Als ich Duskwood ankam, war es schon beinahe wieder hell. Der Himmel war rosafarben und kündigte den Sonnenaufgang an, während ich fröstelnd mein Gepäck entgegennahm und Herr Müller sich auf einer kleinen Grünfläche erleichterte.
Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber der kleine, zweispurige Busbahnhof und die daneben liegende Tankstelle erschienen mir sehr gewöhnlich für eine Kleinstadt, in der so viel Schreckliches passiert war.
Noch leicht schlaftrunken beschloss ich, meinen ersten Tag mit einem Tankstellen-Kaffee zu beginnen, bevor ich mir Gedanken über meine Unterkunft machen würde. Kurz hatte ich darüber nachgedacht gehabt, im Motel von Mrs Walther unterzukommen. Das wäre unter vielen Aspekten praktisch gewesen – die Unterkunft lag relativ zentral, ich konnte ungestört Alfie beobachten und befragen und Mrs Walther schien generell gerne zu erzählen, was mir sehr in die Karten spielen würde.
Allerdings war das auch Lillys Arbeitsplatz gewesen und auch wenn mir Jessy geschrieben hatte, dass sie dort wohl nicht mehr arbeitete, wusste ich nicht, ob das nur vorrübergehend war. Das Risiko, sie dort zufällig zu treffen, war sehr hoch und auch wenn sie nicht wusste, wie ich aussah, würde ich jemandem wie Lilly zutrauen, mich zu erkennen.
Auch wenn wir zu Beginn nicht gut aufeinander zu sprechen waren und ich ihr auch jetzt manchmal nicht immer über den Weg traute, musste ich zugeben, dass sie eine erstaunliche Beobachtungsgabe hatte. Wahrscheinlich wären wir Freunde geworden, hätten wir uns anders kennengelernt.
Vielleicht waren wir uns in manchen Punkten aber auch einfach zu ähnlich dafür.
Wahrend ich mich an meinem dampfenden Pappbecher fast verbrannte und dabei versuchte, ein bröseliges Croissant in meinen Mund zu schieben, beobachtete ich die noch schlaftrunkene Kleinstadt. Durch die dichten Wälder zog Nebel über die Wiesen hinein in die Straßen und obwohl Hochsommer war, waberte eine feuchte Kälte meine Unterarme nach oben. Die hügelige Landschaft war ganz anders als die flache, stark bebaute Großstadt, aus der ich kam und das abstrus summende Neonlicht der Tankstelle bildete einen ganz merkwürdigen Kontrast zu den alten Häusern Duskwoods.
Ich schulterte meinen Rucksack und begann mich auf den Weg zu dem kleinen Mietappartement zu machen, was ich gerade online gebucht hatte. Herr Müller trottete etwas widerwillig neben mir her und wirkte dabei genauso verunsichert, wie ich mich fühlte.
Ich war eigentlich nicht der Typ für solche spontanen Ausflüge. Seit ich aus meiner Heimatstadt für mein Studium weggezogen war, hatte ich schon genug damit zu tun, in dieser neuen Umgebung klarzukommen. Ich war schon immer sehr familienverbunden und mir fiel es sehr schwer, Dinge einfach so allein zu entscheiden.
Du brauchst immer dein Sicherheitsnetz, sagte meine beste Freundin immer zu mir und das stimmte auch. Ich war schnell unsicher und verließ mich sehr oft darauf, dass andere immer einen Schritt vor mir waren. Das war dieses Mal nicht der Fall.
Eigentlich war das schon nicht mehr der Fall, seit meine Nummer an Thomas geschickt worden war.
Ein dumpfer Knall ließ mich zurück in die Wirklichkeit und rückwärts auf den Boden knallen. Durch das Bellen von Herrn Müller war es zunächst nicht möglich zu hören, was der Mann, welcher mir seine Hand entgegenstreckte, sagte.
„Müller, aus!"
In beklemmender Stille wurde ich nach oben gezogen, genervt wischte ich mir heißen Kaffee vom Hosenbein, ehe ich wieder nach oben sah.
„Tschuldigung..."
Der circa fünfzig Jahre alte Mann war offensichtlich angetrunken. Die Müdigkeit hatte tiefe, dunkle Augenringe unter seine Augen gemalt, sein Kinn war mit grauen Stoppeln übersäht.
