Nantwin kam auf einem Abhang auf. Sein Fallschirm verfing sich im Heidekraut, dennoch überschlug er sich mehrfach, bevor er endlich im Gras liegen blieb. Seine Schulter schmerzte, als er sich vorsichtig auf den Bauch drehte und den Kopf hob. Mit der rechten Hand griff er in seinen Holster und holte die Waffe hervor, die zu seinem Glück nicht verloren gegangen war. Als sich nichts rührte, stand er auf und blickte sich um. Die Wiese, auf der er sich befand, war still und ruhig. Hinter ihm ging sie in einen dichten Nadelwald über, den Nantwin besorgt im Auge behielt, während er sich hinter einen Felsen kauerte. Der Wald wuchs an einem steil nach oben gehenden Abhang, bis die Bäume endeten und einer karg bewachsenen Gebirgslandschaft wichen, die sich auch links von ihm ausbreitete, wobei der Abhang hier sanfter und weniger steil war. Hier war er hinuntergekullert. Vor und rechts von ihm ging es steil nach unten. Nantwin trat, in dem er sich von Felsen zu Felsen vorsichtig heran tastete, an den Rand des Plateaus und blickte hinab.
Ein gewaltiger See, ein weiterer Wald, hinter dem sich eine hügelige, sanft bewaldete Landschaft erstreckte. Und bis auf ein paar ihm unbekannte Nagetiere, die sich am See befanden und über ihm fliegende Vögel wirkte alles unbewohnt.
Wenn sich jemand hier befunden hatte, musste das aufgewühlte Wasser ihn aufgeschreckt haben. Dort, stellte er mit einem Blick fest, versank soeben die Manduchai. Eben noch schimmerte die metallene Oberfläche und die linke Tragfläche hob sich wie ein stolzes Mahnmal aus dem Wasser, dann war sie fort. Das Schiff, das ihn durch so viele Abenteuer stets zuverlässig getragen hatte, versank in dem See eines fremden Planeten. Und mit ihr geht die letzte Erinnerung, die Großmutter mir hinterließ. Einen letzten Blick warf er auf das aufgewühlte Wasser. Du hast dem Namen, den sie dir gab, alle Ehre gemacht.
Wo befinde ich mich?, fragte er seinen Minicomputer.
Tajonav, nannte die weibliche Stimme in seinen Gedanken den Namen eines Planeten, der ihm völlig unbekannt war. Ein kaum erforschter Planet, auf dem es keine uns bekannten, intelligenten Lebensformen gibt. Zu seiner Freude ließ sie dabei die spöttischen Kommentare bleiben. Anscheinend beunruhigte die Situation sie.
Wie weit ist es zu dem nächsten unserer Stützpunkte? Rührte sich dort etwas im Wald? Er kniff die Augen zusammen und entsicherte die Waffe.
Die nächste Basis befindet sich auf Hiruun im System Darul.
Nantwin fluchte leise. Einmal war er bereits auf diesem Stützpunkt gewesen. Es war ein kleiner, fast vergessener Außenposten, eine der letzten an der Ostgrenze des Gebietes seines Volkes. Der Strahl hatte ihn fast einmal quer durch das Universum tief in die gesetzlosen Lande geschickt.
Kannst du einen Notruf dorthin absenden? Der Computer piepte mehrfach warnend, als das Signal immer größere Kreise zog. Schließlich brach er ab.
Nein. Es ist zu weit.
Zum nächsten uns nicht feindlich gesandten Handelshafen? Vorsichtig verlagerte Nantwin das Gewicht noch ein Stück weiter nach vorne. Tatsächlich verbarg sich im Schatten der Bäume eine Gestalt.
Verzeihung. Auch das ist mir nicht möglich. Eine Spur von Hohn schlich sich dabei in ihre Stimme.
Schiffe? Er hob die Waffe, aber solange die Person nicht aus dem Schatten trat, wollte er es nicht riskieren. Leicht konnte der Schuss daneben gehen und dann wäre der Fremde gewarnt.
