Severus stand im Badezimmer und rasierte sich. Hardin hatte sich seit ihrem Gespräch ihm gegenüber zurückgehalten und auch die anderen Todesser hielten sich bedeckt. Er war im Gedanken als er aus dem Wohnzimmer plötzlich etwas laut rumpeln hörte und dazu einen dumpfen Schrei von Narzissa. Severus sprintete, das Gesicht noch voller Rasierschaum, aus dem Bad erblickte seine Frau. Sie lag auf dem Boden und hielt sich schmerzverzerrt den Bauch.
„Ich glaube, es ist so weit.“, sagte sie schwach.
Severus verlor keine Zeit. Er half Narzissa auf die Beine und bugsierte sie in einem Sessel. Anschließend wischte er sich schnell mit einem Tuch das Gesicht ab und zog seinen Mantel an. Severus zog Narzissa auf die Beine, legte den Arm um sie, damit er sie halten konnte, und mit der anderen zog er seinen Zauberstab. Der große Vorteil daran, der Schulleiter von Hogwarts zu sein, war, dass sämtliche Apparierrestriktionen nicht für ihn galten. Er drückte seine Frau an sich und disapperierte.
Einen Augenblick später tauchten sie in der Vorhalle des St. Mungos Krankenhauses auf. Eine Krankenschwester zuckte erschrocken zusammen als sie direkt neben ihr auftauchten.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie nachdem sie sich wieder gefasst hatte.
„Sie bekommt ein Kind!“, entgegnete Severus.
Die Schwester steckte zwei Finger in den Mund und pfiff in die Richtung einiger Pfleger.
„Peters! Marvick! Los, ihr werdet gebraucht!“, rief sie den beiden Männern zu.
Einer der Pfleger beschwor eine Trage herauf und sie hievten Narzissa darauf. Anschließend brachten sie sie weg. Severus eilte ihnen hinterher, doch vor einer großen Doppeltür hielt ihn die Krankenschwester auf.
„Es gibt Dinge, die müssen wir Frauen selbst erledigen! Hier, füllen Sie das inzwischen aus!“, sagte die Schwester und drückte ihn einen Wisch in die Hand.
Severus blieb sprachlos zurück. Er setzte sich auf einen der Stühle im Flur und sah sich den Zettel an, den die Schwester ihn in die Hand gedrückt hatte. Es war eines dieser üblichen Krankenhausschreiben in die man seine Daten eintrug. Name, Geburtsdatum, nächste Verwandte und so weiter. Severus würde das später erledigen. Jetzt saß er da wie auf heißen Kohlen.
Es dauerte Stunden, doch Severus konnte sich nicht überwinden zu gehen und auf Nachricht aus dem Krankenhaus zu warten. Er wollte bei seiner Frau sein, ihr beistehen und doch saß er nur hier herum und wartete. Manchmal stand er auf und tigerte den Gang auf und ab, was schließlich den diensthabenden Pfleger so nervte, dass er ihn immer wieder auf einem der Stühle bugsierte und meinte er solle sich beruhigen.
Das Problem war, Severus war das Gegenteil von Ruhe. Er dachte daran was hätte alles schief gehen können bei der Geburt. Was, wenn es Komplikationen gab? Nein, er durfte nicht daran denken. Severus atmete tief durch. Es war schon irgendwie seltsam. Als Narzissa Draco bekommen hatte war kein Arzt in der Nähe gewesen und Lucius hatte den einzigen angehauen, den er kriegen konnte: einen Alchemiestudenten mit flatternden Nerven namens Severus Snape. Heute hatte er keine Ahnung wie er es geschafft hatte, dass Dracos Geburt glatt ging. Genau genommen war das nämlich trotz seiner medizinischen Kenntnisse überhaupt nicht sein Fachgebiet. Er und Narzissa hatten sich darauf geeinigt, dass wenn das Baby kam, sie sich so einem Risiko nicht noch einmal aussetzen wollten.
Severus' Anspannung löste sich über Stunden hinweg nicht. Er wurde nur irgendwann zu müde, um weiter nervös herum zu tigern und saß mit seinem Mantel als Kopfkissen in einer Ecke und döste vor sich hin. Schließlich rüttelte ihn jemand unsanft aus dem Halbschlaf.
„W-was?“, fragte er verwirrt.
„Kommen Sie mit.“, sagte die Schwester.
Benommen folgte Severus ihr zu einem Zimmer. Er trat ein und auf dem Bett lag Narzissa. Sie sah deutlich geschafft aus und in ihren Armen lag ein winziges Bündel von einem Menschen, dass begierig an einer ihrer Brüste saugte. Severus meinte zu spüren wie ihm die Knie weich wurden. Er trat vorsichtig an das Bett heran und setzte sich.
