Seit dem Gespräch in der heulenden Hütte waren mindestens zwei Wochen vergangen- und es waren schlimme Wochen. Denn dieses Gespräch hatte entscheidende Veränderungen mit sich gebracht. Direkt am Morgen nach dem Gespräch hat Harry einen vergilbten Umschlag neben seinem Kopfkissen gefunden. Dort war ein Foto von ihm und Draco drin. Genau die innige Umarmung, wie Harry ihn festgehalten hatte und wie Draco sich an ihn geklammert hatte. Darunter waren die Worte: „Pass lieber auf deinen Freund auf...“
Genau das war es, wovor beide am meisten Angst hatten und Harry konnte sich nicht erklären, wie es passieren konnte. In der heulenden Hütte waren sie alleine und er hatte nichts Seltsames bemerkt, es waren noch nicht einmal Tiere da- außer Motten. Aber welcher Zauberer würde sich freiwillig in eine Motto verwandeln? Die Motten werden von vielen Tieren gefressen. Auch Hermine hatte sich im Laufe der letzten Woche wieder beruhigt und stand wieder voll hinter Harry und Draco. Und ... mit Draco gab es große Probleme. Sie hatten sich seitdem nicht mehr alleine gesehen oder geredet, sie hatten sich nicht einmal mehr Schimpfwörter an den Kopf geschleudert. Draco erschien kaum noch im Unterricht oder bei den Mahlzeiten und wenn Harry ihn sah, dann wirkte er krank und zerbrochen und wirklich verletzt. Er erkannte seinen Freund kaum noch wieder, einfach weil er so anders wirkte. Und obwohl Draco es offenbar versuchte zu verstecken, erkannte Harry wie schwach er innerlich wirklich war und es war wirklich sehr schwach. Harry hätte niemals gedacht, dass der Slytherin solche Gefühle zeigen könnte, solch eine Schwäche und vor allem hätte Harry niemals gedacht, dass Draco mit Harry über seine Probleme reden würde. Aber jetzt? Es schien, als würden sich die beiden immer weiter voneinander entfernen, obwohl sie sich gegenseitig brauchten. Der Winter war inzwischen verschwunden und hatte für den Frühling Platz gemacht. Die Bäume bekamen langsam wieder Blätter und an den Blumen wuchsen die Knospen. Auch war es nicht mehr so kühl wie die letzte Zeit. Es war angenehm warm und man konnte sich endlich wieder länger draußen aufhalten als nur eine Stunde. Gerade saß Harry in der großen Halle mit Hermine. Mit Ron war noch immer nicht alles geklärt. So einen riesigen Streit, hatten sie noch nie miteinander gehabt. Und für Harry war es sehr schwer, da er im Moment seine Freunde brauchte. Aber auch mit Hermine lief kein gutes Gespräch. Hauptsächlich herrschte Stille und es war das wirre Gerede all der anderen Schüler zu verstehen, die alle durcheinanderredeten. Harrys Blick huschte durch die Halle und blieb am Slytherintisch hängen, aber auch diesmal war kein Draco dort zu sehen. Bereits zum 12. Mal. Drei Tage ging das nun schon so, dass Draco nicht zu den Mahlzeiten auftauchte und allmählich machte er sich wirklich Sorgen.