Keine. Einen leisen Fluch konnte er nicht vermeiden. Also musste er entweder die Manduchai bergen und reparieren, was schwierig sein dürfte, ein Transportmittel auf diesem Planeten finden oder warten bis doch ein Schiff aufkreuzte, wobei die Wahrscheinlichkeit, das es ihm freundlich gesinnt war, ihm äußerst gering erschien. Doch darum konnte er sich später kümmern. Wichtiger war erst einmal die Person, die nun aus dem Wald und an den See trat. Selbst von hier konnte Nantwin erkennen, dass der lange Kapuzenumhang, den sie trug, klitschnass war. Und die Gestalt, die Art, wie sie sich umsah… „Layiel!“, zischte er, während er den Mann beobachte, der ebenfalls wie er mit seinem Schiff hier abgestürzt sein musste. Allerdings sah er nirgendwo Rauch aufsteigen oder eine Absturzstelle. Und er schien alleine zu sein.
Wenn man ihn aus der Ferne betrachtete, machte er nicht sonderlich viel her und man war geneigt, ihn zu unterschätzen. Der dunkle Kapuzenumhang verhüllte die kindsgroße Gestalt und das Gesicht, das Nantwin nie vergessen hatte und würde. Das lange braune Haar mit grünen Sprenkeln, in denen sich das Sonnenlicht fing, der schmale, wenig ausgeprägte Mund mit den spitzen Wangenknocken und Gesichtszügen. Vor allem die Augen sah er oft in seinen Träumen. Stets leuchteten sie überirdisch, schrecklicher als es die echten je gewesen waren.
Er war vom Volk der Rahosi, was in Nantwins Sprache bedeutete. Ob dieses Volk menschlich oder nicht war, darüber stritten sich die Experten. Nantwin war es gleich. Mitglieder jeder Rasse starben, wenn er sie mit seiner Klinge durchbohrte. Einige weniger schnell als andere.
Dieses Volk lebte weit verstreut in verschiedenen Sternensystemen, besaß weder eine einheitliche Führung noch ein Verständnis für Volksgemeinschaft. Die verschiedenen Clans bekämpften sich verbittert, wenn sie nicht Bündnisse auf Zeit schlossen. Anscheinend hatte sein Clan sich mit den Sorastug verbündet, die wiederum einen nach drei Jahren brüchigem Frieden wieder aufflammenden Krieg mit Nantwins Volk führten.
Ebenso war es drei Jahre her, dass Nantwin den sich unter ihm umsehenden Mann zuletzt gesehen hatte. Es war ein anderer Krieg, ein anderer Ort gewesen und nur ein Blick, dann waren sie wieder auseinander getrieben worden.
Layiel oder den Mann, den er so getauft hatte. Seinen wirklichen Namen kannte er nicht.
Als Layiel unter seinen Umhang griff, duckte Nantwin sich reflexartig. Doch es war keine Waffe, sondern ein Buch, das erstaunlicherweise kein bisschen nass zu sein schien. Er schlug es auf und begann zu lesen. Du machst es mir aber wirklich leicht, Narr. Weithin sichtbar zu lesen.
Erneut hob Nantwin die Waffe und richtete sie aus. War heute der Tag, an dem es ihm gelingen würde, Layiel zu töten und einen Namen zurück zu erobern?
In diesem Moment drückte er ab. Es war ihm egal, das er damit Position und Anwesenheit verriet, gleichgültig, dass er selbst dadurch in Gefahr geriet. Er sah nur blutroten Schnee. Der Schuss peitschte durch die Luft, während die Augen seines Feindes sich weiterhin nicht vom Buch lösten. Dann, plötzlich sah er auf, blickte genau dorthin, wo Nantwin sich verbarg und warf sich zu Boden. Die Kugel schlug von ihm fern in den Boden ein. Nantwin fluchte leise, hob die Waffe und drückte erneut ab – und erneut verfehlte er. Und Layiel hob den Blick und sah ihn. Er öffnete den Mund, sagte etwas und Nantwin wusste, dass es sein Name war. Dennoch begann sein Feind nur, sich in Richtung Wald zurückzuziehen und zog keine der Waffen, von denen Nantwin wusste, das sie da waren.
Erneut hob er die seine, während seine Augen über den Abhang unter ihm huschten und nach einem Weg hinab suchten.
