(60 Minutes 13.9. 2020 21:20 Uhr bis 22: 18 Uhr Prompt: Kastanien)
Meinapfel & Meinapfel
Rechtsanwälte
Fachanwälte für Märchenrecht
Vera Dementia ./. Gulo Lukas Hänsel & Gretel Sorgtfürihn
Hohes Gericht, verehrter Kronanwalt des Reiches,
namens und im Auftrag meiner Mandantin Vera Dementia beantrage ich die Aufnahme des Verfahrens gegen Gulo Lukas Hänsel wegen Mundraubs, Verleumdung, Betrugs, Körperverletzung und versuchten Mordes, sowie gegen seine Schwester Gretel Sorgtfürihn wegen Mittäterschaft in allen Fällen und Vortäuschung einer Straftat.
Des Weiteren beantrage ich die Wiederherstellung des Rufes meiner Nebenklägerin Hiltrud Abgeweint, der Mutter der oben stehenden beiden Halbwüchsigen.
Ich nehme Bezug auf die Ausführungen der Gegenseite, respektive der Jugendlichen:
Im Sommer des Jahres 1264 soll Herr Paul Schluffen, Vater der Jugendlichen, auf Betreiben seiner Gemahlin Frau H. Abgeweint besagtes Geschwisterpaar im Wald ausgesetzt haben, vorgeblich, weil sie es sich nicht leisten konnten, diese weiterhin zu ernähren. Der erste Versuch, Besagte abzuschütteln, scheiterte an der Intelligenz beider Kinder, da sie es vermochten, den Pfad zurück ins heimische Bungalow mit Brotkrumen zu markieren.
Der zweite Versuch jedoch war angeblich erfolgreich, sodass Gretel Sorgtfürihn zu Protokoll gibt, sie seien hungernd und frierend durch den Wald geirrt, bis sie auf eine Hütte stießen, die aus Gebäck gebaut wäre. Dort wären sie von einer niederträchtigen alten Frau, hier Vera Dementia, in die Hütte gelockt und in einem Käfig zwecks Mästung deponiert worden, da die Beklagte beabsichtige, sich künftig von ihnen im Sinne des Kannibalismus zu ernähren.
Vermittels eines Tricks sei ihnen die Flucht gelungen und sie haben in Notwehr von dem Ofen dahin gehend Gebrauch gemacht, sich der bösartigen Alten zu entledigen.
Meine Mandantin Vera Dementia entging dem Tode durch Verbrennung nur unter Zuhilfenahme diverser Zaubersprüche, derer sie sich nur schwer erinnerte, weshalb es zu zwei Fehlverwandlungen gekommen war, die sie temporär in eine Ameise und hiernach in einen Wolf verwandelten, der sich den Schuss eines Jägers eingefangen hatte.
Im Namen meiner Mandanten Vera Dementia und H. Abgeweint als Nebenklägerin widerlege ich unter Beibringung von Zeugen den Sachverhalt wie folgt:
Es ist richtig, dass H. Abgeweint als fürsorgliche Mutter an ihre Grenzen geriet, nachdem ihr Sohn Gulo Lukas Hänsel vielfach unter den Einfluss falscher Freunde zu Drogen gegriffen hatte, die seinen Appetit anregten, sodass er des Essens nicht mehr müde wurde.
Unrichtig ist die von ihm behauptete Armut der Familie.
Als selbständiger Steinmetz verfügt P.Schluffen über überdurchschnittliche Einkünfte und kann es sich erlauben, seine Gemahlin nicht am Zugewinn des Wohlstandes der Familie mitwirken zu lassen.
Die Finanzierung der zahllosen Lebensmittel war in Zusammenhang mit Hänsels Drogenkonsum, bevorzugt Süßwaren, weniger das Problem, als die Beschaffung, alldieweil die Familie 70 Kilometer vom nächsten Markt entfernt wohnt und der Weg mit einem vollbeladenen Fuhrwerk mehr als einen Tag dauert. Nachdem die Hausherrin wegen von ihrem Sohn geplünderten Vorräten mehrmals in die beschämende Lage geriet, eingeladene Gäste nicht bewirten zu können, zahllose Bitten und Flehen an den Sohn ungehört verhallten, entschied sie, auch zum Wohl des Kindes, seine Abhängigkeit nicht weiter zu unterstützen.
Der nächtliche Raub von drei geschossenen Hasen, einem Kilo Burgunderpralinen, sowie einer Packung Esspapier und einer Großpackung sauren Weingummis bestärkte sie in ihrem Vorgehen, das ihr selbstverständlich das Herz bracht. Sie gibt an, nach der Wegschaffung des Sohnes gelitten zu haben, auch, weil sich seine Zwillingsschwester Gretel als ihm hörig entpuppte und darauf bestand, ihn zu begleiten.
