Ein Floß zu bauen, war mühsame Arbeit. Zuerst einmal mussten sie junge Bäume finden, die sie fällten und von Ästen befreiten. Dann schafften sie diese über einen schmalen Pfad, den Nantwin gefunden hatte, hinab zum Fluss. Zu ihrem Glück war die Schlucht auf dieser Seite des Ufers weitaus weniger steil als auf der anderen. Dennoch war es eine schweißtreibende Arbeit und einmal verloren sie einen Baumstamm, als dieser frühzeitig in den Fluss fiel und von der Strömung hinweg getragen worden. Verbunden wurden die Baumstämme mit Nantwins dickem Seil. Ihm gefiel die Art, wie Layiel arbeitete. Ohne zu klagen oder sich in irgendeiner Form zu beschweren, tat er das, was getan werden musste und brachte dabei noch hilfreiche Ideen ein. Da hatte er schon ganz andere Erlebnisse gemacht.
Zum Schluss fertigte Nantwin noch zwei Staken und ein Ruder an, die sie angesichts der Strömung sicherlich benötigen würden.
„Die beiden Baumstämme rechts außen machen mir Sorgen“, erklärte Layiel während einer kurzen Verschnaufpause. „Sie sitzen nicht fest genug.“
Nantwin nickte. „Aber wir können es nicht ändern, wir haben kein Seil mehr und müssen weiter.“
Sein Begleiter nickte, auch wenn seine Augen über die Seiten seines Buches huschten. „Und zwar sofort“, befahl er plötzlich in einem Ton, der keine Widerrede duldete. Er klappte das Buch zu, griff nach seinem Bündel und stemmte sich gegen das am Boden liegende Floß.
„Sie kommen!“, verdeutlichte er die Gefahr nochmals, als ob Nantwin taub wäre und die leisen Motorengeräusche, die weit durch die Luft getragen wurden, nicht hören könnte.
Ohne zu zögern, setzte auch er seinen Rucksack auf, griff nach seinem Lichtschwert und einem der Staken, dann schob er mit Layiel das Floß zu Wasser.
Die Strömung, wie Nantwin zu Beginn ihrer Arbeit besorgt festgestellt hatte, war stark. Aber noch hielten die Baumstämme, auch wenn nur die Mitte nicht von Wasser überspült wurde. Nantwin übernahm hinten das Ruder, während Layiel mit gezücktem Bogen vorne stand. Hinten war der tiefste Punkt, so dass er knöcheltief im Wasser stand – und das Wasser war eiskalt.
„Wir hätten uns einfach einen ihrer Gleiter erobern sollen“, meinte er, während er das Floß in der Mitte des Flusses hielt.
Der vor ihm Stehende schnaubte. „Ohne zu wissen wie die Technik funktioniert? Vielleicht haben sie dort Fallen eingebaut und sie lassen sich nur von Mitgliedern ihrer Gruppe lenken.“
„Das mag ja sein“, gestand Nantwin, „Dennoch fühle ich mich, als wäre das Zeitalter der Zivilisation und des technischen Fortschrittes für uns vorbei und wir befinden uns wieder im Mittelalter. Wir schießen mit Bogen, ziehen die Schwerter und dümpeln auf einem Floß durch die Gegend.“
„So, zusammengefasst bedeutet Zivilisation für Euch also ein Schießeisen, mit dem ihr Menschen abschlachtet, ohne ihnen in die Augen zu sehen und Fahrzeuge, die so rasant fahren, dass man die Welt um sich herum nicht mehr wahrnimmt?“
Nantwin runzelte die Stirn. „Nun, so hätte ich das sicherlich nicht formuliert, aber der Fortschritt der Technik ist nicht zu verleugnen.“
Mit einem fast spitzbüschischem Lächeln wandte Layiel sich zu ihm um.
„Mein lieber Freund“, erklärte er, „Wenn die Technik funktioniert hätte, wie sie sollte, wären wir jetzt nicht hier.“
Nantwin grinste in sich hinein und erkannte, dass er diese Streitgespräche genoss.
Er drückte das Ruder nach rechts und verlagerte sein Gewicht, um der Biegung des Flusses zu folgen.
Die Berge wichen einer sanft bewaldeten Hügellandschaft. Das Land an den Ufern war morastig und würde sicherlich guten Ackerboden hergeben. Doch bisher waren ihnen bis auf ihre Angreifer noch keine menschlichen Lebewesen begegnet. Vielleicht war dieses Land ansonsten unbesiedelt.