Ein weiterer Schuss löste sich aus seiner Waffe und wie erwartet, duckte Layiel sich und war für einen Moment abgelenkt. Nantwin sprang von dem Felsen auf einen etwas unter ihm gelegenen Absatz, kletterte sogleich weiter, bis der Boden deutlich weniger abschüssig war. Auf dem Hang gab es weithin keine Verstecke, nur Erde und Kieselsteine, die sich in seinem Lauf lösten und seinen Weg ankündigten, aber selbst das war gleichgültig. Wenn die Möglichkeit bestand, einen Namen zurück zu erobern, durfte man nicht zögern. Dennoch nutzte Layiel seine Chance nicht, sondern stand still da und wartete, was Nantwin mit einem verächtlichen Schnauben beurteilte.
Schließlich, als der ehemalige Pilot der Manduchai ihn fast erreicht hatte, trat er einen Schritt zurück und hob die altmodischen beiden Einhänder, mit denen er zu kämpfen pflegte. Bereits im Lauf hatte Nantwin statt der Schusswaffe sein Lichtschwert gezogen, das knisternde Energiefäden hinter sich herzog. Doch jetzt hielt auch er einige Schritte Abstand zu seinem Gegner, während sie sich umkreisten.
Layiel, der inzwischen seine Kapuze zurückgezogen hatte, lächelte fast, als er ihn erblickte.
„Wer seid Ihr nun, Nantwin, jetzt wo die Manduchai untergegangen ist?“, fragte er vollkommen ernst. Seine grüngelben Augen glitzerten im Sonnenlicht.
Nantwin blieb ebenfalls ruhig.
„Ein Mann, der einen Namen trägt und einen zurückerobern wird.“
Der Rahosi neigte den Kopf leicht. „Dann bleibt nichts mehr zu sagen.“
Er beugte sich leicht nach vorne, hob die eine Klinge über den Kopf und die andere vor seinen Körper, dann griff er an. Stahl zischte und Funken sprühten, als die Waffen sich in der Luft trafen und kurz darauf wieder auseinander gingen.
Erneut umkreisten sie sich, schätzen die Verfassung des anderen ab, bevor sie erneut aufeinander zu rannten, kurz vorher auswichen und den Stahl klirren ließen. Schon lange war Nantwin nicht mehr so wach und aufmerksam gewesen, so als hätte er die letzten Jahre einen Traum gelebt, der sich nun dem Ende zuneigte
Layiel war schnell, schien überall zugleich zu sein und kaum berührten seine Klingen Nantwins waren sie bereits wieder fort. Einem Beobachter mochte es wie der Tanz zweier Liebender erscheinen, die in Sehnsucht aufeinander zu sprangen, um dann von der Hitze wieder zurückgetrieben zu werden, doch für Nantwin hätte es nicht ernster sein können.
Versprich es mir, hatte er geflüstert, erobere meinen Namen. Dieses Mal war Layiel nicht schnell genug. Der Stahl küsste ihn kurz und ein Ausdruck des Schmerzes huschte über sein Gesicht, als der Stromschlag ihn traf. Mensch oder nicht, das Blut, das sein Feind jetzt vergoss, war rot, wie Nantwin zufrieden bemerkte.
Aber kurz darauf zuckte auch er zusammen, Blut tränkte seinen Ärmel und der Griff um sein Lichtschwert wurde lockerer. Sie beide keuchten, während sie sich umkreisten, eine Unaufmerksamkeit in der Deckung des Gegners suchend.
Erneut rannten sie aufeinander zu, Layiel leichtfüßig, fast tänzerisch und Nantwin kraftvoll und mächtig. Sein Gegner sprang hoch, hob die linke Klinge und Nantwin entgegnete den Schlag kraftvoll, übersah dabei jedoch die zweite Klinge. Blitzschnell stach Layiel zu, stockte kurz unter der Wucht von Nantwins Schlag, dann war er schon wieder fort. Leise fluchend folgte der Andere ihm zwischen die Bäume. Leichtfüßig lief der Rahosi vor ihm, eine schmale Gestalt zwischen den Baumstämmen. Sie verfolgten sich durch den Wald, sprangen einander versteckt hinter Bäumen an, Laub wurde von Blut gesprenkelt und trennten sich wieder. Dann, in der Nähe des Waldrandes, war Layiel auf einmal fort. Keuchend blieb Nantwin, die Klinge weiterhin erhoben, stehen und sah sich um. Wo war der verfluchte Rahosi?
Position lokali…Der Alarm des Systems schrillte auf. Nantwin wandte sich um - und starrte einen gespannten Bogen an.