Und, ich blinzelte, irgendwie kam er mir bekannt vor.
„Schon gut", murmelte ich und versuchte dabei nicht ganz so unfreundlich zu wirken, wie ich am liebsten gewesen wäre, „kann ja mal passieren."
Er beobachtete mich noch ein wenig, während ich mich fragte, ob sich meine Jeans in meinen Oberschenkel gebrannt hatte. Seine dunklen Augen waren trotz seines Zustandes erstaunlich wachsam. Und seine Gesichtszüge...
Räuspernd zog er sich die zu weite Latzhose nach oben, wobei der Träger sofort danach wieder nach unten rutschte. Mit einem halbherzigen Winken wankte er erst an mir vorbei, nur um sich nach zwei Schritten nochmal umzudrehen.
Woher kam er mir nur so bekannt vor?
„Kanntest du ihn?"
Seine Stimme war rau, aber warm – ein unlösbarer Widerspruch in sich.
Kannte ich diese Stimme? – Nein.
Kannte ich dieses Gesicht? – Nein... oder?
Als er mich weiter unentwegt anstarrte, bemerkte ich, dass ich seine Frage nicht beantwortet hatte.
„Mhm? Kannte ich wen?"
Er trat denselben Schritt näher, den ich synchron zurücktrat.
„Meinen Sohn", seine Stimme veränderte die Farbe, „meinen Sohn, Richy."
Nach einem weiteren Schritt nach hinten verstand ich.
Richys Vater.
Natürlich.
Deswegen kam er mir bekannt vor und war mir dennoch fremd. Das war Richys Vater. Der vorherige Besitzer von Rogers Garage. Derjenige, mit dem Richy gestritten hatte. Er hatte Richys Augen, aber es fehlten die freundlichen Züge in den Mundwinkeln. Er sah aus wie eine traurige, betrunkene Kopie seines Sohnes.
Als er jetzt so vor mir stand, wollte ich weinen und meine Augen brannten, als ich ihm die Antwort gab, die ich ihm schuldete. Die jedoch absolut gelogen war.
„Nein, tut mir leid"; ich schluckte. Ein Stein, so groß wie die ganze Welt drückte sich in meine Brust, „ich bin nicht aus Duskwood und ich kenne ihren Sohn nicht."
Ein Schleier legte sich über seine Augen, sie wurden müde und trüb. Er nickte, zuckte mit den Schultern und ich fragte mich, ob er wegen Richys Verschwinden trank, oder ob er schon vorher dem Alkohol zugetan war.
Als er um die nächste Straßenecke verschwunden war, sackte alles in mir drin zusammen. Ich hatte nicht gemerkt, wie angespannt ich war, bis die Luft meine Lungen verließ, die ich unbewusst eingesaugt hatte.
Mir wurde ein wenig schwindelig und ich schloss für einen Moment die Augen, doch hinter meinen Lidern sah ich den Wald und die Bäume und Richy und das konnte ich nicht ertragen.
Herr Müller stupste seine kalte Nase an meine Hand.
„Du hast recht, wir sollten weitergehen."
Das Appartement lag unweit von der Bar Aurora entfernt, im Südosten der Stadt. Nachdem ich, wie beschrieben, den Schlüssel unter einem Blumenkübel gefunden hatte, mussten wir in den dritten Stock des alten Umgebindehauses. Die Wohnung befand sich direkt unterm Dach und war mit laut quietschenden Holzdielen verkleidet. Ansonsten war die Unterkunft klein, aber gemütlich eingerichtet. Es gab eine kleine Küche, ein Wohnzimmer mit Holzofen und ein winziges Schlafzimmer unter einer Dachschräge. Die Besitzer waren selbst junge Leute, die den unteren Teil des Hauses bewohnten und mit der Einliegerwohnung im Dach ein bisschen Geld dazu verdienten. Wahrscheinlich – so überlegte ich mir - könnte ich auch mit ihnen ganz unverfänglich über Duskwood sprechen und so vielleicht noch ein paar Informationen sammeln.
Nachdem ich Herrn Müller mit Futter und Wasser versorgt hatte und mein Equipment – einen kleinen Laptop und ein Tablet – aufgebaut hatte, sah ich auf die Uhr. Es war kurz vor halb fünf und damit noch zu früh, um mir irgendwelche Pläne auszudenken.
