“Nein, er hätte die Situation durchaus noch retten können, indem er Tsajane de Braast als Nächste zum Tanz aufgefordert hätte. Damit hätte er sich auf demselben gesellschaftlichen Niveau bewegt und sie nicht dadurch düpiert, direkt nach ihr jemanden so Unwichtigen zu wählen”, erklärt Luciana bestimmt und bekräftigt ihre Aussage mit einem entschlossenen Nicken.
Diese Idee ist mir bislang noch gar nicht gekommen, aber ich muss ihr sofort zustimmen. Wir spazieren bei bestem almadanischen Frühlingswetter über die großen Freiflächen des Kaiserlichen Marstalls, wo wir uns häufig begegnen und uns über die neuesten Gerüchte und Geschehnisse am Eslamidenhof austauschen.
Sie ist mit ihren knapp zwanzig Jahren fast ebenso jung wie ich, und ihr langes, dunkelblondes Haar umrahmt ihr schönes Gesicht in ungewöhnlichen, wilden Locken, was sie überall zu einer auffälligen Erscheinung macht. Auch hier zwischen den vielen anderen Adligen, die den Marstall bevölkern, um über die ausgesucht edlen Rösser Verbindungen zur Herrscherfamilie zu knüpfen. Neben der Politik gilt ihr Interesse den Pferden, die hier gezüchtet werden. Ich weiß immer noch nicht, wie sie es geschafft hat, hier Zutritt zu erlangen, doch es zeugt von ihrer profunden Kenntnis der Verbindungen, Gefälligkeiten und politischen Verwicklungen der Hauptstadt.
Sie wirft mir einen herausfordernden Blick zu und senkt verschwörerisch die Stimme. “Was denkst du über die angedachten Handelsbeziehungen zwischen den von Falkenberg-Rabendmunds und diesem Magierzirkel aus den Tulamidenlanden?”
Sie will mich prüfen, das ist mir sofort klar, und ich grinse ebenso herausfordernd zurück. “Von welchem Zweig der von Falkenberg-Rabenmunds sprichst du? Seit sie Kronverweser sind, scheint sich die Zahl der Familienangehörigen beständig zu vergrößern!”
Ihr Schmunzeln bezeugt, dass sie derselben Meinung ist wie ich, doch natürlich wartet sie weiterhin auf eine Antwort.
“Es ist ein kluger Schachzug”, fahre ich daher fort, “Auch, wenn hier in Punin viele Magier vertreten sind, ist es klug, sich auch die Zauberkundigen der umliegenden Reiche zu Verbündeten zu machen. Wie man hört, sollen die ausgehandelten Preise sehr zu Gunsten der Magier ausfallen, es muss also selbstverständlich politisches Kalkül hinter der ganzen Angelegenheit stecken.”
Sie nickt nachdenklich - diesmal habe ich ihr wohl neue Ideen vermittelt. Das ist das Schöne an unseren Gesprächen: jeder von uns sieht die Dinge aus einem anderen Blickwinkel, und gemeinsam durchschauen wir unglaublich viele der Schachzüge, die von der Nobleza geplant sind.
Die Nobleza. Meine Stimmung verdüstert sich ein wenig, wie immer, wenn ich daran denke. Es ist eine Schande, in die Rescendientes hineingeboren worden zu sein! Wie viel mehr verstehe ich von der Hauptstadtpolitik, sogar der Politik des Fürstentums, als so mancher überhebliche Angehörige der Nobleza! Und dennoch wird mir die Chance meist verwehrt, Entscheidungen mitzufällen, Kontrolle über die Politik zu haben, die unser aller Leben hier in Almada mitbestimmt. Genau wie Luciana, die dasselbe Schicksal teilt. Was wir erreichen könnten, wenn wir unsere Fähigkeiten verknüpfen würden … aber das würde uns immer noch keinen Platz in der Nobleza sichern. In diese Familien gelangt man nur durch Travia- oder wenigstens Rahjabünde, und meine Eltern hatten keinerlei Interesse daran, unseren sozialen Status zu verbessern. Dankbar sollte ich sein, dass wir von Kaiser Hal damals in den neuen, verdienten Adelsstand erhoben worden waren!
Ich schnaube verächtlich, als ich daran denke. Wie kann man nur so kurzsichtig sein! Ihr recht früher Tod hat sie meinen Plänen aus dem Weg geräumt, was ich nicht bedaure. Die Pferdezucht, die ich geerbt habe, habe ich seitdem möglichst klug ausgebaut und die Qualität der Pferde stark erhöht, was mir auch vor Kurzem Zugang zum Kaiserlichen Marstall ermöglichte. Die hier anwesenden Damen der Nobleza sind aber allesamt bereits in einem Bunde versprochen oder stammen aus Familien, deren Zugehörigkeit zur Nobleza völlig unverständlich ist. Eine solche Verbindung würde mich nicht voranbringen.
Luciana hingegen ist scharfsinnig, klug und sogar schön. Leider würde sich an meinem sozialen Status nichts ändern, wenn ich mit ihr einen Bund einginge. Bedauerlich. Aber als Gesprächspartnerin ist sie außerordentlich stimulierend, und ich genieße die Zusammentreffen mit ihr. Vermutlich ist auch sie auf der Suche nach einem passenden Partner - ihre Ambitionen sind eindeutig auch ein Aufstieg in die höheren Gesellschaftsschichten.
Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder ihr zu, da sie aufgehört hat, eines der edlen Kaiserlichen Pferde zu beobachten, das gerade von einem der Knechte zu den Ställen geführt werden sollte. Offenbar hatte das Tier daran kein Interesse, denn es zerrte an seinem Zügel und stieg auf, wobei es den unvorsichtigen Kerl mit einem Vorderhuf von den Beinen holte. Andere strömen herbei, um dem Tor zu helfen und das Tier einzufangen. Wir wenden uns uninteressiert ab und schlendern weiter.