Am nächsten Morgen kam einer der Vertrauensschüler von Slytherin sichtlich verärgert noch vor dem Frühstück zu Severus. Er erzählte ihn von den beiden Erstklässlern, die gestern offenbar den Anschluss verloren hatten und wie sie völlig ohne Schuldbewusstsein auch noch lachten als sie viel zu spät in den Gemeinschaftsraum kamen. Natürlich fragte Severus sofort nach den Namen und wünschte sich sogleich er hätte es nicht getan. Harry Potter und Draco Malfoy. Damit war ihm klar wen der Troll verfolgt hatte. Das sie dabei auch noch über Fluffy gestolpert waren verkomplizierte die Sache. Immerhin hatte niemand ernsthaft Schaden davon getragen.
Am Nachmittag bestellte Severus die beiden in sein Büro. Ihnen war nicht anzusehen, ob sie mit einer Standpauke rechneten oder nicht.
„Nun, Mister Malfoy, Mister Potter, habt ihr eine Ahnung warum ihr hier seid?“, fragte Severus.
Die beiden sahen sich für einen kurzen Augenblick einander an. Dann schüttelten sie jedoch ohne eine Miene zu verziehen die Köpfte.
„Das kann ich mir kaum vorstellen.“, sagte Severus. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass ihr beiden gestern Abend, sagen wir, den Anschluss verloren habt. Vermutlich mehr als das, würde ich behaupten. Ich sage es ganz deutlich; ihr beiden habt Glück, das ihr nach so einer Aktion noch lebt!“
„Wissen wir.“, sagten Harry und Draco synchron.
„Mehr habt ihr dazu nicht zu sagen?“, entgegnete Severus.
„Es war wirklich keine Absicht.“, erklärte Draco. „Gut, wir haben eventuell etwas getrödelt ...“
„Wenn das nächste Mal ein Troll in der Schule herumläuft, dann trödelt ihr gefälligst nicht!“, sagte Severus ernst. „Wahrscheinlich sollte ich euch beiden Punkte abziehen und euch Nachsitzen lassen, aber ehrlich gesagt bin ich nur froh, dass euch nichts passiert ist.“
„Eine Frage ...“, begann Harry.
„Oh nein!“, machte Draco und schlug sich mit der Hand vor die Stirn.
„... warum sitzt da ein Monsterhund im dritten Stock?“, fuhr Harry unbeirrt fort.
„Der dritte Stock ist tabu! Jede Frage über den dritten Stock ist tabu! Und solltet ihr euch auch nur noch einmal in der Nähe blicken lassen, dann werdet ihr euch wünschen ich hätte euch Punkte abgezogen und Strafarbeit verteilt!“, erwiderte Severus.
„Das beantwortet aber die Frage nicht, oder?“, fragte Harry unverblümt weiter.
„Entschuldige, aber dieser Kerl ist völlig irre!“, ging Draco dazwischen. „Er hat sich da so eine völlig spinnerte Idee in den Kopf gesetzt!“
„Hab ich nicht!“, widersprach Harry.
„Hast du doch!“, konterte Draco.
„Worüber redet ihr da eigentlich?“, fragte Severus, der sich fühlte als habe er den Faden verloren. Harry holte tief Luft und dann blubberte es nur so aus ihm heraus.
„Als ich mit Hagrid in der Winkelgasse war hat er etwas aus einem Verlies geholt und genau in das Verlies wurde eingebrochen und jetzt sitzt da dieser Hund und bewacht irgendetwas. Ist es das, was Hagrid geholt hat? Warum muss die Schule etwas so streng bewachen, dass es dafür ein Monster braucht?“
Draco schüttelte die ganze Zeit den Kopf und verdrehte die Augen.
„Harry Potter, du wirst keinen einzigen Gedanken daran verschwenden, habe ich mich klar ausgedrückt? Was immer du glaubst zu wissen oder nicht zu wissen, es geht dich nichts an! Draco hat völlig recht, es ist völlig gesponnen! Konzentriere dich auf die Schule und jage nicht irgendwelchen verrückten Ideen hinterher! Es hat dich nicht zu interessieren, was in Hogwarts sonst noch geschieht!“
Die Neugier des Jungen war alles andere als gut für ihn. Severus hoffte, dass seine Drohungen ausreichen würde, um ihn davon abzuhalten weiter herum zu schnüffeln.
„Hmm.“, machte Harry nur und sah zu Boden.
„Hast du mich verstanden?“, fragte Severus noch einmal.
„Ja, Sir.“, antwortete Harry leise.
„Das will ich um deinetwillen hoffen und jetzt macht das ihr in euren Gemeinschaftsraum kommt!“
Harry und Draco nickten und zogen von dannen.
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„Ich hab es dir doch gesagt! Ich hab es dir gesagt!“, sagte Draco nach Snapes Standpauke andauernd. Er lag Harry damit regelrecht auf den Ohren.
„Ja, ja, ich hab's ja kapiert!“, antwortete er dann immer.
