Ich brauchte einen Moment, bis ich verstanden hatte, dass ich gemeint war. Ich blinzelte und sah auf, nur um in die strengen, kalten Augen eines Mannes Ende vierzig zu schauen.
„Mhm?"
Ich schien ihm gewaltig auf die Nerven zu gehen, denn er verdrehte die Augen, während er ein gespieltes Lächeln aufsetzte. Erst jetzt viel mir auf, dass weitere Männer an anderen Tischen standen und dort die meist jungen Besucher befragten.
„Ich habe gefragt, ob du Ellie bist. Also Elisabeth Wieler?"
Ich zuckte zusammen. Es sah beinahe so aus, als wären das zivile Polizisten.
Als er eine Sekunde später seinen Ausweis zuckte, weil er meine Wortlosigkeit wohl als „Ja" gedeutet hatte, war ich mir sicher – das war die Zivilpolizei.
Und er niemand anderes als Alan Bloomgate.
Verdammt.
„Mia?"
Verzweifelt, wie ein Fisch an Land japste ich nach Luft und rang nach irgendeiner Erklärung, als sich eine weitere Person in mein Blickfeld schob.
Es war ein blonder, sehr hochgewachsener Typ – nein, es war der Typ, gegen den ich vorhin gelaufen war.
„Hey Mia, du hast deine Tasche vergessen", er wedelte mit eben besagter und sah mich bedeutungsvoll an. Das war definitiv nicht meine Tasche. Und mein Name war definitiv nicht Mia, aber er sah mich so durchdringend an, dass ich ihm sofort dankbar meine Hand entgegenhielt.
„Danke, ich hab sie wohl vorhin an der Theke vergessen."
Wie selbstverständlich schob er sich an Alan vorbei und setzte sich auf dem Stuhl mir gegenüber, dann nahm er meine Hände in seine.
Während die Hitze mein Gesicht zu glühen brachte, grinste er kurz in meine Richtung, ehe er so tat, als würde er den Zivilpolizisten erst jetzt entdecken.
„Oh", es klang so gelassen, dass ich ihm die Show abgenommen hätte, würde ich nicht wissen, was hier abging. Moment mal, was ging hier überhaupt ab? Als hätte er mein Unwohlsein gespürt, strich er, ohne mich anzusehen über meinen Handrücken. „Wer sind sie denn? Mia, kennst du den Mann?"
Erwartend wanderten seine Augen zu mir, ich brauchte einen Moment, um mich von ihnen zu lösen.
„Ähm... der Mann ist Polizist. Er sucht nach einer... wie sagten sie gleich?"
Alan biss sichtlich die Zähne zusammen.
„Elisabeth Wieler", sein genervtes Zischen ließ das Blut in meinen Adern gefrieren, „Eine junge Dame, die ihnen zum Verwechseln ähnlichsieht."
„Nun, sie sagen es ja selbst", ich versuchte entspannt zu lachen, es gelang nur mäßig, „sie müssen mich verwechselt haben."
Bloomgate schnalzte.
„Die Ausweise, bitte."
Ich zuckte zusammen, doch ein Blick zu meinem Gegenüber, der fast amüsiert aussah, ließ mich seltsamerweise meine Angst für einen Moment vergessen.
Nervös griff ich in die Tasche, die er mir gegeben hatte und – tatsächlich, darin fand ich ein Portemonnaie, worin sich auch ein Ausweis befand.
Nicht mein Ausweis. Aber ein Ausweis mit meinem Foto.
„Hier" murmelte ich und händigte das gefälschte Dokument aus. Mein Gegenüber tat es mir gleich. Intensiv musterte Alan beide, scannte immer wieder die Namen, hielt die Ausweise ins Licht, schnalzte erneut.
„Mia Landner und Alex Greenfield, also", seine Augen verrieten, dass er nichts von all dem, was er sah glaubte, „Es wird euch doch nicht stören, wenn ich eure Daten mal kurz gegenchecke?"
Ich zuckte zusammen, doch Alex drückte kurz meine Hand.
„Kein Problem", dann sah er gespielt genervt auf die Uhr, „Wir wollen aber nachher noch ins Kino, also..."