„Verdammt“, brüllte Layiel vor ihm, „Das sieht nicht gut aus.“ Noch während er redete, griff er zu dem Bogen an seiner Seite, zog einen Pfeil aus seinem Köcher und legte ihn an. Sowohl der Bogen als auch die Pfeile waren aus einem ihm unbekannten Metall gefertigt, das dunkelgrau glänzte und hart und geschmeidig zugleich wirkte.
Jetzt erblickte auch Nantwin die Brücke ohne Geländer, die ein paar Biegungen weiter über dem Fluss gespannt war und auf der Dutzende kleine dieser Gleiter schwebten. Dann machte der Fluss eine Kurve und die Brücke verschwand wieder aus ihrem Sichtfeld.
„Warum verlassen sie die Gleiter nicht?“, schrie Layiel zu ihm herüber.
„Darüber würde ich mir jetzt keine Sorgen machen“, entgegnete Nantwin nicht minder laut.
Natürlich ignorierte sein Begleiter ihn. „Da sie Seile herunter spannen könnten oder uns auch auf Booten auf dem Fluss folgen könnten, ist diese Frage sehr wohl relevant. Wenn dir deine Sicherheit egal ist – bitteschön. Mir ist sie wichtig.“
Sein Gesprächspartner verdrehte die Augen. Schließlich entschloss er sich aber, dass diese Information es nicht wert war zurückgehalten zu werden und antwortete: „Laut den Daten meines Systems sind die Außenhüllen luftundurchlässig. Ich vermute, dass sie die Atmosphäre nicht vertragen.“
„Aber warum geht jemand längerfristig auf einen Planeten, ohne darauf atmen zu können?“ Manchmal war Layiel wirklich naiv. Für Strategien hatte er wenig Verständnis.
„Weil sie hier niemand erwartet“, entgegnete er rasch, dann fokussierte er sich rasch auf das Steuern, das immer herausfordernder wurde.
Dann schossen die Kugeln über sie hinweg. Fast sofort schrie Layiel auf, der Bogen, den er eben noch gespannt hatte, zerbrach in seiner Hand und Blut färbte seinen Arm rot.
„Komm her!“, schrie er. Layiel ließ seinen zerbrochenen Bogen fallen und bewegte sich vorsichtig zu Nantwin, der sein System wieder aktivierte. Das Floß kippelte und der Schwerpunkt bewegte sich nach hinten. Vorne klafften die beiden linken seitlichen Baumstämme immer weiter auseinander. Aber noch hielt das mittlere Seil sie zusammen. Nantwin wartete bis der Rahosi direkt neben ihm stand, dann aktivierte er den Schutzschild. Die Kugeln prallten an dem bläulich schimmernden Schild ab und platschten ins Wasser oder trafen das Holz um sie herum. Nun waren sie genau unter der Brücke.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte er seinen Begleiter, der an der Schulter getroffen zu sein schien.
„Ich kann den Arm nicht mehr richtig heben und es schmerzt höllisch, aber es scheinen nur die Muskeln getroffen zu sein.“
„Dennoch muss die Kugel entfernt werden“, beharrte Nantwin, „Sonst entzündet sich die Wunde.“
Layiel nickte und schwieg.
Sie glitten unter der Brücke hindurch und hatten die Feinde nun im Rücken. Als er sich vorsichtig umblickte, bemerkte er, dass einzelne Gleiter die Brücke verließen und Anstalten machten, dem Verlauf des Flusses an beiden Seiten zu folgen.
Wie lange hältst du noch durch?, fragte er sein System besorgt.
Du würdest dich wundern, wie viel man mit 14% Energie aushalten kann, knurrte sie, aber der Ton ihrer Stimme beunruhigte ihn. Dank dem Ersatzspeicher hatte sie ihren Energielevel in der Nacht etwas erhöhen können, doch war sie hauptsächlich ein Forschungs- und Protokolliergerät, kein Schützer, die Schilde stundenlang aufrechterhalten konnten. Wenn der Plan, den er ausgeheckt hatte, gelingen würde, würde sie bald wieder an Energie kommen, doch wenn er misslang, würde er längere Zeit ohne das System auskommen müssen.
