"...Autsch... Wo- wo bin ich?", sagte Layla und rieb sich den Kopf.
Sie hörte ein vertrautes Geräusch - Meeresrauschen. War sie... Zuhause?
"Oh nein, die anderen!", sofort sprang sie auf und sah sich um.
Nein...
Sie war allein.
Sie kauerte sich auf den Boden und versuchte sich krampfhaft an etwas zu erinnern.
Sie waren in Faragondas Büro gewesen... Bruchstückhaft erinnerte sie sich, dass das Fenster hinter Faragondas Schreibtisch zerbrochen war ... Doch was dann geschehen war...
Sie atmete tief durch und versuchte die Angst zu vertreiben: "...ich bin nicht ohne Grund hier. Bestimmt geht es den anderen gut. Es muss ihnen gut gehen..."
Sie stand wieder auf und musterte die Insel, auf der sie gestrandet war: "Okay. Mal sehen, wo sich dieser sogenannte Wächter rumtreibt."
-
"DU!", Dakeria ging sofort in Angriffsposition, als sie den Mann sah, der die Trix im Schlepptau hatte.
Er lächelte zum ersten Mal. Es war ein höhnisches Lächeln, listig und kalt: "Ich freue mich auch, dich wieder zu sehen, meine kleine Val'kyre."
"Wag es nicht -", fauchte Dakeria, doch der Fremde hob beschwichtigend die Hände: "Ganz ruhig. Oder denen", er nickte in Richtung der Trix, "Passiert gleich was."
Dakeria knirschte mit den Zähnen, blieb jedoch ruhig.
Nach ein paar Minuten fragte sie: "Was willst du hier, Xerxes?"
"Oh ... Gar nichts. Ich will dich lediglich davon abhalten, eine Dummheit zu begehen.", sagte er und ließ die Dolche, die die Trix bedrohten, verschwinden.
Dakeria verdrehte die Augen: "Du willst mich aufhalten?"
Xerxes wollte etwas erwidern, als Icy ihm bereits die Hände in eisige Handschellen frieren ließ.
Er wehrte sich und versuchte zu Dakeria Blickkontakt herzustellen: "... Dakeria..! Val'garath skal ikke falde..."
"...før den sidste skjold bristles.", beendete sie den Satz.
Val'garath fällt erst, wenn der letzte Schild zersplittert.
Irgendwas muss dieser Spruch in ihr ausgelöst haben, denn: "...Icy... Lass ihn frei."
"Grr...", machte Icy, doch sie tat wie geheißen.
Xerxes rieb sich die erstarrten Hände.
"... ich muss mit ihm reden. Allein.", sagte Dakeria an die Trix gewandt, "Geht zu den anderen. Unsere Neuankömmlinge sind auch da. Führt sie herum."
Als die Trix verschwanden, blieben nur Dakeria und Xerxes zurück.
-
Inzwischen hatte Layla die komplette Insel umrundet. Sie war nicht besonders groß. Es war ohnehin sehr wahrscheinlich, dass sich dieser Wächter wohl im Wasser aufhielt, so wie die Meerjungfrauen...
Sie setzte sich und plante ihre nächsten Schritte.
"...wie findet man jemanden, der nicht gefunden werden will?!", fragte sie sich selbst genervt.
Sie legte sich auf den Rücken und blickte in den blauen Himmel. Ob die anderen besser mit ihrer Suche voran kamen?
"Naja vielleicht findet derjenige dich!", sagte eine Stimme, die ihr seltsam bekannt vorkam.
Layla drehte sich um.
Gesprochen hatte eine Frau. Sie hatte blaue Augen und rötliche Haare, die zu zwei Zöpfen geflochten waren. Zudem hatte sie ein Surfbrett unter dem Arm geklemmt.
"...ich kenne dich ... Warte mal - ANN?! Bist du das?!?", Sofort war Layla wieder auf den Beinen.
Ann lächelte und umarmte ihre alte Freundin: "Es ist so lange her!"
"Oh Ann, ich hab dich so vermisst!", sagte Layla.
"Was machst du hier?", fragte Ann.
Layla löste sich von ihr: "Ich... muss jemanden finden."
"Wen denn? Vielleicht kann ich dir helfen!"
Ein komisches Gefühl machte sich in Layla breit. Warum? Ann war doch ihre beste Freundin gewesen!
"... hör zu... Das ist geheim..."
"Ach komm schon!", lächelte Ann.
Da fiel es Layla wie Schuppen von den Augen.
Es war ihr Lächeln das sie verriet. Emotionslos und falsch. Das war nicht Ann.
"...wer bist du?", fragte sie nun und verschränkte die Arme.
"Was meinst du? Ich bin's - Ann!", sagte sie.
Es wurde still und das falsche Lächeln verschwand aus Anns Gesicht.
"Ich frage dich noch einmal. Wer. Bist. Du?", wiederholte Layla.
Ann hob beschwichtigend die Hände: "Aber Layla, was ist denn mit dir los?"
Das bringt nichts...
Nun versuchte es Layla mit einer anderen Strategie.
