Wort: Köder
Sie aß etwas Kleines aus ihrem Rucksack. Es war nun sieben Uhr abends und sah, wie die Sonne am Horizont verschwand. Was würden die nächsten Tage bringen? Sie freute sich richtig auf den neuen Job. Sie hatte sich freiwillig für diesen Job in der Fremde gemeldet. Ein Köder war nicht nötig gewesen!
Was danach passierte, weiß niemand so genau. Oma kramte drei Schriftstücke hervor. Sie sagte traurig: „Ich werde dir ein Telegramm vorlesen.“ Ich blickte auf das vergilbte Stück Papier und die Wörter, die darauf in Großbuchstaben aufgeklebt waren.
Sie las mit trauriger Stimme und einiger Emotion vor:
„PROFONDE DESOLATION.
TRAVERSEE EPOUVANTABLE.
PONT BALAYE NUIT SUBITEMENT.
FANNY DISPARUE.
LETTRE SUIT.
PREVENEZ JEAN „NAME“.
LE CAPITAINE.
Für euch liebe Leserinnen und Leser nachstehend die Übersetzung:
Große Verzweiflung. Schreckliche Überfahrt. Schiffsbrücke überschwemmt Nacht. Plötzlich. Fanny verschwunden. Brief folgt. Informiert Jean XXXX.
Der Kapitän.
Als meine Eltern dieses Telegramm erhielten, waren sie tagelang erschüttert. Meine älteste Schwester reiste sofort nach Marseille, um bei der Reederei mehr zu erfahren.
Ein paar Tage später erhielt sie von der Reederei einen Brief, der sich für den Besuch bedankte und den Brief des Kapitäns an die Reederei zur Kenntnisnahme beilegte. Diesen würde ich dir vorlesen:
(der Text, Übersetzung:
Paris, 4. Oktober 1926
An den Direktor der Reederei Transatlantique
Herr Direktor!
Ich habe die Ehre, sie darüber zu informieren, dass auf der Überfahrt von Marseille nach Tunis das Schiff Grevy in tragische Ereignisse involviert wurde. In der Folge ist davon auszugehen, dass eine Reisende, Fanny XXXX, der vierten Klasse verschollen ist.
Das Schiff verließ Marseille am 29. September pünktlich um 12 Uhr. Der Mistral war lau und und machte sich erst gegen 15 Uhr mit ansteigender Windstärke bemerkbar. Die Wellen waren klein und zeigten keinen Anlass zur Sorge.
Alle Passagiere lagen auf Liegestühlen oder auf Matratzen im Parkhaus. Gegen 21.15 Uhr, wir hatten gerade den zweiten Essensservice in der ersten und zweiten Klasse beendet, als zwei aufeinanderfolgende Schocks die Rückseite des Schiffes erschütterten. Es war eine echte Überraschung für alle.
Das Meerwasser bedeckte die dort sitzenden Passagiere vollständig. Gleichzeitig drang Wasser in das Parkhaus und wirbelte Matratzen und Pakete durcheinander. Mehrere Passagiere fielen um und stürzten unglücklich auf andere. Die Besatzung half so gut es ging.
Dieses Chaos wurde durch zwei Wellen, mit einem großen Überraschungsmoment ausgelöst. Das Ganze hat kaum länger als 10 Sekunden gedauert. Dies blieben die einzigen Wellen. Die restliche Fahrt verlief planmäßig. Wir waren sehr beschäftigt mit der Versorgung von 12 Verletzten und der Versorgung von 30 weiteren komplett durchnässten und durchfrorenen Passagieren.
Eine Passagierin der ersten Klasse verstauchte sich beide Handgelenke. Unsere beiden Bordärzte haben sich mit grossem Eifer, um unsere Passagiere bis zum Sonnenaufgang gekümmert. Warme Getränke, Decken und vieles mehr stand zur Verfügung der Passagiere.
Am nächsten Tag stellten wir fest, dass Fanny XXX fehlte. Wir haben das ganze Schiff durchsucht. Es macht den Anschein, dass Fanny von einer der Wellen weggespült wurde.
An dieser Stelle möchte ich nochmals erwähnen, dass meine Schiffsoffiziere und die Besatzung einen unermüdlichen Einsatz in dieser Nacht geleistet haben.
Grußformel und Unterschrift des Kapitäns
Dieser Aufbruch in ein Abenteuer endete für meine Schwester in einem Desaster.
Ein solches Ende war nicht vorhersehbar. Niemand kennt schlussendlich seine Todesstunde. Wohl besser so!
Darauf fand eine Begräbniszeremonie statt, die eine ganz besonders traurige war, da das Schicksal von Fanny nicht restlos abgeklärt war. So ist letztendlich dieser schöne Ring auf dem Meeresboden. Und wenn das Meer so glitzert, denke ich, dass es Fanny ist, die uns etwas mitteilen will.“
ENDE