7. Oktober 2019 - Mittagstruhe - Rubin Stufe 1
Drabble-Quintett (5x100 Wörter)
Manchmal erwischt es auch die ganz Harten.
Dieses unergründliche Gefühl von Melancholie, das auch einem eigentlich sehr pragmatisch veranlagten Mann die Kraft zum Handeln nimmt, seltsame Gedanken in seinen Kopf setzt und ihn ins Grübeln verfallen lässt.
Sonst steht er doch mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Es muss am Kamin liegen. Zum ersten Mal seit langem hat er mal wieder Feuer gemacht und in der Wohnung verströmt es immer diesen Charme von Nostalgie, von dieser innerlichen Wärme, die das Fleisch schwach werden lässt und den Geist trübt, bis der starke Wille einem Zustand einer ganz üblen Gefühlsduselei weicht.
Es wäre ja aber auch schöner, nicht allein in diesem Ambiente zu sitzen.
Damals hatte sich seine Charlotte gewünscht, den Kachelofen wieder in Betrieb zu nehmen. Und was die Frau sagte, war Gesetz - immerhin wollte er ein guter Ehemann sein. Mehrere Wochen hatte er herumgewerkelt, bis der alte Kamin wieder in Betrieb genommen werden konnte.
Wer heizt denn in der heutigen Zeit noch mit Holz? Es war mehr so eine romantische Sache mit diesem Ofen. Er ist kein Romantiker, noch nie gewesen. Hat die einst so oft besungene Liebe mit Taten ausgedrückt, nicht durch große Worte und alberne Situationen.
Und doch, irgendwie lässt ihn das leise Prasseln und Knacken der Flammen ganz bescheuert im Kopf werden. So lange ist es nun her. Noch immer vermisst er sie wie am ersten Tag. Dass sie alles zusammengehalten hat, ist ihm längst bewusst.
Trotzdem versucht er immer noch zu retten, was zu retten ist. Was ist ihm schon geblieben? Was ist übrig vom Glück der Familie, vom Ruhm der vergangenen Zeit? Der Sohn ist mittlerweile erwachsen, der macht sich in letzter Zeit rar. Eigentlich hatten sie immer ihre festen Termine zu gemeinsamen Aktivitäten, damit sie sich nicht ganz aus den Augen verlieren.
Doch vielleicht sollte er sich damit zufrieden geben, dass er jetzt halt einfach schon aus alldem heraus gewachsen ist. Ist ja auch einfacher so.
Mit einem kleinen Bub war damals er immer überfordert gewesen, das hat alles seine Charlotte geregelt. Jetzt kann man wenigstens normal miteinander reden, sich auf Augenhöhe befinden. Aber vielleicht redet er sich das alles auch gerade nur schön. Am Ende hat er versagt. Oft hat er seiner Charlotte versprochen, dass sie auf ewig zusammen sein würden. Nun sitzt er hier allein und sie ist weiß Gott wo. Sicherheit hat er versprochen, bei ihm wäre sie geborgen.
Beschützen können hat er sie nicht. Wie denn auch?
Letzten Endes war es ja doch wieder diese Krankheit. Diese verfluchte Krankheit, die wie ein dunkler Schatten über diesem Haus hängt, bis er es selbst nicht aushält. Sein eigener Vater ist ihr zum Opfer gefallen. Charlotte hat sie nicht überstanden. Fast hätte sie ihm auch den Sohn genommen und was dann? Nein, er sollte aufhören zu denken, bevor er den Verstand verliert. Er muss den Fernseher anmachen, ganz dringend.
Sonst wird er noch vollkommen weich im Kopf und dann wäre der Junge sicherlich verloren. Was würde der denn ohne ihn tun?