Sie lächelte: "Entschuldige... Ich glaube ich bin in letzter Zeit etwas paranoid."
"Puh, du hast mir wirklich einen Schreck eingejagt!", kicherte Ann.
"Ja, genau wie damals, als wir surfen waren und dieser Korallenhai dich quer durch den Ozean verfolgt hatte, weißt du noch?", fragte Layla und lachte.
"Stimmt! Ich hab mir damals fast in die Hose gemacht!", sagte Ann.
"AHA!", machte Layla, "Ann und ich haben den Palast nie verlassen und sind nie zusammen surfen gewesen! Ich frage dich noch ein letztes Mal. WER BIST DU?"
Ann blickte sie einen Moment wie erstarrt an.
Dann veränderte sich ihre Gestalt.
Ihre Haut wurde bläulich und war mit glatten Schuppen übersät. Zwischen ihren Fingern und Zehen erschienen Schwimmhäute und ihr Haar schien aus Wasser zu bestehen. Sie trug eine Rüstung aus Algen und Korallen und hielt nun einen majestätisch aussehenden Dreizack in der Hand.
"Ich bin die, nach der du gesucht hast, Layla. Ich bin die Wächterin von Andros und mein Name ist Ebru.", sagte sie.
"Und warum hast du dich dann als Ann ausgegeben?", wollte Layla wissen.
"Dies war meine erste Prüfung an dich. Ich musste wissen, ob dein Herz erkennen kann, wer auf deiner Seite steht und wer nicht. Diese Prüfung hast du bestanden."
"Na toll...", grummelte Layla. Es tat weh. Sie wünschte sich so sehr, Ann wieder zu sehen. Sie wusste nicht einmal wo sie war...
"Nun zu meiner zweiten Prüfung.", sagte Ebru und richtete den Dreizack nach unten auf die Erde.
Der Boden bebte und verformte sich zu einer Höhle.
Eine dunkle Höhle... Das gefiel Layla gar nicht. Aber wenn sie nun Schwäche zeigte, würde sie die anderen enttäuschen. Also nahm sie ihren Mut zusammen und trat ein.
Es war ein langer Gang und die felsigen Wände erinnerten sie an früher.
Als sie noch ein Kind war, hatte sie einst draußen spielen dürfen. Sie liebte den Ozean und verbrachte Tage am Wasser. Doch einmal ist sie zu weit getaucht. Sie erkundete eine Unterwasserhöhle und der Eingang fiel in sich zusammen. Sie war eingesperrt. Es war ein Glück, dass es dort eine kleine Luftblase gab, so dass sie atmen konnte.
Anfangs rief sie um Hilfe.
Doch niemand hörte sie.
Die Dunkelheit umfing sie.
Erst nach zwei Tagen wurde sie gerettet.
Seitdem ließen ihre Eltern sie nicht mehr aus dem Haus.
Noch heute hat sie Alpträume davon.
Endlich! Ein Licht! Layla wurde schneller und kam zu einer verschlossenen Tür.
Dahinter erkannte sie einen Stab, der von der Energie des Wassers durchzogen war.
Sie betrachtete das Schloss.
Es war alt und morsch. Bestimmt konnte sie es aufbrechen!
Allerdings war da noch ein zweites Schloss, das über eine arkane Verbindung mit dem ersten Schloss gekoppelt war.
"Dies ist die zweite Prüfung.", hörte sie Ebru sagen, "Das linke Schloss steht für die Vergangenheit. Das Rechte für die Zukunft. Öffne sie in der richtigen Reihenfolge und du wirst den Raum dahinter betreten können. Du hast nur einen Versuch."
Layla trat von der Tür weg.
Vergangenheit? Zukunft? Was sollte das heißen?
"Und...was meint ihr mit der 'richtigen' Reihenfolge?", hakte Layla nach.
Ebru schwieg.
"Na toll...", grummelte Layla.
Sie ging die Optionen durch...
Geschichtlich gesehen beginnt alles mit der Vergangenheit und endet mit der Zukunft. Aber das ist bestimmt zu einfach... Vergangenheit... Zukunft...
Sie seufzte. Wie sehr wünschte sie nun, dass Tecna hier wäre! Sie hätte das Rätsel im Nu gelöst.
...
Sie setzte sich, als sie bemerkte, dass Ebru verschwunden war.
Das Alleinsein machte sie nervös. Aber wenigstens erleuchtete das arkane Schloss den Raum ein wenig.
Layla versuchte sich nichts anmerken zu lassen und überlegte, was die anderen Winx sagen würden...
Schon begann sie Flora zu imitieren: "In der Vergangenheit war jeder Baum einmal ein Setzling. Er wächst mit jeder Sekunde, auch wenn man das kaum mitbekommt!"
... allerdings wusste sie nicht, wie ihr das helfen sollte...
"Das ist doch absolut unlogisch. Natürlich kommt erst die Vergangenheit und DANN die Zukunft!", die Imitation von Tecnas Stimme war ihr wirklich gelungen.
Was würde wohl Musa sagen?