In diesem Moment rief Layiel: „Da vorne! Der Fluss verbreitert sich!“ Besorgt blickte Nantwin auf die beanspruchten Seile, die an der äußeren Seite waren ziemlich durchgescheuert. Nur wenig später fragte der Rahosi: „Hörst du das?“
„Ja, verdammt“, knurrte sein Gegenüber. Zwar verbreitete sich der Fluss, doch wurde der Lauf des Wassers nicht langsamer, sondern nur noch rasanter.
Tosende Wassermassen strömten auf die Kante zu, die sich nun nach einer Biegung plötzlich vor ihnen auftat.
„Felsen!“ Nantwin warf sich mit gesamter Kraft gegen das Ruder, um das Floss an dem aus der Wasserfläche hervorragenden Ungetüm vorbeizulenken. Layiel sprang an seine Seite, so dass das Gewicht auf der rechten Seite der Holzbalken lag.
Ein Ruck erschütterte das Floß, Holz splitterte und die Balken wurden herumgerissen. Der Schutzschild flackerte noch einmal, dann erlosch es. Für einen Moment lagen sie quer im Wasser, dann gelang es Nantwin sich mithilfe des Stakens von dem Felsen abzustoßen und das Floß wieder mit der Strömung treiben zu lassen. Schüsse ertönten und weiteres Holz splitterte.
„Der Stamm!“ Dessen ungeachtet eilte Layiel über das rutschige Holz zu dem äußersten linken Stamm, der durch den Aufprall halb gespalten worden war und dessen vorderes Ende eine Lücke vom Rest des Floßes trennte, die zunehmend größer wurde. Ohne zu zögern schnitt er den letzten Rest Seil durch. Der Stamm hing noch einen Moment fest, dann trieb er davon.
„Was soll ich tun?“, fragte er dann Nantwin.
„Dich festhalten“, entgegnete dieser grimmig. Er hasste Wasser und fror schon jetzt erbärmlich.
Auf dem nassen Floß war das leichter gesagt als getan.
Dann prallten sie auf die Wasseroberfläche. Fontänen von Wasser erhoben sich über ihnen, die Holzbalken drifteten auseinander und das Floß zerfiel in mehrere Teile. Nantwin verlor den Boden unter den Füßen, klammerte sich irgendwie an einem Stamm fest, dessen raue Rinde die Haut erneut abrieb. Er sah Blutfäden, die sich durch das Wasser zogen, dann gelang es ihm, sich auf den Stamm zu hieven. Zitternd setzte er sich auf, versuchte einen halbwegs bequemen Stand zu finden und sah sich um. Das Wasser schäumte auch hier noch, doch hatte die Strömung ihn fern vom Wasserfall und in ruhigere Teile des Sees getrieben. Er hasste Wasser. Seinen Rucksack hatte er verloren, aber sein Lichtschwert und sein Dolch hatten den Sturz überlebt.
Zitternd sah er sich um. Das Floß war vollkommen zerbrochen. Vereinzelte Holzsplitter und Balken trieben über den See. Endlich erblickte er Layiel, der sich auf dem größten Überrest aus drei Stämmen weiter östlich von ihm befand.
Jetzt würde er ein ziemlich gutes Ziel abgeben, bemerkte das System 31101517 trocken. Das Wasser musste den Ruhemodus deaktiviert haben.
Abgesehen davon, dass ich das genauso mache, brauchen wir ihn
Ja, aber du gibst ein deutlich schlechteres Ziel ab. Er wirkt fast so wie ein…
Tanzbär mit Magenverstimmung? Mit einem Augenverdrehen blickte er zu dem Rahosi, der sich auf den Floßresten aufgerichtet hatte und mit den Armen wedelte, um auf sich aufmerksam zu machen.
Eigentlich meinte ich einen Affen mit einer Aufmerksamkeitsstörung.
Und das soll so viel besser sein? Seufzend legte er sich auf den Baumstamm, tauchte die Hände ins Wasser und begann zu paddeln.
Das habe ich nicht gesagt, aber…
Du sagst zu viel, stellte Nantwin fest, Spare dir lieber deine Energie. Es kann sein, dass ich dich noch brauche.
Und ob du mich noch brauchen wirst, Meister, entgegnete sie spitz, bei diesem absolut umwerfenden Plan.
