Die Weihnachtstage im Hause der Malfoys vergingen wie im Fluge. Harry ging Snape erfolgreich aus dem Weg und packte am Tag der Abreise so vorsichtig es ging seinen Nimbus 2000 zu seinen Sachen. Er wollte schließlich nicht, dass der Besen bei der Fahrt nach Hogwarts irgendwelchen Schaden nahm. Draco hatte die Idee ihn in einige Kissen einzuwickeln. Sicher war sicher.
Als sie am nächsten Tag in Hogwarts ankamen und Harry den Nimbus in den Jungenschlafsaal trug ruhte alle Augen auf ihm. Er hörte das Geflüster hinter seinem Rücken.
„Ist das ein echter Numbus 2000? Wo hat er den denn her? Oh verdammt, die Gryffindors werden vor Neid platzen!“
Harry musste ja irgendwie in sich hineingrinsen als er das hörte. Das nächste Spiel der Saison war gegen Ravenclaw. Da konnte er hoffentlich zeigen, was in ihm steckte.
Die erste Schulwoche nach den Ferien verlief regelrecht öde. Selbst der Zaubertrankunterricht. Snape ignorierte Harry weiterhin stur. Im Unterricht kommunizierte er mit ihm nur das was nötig war.
„Was ist eigentlich los mit dir und Onkel Sev?“, fragte Draco eines Nachmittags als sie gerade aus ihrer letzten Stunde kamen.
„Ich glaube, ich hab ihn irgendwie beleidigt.“, antwortete Harry.
„Echt? Wie hast du das hingekriegt? Den kann doch nichts erschüttern!“, sagte Draco.
„Offenbar doch. Ich will nicht darüber reden.“, blockte Harry das Gespräch ab.
Es war ihm so schon unangenehm genug. Da wollte Harry nicht noch Dracos Neugierde befriedigen. Also versuchte er sich auf die Schule zu konzentrieren. Die Lehrer hatten sie gleich an den ersten Tagen unter einem wahren Berg an Hausaufgaben begraben.
An einem der Nachmittage rauchte Harrys Kopf derart, dass er sich dazu entschloss etwas frische Luft zu schnappen und sich auf dem Gelände die Beine zu vertreten. Vor dem Schloss begegnete er Hagrid.
„Na, Harry, alles klar?“, fragte er freudestrahlend.
„Ja, geht so, würde ich sagen.“, antwortete Harry etwas trübsinnig.
„Du klingst aber nicht so. Was ist los, Junge?“
„Ich weiß nicht, es ist wegen Professor Snape.“, begann Harry. Irgendjemanden musste er sein Leid klagen und Hagrid schien ihm dazu geeigneter als Draco.
„Snape? Warum? Was ist mit ihm?“, fragte Hagrid.
„Ich glaube ich hab ihn irgendwie beleidigt. Und na ja, er redet nicht mehr mit mir.“
„Was?“, fragte Hagrid und hätte fast begonnen zu lachen. „Meist ist er doch derjenige, der die Leute beleidigt. Mal im ernst, Harry, so schlimm kann es nicht sein. Ich hab noch nie erlebt, dass an seinem Panzer etwas nicht abgeprallt wäre.“
„Ach, du verstehst das nicht!“, sagte Harry. „Ich habe in alten Wunden gestochert.“
„Hmm. Na ja, alte Wunden haben wir alle. Der kriegt sich bestimmt wieder ein. Hör mal, willst du nicht auf einen Tee in meine Hütte kommen? Hier draußen ist es ziemlich kalt.“, antwortete Hagrid.
Harry nickte und folgte dem Halbriesen in seine Hütte. Drinnen war es warm und ein großer Mastino lag auf dem Teppich. Er döste vor sich hin und bemerkte die Neuankömmlinge nicht einmal. In der Hütte war alles sehr groß. Die Stühle und der Tisch, ebenso das Geschirr, welches Hagrid aus dem Schrank holte. Harry fühlte sich wie ein Zwerg als er Platz nahm.
„Also, erzähl mal, warum glaubst du ausgerechnet Snape beleidigt zu haben?“, fragte Hagrid während er einen Kessel Tee am Kamin ansetzte.
„Ich war bei ihm, weil ich nicht schlafen konnte. Wir haben geredet und dann kam die Sprache auf meine Eltern.“
„Verstehe.“, sagte Hagrid. „Es ist kein Geheimnis, dass Snape ein Problem mit deinem Vater und seiner Clique hatte. Die haben sich gehasst bis aufs Blut. Wortwörtlich.“
„Also stimmt es, was er gesagt hat? Dass mein Vater, nun ja, ein Arsch war?“, fragte Harry.
