Ich holte tief Luft.
Schließlich musste ich jetzt nicht nur die Wiedergänger sondern auch alle meine Freunde überzeugen. Ich wusste, dass ich für diese später noch mehr Erklärungen nötig hatte, aber die hatte ich parat. Also ging es jetzt doch erstmal nur um die wutschnaubenden Feinde.
Ich musste sie überzeugen, um nicht nur Fünkchen aus ihren Pranken zu befreien.
»Ich würde jedem von euch einen Belle-Bewohner übergeben, allerdings anders, als ihr vielleicht erwartet. Mit mir würde ich beginnen, jetzt nur zum ausprobieren, damit ihr das Angebot einschätzen könnt. Aufpassen müsst ihr aber allein auf ihn. Geht er kaputt, ist das euer Problem. Um euch zu zeigen, was ich meine und wie das funktionieren kann, werde ich euch das mal vorführen, sobald ich ein bestimmtes Teil bekommen habe. Dafür brauche ich jetzt Dirgis.«
Ich wandte mich an die Zwergin, die mit Kobold im Schlepptau nun zu mir aufgeschlossen hatte. Ich beugte mich zu ihr und flüsterte ihr etwas leise ins Ohr. Sie schaute mich kurz erstaunt an, nickte dann und zog Kobi mit sich, als sie gleich darauf wieder verschwand, diesmal in die andere Richtung.
»Bis die beiden zurück sind – habt ihr bis hierhin schon Fragen?«
Herausfordernd blickte ich zu den Wiedergängern, die nicht wussten, ob sie angreifen oder zuhören sollten.
Die mussten beschäftigt werden!
»Wollt ihr euch vielleicht untereinander beraten in der Zwischenzeit?«
Das kam ihnen wohl entgegen, denn einige nickten sofort.
Kurz darauf traten sie ein wenig beiseite und man hörte sie nur noch Brummen und Fauchen. Ich hatte keine Ahnung, ob es sich dabei eventuell um eine Geheimsprache handelte, aber es war mir im Grunde auch egal, so lange sie sich nicht wieder zum Angriff entschieden.
Deswegen ging ich ebenfalls ein Stück zur Seite, um auch mit unseren Leuten zu reden, denn die waren immer noch geschockt, dass ich lebende Wesen angeboten hatte. Das musste ich so schnell wie möglich klarstellen.
Kaum dass sie sich um mich geschart hatten, begann ich mit meiner Erklärung, denn noch sah ich rundherum nur Entsetzen und Misstrauen in ihren Gesichtern. Also redete ich rasch und schnell.
»Als wir von dem Untergang Belles erfahren haben, ist doch jedem von uns das Herz in Millionen kleiner Splitter zerborsten. Wir heilen unsere Herzen, indem wir hier bis zum Schluss kämpfen mit unseren Laternen und darauf hoffen, dass wir alle gemeinsam nach S.T. übersiedeln können. Trotzdem wird aber ein winziger Teil von unseren Herzen dennoch für immer hier bleiben. Wenn ihr mir diesen winzigen Teil überlasst, damit ich ihn mit meiner Feuermagie weiterhin am Leben erhalten kann, dann kann es mir vielleicht gelingen, ein Spiegelbild von euch in einen ebensolchen zu bannen und dieses Spiegelbild wird leben! Die Hexe müsste mir bei dem Bannzauber helfen.«
Mein Blick huschte kurz zur Hexe und war dankbar, dass sie unmerklich nickte. Noch wusste ich nicht, ob es nur ein "ich habe verstanden" Lächeln war, oder wirkliche Zustimmung.
Ich erklärte zunächst weiter.
»Dieses Bild kann den Wiedergängern ein Gefährte sein, jedem einzelnen von ihnen. Sie werden hoffentlich dann keinen Grund mehr haben, uns weiter zu verfolgen, denn sie bleiben hier und mit Hilfe unserer Herzenssplitter werden alle Teile, die jemals hier gelebt haben, weiter existieren. Sie sind nicht länger allein und haben endlich Belle für sich – und die Gesellschaft, mit der sie zufrieden sein können, aber auch müssen, denn etwas anderes können wir ihnen kaum anbieten. Ich muss sie nur davon überzeugen und ihr müsst mir dann alle helfen und euch einen Spiegel besorgen, den wir mit eurem lebenden Bild hierlassen können. Was meint ihr dazu? Ich werde es, wenn ihr mitmacht, mit meinem eigenen Spiegelbild demonstrieren ... Außerdem werden wir ihnen bei unserer Abreise unsere Laternen hier lassen, damit sie trotzdem immer Licht haben. Wenn sie sich darauf einlassen, könnten wir damit hier und heute die Invasion beenden.«
Gespannt sah ich in die Runde. Der Schrecken in ihren Mienen wandelte sich in Nachdenklichkeit.
Dann prasselten die ersten Fragen auf mich ein.
»Was ist mit den Eisdämonen und unserem Pakt?«, ertönte es von einer Seite.
