Der Saal leerte sich. Nun waren noch dreissig Seelen da. Dann zwanzig und wenig später zehn. Und dann war ich alleine. Ganz alleine in diesem riesigen Saal. Es war beängstigend. Und ich wusste als einziger hier, dass die vielen Seelen nur noch Dampf waren, und bald würden sie nichts mehr sein.
Schon auf der Erde ist ein Menschenleben nichts im Vergleich zur Menschheitsgeschichte. Wenn man die Geschichte des Universums auf einem Jahr darstellt, dann kommen die Menschen eine Sekunde vor Neujahr ins Spiel und richten Chaos, Klimawandel und Verwüstung aus. Und ein Menschenleben ist nicht besonders viel wert. Und hier war es auch nicht viel anders. Meine Illusionen über eine heile Welt lösten sich in Dampf auf.
Das Gesichtshologramm machte sich mit blinken und wilden Farbmustern bemerkbar. Vermutlich wollte es mir etwas sagen. Aber was! Ich näherte mich und dann blinkte es und sprach mit mir: „007, übermorgen um 11 Uhr im Plenumssaal!“
Ich war den Tränen nahe. Dies verhieß nichts Gutes. Es blieben mir ein Tag, an dem ich meine Gedanken sammeln konnte. Ich fühlte mich unglücklich, eine Art Schwermut überfiel mich. Das Gefühl, fast weinen zu müssen. Ich rechnete mit dem Schlimmsten. Ein Schicksal als Dampfwolke war nicht gerade etwas Erbauliches. Aber positiv Denken. Abwarten und Tee trinken, war die Devise. Das Stichwort gefiel mehr. Obwohl wir Seelen nicht viel trinken müssen, aber dies geht erstaunlicherweise doch zwischendurch. Aber zuerst brauchte ich Energie. Bitte lacht jetzt nicht! Ja, ich muss in den Eimer oder Topf, nennt es, wie ihr wollt. Der Witz ist ausgelatscht, mittlerweile. Es ist einfach eine Notwendigkeit. Ihr Menschen geht einfach ins Bett und dann hofft ihr auf erholsamen Schlaf!
Ich war einer der letzten Seelen, die den Raum mit den Töpfen erreichte. Und man merkte, dass doch über 100 Seelen weniger da waren. Ohne Probleme fand ich einen freien Topf. Einfach regenerieren, waren meine letzten Gedanken. Ich sprang in den Topf und las in roten Ziffern meinen Ladezustand. Ich erschrak ein Prozent. Dies war ja katastrophal. Bei 0 % zerfällt man einfach oder ähnlich.
Die Nacht war ruhig. Am nächsten Morgen wachte ich früh auf und las meine Ladeanzeige. Immerhin 40 %. Wow, dies war wirklich erholsam gewesen und ich spürte, dass ich deutlich mehr Kräfte hatte. Der letzte Tag vor dem Urteil oder besser gesagt vor dem Plenumssaal.
Ich motivierte mich dazu weiterzumachen mit meinem Studium. Die neue Lektion war über Psychopathen in Führungspositionen. Interessant! Ich las gerade, dass in Führungspositionen viele Psychopathen waren. Je höher, desto häufiger. Das waren Menschen, die Macht ausüben wollten. Die an der Spitze eines Weltkonzerns sein wollten mit Milliardenumsatz und mit 50‘000 Mitarbeitern oder gar über 100‘000 Mitarbeiter.
Was war die Motivation 10 bis 14 Stunden Tage zu absolvieren und ein Millionensalär nach Hause zu tragen. Wenn ich das Endresultat anschaue, also mich und anscheinend gehöre ich zu den Glücklichen, ist es sehr ernüchternd. Dies würde eine schwierige Lektion sein. Ich ahnte es. Ich fing schon wieder an zu grübeln und war einfach zu nervös. Meine Gedanken und Ideen waren nicht bei der Sache.
Ich entschied mich, meinem Chef einen kleinen Besuch abzustatten. Er kam gerade aus dem Büro heraus und schien gut gelaunt. „Ach komm rein. Ich habe dich erwartet! Heute ist ein besonderer Tag, es ist Valentinstag. Du wolltest doch gestern Tee trinken!Ich erschrak und meine Gedanken rasten: „Gedankenleser! Valentinstag, Gedenktag eines Märtyrers, würde ich auch ein Märtyrer werden? Das würde sich morgen erweisen!“ Ich betrat das Büro und auf dem Tisch war eine schöne rote Teekanne mit einem geschwungenen Ausgießer. Die rote Farbe der Liebe und zwei rote Tassen.
Ich beruhigte mich. Der Tee war bekömmlich und das Gespräch war interessant und er ermunterte mich mit den Worten: „Es wird nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Die Dinge sind nicht so schlimm wie sie aussehen. Und wenn es zum Schlimmsten kommt, werde ich mich einsetzen für dich! Trink doch noch eine Tasse Grüntee!“