Inmitten von unzähligen zerknüllten Blatt Papier saß Janosch aufgelöst auf seinem Bett und verfluchte die gesamte Welt.
Fast schon verzweifelt riss er das aktuelle Blatt von seinem College-Block, auf dem gerademal drei halbgare Sätze standen, und ließ es seinen Platz zwischen seinen Artgenossen finden.
Es war zum Verzweifeln. Nichts, was er zustande brachte, war seiner Meinung nach gut genug, um zumindest auch nur ein einziges Wort weiter geschrieben zu werden - ganz egal, welche seiner tausend Ideen er auf Papier bringen wollte, keine erschien ihm plötzlich mehr gut genug. Dabei stand er überhaupt nicht unter Druck von außen, es handelte sich nicht um einen wichtigen Brief, nicht um einen Aufsatz für die Schule.
Er wollte einfach an einem seiner hundert im Kopf angefangenen Romane weiterschreiben - oder zumindest eine winzig kleine Kurzgeschichte zu Ende bringen. Eben noch hatte er doch einen ganzen rauchenden Kopf voller wunderbarer bunter Ideen gehabt. Warum hatte sich all diese Inspiration plötzlich in kleine dampfende Rauchwölkchen, in ein einziges graues Gedankengewirr verwandelt? Es war dermaßen frustrierend, dass er sich mit einem lauten Seufzen auf die Matratze fallen ließ und für einen Moment die Augen schloss.
Er wollte schreiben. Er hatte so dermaßen Lust darauf, aber über all das Planen, Warten, Nachdenken und über all die Inspiration und Vorfreude hatte er das eigentliche Schreiben längst verlernt. Wann hatte er das letzte Mal etwas geschrieben, mit dem er zufrieden gewesen war?
Klar, in seinem neusten Textrollenspiel hatte er etwa 6000 Wörter allein für den Steckbrief seines Hauptcharakters aufgebracht und es war wahrhaftig ein Meisterwerk geworden. Der erste Post betrug ebenfalls knapp 2000 Wörter, aber seine Partnerin antwortete nun nicht, die anderen RPGs lagen so gut wie brach oder er hatte für diese keine Ideen. Es war wie immer. Flaute im Kopf.
Wie so oft hatte er mal wieder beschlossen, dass Rollenspiele vergeudete Zeit waren und dass er endlich eines seiner lang geplanten eigenen Projekte für sich ganz allein umsetzen sollte. Aber wie, wenn man vor dem leeren, weißen Blatt Papier saß und einem kein einziger klarer Gedanke mehr kommen wollte? Janosch stöhnte genervt und rappelte sich wieder auf, um im Zimmer auf und ab zu gehen.
„Immer nur Theorie, Theorie, Theorie“, schimpfte er sich selbst aus, „Wofür plottest und planst du eigentlich die ganze Zeit, wenn du es dann nicht umsetzt? Wieso kannst du nicht einmal an einer Idee dranbleiben, wieso fängst du immer etwas Neues an? Wieso verschwendest du deine kreativen Energien an Rollenspiele, an Charakterkonzepte, an Stichpunkte auf einem Notizblock, statt einfach ein paar Sätze aufzuschreiben?“
Frustriert kratzte er sich am Kopf und setzte sich abermals an seinen Block. Er nahm den Stift in die Hand, versuchte die Kreativität und die Ideen durch den Füllfederhalter in seine Finger, seinen Arm und schließlich seinen Kopf fließen zu lassen. Er setzte die Feder an und begann, ganz langsam ein paar verschnörkelte Buchstaben zu malen. Die gefielen ihm aber auch nicht und so riss er dieses Blatt natürlich wieder aus, zerknüllte es und warf es knapp am Papierkorb vorbei.
Es war zum Mäuse melken. Und er hasste diese Formulierung! Drachen, Werwölfe, Raumschiffe, Nachkriegsszenarien, Steamfantasy, historische Dystopien, ja, sogar eine einen romantischen Krimi hatte er schon in Erwägung gezogen und mehr. Immer schien eine neue Idee so verlockend, aber nach einigen Stunden oder Tagen drängte sich die nächste auf, die so viel besser erschien, alles wurde wieder über den Haufen geworfen und das war’s dann gewesen.
Nun allerdings schaffte er nicht einmal mehr, diese Tradition fortzusetzen. Er malte Kreise und Sterne auf den Rand des Blattes und schrieb in seiner hässlichsten Schrift: „Ich bin dumm. Wie findet man Inspiration? Wo ist meine Kreativität hin? Lebt denn der alte Holzmichel noch? Und was ist mit Tee?“
Dann riss er das Papier wieder aus dem Block und schrieb auf das nächste in großen hübschen Buchstaben: „Ideen“.
Darunter kritzelte er - nicht mehr ganz so schön - ein paar Stichpunkte und Schlagworte. Das gefiel ihm ziemlich schnell auch schon wieder nicht mehr und so landete das Blatt bei den anderen.
„17.07.2016“ schrieb er auf das nächste Blatt und ärgerte sich, dass es nicht ein Jahr später war.
„Mind Map“ auf das übernächste und es blieb so leer wie sein Kopf.
Er kritzelte ein paar Wolken und Kreise hin, aber letzten Endes hatte er schon gar keine richtige Lust mehr, überhaupt zu schreiben.
„Das Schreiben ist eine brot- und freudenlose Kunst!“, jammerte er sein allerletztes leeres Blatt Papier im Block an, „Ich werde niemals ein Buch veröffentlichen! Ich bin dazu verdammt, bis an mein Lebensende zu verzweifeln! Oh liebe Muse, küss mich doch!“
Schon kurz davor, den Kopf gegen die Wand zu schlagen, gab er schließlich auf - wie so oft davor schon, nur eine Endgültigkeit fehlte dieser Kapitulation glücklicherweise noch. Vielleicht würde es ja morgen klappen. Dann wenn er eigentlich gar keine Zeit mehr zum Schreiben hatte, ging es vermutlich wieder wie am Schnürchen. Er legte Stift und Block zur Seite und begann damit, die Papierbällchen aufzusammeln und den Papierkorb damit zu füllen. Dieser war eben doch der beste Freund des Schriftstellers!