„Ja, ja, ja", kopfschüttelnd wandte er sich ab, ehe er sich nochmal umdrehte, „eure Handys hätte ich auch gerne kurz mal."
Ich erstarrte.
„Okay"
Nachdem er sein eigenes Handy aus der Hose gezogen hatte, griff er wie selbstverständlich nach meinem, wischte kurz darüber und entsperrte es. „Wir haben keine Geheimnisse voreinander", erklärte er an Bloomgate gerichtet, „und Mia benutzt immer die unmöglichsten Sperrcodes, wie wollen sie denn da nachschauen?"
Mit ruppigen Händen griff der Zivilpolizist nach meinem Handy und lief damit zu seinen Kollegen am anderen Ende des Raumes.
Alex' Augen verfolgten ihn noch eine Weile, ehe er sich zu mir drehte und grinste, als wäre das alles ein wahnsinnig guter Witz. Verwirrt zog ich meine Hände zurück und rückte ein Stück näher.
„Was soll das Ganze?", mein Flüstern hörte sich lauter an, als ich dachte, „Wer bist du?"
„Alex", murmelte er und zuckte mit den Schultern, „Ich bin ein alter Schulfreund von Jake. Er hat mir nicht viel erzählt... muss er auch nicht. Wenn Jake sich meldet, ist mir schon klar, dass es ernst ist."
Seine Augen wanderten über mein Gesicht, während er sprach. Scheinbar unbewusst hob er seine Hand und strich mir über die Wange.
Seine Haut war ganz warm.
„Was soll das denn?", hastig schob ich seine Hand aus meinem Gesicht und trank einen großen Schluck meiner eiskalten Cola. Einen kurzen Moment verharrte seine Hand in der Luft, ehe er sie kopfschüttelnd sinken ließ.
„Wir spielen hier ein Pärchen, Alex und Mia, du erinnerst dich? Ich versuche nur die Fassade zu waren."
„Oh", war meine geistreiche Antwort, während ich intensiv den Rand meines Glases betrachtete, „und ähm... für Jake ist das okay? Also... also das mit dem Pärchen spielen?"
Einen Moment lang betrachtete er mich ehrlich überrascht, während vor meinem inneren Auge jedes einzelne Phil-Szenario ablief. Außerdem war er derzeit sowieso nicht gut auf mich zu sprechen.
„Er hat gesagt, dass ich alles, was in meiner Macht steht tun soll, um dich zu beschützen", mein Herz machte einen Salto und meine Wangen glühten – wenn das überhaupt noch möglich war – noch mehr, „außerdem geht es nur um einen Abend, das hält er schon mal aus", er warf einen kurzen Blick zu der Polizistengruppe, ehe er sich wieder an mich wandte.
„Ist es denn für dich okay? Ich kann verstehen, dass dir das unangenehm ist."
Er klang ehrlich besorgt, was mich dazu brachte, ihn nochmal anzusehen. Mit aufmerksamen Augen beobachtete er meine Reaktion.
„Ich... nein, das ist es nicht, keine Sorge. Ich bin euch ehrlich dankbar, dass ihr mich hier raus holt... es ist nur", seufzend pustete ich eine Strähne aus meinem Gesicht, „Ich sollte nur gerade gar nicht hier sein und ich habe ihn angelogen und... ach... ich will einfach nicht noch mehr falsch machen."
Mit einer Kopfbewegung deutete mir Alex, dass sie zurückkamen und nahm erneut meine Hand.
„Ich denke nicht, dass er sauer auf dich ist", es war nicht mehr als ein kaum wahrnehmbares Flüstern, „er macht sich nur Sorgen um dich."
Und mit diesem Satz hob er meine Hand an seine Lippen und hauchte einen Kuss auf meinen Handrücken.
Gänsehaut jagte über meine Arme und er ließ – offensichtlich erschrocken über sich selbst – meine Hand schnell wieder sinken.
„Sorry..."
„So" unterbrach Alan grob, „Es scheint alles in Ordnung zu sein. Die Daten sind korrekt, die Handys in Ordnung. Wissen sie, ich habe die Telefonnummer von Elisabeth eingespeichert und ich hätte schwören können, dass sie das sind. Aber ihre Nummer ist eine andere und tja... ich habe mich wohl geirrt."
