"Oh nein - hab ich euch verletzt?!", fragte Flora die Grünlilien, auf deren Blättern sie gelandet war.
Die Pflanzen schienen wohlauf zu sein. Ein Glück.
Flora atmete erleichtert aus und sah sich aufmerksam um. Sie war in Lynphea, kein Zweifel. Warum hatte man sie hierher gebracht, ohne dass sie sich von den anderen verabschieden konnte? Sie beschlich ein ungutes Gefühl... Hoffentlich ging es den anderen gut.
Doch es nützte nichts, sich um sie Gedanken zu machen. Sie musste sich auf ihre Mission konzentrieren. Je schneller sie voran kam, desto schneller konnte sie die anderen wiedersehen!
Doch Arcadia hatte sie vor eine schwierige Aufgabe gestellt.
Wie sollte sie die Wächterin von Lynpheas finden? Vielleicht konnte sie die Weise von Lynpheas fragen... Oder vielleicht sollte sie eine Audienz bei Königin Rachel in Erwägung ziehen? Und was wenn die ihr auch nicht weiter helfen konnten?
Fragen über Fragen.
Doch Flora entschied sich, jemanden um Hilfe zu bitten, der über alles in Lynphea Bescheid wusste: die Natur!
Sie setzte sich auf den Boden und fokussierte ihre Kräfte auf die Erde, um mit den Pflanzen in Kontakt zu treten.
Doch diese schienen ihr keine Antwort geben zu wollen.
Lediglich die Zitterweide wies mit ihren Ästen in eine grobe Richtung.
Flora bedankte sich und machte sich auf den Weg, den die Weide ihr gezeigt hatte.
Es war ein schlammiger Pfad, in der Nähe eines Flusses, doch das machte Flora nichts aus. Die Blumen, die hier blühten, waren etwas ganz besonderes.
"Ich fasse es nicht! Rosa Pluvia - Regenrosen!"
Eine seltene Blume. Sie wachsen nur in der Nähe von Fließgewässern und blühen nur bei Regenwetter auf. Wenn sie blühen, verfärben sich ihre Blütenblätter zu einer Perlmutt-artigen Regenbogenfarbe. Sie sind wunderschön und verbreiten einen angenehm aromatischen Duft und ihr Blütenstaub ist eine Zutat für viele Heilmittel. Flora war begeistert, doch sie setzte ihren Weg fort.
"Die Natur kann so wunderschön sein..."
Der Pfad wurde dorniger und führte schließlich vom Fluss weg in den Wald. Hier war das Blattwerk so dicht, dass sie kaum etwas sehen konnte... Doch dafür wuchsen Pilze in Hülle und Fülle auf dem Boden.
Einer davon stach Flora besonders ins Auge. Er sah aus, wie ein normaler Fliegenpilz, doch irgendwas daran war seltsam.
"Kannst du bitte aufhören, mich so anzustarren?", sagte eine piepsige Stimme und der Pilz begann sich zu bewegen.
Tatsächlich. Er hatte kleine dünne Arme und ein winziges Gesicht, welches sie beleidigt ansah, war unter der roten Kappe verborgen gewesen.
"Entschuldige.",sagte Flora, sanft lächelnd.
Der kleine Pilz räkelte sich und gähnte, "...das war ein feines Nickerchen..."
"Wie heißt du denn?", wollte Flora wissen.
"Hmpf!", machte der kleine Pilz und rückte seine Kappe zurecht: "Du kannst mich Shroomy nennen."
"Hallo Shroomy. Ich heiße Flora.", sagte sie und schüttelte die winzige Hand des Pilzmännchens, "Vielleicht kannst du mir helfen... Ich suche die Wächterin von Lynphea."
Shroomy kicherte leise.
"Ist etwas?", fragte Flora.
Der kleine Pilz schüttelte den Kopf: "Sicher kann ich dich hinführen. Aber warum sollte ich das tun?"
"Bitte Shroomy. Es ist wirklich wichtig."
"Es ist wiiiirklich wichtig!", äffte Shroomy sie nach, "sorry Lady, aber das ist nicht drin."
"Aber warum nicht?", fragte Flora.
Shroomy verschränkte nur die Arme und drehte den Kopf weg.
Irgendwie musst ich ihn doch überreden können, mir zu helfen...
"Shroomy.... Bitte. Ich muss die Wächterin von Lynphea finden. Meine Freundinnen sind in Gefahr!", versuchte sie zu erklären.
Doch Shroomy schien das nicht zu überzeugen: "Aber sicher doch. Das kann jeder behaupten!"
"Ich wurde von Arcadia geschickt. Die Wächterin soll mir helfen, meine Portix-Kraft zu aktivieren."
"Ach warum hast du das denn nicht gleich gesagt?", sagte Shroomy sarkastisch und verdrehte die Augen.
Das funktionierte nicht.
Sollte Flora aufgeben?
...wenn sie doch nur ein wenig selbstbewusster wäre... selbstsicherer auftreten könnte....
"Also, ich mach mich vom Acker. Tschüss, Flora!", sagte Shroomy und watschelte davon.
Mist!
Was nun?
"Warte, Shroomy-", begann Flora, doch der kleine Pilz war schon über alle Berge.
