Ich mag den Sommer.
Im Sommer kann man barfuß im Regen tanzen, ohne sich zu erkälten.
Man kann immer draußen sein und muss nicht drei Lagen Kleidung übereinander ziehen. Man kann länger weg bleiben, weil es nicht so früh dunkel wird und man kann Eis essen gehen, wenn man ein bisschen Taschengeld übrig hat.
Man ist einfach immer viel freier im Sommer.
Vor allem mag ich den Sommer allerdings, weil da Ferien sind.
Sechs Wochen lang Zeit für alles, was man nicht machen kann, wenn man in die Schule gehen muss. Und für alles, wofür die anderen Ferien zu kurz sind.
Früher habe ich immer gedacht, man ist ein Jahr älter, wenn man Geburtstag gehabt hat. Mittlerweile denke ich allerdings eher, dass man erst nach den Sommerferien älter wird, wenn man so viel erlebt hat, dass man hinterher reifer und erwachsener ist.
Ich mag den Sommer. Vor allem, weil wir da immer ins Ferienlager fahren.
In diesen zwei Wochen passiert meist noch mehr, als in den restlichen vier Wochen Ferien. Und es liegen immerhin noch dreizehn Tage vor uns, wenn man den Ankunftstag heute und den Abreisetag am Schluss wegrechnet.
Dreizehn Tage, in denen so viel passieren kann.
In den Ferien lernt man viel mehr als in der Schule.
Man lernt für’s Leben.
Man lernt, erwachsen und selbstständig zu werden.
Und das mag ich am Sommer.
***
Es hat 32°C im Schatten. In der Sonne hält man es heute nicht aus.
Manche liegen auf einer Decke im Gras, andere sind mit Laurus am See und baden. Die Kleinen bauen mit Mark einen Damm im Fluss, Jacqueline und Felicitas sind in Richtung Dorf verschwunden.
Adrian und ich sind mit dem Fahrrad in den Wald gefahren.
Einfach so. Ich hab ihn gefragt, ob er mitkommt, und er hat „Ja“ gesagt.
Ohne nach dem Grund zu fragen.
Ich bin glücklich.
Wir sind zu meinem Lieblingsplatz gefahren, hier ist es schattig und man kann auf einer Wiese am Flussufer liegen. Man hört nur das Rauschen des Wassers und das Zwitschern der Vögel. Als wir losgefahren sind, hatte ich Angst vor der Stille. Dass wir uns nichts zu sagen haben. Dass ein peinliches Schweigen zwischen uns entsteht und wir uns beide unwohl fühlen.
Aber die Stille ist schön. Es ist gemütlich.
Wir liegen im Gras und ich schaue mir die Blätter der Bäume von unten an. Vorsichtig schaue ich zu Adrian hinüber, er hat die Arme unter dem Kopf verschränkt und die Augen geschlossen. Er ist schön. Wäre es nicht schon längst passiert, würde ich mich genau in diesem Augenblick in ihn verlieben.
Aber vielleicht tue ich das gerade nochmal auf’s Neue.
Ich schaue ihn lange an, wie er da so liegt und beobachte jedes kleinste Zucken seiner Wimpern. Als er die Augen aufschlägt, schaue ich schnell weg und konzentriere mich wieder auf meine Bäume.
Er setzt sich auf und schaut mich an, bevor er mich spielerisch in die Seite piekt.
„Wie findest du Mark?“, fragt er ganz nebenbei und ich schaue ihn kurz verwundert an. Wie kommt er denn jetzt auf Mark? Mark ist doch sein bester Freund.
„Ich mag ihn.“, antworte ich wahrheitsgemäß, „Er ist lieb und lustig.“
„Ja, das ist er…“, stimmt mir Adrian zu, wirkt aber irgendwie verunsichert. Er schaut mich nicht mehr an, sondern zupft an einem Grashalm herum. Dann sieht er wieder zu mir und fragt: „Bist du in ihn verliebt?“
Ich schüttele vehement den Kopf: „Ach Quatsch. Er ist super in Ordnung, aber verliebt bin ich nicht. Er ist eher so wie ein Kumpel.“
Ein schiefes Lächeln schleicht sich auf Adrians Lippen, „Und Kevin?“
„Pff…“, mache ich, „Kevin ist ein Idiot!“
Adrian lacht und stimmt mir zu: „Aber ein riesengroßer!“
Schließlich fasse ich mir ein Herz: „Wie findest du Felicitas?“, frage ich ihn, wenn wir schon mal dabei sind.
Adrian verdreht die Augen: „Die ist mir zu übertrieben. Sie hält sich für was Besseres.“
Ich werde rot und schaue kurz wieder auf meine Bäume, „Und Lila?“
„Lila ist süß“, sagt Adrian und ich spüre, wie mein Herz einen kurzen Augenblick stehen bleibt.
„Bist du in Lila verliebt?“, flüstere ich leise und unsicher, aber Adrian empört sich: „Nein! Sie ist wie meine kleine Schwester. Sie ist doch noch viel zu jung!“
„Und Jacqueline?“, frage ich weiter. Adrian verzieht den Mund, „Früher fand ich sie ganz okay, aber Felicitas hat sie irgendwie angesteckt mit ihrer Hochnäsigkeit.“
„Und wie findest du mich?“, fragt Adrian schließlich und ich schaue ihn verwirrt an. Dann grinse ich von einem Ohr zum anderen.
„Total bescheuert!“, sage ich und piekse ihn in die Seite.
„Hey!“, er piekst mich zurück, aber das lasse ich mir nicht gefallen und nach einer Weile hin und her tragen wir einen ausgewachsenen Kampf aus Pieksen, Schubsen und Kitzeln aus, bei dem er nach einer Weile lachend auf dem Rücken liegt, ich über ihn drüber gebeugt.
Ich lasse mich zufrieden neben ihn ins Gras fallen und grinse vor mich hin: „Ich hab gewonnen.“
Er streckt mir die Zunge raus: „Von mir aus!“
Kurz müssen wir verschnaufen vor lauter Lachen, aber dann frage ich: „Und… wie findest du mich?“
„Total bescheuert!“, antwortet er und nimmt meine Hand in seine.