Die Einführungsfeier zu Beginn eines jeden Schuljahrs war für viele ein Ereignis. Alle wollten wissen in welche Häuser die neuen Schüler kamen. Dieses Jahr jedoch war alles etwas anders. Nicht zuletzt, weil mit aller Spannung erwartet wurde in welches Haus Harry Potter kommen würde. Natürlich hätte sich jeder gern mit dem Jungen, der überlebt hatte, geschmückt. Jeder bis auf Severus Snape. Ganz ehrlich, er stand dem heutigen Abend schon mit einem etwas mulmigen Gefühl gegenüber. Auch weil Albus es einfach nicht lassen konnte ihn damit aufzuziehen, was wäre wenn Harry ausgerechnet nach Slytherin käme. Klar, es war ein Witz! Niemand glaubte ernsthaft, dass der Junge ausgerechnet in dieses Haus käme. Es war völlig abwegig. Der Junge war quasi dazu bestimmt ein Gryffindor zu werden. Bei den Eltern!
Dennoch, manchmal erwischte sich Severus dabei wie er daran dachte, dass es theoretisch möglich wäre. Er wollte sich das gar nicht ausmalen! Ein Alptraum! Inständig betete er dafür, dass dieser Kelch an ihm vorbei ginge. Severus hatte überhaupt keine Ahnung was er tun würde, falls es doch passieren würde. Vielleicht schreiend aus der Großen Halle stürmen? In Ohnmacht fallen? Albus verprügeln?
Als Severus am großen Tisch der Lehrer saß und Minerva die Erstklässler wie immer in die Halle führte wagte er einen Blick auf den kleinen, schmächtigen Jungen mit der Brille. Gottverdammt, er sah genauso aus wie James als er in dem Alter war! Ein Mädchen mit buschigem, braunen Haar redete permanent auf ihn ein und ein Rothaariger, der garantiert ein weiterer Weasley war, versuchte ihren Schwall zu bremsen bis Minerva den Sprechenden Hut auf den Hocker tat und die aufgeregten Erstklässler von ganz allein verstummten. Alphabetisch rief sie einen nach dem anderen auf bis sie schließlich bei „Potter, Harry“ angelangte. Der trat unsicher vor und setzte sich auf den Stuhl. Minerva setzte ihm den Sprechenden Hut auf, der ihm sofort über beide Ohren ins Gesicht rutschte. Stille. Eine lange, unerträgliche Stille.
„SLYTHERIN!“, rief der Sprechende Hut aus.
Severus meinte sich verhört zu haben und zwickte sich ins Bein, um sicher zu sein, dass er nicht träumte. Nein, er schlief nicht, das hier war real! Ihm klappte entsetzt der Mund auf und Albus rempelte ihn mit dem Ellenbogen an damit er sich wieder fasste.
Am Tisch der Slytherins brach ein eher verhaltener Jubel aus. Vielleicht auch, weil sie ebenso überrascht waren wie ihr Hauslehrer. Harry ging zögerlich auf den Haustisch der Slytherins zu. Sicher hatte man ihm all die Horrorgeschichten über finstere Magier erzählt.
Es ging unvermindert weiter. Albus hielt seine übliche, viel zu gut gelaunte Eröffnungsrede. Severus hingegen fühlte wie ihm das Herz in Hose rutschte. Beim anschließenden Festmahl bekam er keinen Bissen hinunter und Minervas Versuche mit ihm ein Gespräch anzufangen versetzten ihn eher in Rage als das sie ihn beruhigten. Severus schenkte sich einen Wein ein – und dann noch einen und dann noch einen.
Nach dem Essen verschwand er in seine Kerkergemächer und holte eine Flasche Whiskey aus dem Schrank. Es war ja eine alte Unart von ihm sich mit Alkohol beruhigen zu wollen. Noch dazu in diesen Mengen, aber emotional war Severus gerade völlig am Ende. Er fühlte sich als würde er in ein tiefes, endloses Loch fallen. Was sollte er nur tun? Diese Frage nagte unaufhörlich an ihm. Die ganze Nacht tigerte er durch sein Wohnzimmer, mit einem gefüllten Glas in der Hand und fand keinerlei Schlaf. Am nächsten Morgen war ihm beinahe noch elender als am Abend zuvor. Der Unterricht rief. Also ging er nach oben ins Lehrerzimmer, was ein Riesenfehler war, denn alle Lehrer, ganz besonders Minerva und Albus, sahen ihn erwartungsvoll an.
