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Gregor
Wider Erwarten wache ich diesmal von alleine auf – wenige Minuten, bevor wir an unserem Ziel ankommen. Ich blicke daher bereits aus dem Fenster und betrachte dir mir von früher bekannte Umgebung, als wir in den unbefestigten Weg zum Herrenhaus abbiegen.
Herbert hat dieses alte Gebäude vor etwa fünf Jahren von seinem Vater übernommen und residiert hier zufrieden und weitgehend ungestört. Obwohl abgelegen, ist es nicht weit bis zur nächsten Stadt und daher geradezu ideal für einen Vampir.
Ich selbst bevorzuge Italien, da ich dieses Land schon zu Lebtagen liebte. Es ist dort auch bedeutend leichter, seinen Werdegang zu frisieren, was leider für einen Untoten heutzutage in regelmäßigen Abständen erforderlich ist.
In Deutschland geht es korrekter zu und es bedarf daher Geduld oder Beziehungen, um die entsprechenden Kontakte zu knüpfen – vom notwendigen Kleingeld ganz zu schweigen. Unschlagbar ist Old Germany jedoch in Punkto schlechtem Wetter – nicht, dass ich Regenwetter liebe, aber ein bedeckter Himmel ist für einen Blutsauger angenehmer, wie man sich unschwer denken kann. Die zukünftige Entwicklung durch den Klimawandel könnte dies ändern – so genau weiß keiner, was da noch auf uns zukommen wird.
Im Augenblick regnet es. Herberts Heimstätte erscheint daher leicht düster zwischen all dem Grau und Dunst.
Mir selbst macht das nichts aus. Ich hoffe nur, zu Viktorias Ankunft ist es ein wenig freundlicher. Meinetwegen darf sogar die Sonne scheinen. Es ist mir wichtig, dass ihr erster Eindruck positiv ist.
Ich habe mich bisher nicht entschieden, ob ich mich ihr als Vampir nähern werde, um ihr Geheimnis herauszufinden. Vermutlich entscheide ich das spontan und es ist dafür auch noch etwas Zeit.
Zuerst sind Herbert und Elisabeth dran.
Wir sind fast da.
Das alte Herrenhaus sieht trotz seines Alters von außen sauber und gepflegt aus – darauf legt mein Freund wert. Durch den dunklen Anstrich, verbunden mit dem Wind und dem strömenden Regen, wirkt es auch von nah wenig einladend und erinnert an die Stätte eines Gruselfilms. Natürlich nicht auf mich – und gegen die Nässe schützt mich Markus, der die Autotür neben mir bereits geöffnet hat und durch einen großen schwarzen Schirm für Trockenheit sorgt. Er selbst wird dadurch leider pudelnass – aber ein anderes Verhalten wie dieses kommt für ihn nicht in Frage.
Markus ist eben nicht nur Fahrer, sondern auch Butler, und nimmt den Beruf sehr ernst. Daher wäre es für ihn sogar beleidigend, würde ich seine Hilfe nicht annehmen oder ihn gar überreden, mehr für sich selbst zu sorgen. Das einzige, was ich für ihn tun kann ist, möglichst schnell zur Haustüre zu kommen und mit dem großen Ring gegen das Holz zu schlagen.
Herbert hatte sich lange überlegt, ob er diese etwas altmodische Art des Anklopfens belassen oder eine „richtige“ Klingel installieren sollte. Der entscheidende Grund, nichts zu verändern, war letztlich, dass es so besser zur Fassade und einem alten Blutsauger passte – Originalzitat Herbert.
Das Metall liegt schwer in der Hand und ein dumpfes Pochen ist zu hören, als ich es gegen die Türe hämmere. Meine Gastgeber wissen, dass ich um etwa um diese Zeit ankommen werde und müssen daher im Hause sein.
Davon abgesehen, war das Geräusch vielleicht für Sterbliche etwas leise und sicher nicht überall im Gebäude zu hören – für Blutsauger gilt dies jedoch nicht - unser Gehör ist gut genug.
Glücklicherweise ist die große Eingangstüre überdacht, so dass auch mein Angestellter im Trockenen steht.
Und lange brauchen wir auch nicht zu warten – schon bald höre ich Schritte und die Türe wird quietschend geöffnet.
Ist das Absicht, um dem Herrenhaus einen gewissen Flair zu geben, oder ist der andere Vampir schlichtweg zu faul, um die Türangeln zu ölen?
„Hallo, Gregor“, grinst Herbert frech. „Ich freue mich, dich mal endlich wiederzusehen.“
„Ich mich auch, mein Freund“, kommt die ehrliche Antwort. Wir umarmen uns kurz und herzlich.
„Ich hoffe, das nächste Mal muss ich nicht so lange warten, bis du uns besuchen kommst. Beth hat sich…“
Weiter kommt Herbert mit seinem Satz nicht, denn von hinten ist plötzlich ein lauter Schrei zu hören. „Gregor! Du bist ja schon da! Wie schön!“. Eine Gestalt rauscht wie ein Wirbelwind herbei und ehe ich es reagieren kann, bekomme ich zwei Küsschen auf die Wangen gedrückt. „Endlich sieht man dich mal wieder.“
Elisabeth fackelt nicht länger, sondern drückte mich fest an sich. „Herzlich willkommen bei uns, alter Schwerenöter.“.
„Langsam, Liebes, lass ihn doch erst mal ankommen. Und vergiss seinen Butler nicht, der ist ja auch noch da.“
„Oh, wie unhöflich von mir.“ Zerknirscht lässt sie von mir ab und wendet sich an den Diener, der höflich und geduldig im Hintergrund wartet.
„Sie sind ja ganz nass, Markus“, ruft sie erschrocken. „Kommen Sie, ich bringe Ihnen ein Handtuch, dann können Sie sich wenigstens notdürftig trocknen.“
„Lass sie doch erst mal reinkommen, Beth“, schlägt ihr Mann lachend vor.
„Natürlich!“ Rasch springt die Vampirin zur Seite und winkt uns herein.
Ich mag Elisabeth, schon als Sterbliche war das so. Sie hatte ihr Herz einfach am rechten Fleck und das hat sich auch durch ihr Untotsein nicht geändert. Sie ist erfrischend ehrlich und gutmütig – Ränkespiele liegen ihr nicht und sie heißt jeden willkommen, der bei ihr anklopft.
Blauäugig ist sie aber nicht – sie merkt schnell, wenn jemand ein falsches Spiel spielt, und ist durchaus resolut, wenn es darum geht, sich selbst, ihren Mann oder das Vampiridasein allgemein zu verteidigen. Herbert hätte sich keine bessere Frau wünschen können.
Und daher setze ich große Hoffnungen in sie. Sie kann mir helfen, meine Beziehung zu Viktoria zu festigen und vielleicht auch langsam begreiflich machen, was es bedeutete, ein Blutsauger zu sein. Von Frau zu Frau sozusagen.
Denn eine Ahnung sagt mir, dass es für ihn nicht leicht sein wird, dieser Moment, wenn meine Angebetete begreifen wird, dass es uns Vampire wirklich gibt und sie ein Teil davon werden soll.
Nein, ganz und gar nicht.
Ich werde mich dafür warm anziehen müssen.