Zu seiner Erleichterung begab sich das Gerät daraufhin in den Ruhemodus und ließ ihn allein mit seinen Gedanken. Ein Schlag nach dem anderen. Kleine Wirbel entstanden links und rechts, wenn er die Hände eintauchte und der Stamm sich ein kleines Stückchen vorwärts schob. Es erinnerte ihn an das Versprechen, dass er seinem Erstgeborenen gemacht hatte, wenn er zurückkommen würde. Seine Heimat war ein Wüstenplanet, doch es gab einen Fluss, der das Land fruchtbar machte und an dessen Ufer sich die größeren Orte befanden. Seine Familie dagegen lebte fern des Flusses im Schatten der Berge und sein Sohn hatte nichts mehr machen wollen, als eine Schifffahrt auf diesem Fluss zu erleben. Nantwin hatte erst einmal genug vom Wasser gesehen, aber seinem Sohn zuliebe, würde er sich dazu wohl überwinden, vorausgesetzt er kehrte wieder nach Hause zurück.
Und für seine Heimkehr brauchte er Layiel.
Deshalb ertrug er dessen freudiges Lächeln, als er ihn erreichte und half ihm die Baumstämme notdürftig mit den Seilresten, die der Rahosi hatte retten können zu sichern. So konnten sie immerhin auf dem Wasser treiben, ohne jederzeit befürchten zu müssen, unterzugehen.
„Alles in Ordnung?“, fragte Layiel.
Nantwin nickte. „Wir haben sie abgehängt“, meinte er. Für einen Moment hatte er hinter sich noch Motorengeräusche vernommen, aber jetzt war nichts mehr zu hören außer dem Plätschern des Wassers, dem Wind, der durch die Bäume und das Schilf am Ufer toste und Layiels Stimme, der zu irgendwelchen ausschweifenden Erklärungen ansetzte. Nantwin ließ ihn reden. Er nutzte die Zeit, um sich mental auf das vorzubereiten, was gleich geschehen würde.
Schließlich hielt der Rahosi inne und fragte nur: „Bereit?“
Nantwin sah auf das dunkel schimmernde Wasser. Er nickte. Nie würde er dem Rahosi seine eigene Beunruhigung und Unsicherheit offenbaren. Schwimmen war nichts, was die Kinder auf seinem Heimatplaneten lernten.
Er stieß sein Lichtschwert in den Baumstamm und bündelte dessen Energiefäden, um die Überreste des Floßes an Ort und Stelle zu halten. Er legte die überzähligen Kleiderstücke ab: Seine guten Stiefel, die sich jetzt schon mit Wasser voll gesogen hatten, den schwarzen Mantel aus Figaras-Wolle, der in kalten Nächten wunderbar wärmte und die dunkelblaue Uniformjacke darunter. Die zwei darauf abgebildeten Münzen, das Zeichen der Kapitäne, hatte er sich hart und unter viel Arbeit erkämpft. Das Einzige, was er anbehielt, war der schwarze, zweiteilige Anzug, der Teil der Uniform war und zumindest wasserabweisend sein sollte.
Ohne auf ihn zu warten, tauchte Layiel, dessen Kurzschwerter ebenfalls auf dem Floß zurück geblieben waren, in das Wasser ein.
Das kannst du ihm nun wirklich nicht bieten, fluchte der Zurückgebliebene leise, dann folgte er ihm.
Die Kälte des Wassers drang selbst durch den Anzug. Ein ungewolltes Aufkeuchen entrang ihm, aber bald hatte er sich wieder unter Kontrolle.
Nur Schwächlinge fürchten sich vor der Kälte. Aber das war nur eine der Lügen seines Vaters gewesen. Es waren die Narren, die sich nicht vor der Kälte fürchteten.