Sie setzte sich, enttäuscht von sich selbst. Es war nicht das erste Mal, dass sie zu schüchtern war, um Partei zu ergreifen. Sie erinnerte sich an früher... Einmal wollte sie Helia einen Liebesbrief zu stecken, doch sie hat es einfach nicht übers Herz gebracht. Aus Angst, dass er nicht dasselbe empfinden könnte, aus Scham und Schüchternheit.
Es war immer so gewesen. Immer wenn es drauf ankam, schaffte sie es nicht, souverän zu sein. Sie beneidete die anderen Winx dafür... Sie fragte sich, wie es ihnen wohl ging. Hatten sie die Wächterinnen ihrer Welten schon gefunden? Was wenn nicht? Was wenn sie in Gefahr waren?
Und während sie hier in Selbstmitleid versank, könnte ihren Freundinnen alles mögliche passieren!
Dieser Gedanke schien sie wachzurütteln und sie stand auf.
Sie musste Shroomy finden und dieses Mal würde sie ihn überzeugen! Aber wo war er?
Sie folgte den Spuren des kleinen Pilzes durch Dornen und Schlamm und rief dabei ständig seinen Namen. Äste verfingen sich in ihrem Haar.
Ihre Kleidung war zerfetzt und die Dornen hatten sich in ihre Haut gegraben. Aber das war egal.
Wie weit war Shroomy gelaufen?
Es kam ihr vor, als sei sie ein paar Stunden gerannt, als Shroomy vor ihr auftauchte.
Der kleine Pilz grinste: "Bist ja doch taffer, als gedacht."
"Ich gehe nicht, bis du mich zur Wächterin von Lynphea bringst!", sagte Flora, nach Atem ringend.
Shroomy ließ ein gackerndes Lachen ertönen: "Du stehst bereits vor ihr!"
"Was?"
Überrascht sah Flora zu, wie sich die Birke, an der Shroomy lehnte, zu einer Frau verwandelte. Ihr Haar bestand aus Ästen und die Baumrinde wurde zu einer natürlichen Rüstung.
"Du hast meine Prüfung des Mutes und der Entschlossenheit bestanden, Fee der Natur. Ich bin Natyra, die Wächterin von Lynphea." , sagte sie, während ein Eichhörnchen auf sie kletterte und es sich in ihren Haaren gemütlich machte.
"Ich- es ist mir eine Ehre, euch kennenzulernen.", sagte Flora nervös.
Shroomy stupste sie: "Hey, ich dachte, du bist entschlossener. Nimm mal Haltung an!"
Natyra lächelte: "Du bist ein friedliches Wesen, nicht wahr Flora?"
"Das stimmt, euer Majestät."
"Leider wird es immer wieder Konflikte geben... Sag mir Flora, hättest du die Wahl, der Welt für ein Jahr Frieden zu bringen, indem du deine Liebsten opfern musst... Würdest du es tun?", fragte Nadyra und eine von Blumen überwachsene Sense erschien in ihrer Hand.
Flora erschrak: "Was ist denn das für eine Frage?!"
Nadyra beobachtete sie ganz genau: "Die Antwort dieser Frage bestimmt, ob ich dir die Macht der Portix-Kraft anvertrauen werde. Du hast nur einen Versuch. Und du hast zehn Sekunden Zeit."
Flora schwieg empört. Ihre Liebsten opfern? Niemals!
"Zehn... Neun... Acht... Sieben..."
Andererseits würde es der Welt Frieden bringen... Doch für wie lange? Sie sagte bereits, dass es immer wieder Konflikte geben wird... Ein Jahr ist kurz... Doch jeder Tag ist wichtig... Friede würde so vielen helfen... Kriege zerstörten so vieles. Sie schaden Mensch und Natur.
"... Sechs... Fünf... Vier..."
Ihre Freundinnen... oder ein Jahr Frieden... Auf der ganzen Welt... Doch - nein. Mit ihren Freundinnen würde sie der Welt Frieden bringen können! Ohne die Winx würde nach einem Jahr das Böse zurückkehren und vielleicht sogar triumphieren! Andererseits gab es auch in der magischen Dimension Kriege. Von der Erde ganz zu schweigen. Und die Leute verdienen es, aufatmen zu können.... Ein Jahr...
"... Drei.... zwei...eins..."
"Zeit vorbei!", riss Shroomys Stimme sie aus ihren Gedanken.
Natyra zog eine Augenbraue hoch:
"...du hast bestanden."
"W-was?", fragte Flora, den Tränen nahe.
Natyra legte eine Hand auf ihre Schulter: "Auf diese Frage gibt es keine richtige Antwort. Hättest du dich für eine Seite entschieden, wärst du durchgefallen. Du bist eine gute Freundin und deinen Liebsten gegenüber loyal. Und gleichzeitig möchtest du die Welt retten."
"Und das kann ich auch, mithilfe meiner Freundinnen!", sprudelte es aus Flora heraus.
Natyra lächelte ihr anerkennend zu und überreichte ihr die Sense: "Mit diesem Artefakt wirst du der Welt Frieden bringen. Und nun geh - Alfea erwartet dich."
"Danke, Wächterin Natyra.", sagte Flora, die Sense mit zitternden Fingern umklammernd. Sofort durchströmte die Essenz von Lynphea - die Macht der Natur selbst.
"Und steh gerade, Herrgott nochmal! Du bist jetzt eine Portix-Fee!", grummelte Shroomy ihr zu.
Flora lächelte ihm zu, "Auf Wiedersehen, Shroomy."
Dann trat sie durch das Portal nach Alfea.