Eine kleine Reise beginnt
Mit einem lauten Poltern jagte ich die Treppe runter und übersprang die letzte Stufe, sodass ich mit einem Wumms auf dem Flur des Erdgeschosses landete. »Vorsicht, Lu!« Felix' Kopf tauchte aus der Küche auf und er schaute mich mit mahnender Miene an.
»'Tschuldige bitte!« Wo hatte ich nur meine Karte liegen lassen?! Ich stürmte in die Bibliothek und schaute mich schon fast hektisch um. Da, auf Felix' Tisch lag sie! Mit großen Schritten eilte ich zum Tisch, griff nach der Karte und stürmte direkt weiter, hinaus auf den Flur. Sofort war ich in der Küche, wo Felix gerade anfing Frühstück zu machen. Ich legte dort die Karte hin und rannte erneut hinaus auf den Flur und die Treppe hoch.
Während Felix ganz entspannt und etwas verschlafen meine Karte zur Seite schob und den Tisch deckte, jagte ich im oberen Geschoss von Raum zu Raum. Erst in mein Zimmer, dann kurz in die Sternwarte aufm Dachboden, zurück in mein Zimmer, ins Bad und erneut wieder ein mein Zimmer. Unterdessen war Felix damit fertig den Tisch zu decken und wand sich wieder dem Omelette zu, welches in einer Pfanne auf dem Herd brutzelte.
Erneut unter lautem Gepolter sprang ich die Stufen der Treppe hinunter. Mit einem Satz war ich in der Küche und hatte meinen gepackten Rucksack auf einen Stuhl, möglichst sanft, gepfeffert. Sofort war ich dann wieder hinaus und befand mich erneut in der Bibliothek, wo ich zwischen den Reihen von Regalen verschwand.
Während ich schnell durch die Reihen schritt, mein Kopf sich in einem Fort hin und her bewegte und mit meinen Augen nach Calcifers Glasfläschchen suchte, schwebte ganz gemütlich ein anderes Fagerleuer, durch ein offenes Fenster neben der Haustür herein. Entspannt und hell flackernd schwebte Lumus, Felix' Fagerleuer, durch den Flur und zu seinem menschlichen Freund, wo sie einander auf ihre eigene Art begrüßten, Felix mit einem freundlichen »Guten Morgen« und Lumus mit einer kurz aufflackernden rötlichen Färbung.
Felix war fast fertig mit kochen und Lumus beobachtete neugierig jede seiner Bewegung, unterdessen hatte ich Calcifers Fläschchen entdeckt. Sofort griff ich danach und zog den Korken – der Kleine hatte sich zwischen zwei schief stehenden Büchern versteckt.
»Flame!« sprach ich mit leicht erboster Stimme. Sofort flackerte Calcifers Licht auf, doch richtig zeigen wollte er sich wohl nicht. Kurzerhand streckte ich meine Hand mit dem Fläschchen weg und drehte es auf den Kopf. Langsam, gaaaanz langsam, rutschte Calcifer heraus und versuchte sich am Rand festzuhalten. Ich schüttelte leicht und das kleine Fagerleuer fiel heraus, fing sich aber sofort und schwebte rötlich vor meiner Nase. Während Calcy und ich eine kleine Diskussion führten, hatte Felix noch etwas Kohle in zwei Schalen auf den Tisch gestellt und sich schon an den Tisch gesetzt.
Felix und Lumus hatten schon angefangen zu essen, als ich, gefolgt von Calcifer, dazu kam, meinen Ruckack vom Stuhl nahm und mich setzte. Auf meinem Teller lag schon ein lecker duftendes Omelette, auf welches ich mich sofort stürzte und Calcy krachte fast in seine Schale mit Kohle. Für eine Weile war es still am Tisch, alle aßen zufrieden und von den zwei Fagerleuern kam ein genüssliches Knistern. Wir waren alle sicher noch etwas verschlafen, auch wenn ich schon länger mich hellwach fühlte. Ab heute würde ich erneut eine Reise antreten, dabei war jene, wo ich zum Reservat gewandert war, noch gar nicht so lange her. Dieses Mal war ich auch viel besser vorbereitet.
Als wir mit Frühstücken fertig waren, half ich beim Abwasch und räumte mit den Tisch ab. »Worum ging es eigentlich in eurer Diskussion vorhin?«, fragte Felix. Ich reichte ihm einen schmutzigen Teller und räumte Marmeladen, Honig und anderen Brotaufstrich weg.
»Calcy hat meine zwei, eigentlich noch vollkommen heilen, T-Shirts stark verkokelt, die können jetzt in die Tonne. Er hat es sogar versucht abzustreiten und ist dann beleidigt mit seinem Fläschchen davon«, berichtete ich und warf dabei Calcifer kurz einen finsteren Blick zu – er wusste genau, dass er nichts von meinen Sachen verkokeln durfte, zumindest nicht ohne Erlaubnis.
