Der Frühling kam nach Hogwarts und mit ihm rückte auch das nächste Quidditschspiel in greifbare Nähe. Harry hatte sich derweil an seine Abmachung mit Snape gehalten und niemanden auch nur ein Sterbenswörtchen erzählt. Nicht einmal Draco. Der wunderte sich nur über Harrys deutlich bessere Laune.
Am Morgen des Spieltags waren alle gut drauf. Harrys Lampenfieber hielt sich in Grenzen. Dieses Mal hatte er einen guten Besen, der nicht herumzicken würde. Er konnte es gar nicht erwarten allen zu zeigen, dass er es drauf hatte!
„Habt ihr schon das neuste gehört?“, fragte Flint in die Runde. „Snape pfeift das Spiel!“
„Was?“, sagte einer der Spieler überrascht. „Ich hab ihn noch nie auf einem Besen gesehen.“
„Ach, dieses Spiel können wir gar nicht verlieren!“, entgegnete Flint.
„Da wär ich mir nicht so sicher!“, rief plötzlich einer der Gryffindors zu ihnen herüber. Als hätten sie gelauscht! „Ja, ohne einen parteiischen Schiri kriegt ihr wohl gar nichts hin!?“
Einige der Slytherins am Tisch reckten die Fäuste in die Luft und schrien unflätige Worte zu den Gryffindors hinüber.
„Nur nicht provozieren lassen! Die wollen doch nur, dass einer von uns K.O. geht und das Spiel nicht stattfinden kann!“, beschwor Flint sie.
Harry aß schnell auf und machte sich dann auf den Weg zum Quidditschfeld. Nach und nach folgten ihm auch die anderen. Er zog sich seine grüne Spielrobe über und schnappte sich seinen Nimbus 2000. Als Harry mit den anderen auf das Feld ging hörten sie wie die Gryffindors sie ausbuhten. Einer der Slytherins streckte ihnen den Mittelfinger entgegen als sie ihre Positionen einnahmen. Die Stimmung zwar bereits jetzt zum zerreißen gespannt. Auch wegen ihres Schiedsrichters. Wie kam Snape eigentlich dazu ein Spiel zu pfeifen? Tatsächlich sah es etwas eigenartig aus wie er da mit seiner schwarzen Robe und dem um den Hals gewickelten Slytherinschal auf das Spielfeld kam. Wie ein Fremdkörper in einem sonst geordneten System.
Anpfiff. Harry schoss mit seinem Besen davon. Er flog eine Runde durch das Stadion und entdeckte schließlich den Schnatz. Konzentriert raste er dem Ball hinterher. Der Schnatz zischte im Zick-Zack davon und machte einige waghalsige Manöver, um den Sucher loszuwerden, doch Harry blieb unerbittlich dran. Er blickte kurz über die Schulter und entdeckte den Sucher der Ravenclaws. Sofort wurde Harry schneller. Er streckte die Hand aus. Seine Finger waren nur Zentimeter von dem kleinen, goldenen Ball entfernt. Harry griff zu. Der Schnatz in seiner Hand. Er hatte ihn gefangen! Er hatte ihn tatsächlich gefangen!
„Harry Potter hat den Schnatz gefangen!“, hörte er den Stadionsprecher verkünden.
Harry außer sich vor Freude hielt den Schnatz triumphal nach oben. Anschließend landete er. Die anderen Slytherins kamen zu ihm und hoben ihn auf die Schultern.
„Haha!“, machte Flint. „Das war ja wohl das kürzeste Quiddischspiel, was ich je erlebt habe!“
Harry sah wie Snape auf dem Feld landete. Offensichtlich hochzufrieden. Er lächelte sogar. Harry war sich sicher ihn bisher noch nie lächeln gesehen zu haben. Unter dem tosenden Beifall von den Rängen der Slytherins trugen seine Teamkameraden ihn in die Umkleide. Dort zogen sie sich um und gingen über den Weg hoch zum Schloss. Sie witzelten und flaxten unbeschwert und freuten sich gemeinsam über ihren Sieg.