Außerdem legte sich die Müdigkeit einer Nacht im Reisebus auf meine Schultern und das kleine Schlafzimmer, mit dem sehr gemütlich wirkenden Himmelbett zogen mich magisch an. Bäuchlings ließ ich mich darauf fallen und schlief sofort ein.
Ein Summen ließ mich aus dem Schlaf hochschrecken.
Ich brauchte einen Moment, bis ich kapierte, dass das mein Handy war.
Der Gruppenchat!
Lilly: Leute? Seid ihr da?
Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und setzte mich langsam auf. Es war zehn Uhr – ich hatte über fünf Stunden geschlafen. Mist.
Jake: Ich bin da.
Thomas: Wir sind auch hier.
Thomas: Also Jessy und ich.
Ellie: Hey Leute, ich bin auch da. Was gibt's denn Lilly?
Dan: Moin.
Cleo: Hey
Lilly: Also, die Polizei hatte mich gerade angerufen.
Ich schluckte.
Dan: Okay, Leute jetzt wird's spannend, stellt schon mal den Sekt kalt!
Cleo: Dan!
Dan: Was ist denn?
Jake: Kannst du versuchen, ernst zu bleiben, Daniel?
Dan: Daniel?
Ellie: Leute....
Dan: Nein, so hat mich noch nie jemand genannt.
Thomas: Erzähl bitte weiter, Lilly.
Lilly: Okay, also
Lilly begann zu tippen. Hastig griff ich nach der Wasserflasche aus meinem Rucksack. Kribbelige Nervosität schoss durch meinen Körper. Hatten wir es bereits geschafft? Hatten die Polizisten genug Hinweise finden können? Hatten sie ihn vielleicht sogar geschnappt?
Lilly: Die Polizei hat leider rein gar nichts gefunden.
Cleo: Was?
Lilly: Sie meinten, sie waren eine viertel Stunde, nachdem ich sie angerufen habe, vor Ort gewesen und da war nichts.
Lilly: Versteht ihr?
Lilly: Sie haben nichts gefunden. Nicht Michael Hanson. Nicht Hannah. Nicht die Kerzen, die Spuren und die Bilder.
Lilly: Die Farm war verlassen, das haben sie gesagt. Sie war verlassen und leer. Das war's.
Jessy: Das kann doch nicht sein, wir waren doch dort...
Jessy: Ihr habt es doch selbst gesehen, wir waren dort und haben alles gefilmt, hast du ihnen das gesagt, Lilly?
Lilly: Natürlich und sie wollen das Material auch gerne sichten, jedoch heißt das auch, dass sie ALLES sichten möchten.
Lilly: Alles, was wir gesammelt haben, alles was wir wissen. Sie wollen mit uns allen reden.
Mein Herz klopfte bis zum Hals.
Dan: Scheisse und jetzt?
Dan: Leute?
Dan: Sind eurem Wunderclub die Ideen ausgegangen?
Thomas: Was machen wir jetzt? Sollten wir mit der Polizei reden?
Cleo: Ist vielleicht zu diesem Zeitpunkt das Vernünftigste.
Dan: Und dann? Bekommen sie uns alle dran, wegen Behinderung der Justiz?
Jessy: Also ich für meinen Teil möchte nicht mit denen reden. Als ich wegen Phil dort war, haben sie mir keine einzige Frage beantwortet, sondern nur Gegenfragen gestellt.
Jessy: Für die sind wir doch längst die Schuldigen.
Ich wusste, dass Jessy recht hatte, dennoch waren wir es gewesen, die mit der Polizei in Kontakt getreten waren. Würden wir jetzt nicht kooperieren, würde uns das nur noch mehr verdächtig machen.
Dan: Ellie? Du und dein Hacker – ihr seid ganz schön still.
Ellie: Ich weiß nicht, was ich sagen soll
Meine Finger stockten.
Ellie: Ich weiß nicht, was wir tun sollten...
Jake: Ellie wird nicht mit der Polizei sprechen und ich auch nicht.
Dan: War ja klar...
Jake: Für uns beide steht zu viel auf dem Spiel. Wenn wir jetzt durch eine Festnahme aus dem Verkehr gezogen werden, sind die Chancen gleich null, dass wir Hannah finden. Ihr braucht uns dafür und wir brauchen euch. Es obliegt eurer Entscheidung zur Polizei zu gehen.
