der Prinz drehte sich auf die Seite und zog den Dieb in seine Arme. »Für mich macht es etwas aus. Dabei ist es ganz egal, wie klein du dich immer wieder machst. Was ist nur mit dir geschehen? In Thalea hattest du so eine große Klappe und jetzt ist alles an dir schlecht?«
»Thalea war mein schmutziges Königreich und du ein Fremder. Jetzt bin ich in der Fremde und ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll.«
»Mir gegenüber?«
Remy schüttelte den Kopf. »Bei allem.«
»Wir sind noch immer in Trallien. Das hier ist deine Heimat, auch wenn du ihr nichts abgewinnen kannst. Das sind deine Leute. Ändere dich niemals, weil du denkst, dass ich das will, denn das möchte ich nicht. Ich will genau den rotzfrechen Beutelschneider, der versucht hat, Agrippa zu klauen. Denn das hat Mut bewiesen.«
»Schwätzer«, brummte Remy.
»Straßenköter.«
Beide lachten leise. Rowan schob seine Finger in die Haare des Jungen, zog ihn an sich und legte ihm die Lippen auf die Stirn.
»Ich glaube, wir sollten das hier lieber sein lassen«, murmelte Remy an der Kehle des Prinzen.
»Was genau?«
»Das alles hier. Das kann kein gutes Ende nehmen, diese Zutraulichkeiten. Die ... die Zukunft ist für dich doch schon vorgezeichnet. Ich möchte nicht ...« Der Dieb brach ab und seufzte.
»Was möchtest du nicht?«
»Fallen«, flüsterte Remy. »Tiefer als ich es schon bin. Denn ... du wirst König sein und ich ... bleibe für immer der Dieb, der ich war, selbst wenn ich keiner mehr bin. Einer muss auf der Strecke bleiben und das werde zwangsläufig ich sein. Denn die Welt liebt dich, nicht mich.«
Rowan schwieg, doch machte keine Anstalten, die Umarmung zu lösen. Wahrscheinlich hatte Remy Recht mit seinen Befürchtungen, doch wenn es schon so sein sollte, dann erst ab dem nächsten Tag. Für den Rest dieser Nacht wollte Rowan nicht darüber nachdenken, was seine Rolle als Kronprinz ihm für Pflichten auferlegte. Pflichten, die zu erfüllen er stets gern bereit gewesen war, auch jetzt noch. Doch die auch Opfer forderten.
»Die Welt interessiert mich nicht«, murmelte er, »Nicht im Moment. Tun wir einfach so, als gäbe es nur dich und mich. Zumindest, bis der Tag anbricht. In Ordnung?«
Remy nickte stumm und presste seine Lippen auf Rowans Brust. Ein heißes Sehnen in seinem Körper quälte ihn. Er wollte nicht, dass das hier endete, diese sündigen kleinen Spiele, wollte nicht, dass Rowan aufhörte, ihn zu berühren und ihm Dinge und Gefühle zu entlocken, die er zuvor nie gekannt hatte. Doch Remy wusste, dass es sein musste. Er würde der Verlierer sein. Selbst wenn er mit Rowan in dessen Königreich gehen und dort bei ihm am Hofe leben konnte, würde er, Remy, es sein, der nicht das bekam, was er wollte, wenn er sein Herz an den Prinzen verlor. Denn der war nun mal ein Thronfolger. Die ließen sich nicht mit Männern ein und wenn, dann im Verborgenen, in den stillen Kämmerlein der Burg, versteckt und schamhaft, als wäre es verwerflicher, sich einem Manne hinzugeben als einer Frau den Hof zu machen.
Der Junge bedeckte die Brust des Prinzen mit weiteren zarten Küssen, so lange, bis Rowan zu schnurren anfing.
»Was machst du denn?«
»Wenn das hier bei Tagesanbruch endet, dann will ich die Zeit genutzt haben«, erwiderte Remy. Der Prinz zuckte zusammen, als er die Hand des Diebes an sich spüren konnte und biss sich auf die Unterlippe. Remy hatte eine nie gekannte Wirkung auf Rowans Fantasie, seinen Körper, einfach alles. Noch nie hatte sein Leib so schnell und so ultimativ auf eine Berührung reagiert, nur der Gedanke daran, jemanden zu lieben, ausgereicht, um die Erregung anzufachen.