„Das kommt wohl auf die Perspektive an. Snape war schon als Schüler, ich will jetzt nicht sagen eigenartig, aber na ja, er hing ständig in seinen Büchern, hat wenig mit anderen gemacht, sich abgesondert und so. Und er war regelrecht besessen von den Dunklen Künsten. Ist er immer noch, wenn du mich fragst. Das Ding war aber, dass er ein Slytherin war und deine Mutter eine Gryffindor. Klar, gibt’s häuserübergreifende Freundschaften und so, aber es konnte halt keiner verstehen warum sich ausgerechnet so ein eigenbrödlerischer Kerl, der über beide Ohren in der Schwarzen Magie hing, für eine Gryffindor interessierte. Außerdem hing er mit einigen üblen Typen herum. Viele von denen sind später zu Voldemort gegangen. Und dein Vater, er war eben das komplette Gegenteil von ihm. Offen, hielt nichts von Voldemort und überhaupt ein dufter Kerl. Mit ihm wollte man einfach befreundet sein.“, erklärte Hagrid.
„Du meinst also es war gut, dass sie Snape drangsaliert haben?“, fragte Harry.
„So hab ich das nicht gesagt, aber Snape hat eben auch viel dafür getan. Und deine Mutter hatte sich auch um ihn bemüht, so war das nicht, aber Snape, er war eben schon immer recht eigen. Und Freundschaften gehen eben manchmal auseinander, wenn man sich nicht richtig darum bemüht.“, erwiderte Hagrid.
„Glaubst du, Snape hat meine Mutter geliebt?“, fragte Harry.
„Bei Merlins Bart! Nein! Wie kommst du auf so was?“, entgegnete Hagrid.
Harry zuckte nur mit den Schultern. Er wusste nicht, was er von alldem halten sollte. Jeder erzählte ihm etwas anderes. Und die Frage, ob Snape es verdient hatte gemobbt zu werden wollte Harry wirklich nicht beantworten. Er wusste nur noch zu gut wie Dudley und seine Gang ihn immerzu schikanierten. Dudley hätte sicher auch gesagt, dass Harry es verdient hatte, weil er so klein und komisch war.
„Hör mal, zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Das sind alles alte Geschichten.“, sagte Hagrid und nahm den Kessel vom Feuer. Er schenkte ihnen etwas ein.
Harry stellte diese Antwort alles andere als zufrieden. Dann jedoch fiel ihm etwas ein, was er Hagrid eigentlich schon länger fragen wollte.
„Warum sitzt im dritten Stock eigentlich ein Monsterhund?“
Hagrid blieb für einen Augenblick der Mund offen stehen. Nach einigen Sekunden fasste er sich allerdings wieder.
„Fluffy!“, antwortete Hagrid.
„Was?“
„Fluffy! Der Hund heißt Fluffy!“, wiederholte Hagrid.
„Dieses Ding hat einen Namen?“, fragte Harry verwundert.
„Natürlich.“, sagte Hagrid.
„Und was bewacht er?“, stocherte Harry weiter.
„Gar nichts.“, entgegnete Hagrid, doch er wirkte plötzlich irgendwie nervös. „Und wenn doch, dann geht das nur Professor Dumbledore und Nicholas Flamel etwas an!“
Harry und Hagrid starrten sich für einen Moment an. Der Riese schien gemerkt zu haben, dass er sich verplappert hatte und fügte schnell hinzu: „Schluss jetzt, Harry! Das ist alles eine Sache von Hogwarts! Ich weiß gar nicht, was dich das interessiert?!“
„Ich habe halt Eins und Eins zusammengezählt.“, erwiderte Harry. „Erst sind wir in Gringotts und du holst dieses seltsame Ding aus dem Verlies. Dann wird dort eingebrochen. Wenig später ist ein Troll in der Schule los und im dritten Stock sitzt ein Monst... ich meine Fluffy. Da bleibt doch nur noch die Frage, was er bewacht, oder?“
Hagrid wurde ganz bleich im Gesicht.
