Kapitel 7
Völlig durchnässt und am Ende meiner Kräfte näherte ich mich auf leisen Pfoten dem verwitterten Holzverschlag und spähte vorsichtig hinein.
Er war leer.
Die graugetigerte Mieze war nicht da.
In meine Erleichterung darüber, ein Nachtlager zu haben, mischte sich deutliche Enttäuschung, denn insgeheim hatte ich doch auf ein Wiedersehen mit ihr gehofft.
Zitternd vor Kälte kroch ich in den Verschlag und begann mich ausgiebig zu putzen. Ich putzte so lange, bis mein Fell einigermaßen trocken war. Dann rollte ich mich erschöpft zusammen, legte meinen Kopf auf die Pfoten und schloss die Augen.
Was für ein furchtbarer Tag!
Zu allem Unglück meldete sich nun auch noch lautstark mein hungriger Magen, denn ich hatte den ganzen Tag noch nichts gefressen. Gerne wäre ich noch einmal zu den Müllkübeln geschlichen, hinter denen für gewöhnlich unser Teller mit dem Futter stand, doch ich war einfach zu schwach. Also versuchte ich den knurrenden Magen zu ignorieren und schlief irgendwann erschöpft ein.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, regnete es immer noch. Der Regen trommelte auf den Verschlag und überall waren Pfützen.
Aber ich fror nicht mehr.
Im Gegenteil, mir war ungewöhnlich heiß. Ich rappelte mich auf und tappte auf unsicheren, schweren Pfoten nach draußen.
Alles um mich herum schwankte und wackelte.
Was war denn nur mit mir?
Vielleicht sollte ich etwas fressen, damit ich wieder zu Kräften kam. Also wankte ich los, im strömenden Regen, in Richtung der Mülltonnen. Imnu war mein Fell wieder völlig durchnässt, aber ich spürte es kaum. Ich hatte Mühe, meinen Weg zu finden, denn die Welt war heute irgendwie wackelig, und ich hatte große Mühe, vorwärts zu kommen.
Als ich schließlich bei den Tonnen ankam, stand da kein Teller.
Fassungslos sah ich mich um.
Das war einfach zu viel!
Ich verzog mich unter einen winzigen Mauervorsprung, kauerte mich an die kalte Wand und begann kläglich zu mauzen.
„Na, wen haben wir denn da?“, hörte ich plötzlich wie von Ferne eine helle Stimme. Zwei warme Hände griffen nach mir und hoben mich hoch. Ich war zu schwach, um mich zu wehren, aber der Griff war auch nicht so fest wie gestern bei dem wilden Jungen. Nein, diese Hände waren zärtlich und vorsichtig, und eh ich mich versah, lag ich im Arm der Frau, die mich gestern vor der Kinderschar gerettet hatte.
Prüfend betrachtete sie mich.
„Du bist ja ganz nass, Kleines“, stellte sie besorgt fest und legte fürsorglich ihre warme Jacke um mich, bevor sie mit mir zu dem Haus gegenüber ging.
Dort angekommen nahm sie mich mit in ein warmes Zimmer, wo es angenehm duftete. Sie setzte mich behutsam auf den Boden und stellte mir einen Teller mit leckerem Futter hin. Ich schnupperte daran, aber irgendwie verspürte ich keinen Appetit mehr. Mir war so furchtbar heiß. Trotzdem zitterte ich am ganzen Körper und meine Pfoten waren schwer wie Blei und schienen mich gar nicht mehr tragen zu wollen.
„Du armes Kätzchen“, sagte die Frau und streichelte meinen Kopf. „Ich fürchte, du hast dich erkältet.“
Wie dem auch sei, erkältet oder nicht, als sie mir eine Decke hinlegte, kletterte ich schwerfällig darauf, legte mich nieder und schlief sofort erschöpft ein.
Als ich erwachte, befand ich mich in einem Körbchen, das um mich herum vergittert war. Das Körbchen stand auf der Rückbank eines Autos. Ich erinnerte mich vage daran, dass meine Familie mich auch manchmal mit so einem Körbchen zum Tierarzt gefahren hatte. Diese Fahrten waren für mich nicht angenehm, denn ich wollte nicht zum Tierdoktor, weil dieser mich dann meistens mit irgendeiner spitzen Nadel piekte.
Ich drückte meine Nase an die Gitterstäbe und begann jammernd zu protestieren, was jedoch auf Grund meiner Schwäche selbst in meinen Ohren nicht sehr überzeugend klang.
„Alles gut, meine Kleine“, klang die Stimme der fremden Frau an mein Ohr. „Wir machen dich ganz schnell wieder gesund.“
WIR?
Wer zum Katzengeier war WIR?
Außerdem war ich gar nicht krank.
Oder doch?
Na ja, wenn ich ehrlich war, fühlte ich mich wirklich ziemlich elend. Also ergab ich mich meinem Schicksal und harrte der Dinge, die da auf mich zukommen würden.