Zugegeben, die nächsten Tage hatte Harry ohnehin nicht die Zeit darüber nachzudenken. Das erste Spiel der Saison stand an: Slytherin gegen Gryffindor! Harry war irgendwie elend zumute. Trotz des vielen Trainings fühlte er sich als müsste er sterben. Sicher würde er sich ganz furchtbar blamieren!
„Ach komm, du schaffst das!“, sagte Draco am Morgen des Spieltags. „Schon vergessen, du bist der jüngste Sucher des Teams Slytherin seit was weiß ich!“
„Genau deshalb ist mir ja so elend!“, antwortete Harry.
Flint und die anderen Slytherinspieler kamen zu ihnen an den Tisch.
„Nun, heute zeigen wir es Gryffindor, hab ich nicht recht?“, sagte Flint und erntete zustimmenden Jubel der anderen. Nur Harry saß da wie ein Häufchen Elend und hatte kaum etwas gegessen und getrunken.
„Harry, was ist denn?“, fragte Flint.
„Er hat Lampenfieber.“, antwortete Draco an seiner Stelle.
„Ach, das wird schon, Harry.“, sagte Flint und winkte ab. „Mein erstes Spiel war eine Katastrophe. Erinnert ihr euch Jungs?“
Zustimmendes nicken.
„Marcus, ich glaube nicht, dass das hilft!“, entgegnete Draco.
„Ach was, Harry, komm da draußen warten Ehre und Ruhm! Du wirst schon sehen!“, sagte Flint und zog Harry am Arm von seinem Stuhl.
Er trabte den anderen hinterher zum Quidditschfeld als sei er auf dem Weg zu seiner Hinrichtung. Als sie in der Umkleide waren, ihre grünen Spielumhänge anlegten und Harry das Rufen und den Jubel der Massen hörte da hätte er sich am Liebsten übergeben. Worauf hatte er sich da nur eingelassen?
„Also Leute, packen wir's an!“, sagte Flint.
Sie schnappten sich ihre Besen und gingen in einer Reihe auf das Spielfeld. Harry war völlig überwältigt als er all die Leute auf den Tribünen sah. In der Mitte des Feldes stand Madam Hooch in ihrem schwarzweißen Schiedsrichterumhang. Die Gryffindors trugen rot.
Bloß keine Panik! Alles wird gut!, sagte Harry sich immer wieder und nahm den Besen zwischen die Beine.
„Ich will ein schönes, faires Quidditsch.“, sagte Madam Hooch und ließ die Bälle frei.
Sofort stoben alle Spieler auseinander. Harry flog einige Runden über das Spielfeld ehe er den goldenen Schnatz entdeckte. Er schoss auf die kleine Kugel zu. Es dauerte nicht lange bis ihm auch der Sucher von Gryffindor auf den Fersen war, doch Harry ließ sich davon nicht beirren. Er lehnte sich nach vorn um mehr Geschwindigkeit herauszuholen. Der Schnatz war in greifbarer Nähe. Gerade als Harry die Hand danach ausstrecken wollte machte sein Besen einen gewaltigen Satz nach hinten. Er klammerte sich am Stiel fest. Der Besen zickte herum. Er kannte die Schulbesen. Sie hatten ihre Macken und mit diesem hier hatte er immer trainiert. Es war zweifellos einer der besseren. Was der Besen jetzt tat war jedoch noch nie vorgekommen. Es schien als wolle er ihn um jeden Preis abwerfen wollen. Immer wieder drehte er sich herum und zuckte wild wie ein wütender Stier beim Rodeo.
„Harry, was ist los?“, rief Flint zu ihm herüber.
„Dieser verdammte Besen …!“, erwiderte Harry, doch er kam nicht weiter. Er rutschte mit dem Hintern über die Reisigzweige und klammerte sich verzweifelt am Ende des Besenstiels fest. Harry zwang sich nicht nach unten zu sehen. Wenn er los ließ würde er sich nur im besten Fall sämtliche Knochen brechen.
Flint flog zu ihm hin.
„Los, steig auf meinen Besen!“, sagte er. Flint packte Harry am Arm und zog ihn auf seinen Schoß.
Der bockige Besen begann nun auf sie zuzurasen und rammte sie mit der vollen Breitseite.
„Das ist doch nicht normal!“, rief Flint.
So schnell es ging landeten sie auf dem Spielfeld. Den feindlich gesinnten Besen auf den Fersen.
„Abbruch! Abbruch!“, rief Flint und wedelte mit den Armen in Richtung Madam Hooch.
Harry war froh wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, doch der Besen attackierte ihn immer noch. Mit seinem Stiel schlug er Harry in den Bauch und anschließend aufs Kreuz. Harry kam gar nicht dazu sich zu wehren, wo vehement prügelte dieses wild gewordene Sportgerät auf ihn ein.
Dann auf einmal traf ein heller Blitz den Besen und er zerfiel in ein Häuflein Asche. Harry rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht sämtliche Gliedmaßen. Er sah Madam Hooch, die mit dem Zauberstab in der Hand auf ihn zugerannt kam.
„Potter, alles in Ordnung bei Ihnen?“, fragte sie.
„Noch ist alles dran.“, sagte er.
