Während Shari schrieb, kamen die Mäuse zurück. Sie hatten ihren Auftrag erfüllt und berichteten erleichtert, sie hätten bereits neue Wohnmöglichkeiten gefunden. Bereits für den nächsten Morgen sei der Umzug in einen am Boden liegenden Baumstamm geplant. Dann eilten sie in ihre Mauermäuselöcher, um zu packen.
Auch die Eule und die Vögel kehrten zurück und berichteten Shari, was sie hatten ausrichten können. Diese lächelte zufrieden und dankte auch ihnen.
Im Laufe des Nachmittags begann Shari, den Platz vor dem Wachturm bereitzumachen. Die herumliegenden Äste schichtete sie zu einem Stapel auf und holte dann im Wald noch mehr Holz. Beim Eindunkeln entzündete sie das Feuer und setzte sich dann ganz nahe an den Wachturm.
Und dann kamen sie.
Als erstes näherte sich ein Drache, der sich mit dem Namen Miro vorstellte. Das weisse Kaninchen, welches so gerne Karotten mochte, kam auch dahergehoppelt. Urmusen, Zwerge, Elfen, Kobolde, ein Fuchs, Wölfe, ein Honigbär und unzählige Wesen jeglicher Grösse und Gestalt, die es nur auf Belletristica gab, trafen eines nach dem andern ein und setzten sich im Kreis um das munter brennende Feuer. Im Hintergrund meinte Shari sogar einen Kritiger* zu erkennen. Zu guter Letzt kam sogar Belle dahergeflogen und setzte sich auf Sharis Schulter. Von hier aus hatte sie eine gute Übersicht.
Shari strahlte vor Freude und begrüsste alle Anwesenden herzlich.
Dann fragte sie, ob jemand Lust habe, eine Geschichte zu erzählen.
Belle meldete sich als erste. Sie erzählte den aufmerksamen Zuhörern von den Ursprüngen Belletristicas. Sie berichtete von der Zeit, als hier noch die Urmusen wirkten. Sie erzählte weiter von der Besiedelung der Insel, von bereits damals erfolgten Angriffen, welche die ersten Bewohner hier abwehren mussten. Dabei erwähnte sie die wichtige Rolle des Wachturms, die er damals gespielt hatte.
Als Belle geendet hatte, stand eine der Urmusen auf. Sie erzählte ein Märchen aus alter Zeit, in welchem ein kraftvoller Wachturm vorkam.
So ging es die ganze Nacht lang weiter. Ein Tier nach dem andern, ein Wesen nach dem andern, stand auf und erzählte eine Geschichte oder ein Märchen. In jeder dieser Geschichten, in jedem Märchen, war die Rede von einem Wachturm.
Es wurde spät an jenem Abend. Alle zogen sich zum Schlafen zurück mit dem Vorhaben, sich am nächsten Abend wieder zu treffen.
Shari war glücklich. Bevor sie sich unter dem untersten Boden in ihre Decken einkuschelte, strich sie dem Wachturm sanft über den Pfosten. «Gute Nacht!» flüsterte sie – ob er es wohl hörte?
*Mit freundlicher Genehmigung gesichtet in "Systema Natura Belletristica" unseres Bellologen Felix
https://belletristica.com/de/text/kritiger-panthera-iudicium-22818