„Ich denke, ihr Rahosis tötet keine wehrlosen Gegner“, keuchte er, aber Layiels Blick war hinter ihn gerichtet, auf etwas, was Nantwin nicht sehen konnte. Sein Blick wanderte zu dem Bogen und schätzte die Entfernung ab, als sein Gegenüber „Warte“ zischte.
Nantwin ignorierte es, hob die Klinge, sprang hoch und hieb nach dem Rahosi. Dieser ließ in demselben Moment die Sehne los, ein Pfeil zischte durch die Luft und etwas fiel zu Boden. Aber das Schwert schwebte über ihm, sauste auf ihn hinab und Layiel hielt nichts außer einem schlichten, ungespannten Bogen in der Hand. Der Bogen fiel, eine Hand schoss vor und packte den Stahl. Wie konnte das sein? Fassungslos starrte Nantwin auf Layiels Hand, die sein Schwert umgriffen hatte, mühelos gegen hielt und zugleich Stromschläge und tödlichen Stahl aushielt.
„Verdammt!“, zischte er nun, „Ich halte das nicht ewig aus. Also dreh dich nun langsam um und sieh hinter dich, bevor du weiter versuchst, einen idiotischen Schwur und Glauben zu erfüllen.“
Nantwin wollte wieder aufbegehren, als er Layiels Blick sah und sich tatsächlich umwendete. Um den See schwebten ein Dutzend kleiner Gleiter auf sie zu. Mit einem Fluchen senkte er die Klinge und wandte sich der neuen Gefahr zu.
„Seid Ihr toll? Auf offenen Feld gegen Gleiter?“, fragte der Rahosi, während er erneut seinen Bogen spannte.
Nantwin nickte nur, bevor er auf einen schmalen Pfad deutete, der am Waldrand entlang in das Gebirge und gen Norden führte.
„Aber Ihr geht vor“, knurrte er, bevor er sich herumwarf und den Gleitern den Rücken zuwandte.
Layiel zuckte mit den Schultern, dann schoss er einen Pfeil ab, der jedoch nur an der Außenhaut eines Gleiters kratzte.
Er fluchte leise, dann wandte er sich um und rannte mit leichten Schritten auf den Pfad zu, der sie hoffentlich außer Reichweite der Gleiter bringen würde. Kugeln wirbelten hinter ihnen den Erdboden auf, aber der Pfad war kurvig und ging rasch steil bergauf.
„Weißt du, was das für Leute sind?“, keuchte der vor ihm Gehende.
„Schmuggler, üble Gesellen“, erwiderte Nantwin, nachdem er entschieden hatte, dass ein Weitergeben dieser Information ihm kaum schaden würde.
Erneut herrschte Schweigen. Sie beide lauschten auf Geräusche herannahender Gleiter. Hier war der Pfad zu schmal, als dass ein Gleiter auf ihm entlang schweben könnte, doch niemand von ihnen konnte sagen, wie es weiter vorne aussah.
Hast du Zugriff auf eine Karte von der Umgebung, fragte er den Computer.
Nein. Ich könnte nur versuchen, Computer in der Umgebung zu hacken. Nantwin überlegte kurz, dann verneinte er. Das war ihm zu riskant, konnten sie dadurch doch ihre Position und seine Identität verraten.
Kamera an, befahl er schließlich, vielleicht konnte er sich dadurch später ein Bild seiner Umgebung machen.
Hast du die Datei über Layiel?
Ja, soll ich sie vorlesen?
Nein, erwiderte er, derweil er überlegte. Bis er die Gefahr einschätzen konnte, wäre es besser, Layiel leben zu lassen. Ein Kämpfer mehr konnte nur sinnvoll sein.
Plötzlich blieb dieser stehen.
„Was ist los?“ fragte Nantwin und vergaß, dass er sich vorgenommen hatte, den Rahosi überhaupt nicht anzusprechen.
Layiel trat einen Schritt beiseite, so dass auch sein Begleiter den weiteren Verlauf des Pfades sehen konnte, der nun am Rande einer Schlucht entlang führte und weithin offen lag, während die Landschaft flacher und offener wurde.
„Verdammt“, erkannte auch der ehemalige Pilot der Manduchai die Situation. Auf der Ebene konnten ihre Gegner sie leicht umschließen und überholen.
