Das Gelände war an seinen Grenzen so gut abgesichert, dass ich auf andere Maßnahmen der Festsetzung verzichtet hatte, zumal alle Eisdämonen unbewaffnet waren und keinerlei Aggressivität zeigten.
Das war zwar erstaunlich angesichts der erbitterten Feindschaft, die sich jedes Jahr wieder in Form der Invasion äußerte, aber wie gesagt: Dieses Jahr war alles anders.
Ich kam um die Ecke und sah durch die geöffnete Tür des Saales, in dem die Gefangenen sich aufhielten, diese in einer Traube zusammenstehen. Ich konnte kaum glauben, welche entsetzten Gesichter sie zeigten und welche offensichtliche Angst sie offenbarten.
»Wir hätten unsere Frauen und Kinder hierher mitnehmen müssen!
Jetzt sind sie wieder auferstanden, kommen hierher, um sich die Überfahrt zu sichern und uns hier alle untergehen zu lassen.«
»Meinst du, dass sie noch leben? Wenn ja, müssen wir sie herholen!«
»Wie denn? Die Belletristicans werden uns nicht einfach nach Hause segeln lassen, damit wir unsere Familien herholen können. Wir haben auch zu wenige Schiffe für eine weitere Rückreise, die haben die Teufel selbst in Gebrauch. Die müssten uns unsere eigentlichen Gegner auch noch leihen. Damit sie uns am Ende vielleicht noch BESCHÜTZEN müssen, weil wir alle vernichtet werden sollen? Glaubst du an Wunder?«
Beim vorsichtigen Näherkommen konnte ich die Eisdämonen gut hören und was ich vernahm, erschütterte mich mit jedem Wort mehr.
»Wiedergänger sind das Letzte. Sie haben von dem Untergang Belles gehört und sind auferstanden, um selbst diese Überfahrt zu machen und uns hier verrecken zu lassen. Unfassbar.»
Ich betrat den großen Saal mit einem Räuspern. Erschrocken fuhren alle zu mir herum und verstummten augenblicklich.
Ich konnte an ihren entsetzten Gesichtern ablesen, dass sie sich fragten, wie viel ich wohl von ihrer Diskussion gehört hatte.
In jedem Fall genug, dass mir schwindelig wurde. Ich spürte dieses Gefühl in meinem Kopf, dass alles Blut aus ihm gewichen war. Ich musste aussehen wie ein ...
»Wiedergänger?«, schrie ich ihnen laut entgegen. »Was redet ihr da? Seid ihr von Sinnen?«
Meine bisher zur Schau gestellte Gelassenheit war flüchtig.
Die Eisdämonen wichen fast komplett vor meinem Wutausbruch zurück.
Nur einer blieb unerschütterlich stehen und reckte sein Kinn vor.
»Ja, Wiedergänger. Eine andere Möglichkeit besteht nicht«, spie er trotzig aus.
Ich starrte ihn verblüfft an, versuchte, mich zu beruhigen.
»Wie kommt ihr darauf?«
Er warf seinen Kopf wütend nach hinten, aber ich sagte nichts dazu, denn die Ungeheuerlichkeit seiner Worte reichten mir schon.
Dann schnaubte er, bevor er weitersprach.
»Es können kaum unsere kleinen Kinder oder unsere Frauen sein, die hier die Kanonen abfeuern. Auch die Alten sind es nicht, sie wären bei uns, wenn sie noch krauchen könnten. Es sind also unsere Toten, die zum Leben erwacht sind. Untote, die es auf die Überfahrt abgesehen haben. Ihr habt sie über die Jahre alle getötet im Kampf um Belletristica und nun haben sie verstanden, dass sie bald auch niemanden mehr hier haben werden, den sie nach den vielen, verlorenen Schlachten mehr heimsuchen können. Ihr letzter Trost nach den endlos verlorenen Schlachten. Belletristica wird leergefegt sein. Sie wollen nicht allein hier zurückbleiben. Genauso wenig wie wir. Dafür habt ihr Verständnis gehabt. Wollt ihr sie auch mitnehmen? Sicher nicht. Und sie euch auch nicht. Sie wollen die neue Welt für sich selbst haben und wir ALLE dürfen hier mit Belle untergehen. Verstanden, oder soll ich es noch deutlicher erklären?«
Ich, hier offiziell Sinjorino de Fajro, schüttelte entsetzt den Kopf.