Dennoch war Nantwin erleichtert, als sie endlich das Schiff erblickten, mit dem Layiel hergekommen war. Es war ein ganzes Stück kleiner als die Manduchai, aber dafür schmaler und sicher leichter in der Lenkung. Der ovale Bau mit der glatten, nur durch die Cockpitscheibe unterbrochenen, Außenhülle war typisch für Bauweise der Soratsug. Einst hatten mehrere Geschütztürme die Oberseite geschmückt, doch stand davon nur noch ein einziger. Von den restlichen zeugten nur noch Krater und vereinzelt aufragende Splitter. Das Schiff lag auf der Seite und war halb in Morast und einem Wald aus gewaltigen Schlingpflanzen eingesunken, die um das Schiff herum waberten und ihm ein eigenartiges, fast geheimnisvolles Aussehen verliehen. Als die beiden Eindringlinge durch sie schwammen, wichen die Pflanzen zurück und machten ihnen Platz, als ob sie die Waffen erblicken würden, die sie bei sich trugen und sich vor ihnen fürchteten. Nantwin nahm es wahr, hatte jedoch weder Zeit noch Energie sich über diese seltsamen Pflanzen Gedanken zu machen. Alle Reserven wurden vom Schwimmen vereinnahmt. Für die Soldaten seines Volkes war diese Fähigkeit eine Vorraussetzung, doch lebte er auf einem trockenen Planeten und im Gegensatz zu vielen anderen Dingen hatte sein Vater ihm dies nicht als kleiner Junge beigebracht. Und so bedeutete jeder Zug weiter in die Tiefe eine Überwindung für ihn. Dennoch folgte er Layiel, weil er das Ziel hatte, diesen Planeten so schnell es ging zu verlassen.
Erst aus der Nähe sahen sie, wie schwer Kampf und Sturz dem Schiff zugesetzt hatten. Die Außenhülle war zerbeult, zerkratzt und von Kratern geziert, wo Steinbrocken oder Laserkanonen sie getroffen hatten. Die Lichter waren erloschen, jegliches Leben aus dem grauen Ungetüm gewichen, das sich wohl nie wieder durch das All bewegen würde. Es war billiger, es zu verschrotten, als wieder in Stand zu setzen. Wie wohl die Manduchai aussah? Vermutlich nicht sehr viel anders.
Layiel erreichte das Schiff und berührte mit der linken Hand die Außenhülle. Sie glitt hindurch. Nach einem kurzen Blick zu seinem Verfolger verschwand der Rahosi ganz. Verdammte Illusionen! Die Rahosi verstanden sich meisterhaft darauf und dienten mit dieser Fähigkeit auch den Soratsug. Eine ganze Horde von Wissenschaftlern seines Volkes versuchte herauszufinden, wie sie das hinkriegten, doch bisher waren sie immer daran gescheitert.
Nantwin folgte ihm und auch seine Hand glitt durch die Wand. Ihn beunruhigte es, dass er Layiel nicht sehen konnte, weshalb seine Hand auf dem Gürtel mit seinem Dolch ruhte. Sein Lichtschwert hatte er schweren Herzens am Ufer gelassen. Schon die Flussfahrt war riskant gewesen, aber ein Tauchgang würde den Mechanismus wohl endgültig zerstören. Den Dolch jedoch hatte er vor ein paar Jahren auf Tjaras erobert, wo der Bruch eines Vertrages über Schürfrechte zu einem Krieg mit einem Volk von Meermenschen geführt hatte. Noch nie hatte er ein besseres in der Hand gehabt und bisher hatte es ihm stets gute Dienste geleistet. Mit einer inneren Verteidigungsstellung folgte er Layiel in das Schiff. Sogleich spürte er festen Boden unter den Füßen, was zunächst merkwürdig doch dann herrlich war. Der Rahosi stand vor ihm, die eine Hand gespreizt an der Wand, die andere vor sich ausgestreckt zur Faust geballt. Trotz seiner kleinen Gestalt erkannte Nantwin in ihm einen Kapitän, der sein Schiff begrüßte – und das war etwas, was er verstand und respektierte. Nirgends waren andere Wesen zu sehen, es schien, als ob die Verteidigung des Schiffes trotz des Sturzes gehalten hatte. Es war kein Wasser eingedrungen und von innen wirkte es einigermaßen unbeschädigt. Die Wände glänzten in demselben Silbergrau wie außen, die Gänge waren eng und mit Kabeln geziert, von denen einige unter dem Druck geborsten waren. Kisten standen an den Seiten oder waren durch den Raum geworfen und verteilt. Die Leiche eines Sorastug lag auf dem Rücken ausgestreckt mitten auf dem Boden. Eine Druckwelle musste ihn während des Luftkampfes getroffen haben, so wie seine Glieder gebrochen, das Blut ausgetreten war und das Loch in der Außenwand lag. Ohne viel Rücksicht nahm Layiel ein Tuch und warf es über dessen Körper.
