Mein Herz pochte laut in meiner Brust und ich fröstelte. Kalter Schweiß überzog meinen Körper, als die grausige Szene endete, aber in meinem Kopf wiederholte sich alles immer wieder von Neuem. Wie in einer Endlos-Schleife, die sich in mein Gedächtnis eingebrannt hatte, sah ich das Geschehene wieder und wieder. Und dabei hörte ich jede verdammte Sekunde Mozart. Ich glaubte, ich würde wahnsinnig werden!
Der arme Junge.
Das Schlucken fiel mir schwer, denn meine Kehle war wie zugeschnürt. Tommy's Schicksal machte mich richtig fertig. Vermutlich, weil ich einen Bruchteil seines Leids am eigenen Leib erfahren hatte. Dass ich dieses Monster noch mehr verabscheuen könnte, als ich es bereits schon tat, hielt ich eigentlich nicht für möglich. Aber jetzt, wo ich wusste, was mit Tommy passiert war, wurde mein Hass auf dieses Schwein mit dem Messer nur noch größer. Und wenn ich alles richtig gedeutet hatte, dann gab es noch mehr entführte Kinder. Die widerlich schmierige Stimme hallte in meinem Kopf wieder und hinterließ einen übles Gefühl in meinen Eingeweiden.
"Die Anderen verdienen schließlich auch meine Zuwendung. Aber keine Sorge, ich komme wieder, Tommy."
Am liebsten würde ich dieses abscheuliche Wesen jetzt sofort an einem Tisch festketten und für seine Taten büßen lassen. Wenn ich nur wüsste, in welcher schmutzigen Ecke er sich verkroch...
Allein der Gedanke, dass dieser Bastard genau in dieser Sekunde irgendwo in einem verborgenen, verranzten Keller Kinder quälen und missbrauchen könnte, machte mich schier verrückt. Und wenn ihn niemand aufhielt, würde es noch mehr Opfer geben!
Aber Moment mal... Was, wenn, das hier alles gar nicht echt war? Was, wenn ich mir die ganze Geschichte nur ausgedacht hatte? Konnte das denn wirklich sein?
Doch alles hier wirkte zu real, um als Traum durchzugehen.
All, die Menschen, die ich hier gesehen hatte, waren mir komplett unbekannt. So viel Fantasie konnte ein einzelner Mensch doch gar nicht besitzen! Und ich war noch nie besonders kreativ gewesen.
Ich fühlte Schmerz, Erschöpfung, sah Erinnerungen, die auf keinen Fall meine eigenen sein konnten. Alles war so gestochen scharf und deutlich.
Wenn ich sonst vor mich hinträumte, wechselten die Szenen blitzschnell, was ich sah, war oft schemenhaft, die Umrisse verwaberten wie Rauchfetzen, die sich schließlich in Nichts auflösten.
Hier wurde ich verrückt vor Angst, hier entwickelte ich ein Mozart-Trauma. Das war mehr als nur normale Träumerei. Das war... Ich wusste nicht, was es war. Aber eins war mir klar: Nach allem, was ich hier erlebt hatte, konnte ich es mir nicht mehr leisten Zweifel zu haben. Genauso gut könnte ich an meiner eigenen, geistigen Gesundheit zweifeln.
Ich war so beschäftigt mit meiner ganzen Denkerei, dass mir zuerst gar nicht auffiel, dass plötzlich alles um mich herum still geworden war. Viel zu spät merkte ich, dass das Flüstern aufgehört hatte. Und nicht nur das... Die zahllosen Erinnerungsfetzen, die mir noch vor wenigen Minuten um die Ohren geflogen waren, wurden immer langsamer, bis sie schließlich zum Stehen kamen. Auch die Szenen selbst froren vom einen Moment zum nächsten einfach ein und wurden zu gewöhnlichen Bildern.
Die Angst prasselte auf meinen Körper nieder wie ein übermächtiger Eisregen. Und es wurde auch immer kälter und eisiger. Wo vorhin noch Sicherheit und Wärme waren, befanden sich jetzt nur noch Kälte und Angst.
Was passierte hier?
Auch ich wurde immer langsamer, weil das Ziehen an meinem Rücken schwächer wurde. Allmählich verdunkelte sich alles um mich herum. Panisch blickte ich umher und registrierte mit Grauen, dass die Lichter ausgingen... Langsam, fast schleichend verschwanden alle Bilder.
Das beklemmende Gefühl in meiner Brust wurde immer stärker und stechender.
Ich dachte vorhin noch, alles würde gut werden. Warum spielte mir das Schicksal so übel mit?
Vor einem Augenblick war da noch ein lachendes Gesicht neben mir. Jetzt klaffte an meiner Rechten eine schwarze Lücke und riss ein Loch in die leuchtende Wand. Und es sollte nicht das einzige bleiben. Über und unter mir, rechts und links von mir lösten sich die Lichtquellen auf, so als ob jemand mit einem Schalter ein Bild nach dem anderen einfach ausknipsen würde. Das Licht schwand immer rasanter und macht der Dunkelheit Platz. Langsam und schwer kroch die Schwärze auf mich zu. Eine Hand voll Bildern leuchtete noch, dann waren auch sie verschwunden.
Die Schwärze ergoss sich über mich wie eine dunkle Welle aus Teer und schnürte mir die Kehle zu. Sie drückte sich von allen Seiten an meinen Körper und drohte mich zu zerquetschen wie eine riesige Hand. Ich bekam nicht mehr viel Luft und atmete schnell und flach. Das Ziehen hörte nun entgültig auf und ich spürte, wie ich fiel. Erst langsam, dann immer schneller.
Meine Hoffnung an einen besseren Ort zu gelangen, zerfiel vor meinem inneren Auge zu Staub. Im nächsten Moment war meine Luftzufuhr vollständig gekappt. Ich griff mir an den Hals, meine Beine strampelten in der Luft, während ich weiter fiel. Es nutzte alles nichts.
Wie ein Fisch auf dem Trockenen schnappte ich nach Luft, aber es kam nichts in meiner Lunge an. Mein Verstand wurde zu Brei, es fiel mir immer schwerer einen klaren Gedanken zu fassen. Ich wusste nur eins: Wenn nicht schnell etwas passierte, würde ich ersticken!
Wo war mein Retter, jetzt wo ich ihn doch so dringend brauchte? Warum verließ er mich gerade in einem Moment wie diesen?!
Mein Herz schien immer langsamer und unregelmäßiger zu schlagen und meine Lunge brannte wie Feuer. Der Drang danach Luft zu holen steigerte sich ins Unermessliche.
"Bitte! Komm zurück, sonst werde ich sterben!"
Mein gedanklicher Hilferuf schien hier niemanden zu erreichen. Verzweifelt merkte ich, wie ich der Schwelle zur Bewusstlosigkeit immer näher kam. Meine Augen tränten, ich wurde immer schwächer und meine Hände lösten sich von meinem Hals. Ich konnte nicht mehr gegen den unsichtbaren Gegner ankämpfen. Die Dunkelheit hatte gewonnen.
Es war vorbei.
Ich schloss meine Augen und einen Wimpernschlag später fühlte ich gar nichts mehr.