Man sah ihm klar an, dass er genau wusste, dass wir ihn hinters Licht geführt hatten, doch ohne Beweise konnte er nichts machen.
„Tja dann, genießen sie noch ihren Abend und viel Spaß im Kino", ein leises Lächeln legte sich auf seine Lippen, „lassen sie sich nicht irritieren, falls wir uns heute nochmal begegnen, wir suchen noch eine Weile weiter."
Mit diesen Worten drehte er sich um und ich sackte förmlich in mir zusammen.
„Oh man, das war echt knapp."
Alex fischte grinsend zwei Frühlingsrollen von meinem Teller.
„Du hast da auch noch Spaß dran, oder?"
„Gratis-Essen ist immer prima", genüsslich biss er hinein und zwinkerte unverschämt, „außerdem hat alles geklappt, wie es sollte und sowas macht mich immer glücklich."
Er freute sich dabei tatsächlich wie ein kleiner Junge, was wiederrum mich zum Lächeln brachte.
„Wie hast du das gemacht?", hungrig begann ich von meinem Kung-Bao zu kosten. Es war wirklich köstlich. Erst jetzt bemerkte ich, was für einen Hunger ich eigentlich hatte, „bist du auch ein... naja ein Hacker?"
Kauend musterte er mich einen Moment.
„Hast du Angst vor diesem Begriff?"
„Was meinst du?"
„Na Hacker... du sprichst es wie ein verbotenes Wort aus... so wie..."
„Der, dessen Name nicht genannt werden darf?"
Jetzt lachte er so sehr, dass er sich beinahe verschluckte, ehe er die nächste Frühlingsrolle nahm.
„Magst du dir nicht einfach selbst was bestellen, als mir mein Essen zu klauen? Ich kann es dir auch gerne bezahlen..."
Er überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf.
„Nein, Pärchen teilen doch und außerdem...", sein Blick wanderte auf die Uhr an seinem Handgelenk, „fängt in einer viertel Stunde der Film an, also reicht die Zeit nicht aus. Das nächste Mal dann?"
„Das nächste Mal? Halt – wir gehen jetzt tatsächlich ins Kino?"
Die Gedanken in meinem Kopf rasten so schnell, dass sie immer wieder ineinander knallten und sich verhedderten – es fühlte sich an, als hätte ich ein Schleudertrauma.
„Klar, die da hinten", er deutete wieder auf den Pulk von Männern in Schwarz, „werden uns sicher den ganzen Abend nicht in Ruhe lassen. Bloomgate kommt sicher nicht darüber hinweg, dass er auf deinem Handy rein gar nichts gefunden hat. Wir sind noch nicht aus dem Schneider, Ellie."
Und während er es gar nicht bemerkte, lief mir ein weiterer Schauer über den Rücken, als er das erste Mal meinen echten Namen in den Mund genommen hatte.
*
Duskwoods Kino war kleiner, als die die ich kannte. Es gab drei Säle und einen winzigen Tresen wo sowohl die Tickets als auch Snacks und Getränke verkauft wurden. Die Wände waren sehr hoch und durch die vielen nostalgischen Filmplakate an den Wänden wirkte es zwar etwas verstaubt, aber gleichzeitig auch absolut gemütlich.
„Richtig schön hier", murmelte ich mehr zu mir selbst.
„Ich bin auch gerne hier", fügte Alex hinzu, während er die Stuckdecken betrachtete, „ich mag die Atmosphäre."
„Wie viele Dates hat Alex wohl schon hierhergebracht", sinnierte ich grinsend vor mich hin, „heißt du überhaupt Alex?"
Er schürzte seine Lippen und legte seinen tiefblauen Blick auf mich.
„Du bist ganz schön neugierig, Mia", wieder nahm er meine Hand in seine. Ich fühlte mich fast schon schlecht dabei, denn ich begann es zu mögen. „Ich denke, du stellst zu viele Fragen und ich denke, ich stelle zu wenige. Wo kommst du eigentlich her?"