Felix lachte nur kurz und nahm den nächsten Teller um ihn abzuwaschen. Als ich den Tisch abgeräumt hatte, half ich noch alles abzutrocknen und beobachtet aus'm Augenwinkel, wie Lumus und Calcifer wohl miteinander redeten, worüber konnte ich nicht sagen. Kaum waren wir fertig, verschwand ich wieder die Treppe hoch.
Oben schritt ich in mein Zimmer und blieb vor meinem Bett stehen. Auf dem Bett lag ordentlich meine Assassinen-Robe, daneben eine weitere, die hatte mir Ben geliehen, als ich klitschnass in der Taverne nach Ersatz gesucht hatte und Takaro einfach auf die Glocke gehauen hatte. Die Robe wollte ich noch zurückbringen, aber nicht mehr vor der Reise, es sei denn ich würde einen Abstecher zur Taverne machen um die Potions nach zufüllen.
Die Potions waren ein Teil vom Portbelt, einem ledernen Gürtel, welcher kleine, rundliche Fläschchen an sich hatte, welche mit einer magischen Flüssigkeit gefüllt waren. Die Zusammensetzung konnte mir Ben nicht sagen. Als ich am Abend desselben Tages, an dem er mir die eine Robe geliehen hatte, über meine Karte gebeugt saß und drüber grübelte ganze vier Tage zu Fuß vom Reservat bis zu Shari zu brauchen, hatte Lord Ben mir netterweise einen Portbelt gegeben und in der Taverne ein Fass mit der magischen Flüssigkeit zum Zapfen aufgestellt. So konnte ich ganz leicht von einem Ort zum anderen reisen, wo Felix im Reservat kein Portal hatte und ich noch längst nicht auf Fersengeld reiten konnte.
Ich zog die rote Baumwolljacke aus und stand für einen Moment nur in bequemer Stoffhose und einem schwarzen, eng anliegenden Stretchshirt da. Ich war wirklich noch etwas verschlafen und schüttelte den Kopf, ich wollte doch bald los!
Energisch schritt ich an die Seite des Betts und griff nach dem Portbelt, welcher neben meiner Robe lag und legte ihn an. Kurz ging ich ein paar Schritte durch den Raum, um zu prüfen, ob er gut saß. Zufrieden stellte ich mich wieder ans Bett und griff nun nach der Robe. Mit wenigen Zügen hatte ich sie an und sie saß so gut wie immer. Zugegeben, sie passte leider nicht perfekt, aber viele hatten sich wohl daran gewöhnt, dass ich in weißer Assassinen-Robe auftauchte und ich wollte niemanden verwirren... dennoch, eine neue Robe wäre schon cool.
Ich legte alles an Lederriemen an und prüfte erneut, ob alles saß oder, ob ich gar etwas zu fest angelegt hatte. Soweit passte alles und ich zögerte. Es fehlte nur der große lederne Gürtel, der als letztes umgelegt wird. Zwischen Gürtel und Robe kam noch ein rotes Tuch, das legte ich auch um, beschloss aber dann auf den ledernen Gürtel zu verzichten. Er war eben etwas schwer, dafür aber sehr wichtig. Der Gürtel hielt für mich einige Messer, sowie ein Schwert, aber auf beides wollte ich für die Reise verzichten.
Statt den ledernen Gürtel, holte ich ein anderes Lederkonstrukt hervor, es lag unter meinem Bett und war recht neu. Eine praktische Ledertasche mit vielen Riemen, sodass man sie am Rücken, an der Schulter oder auch am Bein tragen konnte. Genau da wollte ich sie auch befestigen, am... oh. Ich zögerte, Links oder Rechts? Die Entscheidung fiel mir oft etwas schwer, weil beide Hände benutzte, zwar war rechts die Stärkere, aber mit Links reagierte ich ab und an genauso schnell...
Schließlich legte ich die Ledertasche am linken Oberschenkel an und verrückte den Portbelt etwas, Ledertasche und Portbelt waren durch kleine Harken nun miteinander verbunden und es wirkte wie ein einziges Konstrukt. Zufrieden ließ ich den großen Bauchgürtel aus Leder auf dem Bett liegen, den Ledergurt für die Schulter hatte ich sogar ganz vergessen und bewegte mich wieder nach unten. Jetzt war es aber auch mal Zeit!
Auf der Treppe zog ich die Kapuze über und betrat mit schnellen Schritten die Küche und schnappte mir meinen Rucksack. Ich holte aus einer Hosentasche Calcys Glas hervor und hielt es dem Fagerleuer hin, welches ruhig in seinem schon längst leerem Schälchen ruhig vor sich hin flackerte.