Er erschrak, als etwas seine Hand berührte und sah alarmierend auf. „Geh... ich seh doch, dass du völlig woanders bist.“
Im ersten Moment wirkte Harry verwirrt, aber dann nickte er und formte mit seinen Lippen ein „Danke.“
Dann stand er von der Bank auf und stand zwischen den Tischen, als plötzlich eine blonde Gestalt in der Tür erschien. Hängende Schultern, Augenringe, die er deutlich, trotz der Entfernung, erkennen konnte und eine deutlich zerbrochene Haltung. Langsam hob dieser seinen Blick und blickte geradewegs in Harrys Richtung. Knapp zwei Sekunden, dann drehte er sich auf den Absatz um und verschwand aus der großen Halle, so schnell er gekommen war. Harry reagierte instinktiv und lief ihm hinterher. Durch die große Halle, in den dritten Stock und anschließend fand er ihn im Klo der maulenden Myrthe. Draco stand mit dem Rücken zu Harry und stützte sich am Waschbecken ab. Sein Körper bebte und zitterte leicht und ein leises Schluchzen konnte Harry außerdem wahrnehmen. Das Verlangen ihn jetzt fest in seine Arme zu schließen und festzuhalten war so groß wie lange nicht mehr. Langsam trat Harry näher, verharrte aber, als Draco sich schluchzend und wütend zugleich seine schwarze Stoffweste vom Körper riss. Dann drehte er sich um. Erschrocken wich Harry zurück. Draco hatte riesige Augenringe, eine kaputte Körperhaltung und leicht gerötete Haut von dem ganzen Weinen. „Was willst du, Potter...?!“, fragte Draco schwach. „Ich mach mir Sorgen! Du gehst mir aus dem Weg, meidest mich und... wir sind unter uns, warum nennst du mich jetzt, Potter?!“
„Weil ich...- ich-“
„Was ich?! Jetzt komm mir nicht mit irgendeinem Scheiß! Ich habe versprochen dir zu helfen, aber dafür musst du ehrlich sein.“
„Ich kann nicht, ok? Es ist überall! Seit dem Gespräch in Hogsmeade bekomme ich jeden Tag Nachrichten, ich werde das jetzt durchziehen.“
„Draco...“
„Nein! Ich muss es tun!“
Der Slytherin wurde um einiges lauter, als Harry den Raum betrat und auf ihn zu gehen wollte. Blitzschnell hatte er seinen Zauberstab gezogen und auf Harry gerichtet: „Stupor!“ Harry flog an den Toiletten vorbei und knallte mit seinem Rücken gegen die Betonwand. Innerlich war er wütend wie lange nicht mehr, aber er wollte es sich nicht anmerken lassen. Würde er jetzt zeigen wie verletzt er war, wäre Draco nur zufrieden. Ein stechender Schmerz machte sich in Harrys Rücken breit und er richtete sich stöhnend auf, ebenfalls den Zauberstab ausgestreckt. „Expellia-“
„Rictusempra!“
Erneut wirbelte Harry durch die Luft und landete mit einem dumpfen Aufknall auf den Fliesen. „Stupor!“, rief Harry und sah zufrieden dabei zu, wie Draco mit seinem Rücken gegen die Waschbecken knallte und das mit solch einer Wucht, dass gleich zwei davon kaputt gingen. Als Harry sah, dass er sich wieder aufrichten wollte und seinen Zauberstab in der Hand hielt. Doch bevor Draco zu Wort kam, rief er: „Sectusempra.“
Ein Zauberspruch, den er zuvor noch nie gehört hatte und von dem er die Wirkung nicht kannte. Er hatte ihn im Buch des Halbblutprinzen gelesen und da hieß es, dass man den Spruch auf seine Feinde anwenden sollte.
Vielleicht war es falsch, immerhin waren Harry und Draco nicht länger Feinde. Aber andersherum hatte Draco sich eben wie ein Feind verhalten und hatte ihn zuerst angegriffen. Allerdings bereute Harry es, sobald er die Auswirkungen sah. Tiefe Schnitte, die sich über seine Haut zogen und sein weißes Hemd mit Blut tränkten. Dazu noch die verzweifelten, hilflosen Geräusche, die Draco von sich gab. Röcheln. Er spuckte wirklich Blut. „Dray...“, murmelte Harry und lief zu ihm. Neben ihm fiel er auf die Knie und griff nach Dracos Hand. „Sag mir was ich tun soll.... Draco... bitte!“
Seine Stimme klang heiser und ein Hauch von Panik schwang mit, aber er wusste, dass Draco ihm nicht antworten würde, sonst hätte er schon längst irgendetwas getan. Jetzt konnte er nur noch hoffen. Bereits die erste Träne kroch über Harrys Wange und tropfte auf Dracos Gesicht, der dadurch schwach blinzelte. „Potter!“
Der Angesprochene fuhr bei dem Klang der düsteren, eintönigen Stimme herum und blickte in das kühle Gesicht von Professor Snape.