Der Dieb hinterließ eine feine Spur aus Küssen und Bissen auf Rowans Haut, der ihm mit einem Lächeln zusah. Seine Fingerspitzen fuhren über Remys Schultern und er ließ ihn gewähren, verblüfft nur über die Kompromisslosigkeit des Jungen. Er hatte schon in der Nacht in der Mühle die Zügel in die Hand genommen und mehr als deutlich klar gemacht, dass alles, was geschah, auf seinen Wunsch, auf sein Verlangen hin passierte. Und wieder war es so. Rowan war Wachs in Remys Händen. Er hätte sich nicht wehren können, selbst wenn er das gewollt hätte. Er zuckte und erschauderte erwartungsvoll, als der Dieb die Decke anhob und sich auf seinen Schoß schob. Es war kühl im Zimmer und das Prickeln auf der erhitzten Haut ließ Rowan sich winden. Nur die Konturen Remys waren im matten Licht des Mondes zu erkennen, doch der Prinz musste nichts sehen, um zu fühlen, was vor sich hin. Heiß wallte die Welle der Lust über ihn, als der Dieb sich ihm preisgab. Sein Wimmern klang nicht nach Schmerz, sondern Vergnügen und wich einem leisen Keuchen. Er ließ den Kopf sinken, als er das Becken zu bewegen begann, sein Haar kitzelte Rowans Haut und der packte Remy an den Hüften. Mit geschlossenen Augen ließ der Prinz seine Hände über die Seiten des Diebes streichen, der seine Fingernägel in Rowans Brust gedrückt hatte. Der Schmerz dieser kleinen Kratzer vermischte sich mit der Süße der Vereinigung und die Glut steigerte sich zu einem Flächenbrand. Remy ließ sich auf die Brust des Prinzen sinken, der ihm die Hände auf den Rücken legte. Gänsehautschauer wallten über den Dieb und zu hören, wie sehr er genoss, was geschah, trieb Rowans Puls in die Höhe. Angestachelt von der Leidenschaft in sich, packte er Remy, vollführte eine Drehung und war schließlich über ihm. Ihre Verbindung vertiefte sich und der Junge schrie leise auf, klammerte sich an die Schultern des Prinzen und ihre Blase zerplatzte. Wie von einer Welle wurden sie mitgerissen und geschüttelt, Woge über Woge schlug über ihnen zusammen, bis sich ihre Leiber und ihre Atmung endlich beruhigten und der Sturm abflaute. Remy hatte Rowan die Arme um den Nacken geschlungen und hielt ihn fest, während die letzten Nachbeben nach und nach verschwanden. Der Prinz blieb einfach liegen und behielt die Augen geschlossen. Ihm war heiß und sein Blut kochte, doch unter keinen Umständen hätte er sich jetzt einen Zentimeter wegbewegt. Er musste sich selbst eingestehen, dass all seine Erfahrungen in der Vergangenheit, all die Frauen, die er gehabt hatte, ihn niemals dieses Ausmaß an Erfüllung hatten fühlen lassen. Er hatte Remy etwas vom Unterschied zwischen Intimität und Trieb erklären wollen, ohne sich bewusst gewesen zu sein, dass er all die Jahre auch nur letzteres getan hatte, in dem Glauben, Intimität mit jemandem zu teilen. Wie blind er gewesen war. Selbst mit Ana war es nicht so gewesen!
Langsam nur ließ er sich neben Remy rutschen und zog ihn wieder in seine Arme. Der Nacken des Diebs und die Spitzen seiner zerzausten Haare waren feucht und er war anschmiegsam wie ein Teddybär.
»Ich glaube, jetzt kann ich noch ein bisschen schlafen«, murmelte er zufrieden und mit brummiger Stimme, die so gar nicht seiner eigentlichen Stimmfarbe entsprach. Rowan nickte und kraulte ihm den Hinterkopf, die Augen geschlossen und so herrlich satt und schläfrig wie eine Katze, die Sahne zu trinken bekommen hatte.
Er war definitiv der Meinung, dass es das Beste war, den Anbruch des Tages so weit wie möglich nach hinten zu schieben, als er Remy die Lippen auf die Stirn presste und schließlich in einen Schlummer überglitt. Das Feuer war erloschen, doch die Glut hielt sie warm.