Er warf einen Blick zurück, aber vom Pfad hatte es keinerlei Abzweigungen gegeben und sonderlich motiviert sich ins Gebirge zu schlagen, war er auch nicht. Ganz davon abgesehen dass sie in Gefahr laufen würden, sich komplett zu verirren.
„Hört Ihr das?“, fragte der Rahosi und neigte leicht den Kopf.
Nun vernahm auch Nantwin das leise Brummen von Motoren.
„Hier bleiben können wir nicht“, meinte er und runzelte kurz darauf verwirrt die Stirn über das ‚wir’.
„Ihr geht voran“, erklärte er dann mit einem Blick auf seinen Begleiter, „Und ich gebe Rückendeckung.“
Er erwartete Widerrede, aber ohne ein weiteres Wort schlüpfte Layiel mit gespannten Bogen in das offene Gelände – allerdings, nicht ohne zuvor in jenes Buch zu blicken, dass er bei sich trug.
Nantwin zog seine Pistole, sah sich einmal um, dann huschte er hinter Layiel her.
Stille. Der Wind hallte durch das Gebirge und trug ihre Schritte, so leise sie auch gingen, dennoch weit.
Geduckt schlichen sie hinter einander her, eilig und doch verborgen hinter einzelnen Felsen.
Dann hörte Nantwin die Gleiter hervorbrechen. Sie schoben sich hinter einer Felsformation hervor und glitten auf sie zu.
Nantwin hob seine Pistole, entsicherte sie und schoss. Er hatte gut gezielt und zu seinem Erstaunen trudelte der vordere Gleiter leicht.
Kannst du erkennen, woraus die Gleiter bestehen und wie dick die Außenhülle ist?, fragte er den Computer, während er die Waffe erneut ausrichtete.
Die weibliche Stimme schwieg erstaunlich lange, bevor sie erwiderte: Zu wenig Kapazitäten vorhanden. Energielevel auf 5%. Aber keine Sorgen, Meister, ich lasse dich nicht allein, ohne mich kratzt du eh ab.
Er ignorierte sie. Verdammt. Es musste die Kamera gewesen sein, die die ganze Energie gefressen hatte oder die Maschine, die gewöhnlich durch Solarenergie angetrieben wurde, war mit der hiesigen Sonne nicht kompatibel.
In Ruhemodus schalten und Ersatzspeicher anzapfen, befahl er.
„Kommt Ihr?“, zischte Layiel vor ihm, „Dies ist keine Position, um sich zu verteidigen.“
Ohne ein Wort zu antworten, schoss der ehemalige Pilot erneut und dieses Mal traf er einen kleineren Gleiter, der in einer gewaltigen Explosion explodierte.
Der Feuerball blendete Nantwins Augen, doch er wandte sich ab und folgte dem Rahosi, der nun im Zickzackkurs offen über die Ebene huschte. Das Buch hatte er dabei aufgeschlagen in der Hand. Und seltsamerweise verfehlten ihn alle Schüsse. Keine Zeit für falsche Bescheidenheit, dachte er und bemühte sich Layiels Spuren möglichst exakt zu folgen. Tatsächlich. Ihm blieb nicht die Zeit darüber nachzudenken, er war nur dankbar, dass er noch lebte, als die Ebene sich verengerte und der Pfad weiter vorne wieder ins Gebirge eintauchte.
„Ist Euch aufgefallen“, keuchte er, als er den Rahosi eingeholt hatte „Dass sie nur eine begrenzte Höhe über dem Erdboden schweben können?“
Layiel blickte ihn an, schien aber sogleich zu verstehen. „Sie sind um den See geschwebt“, erkannte der Rahosi und wich einem Felsen aus, wodurch sie für einen Moment getrennt wurden.
Nantwin deutete auf die Schlucht. „Wir müssen eine Möglichkeit zum Überqueren finden, die sie nicht nutzen können.“
„Sie müssen Brücken haben“, erklärte Layiel.
„Im Gebirge?“, zweifelte Nantwin, „Weiter unten sicherlich, aber hier?“ Erneut sah er hinab, schätzte die Entfernung zur anderen Seite ab und stellte fest, dass es zu viel war. Auch war die Landschaft weiterhin zu offen, hier konnten sie sich nicht verteidigen.
Aber der Boden unter ihren Füßen stieg erneut an und wenn sie Glück hatten…
„Da oben“, erklärte er und deutete auf die Stelle, wo der Pfad erneut aus der Ebene hervortrat und die Felsen empor führte.
