GREGOR
Kurz darauf warte ich in meinem Büro. Wasser, ein eisenhaltiger Saft, eine Banane sowie ein Sandwich mit Tomate, Mozzarella und Basilikum liegen bereit. Schließlich weiß ich nach all den Blutmahlzeiten genau, was sie braucht und gerne isst.
Ich brauche nicht lange zu warten, bis sie an die Türe klopft.
„Herein“, bitte ich mit ruhiger Stimme.
Aufgeregt betritt meine Angestellte den Raum. Ich erkenne es an ihrem geröteten Gesicht und dem erhöhten Pulsschlag, den mein ausgezeichnetes Gehör sofort wahrnimmt. Eine menschliche Reaktion, die das Tier im mir sofort weckt und anmacht. Schnell stehe ich auf und nähere mich ihr.
Ich betrachte ihren Hals. „Deinen Schal, Maria.“
Sie antwortet nicht, zieht den Stoff jedoch hastig aus und reicht ihn mir. Wortlos nehme ich ihn an mich und lege ihn auf den Schreibtisch.
Ich spüre, wie meine Augen zu leuchten beginnen. Sie sind jetzt feuerrot, während sich gleichzeitig die Fangzähne und Krallen herausschieben. Meine Ohren verändern sich ebenfalls und laufen ein wenig spitz zu, fast ein wenig wie die Elben bei Tolkiens Herr der Ringe. Durch meine langen Harre allerdings nicht ohne weiteres zu erkennen.
Diese Veränderungen, wenn sich der Vampir in mir zeigt, tun alle nicht sonderlich weh, ich spüre lediglich ein leichtes Kribbeln an den entsprechenden Stellen, wenn es beginnt und ebbt bereits wieder ab.
Ich liebe diesen Zustand, wenn ich das Tier in mir nicht vollständig verstecken muss.
„Setz dich bitte“, knurre ich mit tiefer Stimme, die ganz tief auf meiner Kehle kommt.
Wir beide wissen, dass meine freundliche Aufforderung dazu dient, den Schein zu wahren. Mit dem Eintreten in diesen Raum hat sie sich in meine Hände gegeben und sich bereiterklärt, mir freiwillig zu geben, was ich brauche. Ich würde nie so weit gehen, ihr zu viel anzunehmen und sie so zu gefährden – aber es auch nicht zulassen, dass sie einen Rückzieher macht.
Ich brauche ihr Blut, das ist uns beiden bewusst.
Langsam streichle ich ihren Hals entlang. Ich kann ihren Herzschlag sehen, der sich an der Ader abzeichnet.
So oft ich mich auch bereits von ihr genährt habe, zur Routine wird es zwischen uns wohl nie werden.
Ein kleiner Vorteil ist es, dass sich Maria ein wenig in mich verliebt hat. Und ich gebe zu, dass ich das auch ausnutze und dadurch eine bereitwillige Spenderin gefunden habe. Ich versuche es, ihr so angenehm als möglich zu machen.
Zugegeben, reiner Eigennutz. Ich selbst finde sie sympathisch und bin ihr auch dankbar – aber tiefergreifende Gefühle für sie habe ich nicht.
Ich lasse wieder von ihr ab, so dass sie rüber zum bequemen Doppelsessel gehen kann. Bevor sie sich hinsetzt, greift sie nach dem dunklen Tuch, das ich dort über der Lehne platziert habe, und legt ihn über die Schultern.
Wie gesagt, wir beide machen das hier ja nicht zum ersten Mal.
„Ich sein bereit, Gregor.“ Sie lächelt mich an.
Ein Zugeständnis meinerseits. Hier, in dieser Situation, darf sie mich mit meinen Vornamen ansprechen.
Ihre bereitwillige Hingabe lässt das Tier in mir jubilieren. Ich spüre, dass sich mein Aussehen noch ein wenig mehr in Richtung Vampir verändert – sprich meine Ohren werden noch ein wenig spitzer, die Zähne und Fingernägel schieben sich noch mehr nach vorne und meine Augen beginnen zu lodern.
Ich liebe diesen Zustand. Viel befriedigender, als wenn der ‚Mensch‘ Herr von Wattenstein Blutkonserven aus Rotweingläsern trinkt.
Nun setze ich mich neben sie in den Sessel. Kein Grund, alles noch länger hinauszuzögern.
Zuerst gilt es jedoch, die arme Frau etwas beruhigen, obwohl mein Instinkt mir gebietet, sofort zuzubeißen. Aber mein Verstand – und damit das Menschliche in mir – behält die Oberhand.
„Schließ die Augen“, befehle ich mit rauer Stimme.
Sie folgt ohne Zögern. Jetzt, ohne störende Sinneseindrücke ihrer Augen kann ich einfacher in ihren Kopf eindringen. Ich taste mich vorsichtig vor und veranlasse ihren Geist, ruhig zu werden und so etwas wie Zufriedenheit oder gar Glück zu empfinden.
Nun führe ich ihren Kopf sanft und langsam in die Überstreckung und drehe ihn auf die Seite. So tritt die Halsschlagader deutlicher hervor und ich kann bequemer trinken. Alles routinierte Handbewegungen, die automatisch ablaufen, einst angewandt unzählige Male in fast jeder Nacht. Schließlich gab es auch eine Zeit vor den Blutkonserven.
Sie selbst leistet keinen Widerstand. Ein leichtes entrücktes Seufzen entweicht ihren Lippen.
Zufrieden beuge ich mich runter und lecke mit der Zunge über die Stelle, in der ich gleich reinbeißen werde. Spezielle Inhaltsstoffe in meinem Speichel betäuben das Schmerzempfinden. Gleichzeitig suggeriere ich ihr, dass es nicht wehtun wird.
Genug gewartet.
Gierig versenke ich meine spitzen Zähne in ihren dünnen Hals.