„Was?“, knurrte Severus angriffslustig.
Die meisten wandten sich ab und gingen ihrer Arbeit nach. Sie wussten, dass mit ihm jetzt nicht gut Kirchen essen war. Albus und Minerva jedoch ließen sich von seiner schlechten Laune nicht einschüchtern.
„Das war eindeutig eine Überraschung.“, sagte Albus wie immer viel zu fröhlich.
„Was Sie nicht sagen.“, brummte Severus.
„Mir persönlich wäre es auch lieber der Junge wäre nicht dort gelandet wo er jetzt ist, aber der Hut hat nun einmal entschieden.“, entgegnete Albus nun deutlich ernster. „Ich bitte Sie, Severus, tun Sie ihr Möglichstes.“
„Als würde ich sonst schlampen.“, antwortete Severus finster.
„Sie wissen wie ich das meine!“, sagte Albus.
Minerva nahm seinen Arm und führte ihn vom Schulleiter weg ehe ihm das herausrutschen konnte, was ihm gerade auf der Zunge lag.
„Severus, es gibt keinen Grund den Jungen nicht in Ihrem Haus willkommen zu heißen und ihn so zu behandeln wie alle anderen auch.“, sagte sie.
„Welchen Grund? Etwa der, dass er James Potter wie aus dem Gesicht geschnitten ist? Ich habe mich immer an meinen Auftrag gehalten. Jeden einzelnen Tag und jetzt drücken sie mir das hier aufs Auge! Als wäre ich schuld an dem, was dieser beschissene Hut entscheidet!“
„Niemand gibt Ihnen die Schuld, aber wir kennen nun einmal ihr Gemüt, nicht wahr?“, sagte Minerva.
„Meinem Gemüt geht es ausgezeichnet!“, knurrte Severus.
„Das sehe ich!“, entgegnete Minerva.
Severus warf einen Blick auf Albus, der zu ihnen sah als würde es ihn brennend interessieren, was sie da besprachen.
„Es ist nur … ich weiß nicht, was ich tun soll! Es ist ein Schock für mich, verstehen Sie?“
„Ich verstehe Sie. Natürlich. Genau deshalb rede ich auch mit Ihnen und nicht Albus. Völlig egal wer Harry ist und wem er ähnlich sieht. Er hat eine lange Zeit bei seiner grässlichen Verwandtschaft hinter sich. Hogwarts soll für ihn nicht zu einer ähnlichen Tortur werden.“, sagte Minerva.
„Hmpf!“, machte Severus. „Es ist ja nicht so als ob ich das nicht wüsste.“
„Gut, dann seien Sie ganz normal. Wobei, vielleicht doch nicht zu normal.“, erwiderte Minerva.
Severus knirschte mit den Zähnen. Er war ja kein Idiot.
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Harry Potter war geschockt. Er hatte diesem verdammten Hut doch gesagt, dass er nicht nach Slytherin wollte und jetzt saß er an ihrem Haustisch! Unsicher sah er sich um. Er fühlte sich elend. Im Zug hatte er sich gerade mit Ron und Hermine anfreundet und diesem Draco den Laufpass gegeben. Der saß ihm Gegenüber und sah ihn siegessicher an. Ja klar, er hatte es ihm ja gesagt, nicht wahr? Freunde dich nicht mit den Falschen an!
„Kannst du damit jetzt mal aufhören?“, sagte Harry genervt.
„Du siehst, es war eine vorschnelle Entscheidung meine Freundschaft abzulehnen.“, entgegnete Draco.
„Bist du immer so arrogant?“, fragte Harry.
„Das nennt man Stolz.“, antwortete Draco.