„Was haben Sie getan?“, fragte er, während er an Draco herantrat und Harry grob am Kragen zurückzog. „Ich will Sie nachher auf meinem Büro haben! Das wird ein Nachspiel haben.“
Harry lief ein kalter Schauer über den Rücken. Eilig verließ er das Bad der maulenden Myrthe, hielt sich aber noch im Flur auf, um mitzubekommen, was jetzt mit Draco los war und wo er hingebracht werden würde. Erst als feststand, dass Draco in den Krankenflügel kommen würde, verschwand Harry aus dem Flur. In seinem Bauch machten sich Schuldgefühle breit und in seinem Kopf spielten seine Gedanken verrückt. Wahrscheinlich war auch das einer der Gründe, warum er jetzt sofort in den Krankenflügel wollte. Er wollte für seinen Freund da sein und ihm helfen, wusste aber auch, dass er sich erst Professor Snape stellen musste. Bereits jetzt hatte er Bammel davor. Es würde wieder Abzug für Gryffindor geben und höchstwahrscheinlich die sechste Verwarnung für einen Schulverweis. Bei den ganzen Verwarnungen hätte Harry schon längst von der Schule fliegen müssen, aber Professor Snape bekam es nie durchgesetzt, was natürlich zu Harrys Gunsten war. Harry stand vor Professor Snapes Büro und klopfte an. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut. Der Professor riss die hoch gelegene Tür auf und funkelte den jungen Zauberer wütend an. „Potter!“
Harry wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, als Professor Snape auch gleich die Tür ins Schloss fallen ließ, nachdem Harry eingetreten war. „Woher kennst du diesen Fluch?!“
„Fluch? Ich- Da...- Es stand in meinem Zaubertränkebuch.“
Professor Snape hob ungläubig eine Augenbraue.
„Wem gehört das?“
„Was?“
Harry blickte ihn verwirrt an und wusste nicht recht, wie er reagieren sollte. Eigentlich wollte er es geheim halten. Aber da dies jetzt ohnehin nicht mehr klappte, beschloss er, ehrlich zu sein, so weit er konnte. „Keine Ahnung... Prinz irgendwas, es war auf jeden Fall mit Prinz und es war kein richtiger Name.“
„Halbblutprinz?“, fragte Snape nach und wartete gar nicht erst die Antwort ab. „Wie zur Hölle kommst du an mein Buch?!“
„Ihr?! Es lag im Schrank im Zaubertränkeraum.“
„Ich will umgehend dieses Buch haben!“, donnerte Snape, dann riss er die Tür auf. Harry wollte schon hinaustreten. „Achja und Potter? 50 Punkte Abzug für Gryffindor. Dafür, das du unüberlegt gehandelt und einen meiner Schüler in Lebensgefahr gebracht hast.“
Harry trat in den dunkeln Flur und schluckte, als die Tür hinter ihm so laut zugeknallt wurde, dass die Wände wackelten. So wütend hatte er Professor Snape noch nie erlebt und das Schlimmste war, dass er nicht nur einen seinen Schüler in Lebensgefahr gebracht hatte, sondern er hatte seinen Freund beinahe getötet, zum zweiten Mal.
Nachdem Gespräch mit Snape ist Harry sofort in den Krankenflügel gegangen, um nach seinem Freund zu sehen. Allerdings sah dieser aus wie immer, nur ein wenig schlapp und müde. „Dray... ich-“
„Halt die Klappe, Potter!“ Eigentlich wollte Harry nicht streiten, aber er zuckte bei dieser aggressiven Stimme seines Freundes sichtlich zusammen. „Ich wollte das nicht tun... Es tut mir Leid...“, murmelte dieser und trat näher an Dracos Bett heran. „Schön... sonst noch was Potter?“
Harry nahm all seinen Mut zusammen und straffte seine Brust. „Ja! Was ist bitte los mit dir?! Im Winter wa-“
„Nichts ist los- nichts!“, betonte Draco deutlich und sah Harry eindringlich an. In seinem Blick lag aber noch etwas anderes. Harry konnte auch deutlich die Angst und die Sehnsucht heraushören. Das kleine Funkeln, dass ihm zeigte, dass er Draco nicht egal war und Draco viel mehr an Harry lag, als er gerade zeigte. Aber es war auch der Blick, den Harry verstand und wo er sofort mitspielte. Denn jetzt wurde ihm bewusst, dass Draco offenbar erpresst wurde oder das irgendjemand über sie Bescheid wusste. Da war es doch ganz logisch, dass Draco durch solche Aktionen diesen Verdacht widerrufen hat.
Harry funkelte ihn jedoch bloß an und sagte: „Hätte ich das nicht getan, hätte es jemand anderes getan.“
Dieser Satz war für Draco genauso gemeint, wie er gesagt wurde und sollte, mit als Entschuldigung und Beruhigung gelten, da es bei anderen noch schlimmer hätte ausgehen können. Für Außenstehende konnte er aber auch als Hass rüberkommen, so als wenn Harry dieses aus Spaß getan hätte.