Ja, er war flink. Sprang über niedrige Hecken und über die Wege quer hinweg. Doch Radu wusste nicht wohin. Er kannte diese Parkanlage nicht und als er endlich eine Mauer erreichte, war sie so hoch, dass er unmöglich hinüber gelangen konnte. Zudem oben auch noch Scherben und Pfeilspitzen eingelassen waren, an denen er sich fürchterlich verletzt hätte, denn nur eine Katze mochte sich durch die gefährlichen Spitzen herum winden. Er blieb außer Atem stehen und weinte bitter, dies würde sein Ende sein. Seinen anderen Pantoffel hatte er auf dem Weg verloren und barfuß wie er war, nur mit Zehenringen und den Kettchen besohlt, würde er sich außerdem außerhalb des Palastes die Füße wund laufen und nicht weit kommen. Ohnehin wunderte es ihn, jetzt da er zum Luft holen kam, dass sie ihn überhaupt so weit hatten kommen lassen.
Hochverrat echote es durch seine Gedanken, er hatte den Herrscher mit dessen eigenem Dolch angegriffen. Es war egal, dass er ‚nur‘ den Schenkel getroffen hatte, er würde hingerichtet werden. Dabei hatte er sich nur erschrocken. Was fiel diesem Mann denn ein, ihn einfach zu begrapschen? Aber was würde das schon zählen, er war der Herrscher, er konnte begrapschen, wen und was immer er wollte. Radu ließ den Kopf hängen und sank in die Hocke. Er umarmte seine Knie und machte sich so klein er konnte. Er hätte auf eines der Bäumchen klettern können, um sich die Stadt anzusehen, die hinter der Mauer lag. Aber das mochte er sich nicht ansehen, als letztes. Er dachte an die kleine Schlange und den Pfau. An etwas Schönes. Und dann dachte er an die Augen und das Lächeln. Ach, hätte der Herrscher doch nur versucht ihn zu küssen, das wäre nicht so übergriffig gewesen, vielleicht hätte Radu der Neugier halber dem sogar zugestimmt. Er hatte den jungen Monarchen wirklich gemocht im ersten Augenblick. Und da war auch etwas gewesen, wie ein Funken, der zwischen ihnen getanzt hatte und den sie beide nur hätten greifen brauchen. Sie nannten es in der Poesie hier: Aşk. Sprachen von Funken, Feuer und Glut, wenn sie über Anziehung, Verehrung, Liebe sprachen.
Noch kleiner konnte er sich nicht machen, er versteckte sich nicht absichtlich, war einfach hier stehen geblieben und hatte sich zur Kugel gerollt. Als die Wachen ihn fanden, wirkten sie nicht angestrengt, als hätten sie sich überhaupt nicht bemüht, sondern die ganze Zeit gewusst, wo er gewesen war und abgewartet, was er tun würde. Radu gestand sich ein, dass er nicht etwa aufgegeben hatte, nein, aber seine Ausweglosigkeit erkannt. Was hätte er jetzt schon noch tun können. Sie führten ihn zu Viert ab. Links und Rechts hielt ihn einer an je einem Arm. Vor und hinter ihm schritt je ein bewaffneter Krieger und blockierte jeden Ausfall, den er jetzt noch wagen könnte. Als würde er es auch nur noch einmal in Betracht ziehen. Sie führten ihn zurück zum Teich und der Bank.
Erstaunt stellte Radu fest, dass der Herrscher noch immer dort saß. Ein Diener hielt ein Tablett mit einer Schale Wasser. Es war blutig verfärbt. Tücher lagen daneben, ebenfalls befleckt. Ein anderer Lakai hielt den nun gesäuberten Dolch in der Hand. Ein Doktor kniete vor dem Herrscher, bestrich mit einer orangenen Tinktur, die das herrschaftliche Bein hinab lief, die Wunde. Der Herrscher sah auf, als sie Radu vor ihn brachten, ihn in die Knie zwangen.
Das prächtige Gewand, welches sie ihm angezogen hatten, war ein wenig in Unordnung geraten, aber mehr, weil sie an ihm herum gerupft hatten. Seine Tränen hatten den schwarzen Lidstrich verschmiert. Und die Spange aus seinem Haar hatte er bei seiner überstürzten Flucht verloren. Zu seiner Überraschung brachten eifrige Diener eben jene Spange, sowie seinen anderen Pantoffel wieder herbei.
Einer der Berater des Herrschers spielte sich auf, er fuhr Radu an: „Was erlaubst du dir, Junge? Wie konntest du es wagen Hand an den Herrn zu legen? Du bist des Todes.“
Radu blinzelte: Ja, wie konnte er? Er hatte keine Ahnung, was sollte er denn sagen? Warum überhaupt noch etwas sagen, wenn sein Schicksal besiegelt war? Sein unsicherer Blick flackerte zu dem Herrscher hinüber.
„Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen deinen Bruder meinen ‚Lernkameraden‘ nennen zu dürfen. Er war ein Scheusal. Ein furchtbarer Schüler, ein unbelehrbares Kind, mit dem Hang grauenhafte Launen zu hegen. Innerlich wie äußerlich hässlich und verdorben.“ Der Herrscher wollte wohl richtig weit ausholen.
Radu gab leise zu: „Ihr kennt ihn zweifellos besser, als ich es je tat.“