So leicht würde ich ihn davonkommen lassen. Wohlwissend, dass Alan Bloomgate gerade das Foyer betreten hatte, knuffte ich Alex leicht in die Seite und er begann zu lachen.
„Du bist ganz schön neugierig, Alex."
„Schon gut, ich geb auf."
Nachdem wir die Tickets gekauft hatten und ich unter Protesten meines Schein-Partners Popcorn für uns beide besorgt hatte, liefen wir gemeinsam zum Kinosaal. Selbstverständlich wurden wir dabei auffällig unauffällig von Polizisten verfolgt und taten unser Bestes, unser Schauspiel weiter fortzuführen.
Mein Herz überschlug sich dabei die ganze Zeit, denn sein Lächeln war so ansteckend und er schaffte es, es so aussehen zu lassen, als würde er nur Augen für mich haben – und mein Gott, waren seine Augen schön.
Es fühlte sich natürlich an, als er seine Hand auf meinen Rücken legte, um mir den Weg zu weisen und ich hörte ihm gerne zu, als er davon erzählte, wie er als Kind mal in diesem Kino König der Löwen geschaut hatte.
Es fühlte sich einfach an mit ihm.
Mir fiel erst auf, wie sehr ich mich auf ihn konzentrierte, als er mich fragte, ob ich Thriller überhaupt mochte. Ich wusste gar nicht, welchen Film wir schauen würden.
„Hey, ist alles okay?", fragte er leise, „du hast es bald geschafft, ich glaube, wir langweilen sie etwas."
Ein gepresstes Lachen entwich meinen Lippen, als ich tiefer in den Sitz rutschte.
Meine Hand lag immer noch in seiner, ab und zu strich er wie selbstverständlich darüber.
Wenn im Kino das Licht ausging, hatte das immer etwas Geheimnisvolles. Eine Spannung wanderte durch den Raum, Aufregung auf den bald beginnenden Film, ein heimlicher Kuss, der im Dunkeln getauscht wird, Getuschel in den kleinen Grüppchen und irgendwie hielten immer alle einen Moment lang den Atem an.
Es war der Moment bevor die Leinwand erhellt wurde, dieser kleine, elektrisierende Moment in Dunkelheit, als ich mir erlaubte, mich meinen verwirrten Gefühlen hinzugeben. Meine Finger wanden sich aus seinem Griff, glitten nun über seinen Handrücken. Ich zeichnete kleine, vorsichtige Kreise über seine Haut, hörte seinen Atem, während sich mein Magen vor Aufregung zusammenzog. Ein Teil von mir wollte sich zu ihm lehnen, nur kurz, um meinen Kopf an seine Schulter zu lehnen, nur kurz testen, wie es sich anfühlen würde, wenn...
Doch dann ging die Werbung los und der Moment war vorbei.
*
Es war dunkel, als wir das Kino verlassen hatten und einen Weg einschlugen, der nicht zu meinem Appartement führte. Ich würde, nachdem wir sie abgehängt hatten, einfach eine Weile an der Tankstelle warten, ehe ich meinen Heimweg antreten würde. Nach dem Film hatten wir nicht mehr viel miteinander geredet und je stiller Alex wurde, desto lauter wurde mein Kopf. Ich hatte Schuldgefühle und fragte mich, woher das Vertrauen kam, dass ich ihm sofort geschenkt hatte, nachdem er mir kurz erklärt hatte, dass er ein Freund von Jake sei.
Das hätte jeder sagen können, Ellie. Auch die Polizei und auch der Mann ohne Gesicht.
Das wusste meine rationale Seite ja auch, aber mein Herz und mein Bauchgefühl hatten ihm vertraut, sobald er mich aus dieser Situation gerettet hatte. Einfach so. Dabei hatte ich ehrlich gedacht, dass ich vorsichtiger sein würde, wenn ich hier war und hier beging ich schon wieder den nächsten Faux-Pas.
Die Straßen waren leer geworden und das einzige Geräusch, das zu hören war, war das Laufen unserer Füße auf dem Asphalt.
Alex schien selbst in seinen Gedanken gefangen zu sein. Sein Blick war leicht nach oben in den dunklen, sternenverhangenen Himmel gerichtet, weit weg von diesem Ort.