H. Abgeweint gibt an, viel geweint zu haben.
Nach eingehender Befragung und Konfrontation mit Zeugenaussagen (Anlage A) über die nun folgenden Vorfälle räumt Gretel Sorgtfürihn ein, direkten Weges die Lichtung aufgesucht zu haben, auf dem bekanntermaßen der Kastanienverkäufer Sergio Marone seinen Verkaufsstand gepachtet hat.
Gemäß Herrn Marones Aussage habe er nichtsahnend hinter der Heizplatte mit seinen gebrannten Maronen gestanden, als ein geifernder junger Mann mit erweiterten Pupillen, dicht gefolgt von einer panischen jungen Frau, mit einem Holzknüppel auf ihn zuraste, ihm damit die Nase zertrümmerte und alle Maronen auf aß. Auf der Suche nach weiteren, noch rohen Maronen habe G. L.Hänsel den Verkaufsstand zu Kleinholz verarbeitet, das im Nachgang der Ereignisse vom Holzhändler H. Itzholz zu einem lächerlichen Kaufpreis erworben worden sei.
Zu Beginn der Ereignisse, die in den versuchten Mord meiner Mandantin mündeten, erwies sich Gretel Sorgtfürihn als umsichtig genug, den stadtbekannten Notarzt Tolf Gurbo II. vermittels einer Brieftaube über den verletzten Maronenhändler zu informieren.
Später jedoch geriet sie vollends unter den Einfluss ihres Bruders. Sie beteuert ab diesem Vorfall nur beschwichtigend hinter G.L. Hänsel her gestolpert zu sein, um Schaden von ihm und anderen abzuwenden, räumt jedoch ein, beim Knusperhäuschen gescheitert zu sein, das sich ihnen hinter dem dichten Fichtenwald auf einer Lichtung offenbarte. Seibernd und mit ausgestreckten Armen soll G.L.Hänsel auf das Hau s so rasch zugewankt sein, dass seine Schwester den Verzehr dreier Lebkuchen- Dachschindeln und des Marzipantürgriffs nicht unterbinden konnte.
Meine Mandantin Vera Dementia zeigte sich ob des Lärms und der Kaugeräusche verwirrt und öffnete die Tür, jedoch ohne das Telefonat mit ihrer Enkelin Befana, wohnhaft in Salerno/Kampanien zu beenden.
Ich verweise auf die Aussage Anlage B/ Befana, wonach meine Mandantin zuerst höflich, dann energisch darum gebeten habe, den Verzehr ihres Wohnraumes einzustellen.
Den beiden Beschuldigten entging der Zustand fortgeschrittener Verwirrung meiner Mandantin nicht.
Ich verweise auf das Gutachten des Dr. Comotio Cerebris/ Neurologie, der Besagten eine angeborene Hirnleistungsminderung bescheinigt, die zu permanenter Verträumtheit und Absenzen im Alltag führt. Beides nicht dazu angetan, böswillige Absichten rechtzeitig, wenn überhaupt zu erkennen.
Die nur scheinbar naive und um das Wohlergehen ihres geliebten Bruders bedachte Gretel erkannte das Potential rasch, insbesondere, weil sie Zeugin des ausgehenden Telefonates Dementias mit ihrer Enkelin Befana geworden war. Zu ihrer Belastung reifte in ihr ein Plan, den sie mit ihrem dauerverwirrten Bruder teilte, den sie dazu verdonnerte, schweigend hinter einer Fichte zu warten, bis sie ihren perfiden Plan ausgeführt habe.