„Nenn es wie du willst, es nervt mich gerade tierisch!“, sagte Harry schlecht gelaunt.
„Ach komm, wegen so einer Sache wirst du dir ja wohl nicht die Laune verderben lassen. Bestimmt haben dir deine beiden Freunde aus dem Zug allerhand Geschichten erzählt. Wie schlimm alle bei Slytherin sind und das nur böse Magier hierher kommen. Das sind doch alles Märchen! Meine ganze Familie war in Slytherin und es gab auch einige gute Leute in dem Haus. Die Gryffindors sind halt alles elende Neider!“
Harry sah über die Schulter zum Tisch der Gryffindors hinüber. Die roten Schöpfe der Weasleys und Hermines buschiger Kopf sahen neugierig zu ihm hinüber.
„Vergiss die! Du bist jetzt bei uns! Das ist doch alles, was zählt!“, sagte Draco.
„Und wer ist unser Hauslehrer?“, fragte Harry, um das Thema zu wechseln.
„Oh, das ist Onkel Se... ich meinte Professor Snape.“, antwortete Draco und deutete auf einen schwarz gekleideten Mann mit schulterlangem Haar, der ein Gesicht machte als würde er gleich einen Herzinfarkt bekommen.
„Ähm, der ist dein Onkel?“, fragte Harry.
„Na ja, nicht so richtig. Und sag ihm bloß nicht, dass ich das gesagt habe!“, sagte Draco schnell. „Ich soll ihn nicht so nennen. Erst recht nicht hier. Ist mir so raus gerutscht. Vergiss das am besten ganz schnell, okay?“
„Hmm. Er sieht nicht besonders glücklich aus.“, bemerkte Harry.
„Zugegeben, jeder dachte der berühmte Harry Potter kommt nach Gryffindor!“, sagte Draco. „Aber der Sprechende Hut ist halt doch unberechenbar.“
„Dachte das jeder? Und ja, hab ich gemerkt. Dieser blöde Hut!“
„He, der Hut ordnet dich dort ein, wo du am besten aufgehoben bist, nicht dort wo du hin willst.“, sagte Draco.
„Und warum bist du dann hier?“, fragte Harry.
„Weil das bei unserer Familie im Blut liegt. Wir gehen schon seit Generationen nach Slytherin. Gut, deine Familie ist ja auch seit Jahrhunderten in Gryffindor und trotzdem gibt es manchmal Ausreißer.“, antwortete Draco.
„Kann sein. Ich weiß nichts über meine Eltern.“, sagte Harry.
„Ernsthaft, gar nichts? Die haben dir überhaupt nichts erzählt? Wenn ich du wäre würde ich alles über meine Eltern herausfinden wollen!“, entgegnete Draco überrascht.
„Glaubst du das hätte ich nicht versucht? Mein Onkel und meine Tante haben mich darüber angelogen. Ich wusste noch nicht einmal, dass ich ein Zauberer bin bis Hagrid mir meinen Brief gebracht hat.“, sagte Harry.
„Das ist ja fies!“, erwiderte Draco. „Deine Verwandten sind Muggel, oder? Hab davon gehört.“
„Scheinbar hat jeder alles über mich gehört.“, sagte Harry missmutig.
Draco schwieg. Das war auch genau im richtigen Augenblick, denn gerade jetzt kam sprichwörtlich wie von Zauberhand ein gigantisches Festessen auf den Tisch. Harry machte große Augen. Er hatte noch nie in seinem Leben so viel Essen gesehen! Harry vergaß glatt seine schlechte Laune und griff zu. Er türmte alle möglichen Hähnchen, Steaks und Törtchen auf seinen Teller und mampfte alles hinter. Noch nie hatte er essen dürfen, was er wollte und so viel er wollte! Als sie später in ihren Gemeinschaftsraum in den Kerkern geführt wurden und sich ihre Betten aussuchten lagen sie völlig platt da.
Trotz dieser seltsamen Entscheidung des Sprechenden Hutes fühlte sich Harry Potter irgendwie glücklich. Alles war besser als weiter im Schrank unter der Treppe zu hausen!