"Ich weiß gar nicht was du hast. Jede Melodie hat einen Anfang und ein Ende."
Grrr...
"Ach das ist doch zum verrückt werden!", rief Layla mit Blooms Stimme in die Dunkelheit.
"Ach ich weiß gar nicht was ihr habt. Ich war schon von Anfang an, strahlend wie die Sonne! Und das bin ich auch jetzt und in Zukunft!", sagte die Stella-Imitation.
Layla schüttelte den Kopf und legte sich auf den Boden.
Sie würde hier nie raus kommen...
... Sekunde... Was hatte Stella gesagt? Dass Vergangenheit und Zukunft zusammen hängen...?
Sofort sprang Layla auf.
Das musste es sein!
Hoffentlich irrte sie sich nicht...
Eins.... zwei... DREI!
Klackend schwang die Tür auf und gab den Zauberstab frei.
Sie hatte es geschafft!
"Danke, Stella!", rief sie grinsend in den leeren Raum.
"Gut gemacht. Du hast die zweite Prüfung bestanden.", Ebru erschien neben ihr.
"Nun zu deiner letzten Prüfung. Dieser Stab hat die Macht, dir die Portix-Kraft zu verleihen. Mit dieser neuen Form wirst du in der Lage sein, Paralleluniversen zu bereisen. Doch das hat seinen Preis."
"Was meint ihr damit?", fragte Layla überrascht.
Ebru trat näher: "Die Portix-Kraft wurde vom Meer versiegelt. Wenn du diesen Zauberstab an dich nimmst, werden die Weltmeere ausgelöscht. Doch solltest du diesen magischen Raum ohne ihn verlassen, wird der Lebensraum aller Landbewohner ausgelöscht."
"Was?! Das ... Das kann doch nicht wahr sein...", rief Layla erschrocken und trat von dem Stab zurück.
"Ich befürchte doch. Nimm den Stab und du zerstörst die Lebensräume unzähliger Wasserbewohner, oder geh und vernichte alles Leben an Land."
Unmöglich!
"Das kann doch nicht euer Ernst sein!", rief Layla.
"Ich fürchte doch. Die Portix-Kraft ist widernatürlich. Es würde das Gleichgewicht stören, wenn jemand das Paralleluniversum betritt. Darum wurde dieser Schutzzauber gesprochen, damit es unmöglich ist, diese Kräfte zu nutzen."
Das ist...!
"Warum habt ihr mir das nicht vorher gesagt?!", platzte es aus ihr heraus.
Ebrus Augen taxierten sie scharf: "Weil du zu viel weißt. Niemand darf von dieser Kraft wissen."
Layla musste sich mühsam beherrschen. Sie verfluchte Ebru innerlich!
Doch nun... Hatte sie wohl keine Wahl.
"Ich bleibe hier. Und nehme den Stab nicht."
Ebru hob eine Augenbraue: "Du willst hier bleiben? Allein in diesem dunklen Raum?"
Layla drehte sich der Magen bei dieser Vorstellung um. Doch das war nur ein kleines Opfer, wenn sie dafür die Welt retten konnte. Zumindest diese Welt.
"Ja. Ich bleibe hier."
"...wie du willst...", sagte Ebru. Sie drehte sich um und verschloss die Tür hinter sich.
Nun war Layla allein.
Schon wieder.
Ihr war kalt...
...
Verlockend leuchtete der Stab in der Finsternis.
Nein. Sie würde das nicht tun.
...
Stunden vergingen...
...
...
...
Sie wünschte, sie hätte sich noch von den anderen verabschieden können.
...
Tränen liefen ihr über das Gesicht.
Wie könnte Arcadia sie vor eine so grausame Wahl stellen?
...
Es war Totenstill. Und dieses Mal würde niemand kommen, um sie zu retten.
...
...
Wenn sie hier unten starb ... Würde sie dann Nabu im Jenseits treffen?...
...
...
... sie hörte Schritte.
Kam Ebru zurück?
...
Tatsächlich.
Die Wächterin öffnete die Tür: "Komm heraus, Layla."
"Nein! Ich will nicht, dass...!"
Ebru lächelte sanft: "Keine Sorge. Dies ist nicht das echte Artefakt. Dieser Stab dort ist lediglich ein alter Rückenkratzer von mir."
"Was?", horchte Layla auf.
Sie stand auf und ging auf wackeligen Beinen zur Tür.
"Das echte Artefakt ist DIES hier.", sagte Ebru und überreichte Layla ihren eigenen Dreizack.
Sobald sie ihn in den Händen hielt, spürte sie, wie sie die Kraft des Ozeans erfüllte.
"Du hast mich beeindruckt, Layla. Du hast Mut und Köpfchen bewiesen und gezeigt, dass du das Wohl aller über dein eigenes stellst, um alle zu retten."
Layla sah sie sprachlos an.
"Kehre nach Alfea zurück. Sie brauchen dich.", erklärte Ebru., "Wir werden uns gewiss wieder sehen."
"Danke, Wächterin Ebru."