Der Abend war somit gelaufen. Aber immerhin war Harry jetzt nicht mehr im Mittelpunkt. Dafür war er aber indirekt daran schuld, dass Ron und Hermine Streit hatten. Eigentlich hätte er dazwischen gehen müssen, aber er tat es nicht. Er schwieg und hörte stillschweigend dabei zu, wie die beiden sich gemeine Sachen an den Kopf warfen, während seine Gedanken dem Slytherin nachhingen. Wie immer. Aber im ernst? Was sollte er schon machen. Vor dem zweiten Halbjahr würde er Draco nicht wiedersehen und genau, das machte ihn fertig.
„Harry... es tut-"
„Sags nicht!"
Harry hob seinen Blick und sah in ihre braunen Augen. „Du kannst wirklich nichts dafür. Es ist meine Schuld!"
„Ja, es ist deine Schuld! Schön, dass du das auch mal bemerkst und deinen Mund aufbekommst. Warum zur Hölle hast du mir nichts erzählt?!"
„Weil du damit offenbar nicht umgehen kannst. Du bist in dein eigenes Urteil so verbissen, dass du nicht einmal mehr Hermine zuhörst", entgegnete Harry nun lauter als beabsichtigt. Aber es regte ihn auf, es regte ihn einfach auf, dass Ron nie zuhören konnte und immer seinem Urteil vertraute, egal, wie es seinem Umfeld damit gehen würde.
Ärgerlich lag sein Blick auf Harry, beinahe vernichtend, aber er sagte nichts mehr. Minuten starrten sich beide Jungs einfach nur wütend an, dann räusperte Ron sich. „Und du vertraust ihm wirklich...", hackte er unsicher nach.
„Ja, verdammt! Ich spüre, wenn jemand lügt oder Böses im Sinn hat. Aber Draco hat mich um Hilfe angefleht. Außerdem... sind wir mal ehrlich... letztes Halbjahr sah er mit jedem Tag schlechter aus. Dünner, blasser und einfach nicht gesund!"
„Schon..."
„Siehst du! Und weißt du warum? Weil es ihn innerlich auffrisst. Vielleicht ist er kein Engel und ja... vielleicht ist er ein Arschloch. Aber er ist kein Mörder!"
Er blickte eisern in Rons Augen und sah, dass sein Mund sich öffnete, er wollte widersprechen. „Er hat recht, Ron!"
„Danke, Mine", seufzte Harry und lehnte sich zurück.
„Na gut, meinetwegen", brummte Ron. „Ist mir egal, solange ich mit ihm nicht auf Best Friends machen muss."
Harrys Blick glitt von Ron zu Hermine, auf deren Gesicht ein breites Lächeln zu sehen war.
„Da das jetzt offenbar geklärt ist... können wir denn endlich unser jährliches Weihnachtsritual machen und nicht streiten? Immerhin ist morgen Weihnachten!"
Bei dem Wort „Weihnachten" stellten sich bei Harry die Nackenhaare hoch. Wie gerne würde er mit Draco zusammen feiern oder ihn wenigstens sehen, aber das ging unter diesen Umständen nicht. Das Schlimmste für Harry war aber, dass er ein schönes Weihnachten hatte, während Draco sich mit seinen Eltern abmühen musste und vielleicht sogar mit dem dunklen Lord.
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Die drei besten Freunde hatten ihren Abend mit gemütlichen Snacks und Abenteuergeschichten in Rons Zimmer verbracht und ausnahmsweise hatte Harry in der Zeit keinen Gedanken an Draco verschwendet. Erst mitten in der Nacht um drei ging er rüber in sein eigenes Zimmer und musste lächeln, als er ein gelblich gefärbtes Pergament auf seinem Bett sah. Er rollte es auseinander und überflog die schnell dahin gekritzelten Wörter.
>> Potter! Es ist hier so unglaublich langweilig. Ich kann nicht streiten, ich kann nicht reden, aber das schlimmste ist, dass ich nicht mal ich selbst sein kann. Ich weiß ich habe mich verändert... und... inzwischen kennst wirklich nur du den echten Malfoy oder auch Draco. Du verurteilst mich nicht gleich, du hörst mir zu und- Verdammt du fehlst mir<<
„Du fehlst mir auch", seufzte Harry und legte das Pergament sorgsam in die unterste Schublade seines Nachtschranks, der neben seinem Bett stand. Er selbst zog sich bis zur Unterhose aus und legte sich dann ins Bett. Eigentlich war er hundemüde, als er Rons Zimmer verlassen hatte, aber jetzt nach dem Brief war er hellwach und seine Gedanken kreisten um die schöne Zeit in Miami. Das gemeinsame Kochen oder eher der Kochunterricht, indem Draco sich gar nicht mal so blöd angestellt hatte, das gemeinsame Weihnachtsshoppen oder gemeinsame Spaziergänge, ohne Angst haben zu müssen, gesehen zu werden.
