Hinweis: Die hier vorliegende Version der Geschichte ist großteils noch unlektoriert und unvollständig. Sie dient lediglich als Leseprobe. Die nachträglich beigefügten Audiolesungen hingegen entstammen der überarbeiteten Fassung.
Der schale Geschmack in seinem Mund erinnerte ihn entfernt an die Toilettengrube der ausländischen Autobahnraststätte, an der seine Eltern und er bei der allerletzten Urlaubsreise im vergangenen Jahr eine dringend notwendige Pause eingelegt hatten. Zum Glück hatte er gestern hinten im Lager noch zwei Kartons voller TicTacs entdeckt. Träge schob er sich eine Handvoll davon in den Mund. Hoffentlich half das. An Zähneputzen war, soweit man dies mit fünfzehn überhaupt freiwillig tat, bei dem giftigen Regenwasser in der Tonne nicht mehr zu denken. Für die Pflanzen jedoch schien diese trübe Brühe ein wahres Tonikum zu sein. Die Bäume und Büsche schossen jetzt in geradezu gigantische Höhen. Genau seit dem Beginn dieser seltsamen Invasion, dachte er betrübt. In Gedanken versunken nestelte er nach weiteren TicTacs. Die Menschheit starb nun endgültig aus, das stand mal fest. Vermutlich war sie selbst schuld daran. Doch wer wollte das jetzt noch beweisen? Und warum? Sein Magen knurrte zustimmend. Er seufzte. Er sollte sich endlich etwas zu Essen suchen und dann schnell wieder verschwinden.
Vorsichtig umrundete er barfuß die zerbrochenen Reste der Glasscheiben, wo sich die Obstbäume durch das Dach des weitläufigen Gewächshauses geschoben hatten. Er wuchtete einen Apfel hoch und verstaute ihn neben der faustgroßen Stachelbeere in seinem Jutesack. Immerhin mangelte es ihm hier nicht an Nahrung. Auch der Birnbaum weiter hinten trug bereits zum zweiten Mal innerhalb von sechs Wochen Früchte. Er musste jedoch vorsichtiger sein. Gestern war er fast von einer herabfallenden Frucht erschlagen worden. Der mutmaßlich letzte Bewohner von Bielefeld lächelte betrübt. Verhungern würde er nicht. Erfrieren höchstwahrscheinlich auch nicht, doch alles andere blieb abzuwarten.
Gähnend schleppte er sein Frühstück zurück durch den leeren Verkaufsraum der Gärtnerei. Eine Wespe hatte sich in die Ruine verirrt. Mit einem Brett bugsierte er das Tier behutsam ins Freie. Das störrische Insekt schien, wie viele andere vor ihm, vom Geruch der ausgelaufenen Limonaden im Getränkemarkt nebenan und den gärenden Früchten im Gewächshaus angelockt worden zu sein. Mit aller Kraft drängte er das monströse Tier zurück durch eine Fensteröffnung, bevor er den Spalt wieder mit Brettern verschloss. Erschöpft sank er auf den Boden. Wie lange würde er diesen Kampf noch führen können? Nicht ausgeschlossen, dass er sich bald eine andere Bleibe suchen musste. Doch dort draußen war es auch nicht besser. Nirgends war es mehr sicher. Seitdem die Pflanzen unkontrolliert wuchsen und damit die Gebäude zum Einsturz brachten; seitdem sich sämtliche Kunststoffe innerhalb weniger Stunden an der Luft zersetzten, und die Insekten sich auch nicht mehr an die gültigen Spielregeln der Natur hielten. Seitdem war die Welt dort draußen echt gefährlich geworden. Lebensgefährlich. In seinen Survivalspielen auf der Konsole war ihm dies immer ziemlich cool vorgekommen, doch die Realität war absolut scheiße.
Seufzend rappelte er sich auf. Er griff nach dem Sack und zog die Beute in das hintere Lager. Hier gab es glücklicherweise keine Fenster, dafür jedoch eine verschließbare Eisentür. Die Wände des flachen Gebäudes waren jedenfalls noch intakt. Zwar musste er nun im Dunkeln hocken, denn Feuer lockte die Insekten an, doch auch daran hatte er sich inzwischen gewöhnt. Dies war sein Heim, vorläufig zumindest. Außerdem gab es hier neben dem Schutz vor der Umwelt noch etwas Besseres. Er hatte trinkbare Flüssigkeiten gefunden. Nachdem der Regen ungenießbar geworden war und sich sämtliche Kunststoffflaschen zersetzt hatten, war er zunächst fast verdurstet, bis er auf diese Lagerräume des Getränkemarktes gestoßen war.
Hungrig schnitt er sich ein Stück vom fußballgroßen Apfel ab, dann ließ er ploppend einen Kronkorken durch die Finsternis segeln. Immerhin hatte man dieses Zeug bis zum Ende in Glasflaschen abgefüllt. Es schmeckte zwar widerlich bitter und verursachte Kopfschmerzen und Übelkeit, aber alles war besser, als zu verdursten.