Diese Entwicklung und Vorstellung war äußerst gefährlich, denn niemand wusste, wie man Untote oder Wiederkehrer töten konnte, außer ihnen den Kopf abzuschlagen. Nur dazu müssten wir alle in Nahkämpfe gehen. Das war praktisch unmöglich, dann wären sie bereits mitten unter uns.
Was wir jetzt brauchten, war schnellstens einen guten Plan, wie wir vorgehen konnten, um den neuen Feind in Schach zu halten.
»Nun mal langsam, Eisdämon. Bevor du hier die Hand beißt, die dich füttert, sag mir lieber, welche Optionen wir haben, um sie von ihren finsteren Plänen abzuhalten? Habt ihr eine Idee? Sie sind zwar irgendwie am Leben, aber auch wieder nicht, also können sie gar nicht in die Schleuse einfahren, selbst wenn sie uns alle töten würden vorher. Also was könnten sie vorhaben, um trotzdem mitzufahren? Wie wollen sie uns daran hindern, einfach zu gehen, wenn es soweit ist?«
Ich hatte automatisch meine Hände gehoben, damit sie mir alle zuhörten. Jetzt hatten wir plötzlich denselben Feind, also war es vertane Energie, uns gegenseitig zu zerfleischen. Auch nicht mit Worten.
Kooperation war gefragt.
Teamwork.
Das musste bei jedem Einzelnen ankommen, wenn wir eine erfolgreiche Strategie entwickeln wollten.
Der zornige Dämon wirkte plötzlich nachdenklich und nicht mehr so angriffslustig.
»Sie werden versuchen, Belletristica zu übernehmen. Sie sind verbittert darüber, dass sie nicht einmal mit ihrem Tod diesen Erfolg verzeichnen konnten, darum sind ihnen die Bewohner egal. Wir sowieso. Sie denken, dass wir sie verraten haben, um unser Leben zu retten. Ich habe Angst, dass sie unsere Familien bereits vernichtet haben. Das wäre auf lange Sicht auch unser Untergang.«
Ich konnte seine Sorge verstehen, aber ich vermutete eher, dass die Wiederkehrer sich ein Druckmittel aufgehoben hatten, um die lebenden Dämonen auf ihre Seite zu ziehen. Für mich sah es vorsichtig positiv aber durchaus nicht so aus. Eher im Gegenteil.
»Habt ihr eine Vorstellung davon, was ihre Schwachstellen sind? Viel Zeit haben wir nicht, um uns etwas zu überlegen. Oberstes Ziel für uns alle muss es sein, Belletristica vor diesen Angriffen zu schützen und jeden Bewohner zu retten, damit wir gemeinsam die Überfahrt antreten können. Jeder zählt, zu viele Bewohner sind bereits geflüchtet. Wann wolltet ihr denn eure Familien nachholen? Vielleicht finden wir einen Weg, sie an den Untoten vorbeizulotsen.«
Ich hatte mich schon weggedreht. Meine Gedanken sprach ich laut aus, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
Ich musste so schnell wie möglich, die übrigen Belletristicans informieren über diese neuen Erkenntnisse, damit wir den Feind richtig einschätzten.
»Ich sehe nur die Möglichkeit, dass wir bis nach der Überfahrt einen Pakt schließen«, ertönte es fast tonlos hinter mir und ich fuhr zu dem Sprecher völlig perplex herum.
»Einen Pakt?«, echote ich.
»Wenn ihr uns helft, unsere Familien zu retten, kämpfen wir bis zum letzten Atemzug an eurer Seite.«
Ich starrte ihn an, als wenn er eine mir unbekannte Sprache spräche.