„Er war ein Scheusal“, erklärte er ohne viel Umwende. „Aber als Kontrolleur der Sorastug musste ich ihn akzeptieren.“
„Wieso wurdet Ihr zum Kommandeur eines ihrer Schiffe ernannt? Ich habe noch nie gehört, dass sie das getan hätten“, fragte Nantwin, während er sich umsah. Und reicht die vorhandene Energie aus?, wollte er derweil von seinem System wissen, dass er kurz zuvor angeschaltet hatte. Der Akku war fast leer, doch noch für eine halbe Stunde würde er noch reichen.
„Nach Eurer Flucht wurde ich degradiert“, erklärte Layiel und begann zugleich Kisten zu durchsuchen, „Doch in der Schlacht von Farassa konnte ich mich auszeichnen und als Belohnung wurde mir dieses Schiff übertragen.“ Er fuhr fort über seinen Sieg zu reden, aber Nantwin hörte längst nicht mehr zu.
Ja, wurde ihm die Antwort übermittelt, wenn ich die Energie des Schiffes nutze und umleite, sollte es ausreichen.
Okay, dann verabreiche mir jetzt die doppelte Dosis.
Die doppelte Dosis? Deine Blutwerte sind schlecht, du hast erst gestern eine Dosis eingenommen.
Ich weiß, unterbrach Nantwin die Erklärung seines Computers. Er wusste selbst, wie gefährlich eine erneute Dosis sein konnte. Wenn sie nur ein wenig zu groß war, konnte er in einen tagelangen Schlaf fallen, den er sich auf keinen Fall leisten konnte. Aber er war so erschöpft, dass er es riskieren musste. Eine Alternative gab es bei dem, was auf ihn zukommen würde, nicht.
Tue es, befahl er. Mit einem kleinen Stromschlag bekundete das System sein Missfallen, aber schließlich spürte Nantwin wie die Droge in seine Blutbahnen abgegeben wurde. Sogleich sanken Müdigkeit und Schmerzen und die Wärme kam.
„Was ist los?“, fragte Layiel. Verdammt! Er hatte nicht bemerkt, dass der Rahosi aufgehört hatte zu sprechen.
„Ich bin erschöpft und ich hasse es, zu schwimmen“, entgegnete er rasch, „Hat dieses Schiff auch einen Namen?“
Der Rahosi wandte sich von seiner Tätigkeit ab, sah ihn so lange starr an, dass Nantwin schon befürchtete, er würde seine Intention erkennen, bis er schließlich sprach: „Die Sorastug glauben, dass es Unglück bringt, wenn ein Feind ihre Namen oder die ihrer Schiffe ausspricht, weshalb den Namen des Schiffes nur die jeweilige Mannschaft kennt.“
„Aber Menschen reden“, erklärte Nantwin, „Solch ein Name ist nicht geheim zu halten.“
„Ihr versteht nicht“, widersprach Layiel, „Sobald jemand die Mannschaft verlässt, vergisst er auch den Namen.“
Sein Gegenüber nickte nur, während er versuchte die Verfassung des Anderen zu beurteilen. Der Rahosi hatte die Flussfahrt und den Tauchgang deutlich besser überstanden als er selbst, doch auch er war erschöpft und unaufmerksam.
Wieder legte Layiel die Hand an die Schiffswand, dann erklärte er fast zärtlich: „Der Name dieses Schiffes ist Kriemhild.“
„Kriemhild?“, fragte Nantwin verblüfft, so ungewöhnlich klang der Name auf seiner Zunge.
„Eine berühmte irdische Sagengestalt“, meinte sein Gesprächspartner ernst, „Und sagt nicht, dass der Name Eures Schiffes bekannter wäre!“
„Manduchai war eine irdische Kriegerkönigin“, erläuterte er. Seine Großmutter mütterlicherseits hatte ihm diesen Namen vorgeschlagen und er hatte die Wahl nie bereut. „Sie vermochte es ihr Volk zu einen und gewaltige Territorien zu erobern.“
„Starke Frauen, wie?“, entgegnete Layiel mit einem Grinsen. Erstaunlicherweise schien es bei den meisten Völkern Tradition zu sein, ihre Schiffe mit Frauennamen zu schmücken.