Der Spaß hatte jedoch ein jähes Ende als hinter ihnen einige Gryffindors auftauchten. Sie liefen ihnen nach und brüllten ihnen Beleidigungen entgegen. Flint versuchte sein Team davon abzuhalten darauf zu reagieren, doch irgendwann platzte ihnen schließlich der Kragen. Sie drehten sich um und stellten sich den Gryffindors entgegen. Harry hielt sich im Hintergrund. Er hatte gerade überhaupt keine Lust auf eine Prügelei. Ein Wort ergab jedoch das andere und am Ende flogen Fäuste. Harry stand zunächst daneben und tat nichts, doch dann übermannte ihn doch die Wut und er sprang seinem Team bei. Einer der Gryffindors packte ihn und schlug ihm direkt auf die Nase. Harry hörte nur noch etwas knacken und spürte das warme Blut bevor er bewusstlos zu Boden ging.
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Nach dem Vorfall beim letzten Spiel hatte Severus Albus dazu überreden können, dass er den Schiedsrichter spielte. Zugegeben, er hasste Quidditsch und auf einem Besen sah er oft behäbig aus, doch wenn das hieß, dass er so eine weitere Attacke verhindern konnte, dann war das ein angemessener Preis. Sicher, er hatte mitbekommen wie sich insbesondere die Gryffindors das Maul zerrissen, weil sie glaubten er wolle nur den Schiedsrichter machen, um seinem Haus einen Vorteil zu verschaffen. Und ja, vielleicht pfiff er hier hier und da nicht unbedingt zum Vorteil der Ravenclaws. Aber Harry hatte den Schnatz so schnell gefangen, dass es nicht einmal einen Tortreffer gab, also was regten sie sich auf? Eindeutiger ging es ja nicht!
Severus' gute Laune nach dem Spiel hielt nicht lange an als er auf dem Weg zum Schloss sah wie eine Gruppe Gryffindors auf die Slytherinspieler einschlug. Er steckte zwei Finger in den Mund und pfiff laut. Die Gryffindors hielten kurz inne und als sie ihn entdeckten nahmen sie die Beine in die Hand. Severus jedoch zog seinen Zauberstab. Mit einer schnellen Bewegung schoss er Seile auf die flüchtenden Jungs, die sich um ihre Beine wickelten und sie zu Fall brachten. Mit einem weiteren Schlenker seines Zauberstabs schnürte er sie zu einem Paket zusammen und ließ sie auf der Wiese liegen. Er hätte ihnen vermutlich Punkte abziehen sollen, doch was nützte das schon? Sollte Minerva sich doch damit abgeben!
Severus half den Slytherins auf. Die meisten hatten etwas abgekriegt, doch es sah nicht allzu schlimm aus. Dann jedoch entdeckte er Harry im Gras liegend. Ganz offensichtlich hatten sie ihn ausgeknockt.
„Geht hoch zum Schloss. Ich kümmere mich um ihn.“, sagte Severus den anderen.
Er hob Harry hoch und trug ihn ins Schloss. Vermutlich hätte er ihn in den Krankenflügel bringen sollen, doch etwas in ihm brachte ihn dazu stattdessen den Weg in die Kerker zu nehmen. Severus brachte ihn in seine Räumlichkeiten und legte ihn auf dem Sofa vor dem Kamin ab. Anschließend ging er ins Bad und holte einen Eimer Wasser und einen Waschlappen. Er wusch Harry das Blut aus dem Gesicht. Erst jetzt sah er, dass seine Nase gebrochen war.
Genau deshalb hasste er Quidditsch. Es verwandelte ansonsten friedfertige Menschen in gewalttätige Primaten.
