Wie viele Adelige wuchs auch Radu am Hof eines mächtigen Regenten auf. Er war kaum fünf Jahre alt gewesen, da war seine gesamte Familie verschleppt worden. Sie hatten seinen Vater ‚der Drache‘, seine Mutter ‚die Zähmerin‘ und seinen älteren Halbbruder mitgenommen ins Herz ihres Reiches und sie in einen Raum gesteckt mit all den anderen eroberten Kindern. Seinen Vater hatten sie kurz drauf freigelassen, er kehrte heim, regierte wieder sein Land, hurte in seinem Schloss rum und ließ ein paar Köpfe abschlagen. Seine Mutter blieb mit vielen anderen Frauen: Müttern und Töchtern. Seinen Bruder hatte er lange nicht gesehen, denn nachdem einer der Söhne des Herrschers gestorben war, waren viele ältere Kinder weggebracht worden. Die Jüngeren hingegen lernten vielerlei Künste, Benehmen und anderes Kunsthandwerk. Und Radu beklagte sich nie, er hatte hier ein gutes Leben. Als sein Bruder kam, war er groß geworden, ein Mann und sagte, sie ließen ihn ebenfalls frei und er wolle nun nach Hause kehren und den Platz ihres Vaters einnehmen. Radu kannte ihn kaum und Radus Mutter erkannte den jungen Mann nicht einmal. Daher fiel der Abschied nicht schwer.
Das Schicksal meinte es nicht gut mit dem Bruder, das Land, sein Ruf, die Greul färbten seine Seele in den kommenden Jahren blutrot. Während Radu, viele Meilen entfernt erblühte und von Tag zu Tag schöner wuchs. Nicht lange danach geschah es, dass er ebenfalls aus den ihm bekannten Palästen und Gärten - seinem juvenilen Paradies - ausziehen musste. Zuerst nahm er an, dass er auch ‚nach Hause‘ kehren müsste, so wie sein Vater und sein Bruder und freute sich darauf überhaupt nicht. Und er probte schon eine Rede, dass er dieses weit entfernte ‚zu Hause’ doch gar nicht kenne, sein Herz hier groß geworden sei und er nicht fort geschickt werden wollte. Und ebensowenig getrennt werden wollte von seiner Mutter.
Doch es kam anders für ihn, denn an diesem Tag gaben sie ihm neue, feinste Roben und Kleider. Sie brachte ihm einen prächtigen Rock aus vielen Lagen teuerstem Samt und so zarter Seide, dass sie seine Haut permanent liebkoste. Er erhielt weiche, gefütterte, smaragdgrüne Pantoffeln und funkelnden Schmuck für seine Fesseln und Handgelenke, seine Zehen und seinen Hals. Herausgeputzt wie ein Pfau staunte er sich in der schimmernden Oberfläche des spiegelnden Metalls an und blinzelte dem frisch gebadeten, geschminkten und frisierten jungen Mann zu, der er geworden war. Selbst die Diener hatten ihre Freude daran ihn herzurichten. Sie betonten seine jugendlichen Züge, übertrieben es aber nicht. Sein langes, glattes, dunkles Haar steckten sie ihm mit einer Spange hoch. Schlicht, aber elegant - sowohl die Spange, als auch die Frisur.
Doch immer wenn er fragte, warum sie dies taten, dann entzogen sie sich ihm. Hinter den papierenen Wänden der Paravants hörte er sie tuscheln, über den neuen Herrscher. Radu wusste nichts von einem neuen Herrscher. Was ihn jedoch zu Tode ängstigte waren die Gerüchte, die die Bediensteten über die Vorlieben des neuen Herrschers verrieten und als sie ihn den Gang hinab führten, fand Radu die neuen Kleider nicht mehr so schön.