»Der bleibt, wie vereinbart, bestehen. Wir nehmen die Dämonen mit, wenn sie uns hier helfen, die Invasion lebend zu überstehen. Sobald sie ihre Familien hier haben, werden sie froh sein, wenn ihnen selbst keine Gefahr mehr droht, bis wir übersiedeln können.«
Das leuchtete ein. Ein weiterer Zwischenruf von der anderen Seite schallte zu mir herüber.
»Aber es sind gar nicht alle hier. Auf See wird weiter gekämpft, weil dort niemand von unseren Vereinbarungen wissen kann. Unsere Leute in den Booten zusammen mit den abgestellten Dämonen und von den Wiedergängern ganz zu schweigen. Wie sollen wir das in den Griff bekommen?«
Berechtigter Einwand.
»Das habe ich nicht vergessen, aber wir können nur Schritt für Schritt vorgehen«, bestätigte ich und wandte mich sofort Katelli zu, die mir aufmerksam zugehört hatte.
»Dafür brauche ich dich und den Wikinger nachher. Haltet euch bereit. Wenn es so weit ist, sage ich euch Bescheid. Svante? Bleib bitte bei Katelli, denn wenn alles klappt, müsst ihr sofort los.«
Der bisher missmutig dreinschauende Wikinger richtete sich auf und endlich erhellte sich seine Miene. Viel zu lange für seinen Geschmack, wurde er hier zur Untätigkeit verdammt, was ihm überhaupt nicht passte. Er brannte darauf zu kämpfen und alles zu zermalmen, was sich ihm in den Weg stellte. Nun sah es endlich danach aus, dass er bald eine Aufgabe bekommen würde und ja, das besserte seine Laune schlagartig.
Ich hatte keine Zeit für längere Ausführung, aber ich merkte, dass die Belletristicans langsam Mut fassten und meinem spontanen Plan eine Chance geben wollten. Ehe wir weiter diskutieren konnten, meldete sich der Anführer der Wiedergänger mit einem Räuspern zu Wort.
»Wir haben uns beraten und warnen euch. Wenn ihr uns hier nur hinhalten wollt, dann täuscht euch nur nicht. Es wird euch nichts nutzen! Wir sind nicht so blöd, dass wir auf falsche Versprechungen hereinfallen.«
Ich musste mir wirklich ein Schmunzeln verkenifen, denn von diesen Worten war ich so ganz und gar nicht überzeugt.
Aber die Lage war ernst und deswegen hörte ich lieber weiter zu, ohne den Wiedergänger zusätzlich zu verärgern.
»Wir können uns nicht vorstellen, wie ihr euer großspuriges Versprechen einlösen wollt, deswegen lassen wir uns auf eine Vorführung ein, die ihr ja angeboten habt. Wenn ihr das glaubhaft machen könnt, was wir allerdings stark bezweifeln, dann erklären wir uns dazu bereit, über eine Art Vertrag nachzudenken. Wir geben euch eine halbe Stunde Zeit für die Vorbereitungen und Demonstration. Das sollte ja wohl reichen. Länger wollen wir jedenfalls nicht warten. Bis dahin sollte unsere Nachhut auch eingetroffen sein.«
Mit einem siegessicheren Blick stemmte er seine Pranken in die Seiten.
Ich atmete innerlich auf.
Das war ein Anfang und wenn Dirgis und Kobold zurück sein würden, konnte es auch sofort losgehen.
Natürlich würden wir dem arroganten Anführer nicht verraten, dass er auf seine Nachhut lange warten konnte, denn ich war davon überzeugt, dass die auf dem Meer in eine ganz anderer Richtung unterwegs waren. Aber einen Schritt nach dem nächsten. Ich nickte Akk und den anderen zu und danach sprach ich den Anführer unserer Feinde an, bemüht, meine Zuversicht nicht zu deutlich dabei durchklingen zu lassen.
»Damit sind wir einverstanden. Ich sehe meine Freundin mit ihrem Ziehsohn schon da hinten kommen, also kann es bald losgehen. Die Golems bleiben in Stellung, werden aber nicht angreifen und abwarten, bis hier die Entscheidungen getroffen wurden. Ich rufe euch dazu, wenn wir mit den Vorbereitungen soweit sind.«
Demonstrativ wandte ich mich um und mischte mich unter die Belle-Bewohner, die nun erwartungsvoll auf Dirgis und Kobold starrten.
Die beiden arbeiteten sich durch die Menge und übergaben mir dann erwartungsvoll den Spiegel, den sie aus meinem Haus geholt hatten.
Ich flüsterte der Hexe meine Pläne zu, damit sie mich mit einem Bannzauber unterstützen konnte. Sie warf voller Tatendrang ihre langen Haare zurück und nickte, stellte sich neben mir auf.
Ich betete, dass mein Plan aufgehen würde, denn das leise Schluchzen von Fünkchen konnte ich ganz genau hören.
Jetzt kam es darauf an.
Ich ging hinüber zu den Wiedergängern und auch wenn es mir widerstrebte, stellte ich mich so in die Nähe, dass sie mich und die Hexe, die mir nicht von der Seite wich, gut im Blick hatten.
Es ging los.