Jake: Jedoch werden wir auch dann aus dem Chat und der Suche ausschließen müssen.
Ellie: Jake!
Jake: Du weißt genau, dass das die einzige Möglichkeit ist, Ellie. Es gibt keine andere.
Seufzend drückte ich meine Knie an die Brust.
Ellie: Okay.
Jake: Gut, danke für dein Vertrauen. Also, ihr könnt zur Polizei gehen, aber bitte sagt uns das, bevor ihr das tut.
Nun tippten fast alle gleichzeitig drauf los, nur ich starrte schlapp auf den Bildschirm.
Lillys Neuigkeiten hatten mich eigentlich nicht überrascht und doch hingen sie schwer wie Blei über mir. Die leise Hoffnung, dass nun alles werden würde, hatte sich vor meinen Augen in Luft aufgelöst, wie brennendes Papier. Mein Herz rutschte tief in meine Brust.
Jessy: Wie gesagt, ich bleibe dabei, ich werde nicht zur Polizei gehen. Und Thomas auch nicht.
Thomas: ....
Jessy: Und Thomas auch nicht!
Thomas: Schon gut, ich gehe nicht. Ich bin eh ihr Hauptverdächtiger und ehrlich gesagt, hatte ich nie das Gefühl, dass die Polizei mir wirklich helfen wollte.
Cleo: Ich gehe auch nicht.
Dan: Was auch immer Leute, ich bin eh immer derjenige, der eingebuchtet wird. Bart, lange Haare, erstklassiger Humor... logisch, dass ich nicht dahin gehe. Keine zehn Pferde kriegen mich zu den Bullen.
Jessy: Du hast doch schon mit ihnen geredet.
Jessy: Wegen deinem Auto.
Dan: Ja, ja, ja...
Jake: Lilly?
Lilly: Ich schließe mich dir und Ellie an, Jake.
Lilly: Ich halte zu euch.
Ein leises Lächeln legte sich auf meine Lippen und in mein Herz.
Ellie: Danke, Lilly.
Jake: Gut, dann steht es also fest. Keiner kollaboriert mit der Polizei. Ihr werdet es nicht bereuen.
Dan: Das will ich auch stark hoffen.
Jake: Lasst uns zusammenfassen, was wir nach dem Erlebnis auf der Farm wissen. Was genau ist wann passiert?
Jessy: Thomas und ich sind zu Michael Hansons alter Adresse gefahren.
Thomas: Es hat geregnet und war sehr nebelig. Als wir ankamen, hat das Gelände verlassen gewirkt.
Dan: Jessy hatte eine Bewegung gesehen.
Jessy: Die du als Ratten erkannt haben willst. Ich bin dann den Bunker gegangen, der gleich neben der Farm war, doch der war leer.
Thomas: Ich bin ins Haus gegangen, Jessy war mir gefolgt und dann haben wir den Raum entdeckt.
Jake: Ich habe diesen Teil des Video-Anrufs aufgezeichnet und im Nachgang in Frames geteilt. An der Wand waren detaillierte Aufzeichnungen und Fotos von euch allen zu sehen. Unter Hannahs und Amys Namen stand schuldig. Ein paar Dinge waren für mich schwer zu dechiffrieren, da die Qualität der Aufnahme durch den unsteten Empfang zum Teil stark eingeschränkt war.
Ellie: Das sind doch aber schonmal sehr wichtige Hinweise, Jake. Das wird uns sicher helfen.
Jake: Das hoffe ich.
Jake: Was ist als nächstes passiert, Thomas?
Thomas: Ellie und Cleo haben festgestellt, dass der Täter nicht weit entfernt sein kann, weil die Kerzen noch brannten und dann habe ich auch schon ein Geräusch gehört und mich versteckt.
Jessy: Ich habe nur gemerkt, dass es plötzlich still im Haus war ... zu still.
Thomas: Der Mann ohne Gesicht kam ins Haus.
Ellie: Wie alt sollte Michael Hanson jetzt sein? 40? 50?
Cleo: So ungefähr sicher, ja.
Ellie: Die Gestalt sah jünger aus.
Dan: Das ist mir auch aufgefallen.
Jessy: Thomas hatte den Mann ohne Gesicht abgelenkt, so dass wir beide fliehen konnten.
Thomas: Es war echt knapp.