Gretel Sorgtfürihn klopfte nach einer Stunde Wartezeit an die Tür, die, weil sie angefressen, war, bei Öffnung in sich zusammen stürzte. Unter Verwendung mehrfacher liebreizender Augenaufschläge gab sich Gretel als Befana aus und behauptete, zu verhungern. Ungeachtet des eher dicklichen Äußeren Gretels ließ V. Dementia die vermeintliche Enkelin ein, setzte sie auf einen weichen Sessel und kramte nach einem überdimensionierten Mehlsack, den sie eilends mit Süßwaren füllte. Das Fehlen eines Besens zur Fortbewegung verwunderte die Geschädigte nicht, da ihre Enkelin dafür bekannt war, ihre Cabrio-Sportmodelle mit 400 PS regelmäßig zu Schrott zu fliegen. Wohl aber verwundert war der unter chronischen Flatulenzen leidende Kater Blasting Bob der Geschädigten, der sich in der Folge damit abmühte, Hilfe herbeizuholen. (Anlage C)
Lukas G. Hänsel, der sich im anliegenden Fichtenwald neue Drogen zugeführt hatte, die seine Apetittzügelung weiter herabsetzten, erwies sich als des Wartens unfähig und stürmte während des Betruges das Knusperhäuschen der Geschädigten. Er stürzte sich auf den noch in ihren Händen befindlichen Sack. Im nun folgenden Handgemenge wurde der Geschädigten der Sack übergestülpt. Gretel, die panisch daneben gestanden habe, gibt an, besorgt wegen einer möglichen Anzeige von Seiten der Alten gewesen zu sein. Gemeinschaftlich beschloss man, diese, ohnehin vom Sack halbwegs außer Gefecht gesetzt, in ihrem offen stehenden Ofen vorerst zu deponieren. Der Plan, sie als Zeugin des Betruges und der Sachbeschädigung zu beseitigen, wurde anderntags von ihrem Bruder gefasst.
Gemäß Aussage des Katers Blasting Bob war es ihm unterdessen gelungen, Hilfe herbeizurufen. An der Telefonzelle des nächsten Kreuzweges habe er sich 50 Cent von dem Kaninchen K. Lopfer geschnurrt und Befana angerufen.
Befana gibt an, schnell konstatiert zu haben, unmöglich zur rechtzeitigen Rettung ihrer Oma im Burgenland sein zu können. Zumal ihr Besen in der Werkstatt des Mechanikers Bruno Carozzerio des neuen Motors harrte. Jedoch gelang es ihr, ihren im Burgenland lebenden Verlobten Howden Lukas telepathisch zu erreichen, der ihr versprach, sich um die Angelegenheit zu kümmern.
Howden Lukas gibt zu Protokoll, auf dem Weg zum Knusperhäuschen auf den bandagierten Maronenhändler Sergio Marone getroffen zu sein, der ausgerüstet mit einem Sack Kastanien und einer Schleuder unterwegs war, seine Peiniger zu finden. Gemeinsam erreichten sie das bereits zur Hälfte vertilgte Haus erst, nachdem sich Vera Dementia mehrere Male versehentlich der falschen Zaubersprüche bedient hatte, und nun als Wolf angeschossen unter einer Tanne heulte.
Sergio Marone und Howden Lukas befreiten das Haus von G.L. Hänsel, der sich gerade die östliche Hauswand aus Bourbon-Vanille-Schokolade zu Gemüte führte, indem zuerst Sergio mehrere Kastanien, geschickt gezielt auf den Kopf des Täters, mittels einer Schleuder abfeuerte. Hiernach machte sich Howden mit seinem Hammer an die Aufgabe, das Wiederaufstehen desselben zu verhindern, indem er ihn mit mäßiger Kraft an der Schulter verletzte. Konkret: Howden Lukas haute Lukas Hänsel. Keuchend sackte der Beklagte zusammen und erbrach sich.
Seine Schwester Gretel wurde zunächst nicht gefunden. Howden Lukas informierte den Hexenrettungsdienst, um seine künftige Schwiegeroma versorgt zu wissen. Hiernach informierte er die Hexengilde, die besen-zauberspruchbewehrte Straßensperren im gesamten Burgenland errichteten.
Sergio Marone erklärte sich bereit, auf das Herannahen der winselnden Rettungsbesen zu warten und den gefesselten Hänsel zu bewachen.
Howden Lukas stellte Gretel selbst kurze zeit danach. Die Beschuldigte trug die Bekleidung Rotkäppchens, das nackt und gefesselt neben einem des Weins und Schinkens beraubten Weidenkorbs am Ufer des Baches „Verdammt kalt“ gelegen habe.
Abschließend erlaube ich mir folgende Anträge:
Verfahren gegen Gulo Lukas Hänsel wie oben stehend wegen Mundraubs gem. § 26 Abs. 1 MäStrGB, sowie
Verleumdung gem. §99 Abs.2. MäStrGB
Betruges gem. §12 Abs 5 MäStrGB
Schwerer Körperverletzung gem. §33 Abs 8 MäStrGB
und versuchten Mordes gem. §1 Abs.1 MäStrGB
Verfahren gegen Gretel Sorgfürihn wegen Beihilfe zu oben genannten Straftaten gem. §54 MäStrGB, sowie schweren Betruges (Enkeltrick) an Vera Dementis gem. §49 MäStrGB
In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
C. Meinapfel
-Fachanwältin für Märchenrecht-