»Was ist? Willst du ins Glas oder schwebst du mit? Der Wind ist heute nicht allzu stark, aber es wäre doof, würde er dich davon wehen«, sprach ich zu Calcifer und hielt ihm das Fläschchen hin. Calcifer jedoch, erhob sich aus seiner Schale und flog, ohne mich auch nur mit einer Flammenbewegung zu würdigen, an mir vorbei und in Richtung Haustür. Ich verdrehte die Augen – kleines, beleidigtes Feuerchen...
Ich ging meinem beleidigten Begleiter hinterher und machte Halt an der Tür zur Bibliothek. In die Bibliothek spähend, klopfte in an den Türrahmen, um auf mich aufmerksam zu machen. Überrascht hob Felix den Kopf, er saß schon wieder an seinem Arbeitstisch und war wohl in wissenschaftliche Notizen vertieft, Lumus schwebte ruhig über seiner rechten Schulter.
»Ich will dann mal los«, sprach ich. »Sicher! Aber, hast du nicht was vergessen?«
»Uhm... Ich hoffe nicht?«, fragte ich zweifelnd und zog eine Augenbraue hoch. »Wie wäre es mit Proviant?«, entgegnete Felix und lachte, als ich bei seiner Frage sofort in die Küche raste. »Nicht witzig!« rief ich aus der Küche und überlegte, was ich denn auf die Schnelle einpacken könnte.
»Dummkopf! Prüf mal deinen Rucksack, ich hab dir schon alles nötige an Proviant eingepackt, während du noch durchs Haus gejagt bist.«
»Was?« Sofort ließ ich meinen Rucksack von den Schultern gleiten und öffnete ihn. Tatsächlich, Felix hatte mir reichlich an Proviant eingesteckt. »Aaaah, deswegen war der mit einem Mal so schwer!« Lächelnd schloss ich den Rucksack feinsäuberlich und flitzte dann zu meinem Meisterwesen. »Danke!« brummte ich und umarmte ihn zum Abschied.
»Kein Problem, hab ich gerne gemacht. Manchmal bist du echt ein Schussel«, antwortete Felix und öffnete die Tür durch welche Calcy sofort in ruhigen, aber tiefroten Flammen vorausschwebte. Ich ging ihm hinterher und drehte mich um, als ich wenige Meter vor der Tür war. »Ich bin dann irgendwann wieder da! Es werden sicher einige Tage sein, vielleicht auch zwei Wochen, wer weiß.«
Felix winkte mit einem verstehenden Nicken. »Alles klar. Denk dran, du kannst immer hier mal hin und dich ausruhen und eine gute Mahlzeit zu dir nehmen! Gute Reise!«
»Danke, werde ich sicher haben!« Felix blieb nach kurz an der Tür und schaute mir kurz nach, bis ich durch das Tor an der Hecke war und schloss dann die Tür. Ich schritt gut gelaunt den Weg lang, Calcy schwebte vor mir. Er war immer noch beleidigt, das sah ich ihm an. Seufzend zog ich etwas Stoff aus meiner linken Hosentasche, es war eines der T-Shirts, welches er angekokelt hatte.
»Komm, kleiner Racker. Bring zu Ende, was du angefangen hast!« Calcifer zögerte nur kurz, schwebte aber dann zum Shirt und nagte mit seinem Flammen dran, sodass es in wenigen Sekunden sich in Asche auflöste. Danach gesellte er sich in wohligen Orangetönen an meine rechte Seite. Ich grinste. Teils war Calcy doch sehr durchschaubar.
So konnte die Reise gut losgehen! Ich wollte vorerst zu Sharimaya und sie bei ihrem Wachturm besuchen, den sie neu bezogen hatte. Ich würde mich mit Marv vor Xandras Wald treffen, damit wir das letzte Stück gemeinsam gehen konnten. Später wollte ich dann zu Marvs Grafschaft, kurz auch zu Dark und dann Rongard besuchen, vorausgesetzt sein Verteidigungspunkt war nicht zu weit weg, obwohl, selbst wenn, ich konnte sonst ein Portpotion nutzen.
Die ersten Strecken wollte ich aber zu Fuß zurücklegen. Der Herbst war in all seinen Wesenszügen da. Es war windig, wenn an dem Tag nur schwach, überall war bunte Landschaft in gelben, roten und goldbraunen Tönen und eine eisige Kälte kündigte den kommenden Winter an. Ich zog die Kapuze etwas tiefer in mein Gesicht und schaute zum Himmel, wo der Wind wild mit etwas Laub spielte. Kurz blieb ich stehen und schaute zurück, vor mir war die Brücke, welche über den Fluss führte, hinter mir in der Ferne lag das Biotopenreservat.
Mit einem breiten Grinsen drehte ich mich rasant um und machte einen großen Schritt auf die Brücke. Zeit für ein nächstes, kleines Abenteuer!