Ich erinnerte mich, sie rannten um ihr Leben, während er hinter ihnen her gehetzt war.
Dan: Wisst ihr was mich an dieser ganzen Sache stört, Leute? Und ihr könnt mich jetzt für ein Arschloch halten, wie ihr wollt – aber Thomas, ihr hättet den Typen locker überwältigen können. Das war ein Hänfling... wäre ich da gewesen, ich...
Ellie: Dan.
Ellie: Du bist nicht dabei gewesen. Jeder reagiert anders in einer Angstsituation.
Jake: Sagt dir die Fight-Flight-Freeze-Response etwas?
Dan: Nö.
Ellie: Dann google es und hör auf sinnlos rumzustänkern.
Jake: :)
Jake: Ellie wurde danach von ihm angerufen und erneut bedroht.
Jessy: Was? Oh nein, Ellie ☹
Lilly: Das tu mir echt leid. Was hat er gesagt.
Ich schauerte, während ich seine Worte Revue passieren ließ.
Ellie: Dass es wohl nicht genug war, dass er den Mechaniker getötet hatte und dass er euch alle töten würde und ich dabei zusehen müsste.
Eine Weile lang schrieb nun niemand etwas. Es schien beinahe so, als wären nun alle in derselben Schockstarre, wie ich am Tag zuvor.
Lilly: Danach habe ich dann die Polizei gerufen und bis vor einer Stunde auf eine Rückmeldung gewartet. Den Rest wisst ihr bereits.
Ellie: Mhm...
Ellie: Ist es denn möglich, die ganzen Spuren innerhalb von so kurzer Zeit verschwinden zu lassen?
Thomas: Worauf willst du hinaus, dass die Polizei mit Absicht lügt?
Jake: Nein, ich denke, ich weiß was Ellie meint.
Ellie: Ich denke, dass er das allein niemals geschafft hätte.
Lilly: Du meinst also...
Ellie: Dass es zwei Täter sind, richtig.
Dan: Ist das nicht etwas weit hergeholt?
Jessy: Wieso? Prinzipiell spricht doch nichts dagegen.
Jake: Das stimmt und das sollten wir auch so erst einmal im Hinterkopf behalten.
Jake: Auch wenn das jetzt ein großer Rückschlag war, denke ich, dass wir unserem Ziel näher sind, als wir denken.
Jake: Der oder die Täter werden nervös, das heißt, dass wir auf der richtigen Fährte sind.
Dan: Die da wäre?
Jessy: Sie wollen uns denken lassen, dass Michale Hanson der Täter ist, da wir den Köder mit meinem Bruder nicht geschluckt haben.
Cleo: Naja...
Jessy: Phil hat nichts damit zu tun und dabei bleibe ich.
Thomas: Wie geht es jetzt weiter, was können wir tun?
Jake: Wir müssen die Puzzle-Teile neu ordnen und neu zusammenfügen. Wir haben es mit jemandem zu tun, der offensichtlich denkt, dass er schlauer ist, als wir und nun hat er gemerkt, dass das nicht stimmt. Lasst uns alle für sich noch einmal über alle Einzelheiten nachdenken.
Jake: Vielleicht übersehen wir etwas, weil wir zu sehr auf die kleinsten Details achten.
Dan: Also sehen wir sprichwörtlich den Wald vor lauter Bäumen nicht, hahaha
Cleo: Nicht witzig, Dan.
Jake: Lasst uns heute Abend nochmal schreiben, bis dahin hat jeder Zeit sich über das, was wir bereits haben, Gedanken zu machen in Ordnung?
Jessy: Klingt gut.
Cleo: Wie wäre es, wenn wir uns im Café Regenbogen treffen, heute so gegen sechs Uhr? Dann können wir gemeinsam mit euch schreiben. Ich habe derzeit ehrlich gesagt Angst allein zu sein.
Jake: Das klingt nach einer guten Idee, Cleo. Trefft euch und Ellie und ich schreiben dann mit euch.
In mir drin wuchs der Drang, mich mit den anderen treffen zu wollen. Ich konnte verstehen, wie Cleo sich fühlte, denn mir ging es ganz genauso. Die Nähe der anderen würde mir wahrscheinlich ebenso guttun.
Thomas: Okay, dann sechs Uhr im Regenbogen.
Lilly: Geht klar.