„Was ist es?“, fragte Severus Narzissa.
„Ein Mädchen, Severus. Ich habe sie Violet getauft.“
Severus verknotete seine Finger ineinander. Dieses kleine, zarte Wesen. Da hatte man ja Angst etwas zu zerbrechen.
„Sie ist wirklich wundervoll.“, sagte Severus mit erstickter Stimme. Das fehlte gerade noch, dass er in Tränen ausbrach.
Vorsichtig streckte er seine Hand nach dem Kind aus und streichelte ihre weiche Haut. Eines ihrer kleinen Händchen klammerte sich an einen seiner Finger. Severus musste schlucken. Er konnte es im Grunde nicht fassen. Was das wirklich sein Kind? Sie sah so verschrumpelt aus. Wie ein alter Mann, der zu lange gebadet hatte.
„Willst du sie mal halten?“, fragte Narzissa. Severus nickte. „So, hier. Die Hand hinter den Kopf, genau so!“
Severus hielt diesen kleinen Menschen in seinen Armen und sah auf sie herab. Er strich ihr sanft über die rosigen Wangen. Violet gab einen langen, zahnlosen Gähner von sich. Mit einem Mal packte es Severus und er fing an zu heulen wie er vermutlich noch nie geheult hatte in seinem Leben. Allerdings waren es Tränen der Rührung. Bis jetzt wusste er gar nicht, dass er zu so etwas fähig war.
Er gab das kleine Päckchen seiner Frau zurück. Auch wenn Severus im Augenblick vielleicht nicht so aussah war er glücklich wie noch nie. Er wischte sich mit den Händen die Tränen aus den Augen. Er hatte ein Kind! Er hatte tatsächlich ein Kind!
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Nach knapp einer Woche entließ das Krankenhaus Narzissa. Sie blieb mit dem Neugeborenen in ihrer Wohnung in Hogwarts. Severus wies die Hauselfen an seiner Frau alles zu bringen, was wollte oder brauchte.
Severus saß im Schulleiterbüro. Die Tür öffnete sich und zu seiner Überraschung war es Lucius, der eintrat. Severus blickte ihn verwundert an.
„Narzissa hat mir geschrieben.“, sagte Lucius erklärend. „Es freut mich wirklich für euch beide.“
„Warst du schon bei ihr?“, fragte Severus.
„Nein, ich dachte es ist besser ich frage zuerst dich.“, antwortete Lucius.
„Muss ich einen Kampf erwarten, wenn ich dich begleite?“, fragte Severus.
„Wie ich dir schon vor Monaten gesagt habe; ich habe mich damit abgefunden. Ich weiß, ich war furchtbar zu dir und Narzissa. Ich hatte sie nicht verdient, Severus.“
Er erhob sich hinter seinem Schreibtisch.
„Also schön, komm mit.“, sagte Severus. Er führte Lucius in ihr Quartier, wo Narzissa im Bett lag. Violet lag an ihrer Brust und schlief.
„Nicht so laut, ihr Männer, sie ist gerade eingeschlafen!“, zischte Narzissa leise.
Lucius setzte sich auf das untere Ende des Bettes.
„Sie ist wirklich wunderschön.“, sagte Lucius. „Narzissa, du hast wirklich ein großes Glück, weißt du das? Vielleicht war es ja Schicksal oder Karma oder was auch immer … ich vergebe dir, euch beiden. Was passiert ist, ist passiert. Keiner von uns hat sich von seiner besten Seite gezeigt, vermute ich.“
„Lucius“, sagte Narzissa. „Es ging nie darum dich zu hassen. Du warst unausstehlich in einer Zeit, wo ich dich am meisten gebraucht hätte.“
„Ja, ich weiß. Das tut mir auch aufrichtig leid.“, erwiderte Lucius. „Ich hab' mich wie ein Vollidiot benommen. Ich weiß, das macht es alles nicht wieder gut, aber ich möchte, dass du und Severus im übrigen auch, dass wir wieder Freunde sind. Ich habe sehr lange gebraucht, um mir klar darüber zu werden, was ich falsch gemacht habe. Und es freut mich wirklich, dass du noch ein Kind bekommen hast, selbst wenn es nicht das meine ist.“
„Entschuldigung angenommen.“, sagte Narzissa.
Lucius erhob sich, er ging auf sie zu und gab ihr sanft einen Kuss auf die Stirn. Anschließend umarmte er Severus wie einen alten Freund.
„Ich will euch nicht weiter stören.“, sagte Lucius schließlich und ging.
Severus sah ihm hinterher. Irgendwie beruhigte es ihn, dass Lucius nicht mehr sauer auf ihn war und endlich wieder Frieden in ihre Beziehung einkehren konnte.