„Wenn es eine Stelle gibt, dann dort.“
Layiel nickte, bevor er meinte: „Ihr müsst vorgehen und ich gebe Rückendeckung.“ Er streckte seine Hand aus. „Gebt mir Eure Pistole“, forderte er
„Was?“ War das der Ernst dieses verdammten Bastardes? Damit er ihn hier in Ruhe abknallen konnte.
„Kommt schon!“, forderte er erneut und seine Augen verzogen sich zu Schlitzen. „Ich will hier genauso raus wie Ihr und zurück zu meinem Clan. Mit Pfeil und Bogen kann ich sie nicht aufhalten und Euch nicht schützen.“
Nantwin überlegte. Wenn er richtig gezählt hatte, besaß die Pistole nur noch sieben Schuss. Das würde so oder so eng werden.
„Sie kommen“, zischte Layiel und es lag fast so etwas wie ein Flehen in seinem Gesicht. Aber es war nicht das Flehen, sondern das Geräusch der Motoren und die Schüsse, die Nantwin ihm die Waffe reichen ließen.
„Hier entsichert Ihr“, knurrte er, „Und dann abdrücken.“
Der Rahosi, der sicherlich noch nie zuvor eine solche Waffe genutzt hatte, nickte und richtete sich auf. Nantwin blickte sich um, dann zog er eine Rolle dünnes Garn aus der Hand und begann einige Fäden über dem Pfad zu spannen.
„Spinnengewebe von Toonas“, erklärte er auf einen fragenden Blick Layiels hin. „Nichts hält besser.“ Kurz darauf zuckte er zusammen. Hatte er Layiel tatsächlich soeben eine brauchbare Information gegeben? Narr, fluchte er, Bisher wussten sie nicht, woher es kommt. Ohne einen weiteren Blick an den Rahosi zu verschwenden, stieg er den Pfad herab und trat auf das Plateau, an dessen Rand der Pfad entlang führte, um dann wieder in den Bergen zu verschwinden. Hier war der richtige Platz.
Nantwin entledigte sich Jacke und Rucksack und löste das Seil, das er immer bei sich trug, von seiner Hüfte. Es war festes, gutes Material, gefertigt von dem besten Seilmacher seiner Heimatstadt, dessen Werke ihn bisher noch nie im Stich gelassen hatten. Mit geschickten Fingern knotete er eine Schlinge.
„Ich hoffe, Ihr habt starke Armmuskeln, Layiel“, knurrte er, bevor er sich aufrichtete und einen Punkt am anderen Ende der Schlucht suchte. Hinter ihm ertönte der erste Schuss, aber Nantwin nahm die Zeit, die er benötigte. Die falsche Wahl konnte tödlich sein. Seine Augen strichen über den krummen Baum hinweg, der zu morsch aussah, über den Felsen, der ihm zu nah am Abgrund war. Dann fand er die Felsnadel. Gerade aufgerichtet und mit genug Abstand zum Abgrund schien sie ihm genug zu sein.
Vergiss nicht, Junge, für den richtigen Wurf braucht es einen guten Tropfen und den richtigen Zeitpunkt. Diese Stimme in seinem Kopf war weder die seine, noch die maschinelle Computerstimme, die nun endgültig verstummt zu sein schien. Es war die Stimme seines Vaters.
Verdammt! Konnte ihn sein alter Herr nicht jetzt einmal alleine zu lassen?
Er ignorierte das Bild seines Vaters, der betrunken durch die Tür trat und ihm durchs Haar wuschelte. Sein alter Herr war nie betrunken gewesen, wenn er sein Schiff lenkte, aber allzu oft, wenn er daheim war. Dann hatte er seine Frau und seine Kinder verprügelt. Eines Tages hatte sein Weib sich entschlossen, dass sie genug von dem Mann hatte, der nie da war und mit seiner Familie ständig auf der Flucht vor der Gesetzlichkeit war, hatte die Kinder mit sich genommen und Haus und Ehe dem Rücken zugekehrt. Aber es wäre nicht Nantwins Vater gewesen, wenn er sie nicht gefunden hätte. Des Nachts war er gekommen, war ins Schlafzimmer der Kinder eingestiegen, hatte sich seinen Sohn geschnappt und ihn in sein Schiff verfrachtet, um nie mehr zurückzukehren.