Entschlossen nahm Harry ein Stück Pergament und einen Stift. >> Du fehlst mir auch. Und es ist hier nicht einmal annähernd so spannend wie mit dir...<<
Dann schickte er den Brief ab und blickte gedankenverloren auf den Stift, den er noch immer in der Hand hielt. Dann plötzlich landete vor ihm erneut ein Pergament. Überrascht schaute Harry drauf und blickte anschließend zur Decke. Aber es war nichts zu sehen. Dabei konnte Draco unmöglich so schnell beantwortet haben. Er das Pergament in die Hand und rollte es auseinander.
>>Du bist süß.<<
Das war alles, was darauf zu lesen war und Harry wusste bei bestem Willen nicht, was er davon halten sollte.
Schnell kritzelte er auf das Pergament eine Antwort drauf.
>>Ich bin nicht süß... ich bin alleine...<<
Dann schickte er die Nachricht mithilfe seines Zauberstabs weg. Aber ebenso schnell, wie sie verschwunden war, lag sie auch schon wieder vor ihm. Er musste zweimal blinzeln, um es zu realisieren. Erst dann rollte er das Pergament auseinander und starrte auf die drei Wörter.
>>Soll ich kommen?<<
Er wollte kommen? Aber wie? Wo? Harry blickte sich um und konnte seine Frage nicht ganz verstehen. Er konnte nie im Leben einmal durchs Haus schleichen, weder er noch Draco.
Er setzte seinen Stift an, als ihm ein leises Plopp aufschrecken ließ.
„Voila."
Mit geweiteten Augen starrte er die blondhaarige Person an, die vor ihm stand. „Dray", hauchte er und lag kaum später in seinen Armen.
„Deine Antwort hat mir zu lange gedauert, da bin ich einfach los und jetzt bin ich hier."
Harry schlang seine Arme um den Slytherin.
„Und? Wie wars?"
„Es ging. Hermine hat mich ausgequetscht und Ron hat uns draußen gesehen und... er hat mich zur Rede gestellt. Dann gabs Zoff und jetzt ist er ... einfach Ron. Solange er mit dir nicht auf Best Friends machen muss, ist es ihm egal. Wie lange kannst du bleiben?"
Draco trat einen Schritt zurück und steuerte dann das Bett an, auf welches er sich setzte. „Bis halb sechs. Uns bleiben also knapp zweieinhalb Stunden."
Harrys Lächeln wurde noch ein wenig breiter, dann setzte er sich neben den Slytherin und benutzte seine Schulter als Kissen.
„Genügend Zeit, um mit dir zu reden."
„Worüber?"
„Über alles. ... Über uns."
„Zwischen uns ist doch alles... gut?"
„Natürlich. Das meinte ich nicht mit uns. Mach dir keine Sorgen, es geht nicht um das was wir haben. Es geht um meine Aufgaben und deinen und Hermines Plan. Und Voldemort und uns."
„Also doch uns...!"
Draco knuffte Harry leicht in die Seite. „Aber es ist nichts Schlechtes.
Erst nachdem Harry ein Nicken zustande gebracht hatte, fuhr Draco fort.
„Du hast neulich irgendwie indirekt eine Idee oder einen Plan geäußert, indem es darum ging, dass du gegen mich arbeitest, statt für mich, richtig?"
„Ja, was hat das je-"
„Die Idee ist gut, wirklich gut. Dadurch sind wir nicht so häufig aufeinander angewiesen. Und ich glaube, du kannst mich besser im Auge behalten, wenn wir gegeneinander arbeiten. Das heißt, dass du mich besser beschützen kannst."
„Wahrscheinlich, ja, aber-"
Wieder wurde Harry von Draco unterbrochen.
„Heißt, dass ich mich durch diese Aufgaben quälen muss, ohne dass du mir Mut zuredest. Ich muss das durchziehen. Du oder ihr achtet einfach darauf, dass es kein Todesser auf mich abgesehen hat und versucht meinen Stalker zu finden."
„Könnte klappen", überlegte Harry laut. „Aber können wir das nicht wann anders klären?"
„Nein, das ist wichtig. Ich muss dir nämlich noch etwas sagen."
Harry zog eine Augenbraue in die Höhe. Genau diesen Satz sagten die meisten Muggel, wenn es darum ging, seinem Partner zu gestehen, dass man fremd gegangen sei.