Er war im Gegensatz zu mir sehr groß, überragte mich gut anderthalb Köpfe und seine blonden Haarsträhnen kitzelten seine recht dunklen Augenbrauen. Seine Nase war fast gerade, abgesehen von der kleinen, knubbeligen Verformung auf seinem Nasenrücken. Ob er sich mal geschlagen hatte?
„Wieso starrst du mich an?"
Er war plötzlich stehen geblieben und hatte sich zu mir gedreht, die Laterne über uns flackerte ein wenig.
„Ich hab mich nur gefragt, woher ihr euch kennt... Jake und du?"
Seine blauen Augen musterten mich aufmerksam, dann sah er erst nach links, dann nach rechts, doch von unseren Verfolgern war nichts mehr zu sehen.
„Aus der Schule", antwortete er schließlich, „wir waren gemeinsam im Informatik-Leistungskurs."
„Und seitdem steht ihr in Kontakt? Er ist also hier zur Schule gegangen?"
Er stockte einen Moment.
„Nein, aber in einer Stadt in der Nähe... Ellie ich denke, solche Sachen solltest du ihn selbst fragen, wenn die Zeit dafür gekommen ist."
„Tja... das höre ich oft..."
„Tut mir leid", seine Worte klangen ehrlich, genau wie das, was seine Augen sagten, „es ist sicher nicht mehr lang, bis ihr..."
In diesem Moment kamen sie um die Ecke. Sicher neun Polizisten, darunter Alan. Wahrscheinlich wollten sie uns überraschen und uns einem Moment erwischen, in dem wir unsere Fassade hatten fallen lassen. Einen Moment der Unachtsamkeit.
Noch bevor ich irgendetwas tun konnte, hatte Alex mich an der Hüfte gepackt und gegen die kleine Mauer gelehnt. Seine Haare kitzelten meine Stirn, während ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Aus der Sicht der Polizisten musste es wohl so aussehen, als wären wir dabei, uns innig zu küssen, doch seine Lippen schwebten nur wenige Zentimeter über der empfindlichen Stelle an meinem Hals und die Gänsehaut, welche sich über meinen ganzen Körper zog, brachte mich zum Erschauern.
Ich ließ meine Hände über seinen Rücken wandern, konnte fühlen, wie angespannt er war.
Als ich aufsah, sah er mich an – anders als vorhin, als wöllte er mir etwas sagen.
Als gäbe es da diese eine Sache, die all dem Sinn geben würde.
„Komm schon Alan", sagte einer der Polizisten lachend, „jetzt lass doch die jungen Leute mal in Ruhe, du siehst doch, dass sie nicht schauspielern!"
Ich hörte die Schritte der Zivilbeamten und wie sie sich entfernten, hörte das Lachen und die Diskussionen, bis sie verstummt waren. Ich hatte mich nicht ein einziges Mal nach ihnen umgedreht.
Ich hielt ganz still in seinen Armen, genoss wie mich sein Atem kitzelte, wie er sich anfühlte.
Dann ließ er los.
Und mir wurde kalt.
„Puh", lachte er und wischte sich kurz übers Gesicht, „die waren ein harter Brocken, aber das haben wir dann wohl geschafft."
Lachend fasste er sich in die Haare und trat ein paar Schritte von mir weg.
„Ja", meine Stimme war so belegt, dass ich im Erdboden versinken wollte, „das... das war echt knapp."
Alex betrachtete mich einen Moment schweigend und atmete dann sichtbar durch.
„Von hier aus schaffst du es allein, oder? Nicht, dass ich dich sitzen lassen will, aber ich denke, meine Aufgabe ist hier erledigt und du willst sicher zurück."
Eigentlich nicht.
„Ähm... ja. Ja klar, kein Problem... es ist ja gleich hier um die Ecke."
„Okay, dann... mach's gut, Ellie."
Ich war schon dabei mich umzudrehen als...
„Warte!"
Er zucke zusammen und wirkte seltsam ertappt.
„Mein Handy... es ist doch noch... verstellt, oder?"
Er lächelte kurz und nahm mir mein Smartphone aus der Hand.
