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Gregor
„Herr Graf?“, dringt Markus Stimme an mein Ohr.
Was ist los?
Mühsam öffne ich die müden Augenlider. Wie spät ist es?
Verschlafen reibe ich mir mit Daumen- und Zeigefinger einen imaginären Punkt an der Nasenwurzel. Es muss mitten am helllichten Tag sein.
„Herr Graf“, höre ich erneut die Stimme meines Dieners durch die Sprechanlage.
Etwas Ungewöhnliches geht vor sich – ohne Grund würde mich der Mann nicht wecken.
„Was ist los?“, nuschle ich und kann dabei gerade noch ein Gähnen unterdrücken.
„Wir werden verfolgt, Sir!“
Wie?
Wir sind hier in Deutschland, mitten auf der vierspurigen Autobahn und nicht in New York.
So etwas geschieht in Filmen aber doch nicht hier und jetzt, oder?
„Bist du dir da sicher, Markus?“, frage ich überflüssigerweise nach. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass er solche Aussagen nicht leichtsinnig trifft.
Was aber keinen Sinn macht. Meine Anreise nach Deutschland ist kein Geheimnis. Weshalb sollte als jemand dieser Limousine hinterherfahren und dazu noch so offensichtlich, dass wir es bemerken?
Oder ist gerade das Sinn und Zweck?
Ich bin noch nicht wach und denke nur verrücktes Zeug.
Mein Diener deutet mein Schweigen offensichtlich falsch, denn er fährt fort: „Ich bin mir ganz sicher, Herr Graf. Ich habe mehrfach ohne Grund die Spur gewechselt, und habe mich zwischendurch auch einmal fälschlicherweise in die Abbiegespur eingefädelt. Diese unsinnige Manöver konnte ich beim besagten Fahrzeug hinter uns ebenfalls beobachten.“
„Du wolltest erst mal überprüfen, ob wir tatsächlich verfolgt werden?“, frage ich irritiert nach. Markus hat viele Qualitäten, aber James Bond imitieren gehörte bisher nicht dazu.
„Keine Sorge, ich bin ein guter Autofahrer, wie Sie wissen, Sir!“, antwortet er mit einem unterdrückten Lachen. Ich höre es seiner Stimme deutlich an.
Kaum zurück in meiner alten Heimat, entwickelt mein Butler Fähigkeiten, die ich bisher niemals an ihm bemerkt hatte.
„Hast du versucht, sie abzuhängen?“, erkundige ich mich neugierig.
„Nein, Herr von Wattenstein. Soll ich?“
Etwas ratlos schüttle ich den Kopf. Meine Anreise ist nicht wirklich ein Geheimnis. Andererseits gefällt mir der Gedanke, beschattet zu werden, natürlich nicht.
Und ein kleiner Teil in mir möchte sehen, was Markus so draufhat.
„Versuch es.“
„Wie Sie wünschen! Halten Sie sich bitte fest.“
Markus! Wo ist mein allseits besonnener Butler geblieben?!
Obwohl mein Auto groß und entsprechend gut isoliert ist, höre ich das Aufheulen des Motors deutlich, als der Mann runterschaltet und das Gaspedal ganz durchdrückt.
Für einen Moment fürchte ich gar, dass wir leicht ins Trudeln kommen und der Wagen hinten ausschert- aber mein Angestellter hat den Karren erstaunlich gut im Griff, zieht sie quer nach links und überquert gleich zwei Spuren, während er weiter beschleunigt.
Verdammt! Ein gelungenes Manöver!
Warum lässt mich der Verdacht nicht los, dass er das nicht zum ersten Mal macht?
Erleichtert erinnere ich mich, dass diese Kutsche getönte Scheiben hat. Ich will gar nicht so genau wissen, was wir hier machen. Auf jeden Fall fährt mein wohlerzogener Butler wie ein Henker. Kurz ist mir danach, die Augen zu schließen – aber ich befürchte, dass es mir dann übel wird, obwohl ich sonst nicht empfindlich diesbezüglich bin.
So warte ich notgedrungen und hoffe, dass diese Raserei irgendwann ein Ende hat, wir keinen Unfall habe und unsere unbekannten Gegner abhängen werden.
Es ist nicht so, dass Markus unsicher fahren würde – gekonnt steuert er den schwerfälligen Wagen und überholt links und rechts. Das immer wieder zu hörende Hupen anderer Autofahrer ignoriert er geflissentlich. Da er ein Sterblicher ist, gefährdet er mit dieser Aktion sein Leben, nicht meins.
Diese Angst veranlasst mich, ein „Markus, pass bitte auf!“, nach vorne zu rufen.
„Keine Sorge. Ich glaube, sie haben uns eh verloren“, höre ich seine vergnügte Antwort.
Er drosselt doch tatsächlich die Geschwindigkeit und ordnet sich vorschriftsmäßig wieder in der rechten Spur ein.
„Bei Dracula, was war das!“, fluche ich wütend.
„Ich habe keine Ahnung, Herr Graf. Zu schade, dass Ihr werter Bruder in Kroatien weilt. Vielleicht würde er mehr herauskriegen.“
„Ja, möglicherweise. Ich werde ihn später kontaktieren. Und mit Herbert darüber sprechen, wenn wir dort sind.“ Erschöpft lehne ich mich zurück und schließe ich die Augen. Wenn ich bei meinem Freund bin, werde ich mir auf jeden Fall einen extra Beutel Blut gönnen. „Ich versuche noch eine Runde zu schlafen. Wecke mich dann, wenn wir dort sind.“
„Natürlich. Wünschen der Graf noch eine beruhigende Musik?“
„Nein, danke. Ich glaube, die brauche ich nicht – einfach eine ruhige Fahrt ohne Verfolger, das würde mir schon reichen.“