„Irgendwas stimmt nicht mit der Luft.“
Keine Antwort. Juna hatte auch keine erwartet. Es war nur eine Angewohnheit von ihr, ihre Gedanken laut auszusprechen, sobald sich jemand bei ihr befand. Und seine war es, zuzuhören, ohne zu reagieren.
Juna hob den Kopf und sah zur Baumgrenze des Waldes hinüber. Fuhr sich über die Arme und seufzte. Syro entging nichts, aber auch jetzt blieb er stumm. Seine Konzentration lag schließlich auf seiner Aufgabe. Als sie zur Seite blickte, trat er gerade auf die Mauer zu, die sie entlang gingen und strich über eine Stelle, an der die Feuchtigkeit des nächtlichen Regens tiefer zu sein schien, als am Rest der Steine.
„Ich verstehe, wieso du dir diese Tätigkeit ausgesucht hast“, grummelte sie und betrachtete seinen Rücken und den dunkelbraunen Haarschopf.
Syro ging in die Hocke und verharrte einen Moment reglos.
Dann traf sie seine Stimme ohne Vorwarnung: „Du hast mich gezwungen, mir etwas außerhalb meines Büros zu suchen.“ Sie klang unwirklich, nachdem er seit ihrem Aufbruch vor Sonnenuntergang geschwiegen hatte. Abrupt kam er wieder auf die Füße und setzte seinen Weg fort, die Augen immer auf das Mauerwerk gerichtet.
Junas Füße glitten durchs feuchte Gras. Es roch herrlich. Aber die Hitze des Tages kündigte sich trotz der Frühe bereits wieder an.
Sie hätte beginnen können zu diskutieren, ihn erinnern, dass der Sinn hinter diesem Vorschlag gewesen war, dass er sich öfter unter Menschen begab. Und er würde nur wissend lächeln, weil sie beide wussten, dass er ihren Wunsch mit der Übernahme der regelmäßigen Kontrolle der Ringmauer, erfüllt und sich ihr dennoch widersetzt hatte.
Elegant und unanfechtbar.
Typisch.
Juna grinste und schwieg.
Wieder wanderte ihr Blick über die zahllosen Baumstümpfe hinweg, bis zu den ersten schattenspendenden Baumkronen.
„Können wir die Zeremonie nicht doch...“, begann sie sehnsüchtig.
„Nicht jetzt.“
„Syro!“, schimpfte Juna, schloss hastig zu ihm auf und griff nach seinem Hemd. Schon als sie den Stoff nur mit den Fingerspitzen berührte, blieb er stehen. Bis er sich zu ihr herumdrehte, dauerte es wesentlich länger, doch sie hielt die Hand um den Zipfel Stoff geschlossen und wartete.
Dann fixierte sie sein Gesicht. Seine Augen schweiften in Richtung Wald.
„Es ist unsere Hochzeit“, erinnerte sie ihn.
Er blinzelte. Schloss die Augen. Als müsse er sich erst erinnern. Obwohl er doch nie etwas vergaß.
„Es wird brütend heiß werden. Der Wald wäre ideal!“, argumentierte sie sachlich.
Seine blauen Augen packten sie.
„Tu nicht so, als ob das der Grund wäre.“
Juna verzog die Lippen. „In Ordnung. Es ist meine Heimat. Es ist tausend Mal schöner dort als in der Stadt und....“ Mit den Händen ringend suchte sie nach Worten. Sie würde sogar damit leben können, dass sich so mancher Gast aus Beklemmung ständig über die Schulter schauen würde.
„Und ich wünsche es mir einfach.“
Hätte sie Syro nicht so gut gekannt, wäre ihr das kurze Flackern nicht aufgefallen, das winzige Zucken der Mundwinkel, bevor er die Augen verdrehte. „Und was ist mit dem Rat?“
Jetzt stemmte Juna die Hände in die Hüften: „Guter Witz. Der Rat ist dir doch völlig egal.“
„Und dir?“, fragte er lauernd und grinste überlegen.
Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um ihm den Finger in die Brust bohren zu können.
„Syro, hör auf damit, sonst...“
Er lachte auf. So arrogant wie niemand sonst es vermochte. Obwohl er wusste, dass sie das längst nicht mehr beeindruckte. Oder täuschte.
Sie reckte sich noch ein Stück höher und zog an seinem Kragen. Fest. Entlockte ihm ein widerwilliges Knurren. Bevor er sich doch herunterziehen und küssen ließ. Seine Lippen kühl, ihre Haut erhitzt.
Als er sich steif wieder aufrichtete, konnte er seine Mimik nicht schnell genug wieder einfrieren. Juna bemühte sich, nicht allzu breit zu grinsen.
Sie setzten ihren Weg fort. Schritte raschelten.
Syro sagte: „Ich glaube du hast Recht. Die Luft ist seltsam. Sie fühlt sich fast elektrisch an.“
Juna nickte nur und hatte keine Gedanken mehr für den Wald oder die Luft. „Ein elektrisches Gefühl...“, sinnierte sie und begegnete seinen undurchdringlichen Augen. „Klingt ja fast romantisch.“
Syro lachte auf.
„Wohl eher nach einem weiteren Gewitter.“
Prompt: Elektrisches Gefühl
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Anm.: Verzeiht die seltsame Szenerie ohne Zusammenhang. Dieser Prompt hat mich schwer beschäftigt und ich musste erst die passenden Figuren dafür finden. Es sind zwei Charaktere aus einem alten Romanversuch von mir, die ich noch immer furchtbar gerne mag. Ich musste einfach ausprobieren, ob ich sie noch immer schreiben kann, wenn auch außerhalb ihrer Geschichte.