„Richtig“, antwortete sein Gegenüber. Sein System zählte einen Countdown ab. Noch vier Minuten, dann wäre es soweit. „Wo ist denn Eure Feder?“
Layiel deutete einen Gang hinab. „Dort hinten sind meine Räumlichkeiten.“ Er führte ihn einen langen Gang hinab, von dem mehrere Türen abgingen, die nicht getarnt waren. Die letzte öffnete er. Minimalistisch, war das Erste, was Nantwin auffiel. Eine schmale Liege, ein Tisch mit zwei Stühlen und eine Kommode. Das einzig Auffällige war ein einzelner kleiner Baum, der in einem Topf stand und blaue Blüten besaß. Zu diesem Baum ging Layiel nun und fing an herumzusuchen, wobei er Nantwin den Rücken zuwandte.
Wie lange?, fragte er sein System. Layiel trug keine sichtbare Waffe und war zudem vollkommen auf seine Tätigkeit fokussiert.
Neunundvierzig Sekunden.
In diesem Augenblick drehte sich der Rahosi um. „Ich habe sie“, erklärte er strahlend und griff in seine Tasche. Das Buch in der einen, die Feder in der anderen setzte er sich – Nantwin rückwärts zugewandt - auf die Liege und öffnete es.
Jetzt. Er beugte sich über sein Buch, hob die Feder und senkte sie hinab.
Und Nantwin griff an.
Layiel sah auf, bemerkte ihn, ließ Feder und Buch fallen und drehte sich über das Bett nach hinten. Federn stoben auf, als Nantwins Angriff die Bettdecke durchlöcherte. Sogleich hob er den Arm wieder und stieß auf den Rahosi zu, damit diesem keine Zeit blieb, sich auf ihn vorzubereiten. Aber Layiel war schneller als er erwartet hatte, duckte sich unter seiner Waffenhand hinweg und nur durch einen schnellen Sprung konnte Nantwin dem Bein ausweichen, das plötzlich vor den seinen stand. Dabei geriet er aus dem Gleichgewicht, stürzte fast gegen das Bett und konnte sich im letzten Moment halten. Den Stoß, den Layiel ihm von hinten versetzte, sah er dennoch nicht kommen. Metallstreben knarrten, als er auf das Bett fiel, sich noch in demselben Moment wegdrehte und sich mit Schwung aufhockte, die Waffe vor sich gerichtet.
Immer noch unbewaffnet stand der Andere vor ihm und die stille Frage des Warums lag in seinen Augen.
„Ich brauche Euch nicht“, entgegnete er so höflich, wie er es vermochte. Sollte Layiel sich doch ablenken lassen. „Ich brauche nur Euer Schiff.“ Er brauchte die verbliebene Energie dieses Schiffes, damit sein System das Notrufsignal so weit verstärken konnte, dass es eine der Basen oder Schiffe seines Volkes erreichte. Damit wäre Layiels Notruf nur hinderlich.
Bereit?, fragte er das System.
Du glaubst gar nicht, wie gut sich das anfühlt, jauchzte sie, 57% sollten reichen.
„Außerdem habe ich kein Interesse daran, meine kostbare Zeit in der Gefangenschaft bei Eurem Volk zu verschwenden“, fuhr er fort und beobachte dabei sein Gegenüber ganz genau. Die Verletztheit in seinen Augen berührte ihn und für einen Moment wollte er innehalten, aber nur für einen Moment. Der Gedanke an seinen besten Freund und die Sehnsucht nach seiner Familie war so viel stärker.
Jetzt, rief er. Er hob den Dolch wie zum Angriff, doch wollte er vielmehr von der elektrisch aufgeladenen Kugel ablenken, die soeben in seiner linken, hinter dem Rücken verborgenden Hand entstand.
Er sprang vom Bett und sie umkreisten sich. Auf einmal trat er einen Schritt vor, irgendwie war er wieder an sein Buch gekommen und hatte die Feder angehoben, mit der er etwas hineinschrieb. Nantwin holte aus, machte ebenfalls einen Schritt nach vorne und die Kugel begann sich in seiner Handfläche zu neigen. Aber dann trat er in irgendetwas, sein Standbein verlor den Halt, glitt aus und er knallte zu Boden. Sein Hinterkopf krachte auf den Teppich, doch die Kugel entfiel seiner Hand und verpuffte unwirksam in der Luft.
Die Feder. Er sah sie über dem Buch schweben und verstand.
Was für ein verdammtes Missgeschick, dachte er noch. Stille