„Spielabbruch!“, rief Madam Hooch laut. „An diesem Besen wurde herumgepfuscht. Offenbar mit der Absicht den Slytherin-Sucher auszuschalten. Derartige Hinterhältigkeit habe ich in meinen dreißig Jahren als Schiedsrichterin noch nicht erlebt!“
„Bestimmt die Gryffindors! Die können einfach nicht verlieren!“, sagte Flint laut.
„Mister Flint überlassen Sie die Untersuchungen des Vorfalls lieber dem Fachpersonal.“, ermahnte Madam Hooch ihn scharf.
Alle waren enttäuscht über den Abbruch des Spiels. Flint redete sich den ganzen Tag über die Gryffindors in Rage. Es sei ja schließlich glasklar wer den Besen verhext habe, um ihren Sucher in aller Öffentlichkeit in den Tod stürzen zu lassen. Harry hingegen war nur froh es überstanden zu haben. Klar, er war nah dran gewesen den Schnatz zu fangen. Irgendwie traurig war es schon.
„Diese mistigen Gryffindors! Wollten uns keinen weiteren Sieg gönnen! Schlechte Verlierer allesamt!“, ereiferte sich Draco als sie vor dem Kamin im Gemeinschaftsraum saßen.
„Ich wette, ich kann die ganze Woche nicht mehr sitzen.“, sagte Harry. „Dieser dämliche Besen hat mich ganz schön vermöbelt.“
„Hmm, vielleicht brauchst du einen eigenen Besen wie die anderen auch?“, antwortete Draco.
„Wie denn? Meine Verwandten würden es niemals zulassen, dass ich einen Besen habe, geschweige denn damit fliege!“, erwiderte Harry.
„Ich könnte meine Eltern fragen.“, sagte Draco. „Du könntest in den Ferien zu uns kommen und dann zeigen wir diesen Gryffindors das nächste Mal was 'ne Harke ist!“
Harry schwieg. Er hatte an die kommenden Weihnachtsferien noch keinen Gedanken verschwendet. Vielleicht weil er sich innerlich schon irgendwie damit abgefunden hatte, dass er allein im Schloss bleiben würde. Dass Draco ihm anbot die Ferien bei sich zu verbringen, auf diese Idee wäre er niemals gekommen.
„Ja, okay.“, sagte Harry schließlich.
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Die Ereignisse beim Quidditschspiel hatten die gesamte Lehrerschaft in helle Aufregung versetzt. Severus hatte noch versucht einen Gegenzauber zu sprechen, um den Bann vom Besen zu lösen, doch jemand hatte mit sehr starker, schwarzer Magie versucht Harry zu töten. Für ihn war das eindeutig. Ihm war ebenso klar, dass keiner der Schüler in der Lage gewesen wäre das zu tun. Egal wie sehr gerade alle auf die Gryffindors schimpfen, sie traf in diesem Fall keine Schuld.
Severus saß zusammen mit Minerva und Albus vor dem Kamin im Büro des Schulleiters. Er hielt immer noch an der Theorie fest, dass Quirell am ehesten zu den Verdächtigen zählte, doch weder der Schulleiter noch Minerva wollten etwas davon hören.
„Sie haben keinen Beweis.“, sagte Albus einmal mehr.
„Nein, den habe ich nicht. Aber erst der Troll, jetzt ein verhexter Besen, was kommt da als nächstes? Wenn Ihre Theorie stimmt, Albus, und der Dunkle Lord die Finger im Spiel hat, dann müssen wir alles daran setzen weiteres zu verhindern.“, entgegnete Severus.
„Das habe ich niemals in Abrede gestellt.“, antwortete Albus. „Es ist völlig klar, dass Harry in großer Gefahr schwebt. Wie wir alle übrigens, falls es Voldemort gelingen sollte dem Stein habhaft zu werden.“
„Um den Stein würde ich mir aktuell nicht die meisten Sorgen machen.“, sagte Severus.
„Sondern?“, fragte Albus.
„Harry.“, antwortete Severus knapp.
„Severus, wir drehen uns im Kreis!“, erwiderte Albus.
„Was Sie nicht sagen!“, entgegnete Severus.
„So wird das nichts.“, sagte Minerva unvermittelt. „Wir können noch stundenlang hier sitzen und Mutmaßungen anstellen. Ich für meinen Teil werde mich ins Bett begeben. Morgen stellt sich die Sache vielleicht schon anders dar.“
Sie erhob sich und ging. Severus tat es ihr gleich, denn auch ihm war bewusst, dass diese Herumdiskutiererei absolut zu nichts führte. Leider hatten seine Beobachtungen Quirell gegenüber auch zu nichts geführt. Er war immer noch der stotternde, überängstliche Lehrer. Falls er etwas mit alldem zu tun hatte ließ er sich nichts anmerken. Selbst als Severus ihn nach dem Unterricht auflauerte und ihn bedrängte war da nichts zu sehen außer dem üblichen. Gut, vielleicht lag er tatsächlich daneben. Vielleicht war Quirinius Quirell einfach nur ein überängstlicher Idiot mit Sprachfehler und hatte überhaupt nichts mit alldem zu tun. Severus hätte sich gern eines besseren belehren lassen.