Severus zog seinen Zauberstab und richtete ihn auf Harrys Nase. Er machte eine Bewegung und ein widerliches Knacken zeugte davon, dass die Knochen wieder an die richtige Stelle rutschten. Den Rest musste die Natur verheilen lassen. Severus holte eine Decke und legte sie über den Jungen. Für einen Augenblick hielt er inne und blickte auf Harry herab. Was tat er hier eigentlich? Warum kümmerte er sich um ihn? Madam Pomfrey hätte das auch gekonnt. Ohne Zweifel, aber da war dieses leise Gefühl in ihm, dass dafür sorgte, dass er mehr für den Jungen empfand als für irgendeinen seiner anderen Schüler. Er wusste nicht wieso, nur das er es wollte. Severus stellte sich an den Kamin und sah in die Flammen. Entwickelte er hier gerade väterliche Allüren? Weshalb eigentlich? Was bedeutete ihm denn der Junge? Es war der Sohn des Mannes, der ihm einen Großteil seiner Jugend zur Hölle gemacht hatte. Oder waren es am Ende doch nur Schuldgefühle Lily gegenüber?
Er hörte ein lautes Stöhnen und drehte sich um. Harry lag da und griff sich schmerzerfüllt an den Kopf.
„Wie geht es dir?“, fragte Severus.
„Als hätte mich ein Zug überrollt.“, antwortete Harry gequält und setzte sich auf. Er griff sich die Nase, offenbar im Glauben sie würde noch bluten.
„Ich habe das Schlimmste kuriert. Der Rest braucht lediglich Zeit.“,sagte Severus.
Harry schwieg für einen Augenblick.
„Warum tun Sie das?“, fragte er schließlich.
„Was?“, entgegnete Severus als wüsste er von nichts.
„Na das. Sie müssten sich nicht um mich kümmern.“, antwortete Harry.
Severus ließ sich neben ihm nieder.
„Stimmt, ich müsste nicht.“, sagte er. „Aber etwas in mir meint wohl es sollte so sein.“
„Was ist mit den anderen?“, fragte Harry.
„Denen geht es gut.“, antwortete Severus.
„Und die Gryffindors?“
„Bekommen ihre Strafe. Zweifellos.“, sagte Severus. „Waren gerade gute genug, um den Kleinsten auszuknocken.“
Es klopfte an der Tür. Ohne auf eine Antwort zu warten trat Minerva ein. Sie wirkte aufgebracht, doch als sie Severus und Harry entdeckte schien sich die Wut in ihrem Gesicht zu legen.
„Hallo Minerva.“, grüßte Severus sie tonlos.
„Ich schwöre so etwas ist mir noch nie untergekommen.“ Ihre Stimme war aufgeregt, als würde sie das, was passiert war immer noch ärgern.
„Hmm.“, machte Severus.
„Man sollte meinen meine Schüler sollten etwas mehr Grips im Kopf haben.“
„Ich glaube, die Antwort darauf spare ich mir lieber.“, erwiderte Severus.
Minerva verzog das Gesicht.
„Warum haben Sie Harry nicht in den Krankenflügel gebracht?“, wollte sie plötzlich wissen.
„Der Weg hierher schien mir kürzer.“, antwortete Severus.
„Verstehe. Potter, denken Sie nicht schlecht von ihren Schulkameraden. So etwas sollte wirklich nicht vorkommen. Schon gar nicht in meinem Haus.“, sagte Minerva.
„Ja, Professor.“, entgegnete Harry.
„Nun gut.“ Minerva wandte sich um und ging.
Severus war klar, dass sie das Verhalten ihrer Schüler erregte. Minerva hielt die Ideale von Gryffindor so hoch wie kaum ein anderer. Nach einem Quidditschspiel den vermeintlichen Gegner zu überfallen und es ihm mit den Fäusten heimzuzahlen passte nicht in ihr Weltbild. Sie erwartete stets nur das Beste von den Menschen. Anders als Severus.
„Kann ich gehen?“, fragte Harry nach einer Weile.
„Wenn du dich so fühlst.“, antwortete Severus.
„Ja, ich denke es geht wieder.“, sagte er und stand auf.
Severus wusste nicht warum, aber begleitete Harry noch bis zum Gemeinschaftsraum. Nachdem er sich verabschiedet hatte blieb er noch für einige Augenblicke im Gang stehen. Severus konnte sich seine Gefühle nicht erklären. Es passte scheinbar so gar nicht zu ihm. Er kratzte sich am Kopf und ging davon.