„Damals in der Winkelgasse, als wir uns dort getroffen haben."
„Ja?"
„Ich war nicht einfach nur so da. Ich war da, um eine Aufgabe zu erledigen."
„Welche?", hakte Harry nach.
„Ich sollte irgendetwas aus Sirius Fach bei Gringotts holen, sein Erbe oder so, keine Ahnung."
„Warte! Du warst bei Gringotts?! Du hast es Voldemort gegeben?!"
Sauer rutschte Harry von dem Slytherin weg. „Ich kann nicht glauben, das du das getan hast!"
„Jetzt hör doch mal zu! Ich habe es geholt, ja. Aber ich habe es nicht weitergegeben, ich habe es behalten und habe Voldemort gesagt, es sei bereits weggewesen."
„Warum solltest du das tun? Da waren wir noch Feinde!"
„Vielleicht. Aber das ändert nichts daran, dass ich kein Todesser sein will. Ich habe gesehen, was es war und es hätte mir, dir und jedem anderen einen klaren Vorteil gegenüber Voldemort gegeben."
Draco zog etwas Rundes an einer Kette aus seiner Hosentasche, was aussah wie eine kleine Taschenuhr. Zögerlich hielt er sie Harry entgegen. „Sei nicht sauer, ja?", murmelte er leise und blickte ihn an. Er beobachtete ihn, wie Harry es in die Hand nahm und von allen Seiten betrachtete. „Ein Kompass? Warum sollte der mir hilfreich sein?"
„Weil es kein normaler Kompass ist, Harry. Sirius hat es so verzaubert, dass dieser nach Voldemort ausgerichtet ist. Das heißt: Die Nadel zeigt dir den Weg zu Voldemort."
„Warum gibst du es mir jetzt erst?"
„Ich wollte sichergehen, dass Voldemort nichts davon weiß. Würde er davon wissen, könnte er es manipulieren und auch kontrollieren, um andere in die Irre zu führen. Aber da er nichts weiß, hast du den klaren Vorteil eines Überraschungsmomentes."
Harry schaute ihn erstaunt an, dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Er beugte sich zu ihm rüber und küsste ihn auf die Wange. „Du bist genial! Wirklich! Damit werden wir ihn fertig machen!"
„Du wirst ihn fertig machen", widersprach Draco und zog den Gryffindor näher. Er fuhr durch Harrys Haare und lächelte leicht. „Du solltest schlafen... morgen ist Weihnachten und da müsst ihr früh raus."
„Oh Weihnachten. Ich habe da wa-" Harry beugte sich zur Seite und zog ein größeres Päckchen unterm Bett hervor. „Frohe Weihnachten."
Er konnte beobachten, wie Dracos Augen größer wurden und er lächelte. „Wow! Ich habe da auch was, Harry..."
Draco zog etwas aus seiner Hosentasche. Zwei Pakete. Anscheinend hatte er den Dehnzauber angewendet.
Harry nahm ihm beide ab und machte sich daran sie zu öffnen. Als er sah, was sich ihm zeigte, wurde sein Lächeln noch breiter. In einer kleinen Schatulle war ein schwarzes Lederarmband in der das Symbol des Löwen und der Schlange eingraviert war. In dem zweiten befand sich ein neuer Umhang. Er war komplett schwarz und in der Innenseite spürte er ein leichtes Muster.
„Es ist dasselbe wie bei dem Armband", murmelte Draco. Er klang nervös. „Ich hoffe es gefällt dir."
„Es ist perfekt", erwiderte Harry aufrichtig und machte sich bereits sein Armband um. Auffordernd sah er nun zu dem Slytherin, der sich nun auch daran machte sein riesiges Paket zu öffnen. Das Geschenkpapier flog in die hinterste Zimmerecke.
„Wow! Harry, du hast mir ernsthaft einen neuen Besen gekauft und einen Ring?!"
„Ich hoffe es gefällt dir..."
„Es ist super, Potter. Absolut perfekt! Ich mein der Besen Feuerblitz 2003 ist erst vor einem Monat auf den Markt gekommen und der Ring ist süß. Das Silber passt super und dank der Eingravierung innen, habe ich jetzt immer was von dir bei mir."
Harry rutschte ein wenig weiter nach unten und bettete seinen Kopf auf Dracos Beine. Der verstand die Geste und fuhr ihm sanft durch sein Haar. Immer wieder.
„Schlaf gut, Harry. Ich wünsche dir frohe Weihnachten." Das war das Letzte, was Harry hörte, bevor er in den Schlaf fand.