„Du … du solltest mit niemanden darüber reden! Das ist nämlich alles streng geheim! Genau das ist es, hast du gehört!?“
„Klar.“, sagte Harry und trank seinen Tee. Er hätte zu gern gewusst warum alle so ein Aufhebens darum machten. Vielleicht konnte die Bibliothekarin mit diesem Namen etwas anfangen? Nicholas Flamel? Wer war das? Hagrid würde er aber lieber nicht fragen. Der bekäme am Ende noch einen Herzinfarkt.
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Severus gab sich im Unterricht zwar alle Mühe Harry die kalte Schulter zu zeigen, aber so richtig mit ganzem Herzen war er nicht dabei. Im Grunde konnte er den Jungen ja verstehen. Also saß Severus in seinem Büro und blies Trübsal. Warum nahm ihn das eigentlich so mit? Begann er etwa mehr für Harry zu fühlen? Ihre Lehrer-Schüler-Beziehung war nach den Feiertagen ohnehin etwas lädiert. Bevor Severus jedoch weiter darüber grübeln konnte öffnete sich die Tür und ausgerechnet Harry Potter kam herein.
„Ich habe dich nicht hergebeten!“, sagte Severus streng und tat so als würde er einige Arbeiten sortieren.
„Stimmt.“, sagte Harry und ließ sich auf dem Hocker nieder.
Frecher Bengel!, dachte Severus für einen Moment, doch bevor er sich darüber ärgern konnte setzte Harry nach.
„Was ist der Stein der Weisen?“
Severus blickte ihn wie vom Donner gerührt an.
„Was?“, war das einzige zu dem er im Stande war.
„Ich habe den Namen in einem Buch gefunden.“, erklärte Harry.
„Ich habe dir gesagt, dass du nicht weiterforschen sollst!“, entgegnete Severus finster.
„Ja, aber offenbar habe ich jetzt wieder Ihre Aufmerksamkeit.“, sagte Harry.
„Du kleines Schlitzohr!“, erwiderte Severus. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Na schön, jetzt ist das Kind eh einmal in den Brunnen gefallen und so wie ich das sehe wirst du mich weiter nerven bis du deine Antworten hast.“
„Im Buch stand Nicholas Flamel habe den Stein erschaffen und das er unsterblich mache.“
„Du hast ja offensichtlich schon ordentlich recherchiert.“, entgegnete Severus. „Dumbledore wird mich Vierteilen, aber gut, wo wir schon einmal beim Thema sind: Der Stein ist ein mächtiges, alchemistisches Artefakt. Und du kannst dir sicher vorstellen wer darauf höllisch scharf wäre.“
„Voldemort.“, schloss Harry. „Aber er ist tot, oder?“
„Das ist die Frage.“, antwortete Severus. „Leider verdichten sich die Hinweise, dass sein Unleben nach dem Tod deiner Eltern nicht sein endgültiges Ende fand.“
„Also haben sie den Stein hier versteckt, um ihn zu schützen. Okay, aber Voldemort ist weiter hinter ihm her, nicht?“
„Der Dunkle Lord wird alles unternehmen, um wieder an die Macht zu kommen. Wirklich alles! Und er wird vor nichts zurückschrecken! Verstehst du also warum du dich hier nicht einmischen sollst? Er würde dich töten, wenn er könnte. Überlass es den Erwachsenen damit fertig zu werden, Harry.“, erklärte Severus.
„Also tut meine Narbe weh, weil Voldemort in der Nähe ist, richtig?“, sagte Harry und ignorierte Severus' Sermon geflissentlich.
„Du wirst keine Abenteuer unternehmen und etwa nach ihm suchen!“, entgegnete Severus scharf. „Ein Erstklässler hat ihm nichts entgegen zu setzen.“
„Sicher.“, antwortete Harry. „Und ich wollte mich noch mal entschuldigen. Wegen dieser Sache ...“
„Vergeben.“, sagte Severus. „Du konntest es nicht wissen.“
Ihm wurde so langsam klar warum der Hut Harry Potter nach Slytherin gesteckt hatte. Der Junge war ein echter Gauner, wenn es drauf an kam. Ihn auf diese Art dazu zu bringen wieder mit ihm zu reden. Dumbledore würde Severus die Hölle heiß machen, wenn er davon erfuhr. Also war es am besten, wenn der Schulleiter gar nichts erfuhr.
„Du musst mir aber versprechen es niemanden zu sagen. Absolut niemanden! Unser Leben hängt davon ab!“
„Ich verspreche es.“, sagte Harry. Severus bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick. „Wirklich, Ehrenwort.“
„Um deinetwillen hoffe ich das.“, entgegnete Severus.