„Das war nur eine virtuelle Oberfläche, welche ich über deine Handydaten gelegt habe, ... die war bereits in Nymos integriert", er sah beinahe ein wenig stolz aus, als er sie mit einfachen Handbewegungen deaktivierte, „ein einfacher Befehl und dein Handy ist absolut sicher. Einen richtigen Test bei einem der White Hacker der Polizei hätte es sicher nicht überstanden, aber es war klar, dass wir so für genug Irritation sorgen würden."
Als er mehr mit sich selbst sprach, als mit mir und mir schließlich lächelnd mein Handy zurückgab, fielen mir wieder seine markanten Augenbrauen auf. Irgendetwas an ihnen war unpassend.
„Wir haben für genug Irritation gesorgt?"
Erstaunt sah er mir ins Gesicht, dann zauberten seine Lippen das schönste Lächeln, was ich seit langem gesehen hatte. Ertappt, erstaunt, beeindruckt. Seine Finger berührten kurz meine Hand, ehe er sich endgültig umdrehte und davonlief.
„Bis bald, Ellie!"
*
Es war weit nach Mitternacht, als ich in meinem Appartement angekommen war und während ich mit dem etwas zerknautschten Herrn Müller ums Haus lief, checkte ich die Nachrichten, die ich in der App erhalten hatte. Lilly hatte sich für den Tag bedankt und ich schrieb ihr schnell zurück, dass ich auch Spaß hatte. Jessy hatte Thomas dabei fotografiert, wie er in ihrem Wohnzimmer seinen Rechner aufgebaut hatte, um sich ein bisschen abzulenken. Er hatte sie wohl später dazu gebracht, mit ihm gemeinsam World of Warcraft zu spielen, was sie etwas abgelenkt hatte.
Lilly hatte mit Dan geschrieben – sie hatten sich für morgen eine Uhrzeit ausgemacht, wann sie ihn abholen würde aus dem Krankenhaus und Cleo hatte ein Rezept für Kartoffelauflauf gepostet.
Man konnte deutlich spüren, dass sie alle sich versuchten, irgendwie abzulenken und dass sie müde waren – müde von der Angst, müde von der ständigen Anspannung und dem Gefühl beobachtet zu werden.
Als ich wieder zurück auf meinem Zimmer war, versuchte ich herauszufinden, was ich gerade fühlte. Die letzte Zeit war so anstrengend gewesen, aufwühlend und schwer ertragbar – heute war der erste Tag, an dem ich das Gefühl hatte, dass es voran ging. Wir hatten Verdächtige ausschließen können, ich hatte Lilly kennengelernt und dann...
Dann war da dieses Date und diese Gespräche und diese... Berührungen. Dann war da dieser Typ, der einfach aufgetaucht war und dem ich sofort vertraut hatte, als würde ich ihn schon mein Leben lang kennen. Da waren seine Blicke, die so echt aussahen, ...
Ich betrachtete mich im Spiegel, während meine Gedanken in meinem Kopf Achterbahn fuhren. Meine Wangen waren immer noch gerötet, meine Augen strahlten... konnte es sein?
Konnte es wirklich sein?
Schnell durchquerte ich mein Zimmer und schnappte mir mein Handy, welches ich zuvor achtlos aufs Bett geworfen hatte und öffnete die Nachrichten-App.
Ich hatte ihm bisher nicht geschrieben, einerseits, weil er immer noch auf mich böse war und andererseits, weil ich mich schlecht fühlte, wegen der letzten Stunden.
Aber, da waren diese kleinen ertappten Blicke gewesen, seine viel zu ehrlichen Berührungen und die blonden Haare, welche einfach nicht zu seinen Augenbrauen gepasst hatten.
Ellie: Jake? Bist du da?
Es dauerte keine Sekunde, dann leuchtete sein Status-Zeichen auf.
Jake: Hallo, Ellie.
Ellie: Das warst du, oder?
Jake: Ich weiß nicht, was du meinst.
Ellie: Hör auf mich für dumm zu verkaufen.
Ellie: Es gibt keinen Alex, richtig?
Einen Moment lang blieb er still und ich befürchtete kurz, dass er offline gehen würde, doch dann:
Jake: :)
Jake: Das nächste Mal bezahle ich fürs Popcorn.