Dan: Und was ist mit mir? Denkt einer von euch vielleicht auch mal an euren Lieblings-Invaliden?
Nach und nach gingen alle offline, während Dan sich noch eine Weile darüber beschwerte, was er für schreckliche Freunde hatte. Ich starrte noch eine Weile auf seinen wütenden Monolog ehe auch sein Status offline war.
Ich klopfte mit der Hand neben mir aufs Bett und Herr Müller hüpfte wenige Sekunden später neben mir auf die Matratze.
Meine Finger glitten durch sein zerzaustes Fell, mein Kopf war laut und durcheinander.
„Wo sollen wir anfangen, mhm?"
Die einzige Strategie, nach der ich vorgehen konnte war, den bereits bekannten Tatsachen nochmals tiefer auf den Grund zu gehen. Ich wollte mit mehreren Leuten sprechen, um so mehr Sinn und Kontext zu den Dingen zu bekommen, die wir bereits entdeckt hatten.
Ich würde versuchen, mit Dr. Barret zu sprechen, Hannahs behandelndem Psychologen, auch Alfie und seine Mutter, sowie dem mutmaßlichen Vater würde ich einen Besuch abstatten. Dann bräuchte ich einen Besuchsschein fürs Gefängnis, denn ich war mir sicher, dass Phil einen größeren Anteil an der Geschichte hatte, als Jessy es wollte. Auch Richys Vater und Iris – die Mutter von Jennifer Hanson standen auf der Liste, welche ich im Bus angefangen hatte.
Doch wo würde ich anfangen. Was ergab am Meisten Sinn?
Mein Kopf rauschte beinahe so laut, dass ich das Summen meines Handys fast überhört hätte.
Jake: Ich habe das Gefühl, du verheimlichst mir was.
Ellie: Ob du's glaubst oder nicht, dieses Gefühl kenne ich nur zu gut.
Jake: :)
Jake: Nein, im Ernst, Ellie. Gibt es etwas, worüber du mit mir sprechen möchtest?
Ellie: Alles ist gut, Jake. Mich nimmt die ganze Sache nur ziemlich mit. Im einen Moment glauben wir es geschafft zu haben und im nächsten Moment stehen wir wieder am Anfang. Das ist so zermürbend.
Jake: Ich weiß.
Jake: Mir geht es genauso, auch wenn ich es vor den anderen nicht zeige.
Überrascht über seine Offenheit, ließ ich ihn fortfahren.
Jake: Es macht mich verrückt, dass wir das Ziel so nah vor den Augen hatten. Und dass wir Hannah noch nicht gefunden haben. Und dass du jetzt auch in Gefahr schwebst, damit kann ich nicht umgehen ich...
Die Worte, die mein Herz zum Stolpern brachten, standen so keine drei Sekunden da, dann hatte sie Jake im Nachhinein plötzlich gelöscht.
Das war neu.
Ellie: Was soll das? Warum hast du das gelöscht?
Jake: Weil das nichts bringt. Dir nicht und mir ebenso wenig. Das bringt uns unserem Ziel nicht näher.
Ellie: Na und?
Ellie: Aber UNS bringt es etwas, Jake. Es bringt uns doch etwas, dass wir wissen, dass wir füreinander da sind. Dass wir uns wichtig sind. Du bist mir wichtig, Jake...
Jake: Eliie...
Ellie: Und ich bin dir auch wichtig, dass hast du gerade selbst geschrieben. Ich brauche das Jake, ich brauche diesen Halt und ich glaube du brauchst ihn auch. Weil wir Menschen sind, du und ich. Und wir uns mögen, was ist denn so schlimm daran?
Jake: Das ist genau das Problem, Ellie.
Dann war er offline.
Und ich konnte ihn nichts fragen, zu unserem Vorgehen, zu dem wie ich weitermachen sollte, welche Spur wohl am sinnvollsten war. Ich fühlte mich leer und wütend, nahm mein Kissen in die Hände und brüllte hinein, warf es danach quer durch den Raum und schwang mich auf die Füße.
Die dummen Tränen wusch ich mit eiskaltem Wasser aus meinem Gesicht. Ich packte eine kleine Tasche, einen Fotoapparat, Akkus, Saft und Leckerlis von Herrn Müllern ein.
Es war keine Zeit für albernen Liebeskummer.
Ich wusste, mit wem ich zuerst reden würde.