„Es reicht, Vater“, knurrte er, „Du hast dich im Leben nicht um mich gekümmert, also tue es jetzt auch nicht im Tod.“
Die Geräusche um ihn herum verstummten, er richtete sich auf, spürte den Wind, der über seine nackten Arme strich und das raue Seil zwischen seinen Fingern. Tief atmete er durch, fokussierte die Felsnadel auf der anderen Seite, dann warf er.
Zu kurz. Die Schlinge traf zu weit links am Rande der Schlucht und rutschte dann hinab.
Eilig zog er das Seil zurück, das durch den Abgrund schlingerte – und sich verhakte. Er zerrte daran, doch es bewegte sich nicht. Das Blut rauschte in seinem Kopf, als er hinab sah und die Wurzel erblickte, an dem es unter ihm hing. Er trat noch ein Stück näher heran, dann begann er das Seil zu schwingen. Seine Hände zitterten nicht das Geringste bisschen, als sich das Seil endlich löste und er es hoch ziehen konnte. Eilig aber sorgfältig rollte er es auf, stellte sich in Position und schleuderte erneut. Dieses Mal legte sich die Schlinge um die Felsnadel und ließ sich festziehen.
Ohne das Seil loszulassen, hastete er zu dem krummen Baum, den er auf dieser Seite als Ankerpunkt auserkoren hatte und band das Seil mit einem Knoten fest, den auch sein Vater immer benutzt hatte. Immerhin das hatte er gekonnt. Dann holte er zwei Karabiner, sowie zwei kürzere Seile aus dem Rucksack und setzte ihn auf. Für einen Moment zögerte er, dann ließ er einen Karabiner und ein Seil am Baum liegen. Wer wusste, was sie auf der anderen Seite erwartete. Er schluckte, dann zog er das Seil durch den Karabiner und bildete eine Schlaufe, um sich daran festzuhalten. Um sich selbst zu sichern, war es viel zu kurz.
Ohne einen Blick zurück zu werfen, trat er an den Abgrund und hakte den Karabiner am Seil ein.
Dann hörte er hinter sich einen schrillen Schmerzensschrei und Schritte, die sich rasch näherten.
Hättet Ihr nicht noch einen Moment länger aushalten können?, seufzte er und rannte Layiel entgegen.
Dieser stolperte und humpelte, sein Bein musste getroffen sein. Dennoch zeigte sich in seinen Augen keine Angst, als er zu ihm aufsah und meinte: „Sie kommen“
„Gebt mir die Pistole“, forderte Nantwin und streckte die rechte Hand aus.
„Keine Munition mehr“, erwiderte Layiel, reichte ihm die Waffe aber dennoch.
Besorgt lauschte Nantwin, doch noch schienen die Gegner durch die Explosion beschäftigt zu sein.
„Nun geht schon“, fauchte er, während er nach dem Beutel an seiner Seite griff und nachlud.
Es war riskant. Ihm war bewusst, dass Layiel wenn er die andere Seite erreicht hatte, einfach das Seil durchschneiden konnte – er hätte es ähnlich gehalten, wenn er nicht geschworen hätte, Layiel im Kampf zu töten. Aber wenn er ihn nicht gehen lassen würde, würde er sicher sterben. Der Rahosi war nicht länger fähig zu kämpfen und die Feinde hinter ihnen würden das Seil durchschneiden, an dem Nantwin sich soeben entlang hangelte.
Nein. Layiel musste zuerst gehen, Nantwin musste die Gegner vernichten und ihm dann folgen.
Der Blick, den der nur Kindergroße ihm nun zuwarf, war fast verletzt, als er die Munition sah, die der Pilot ihm vorenthalten hatte. Aber er griff nach dem Seil und stieß sich von dem festen Grund unter seinen Füßen ab.
Ohne sich nach ihm umzusehen, entsicherte Nantwin die Pistole und rannte den Pfad hinauf. Er hörte das Brummen der Motoren, sah die glänzende Hülle im Abendrot glänzen, noch bevor er um die Ecke herum war und sich hinter einen Felsen warf. Jetzt ärgerte er sich darüber, dass er die Anzahl der Gleiter vorhin nicht gezählt habe, aber jetzt waren es vier, die über den Pfad schwebten – eines davon war beschädigt. Weiter hinten stiegen Flammen gen Himmel auf, die bei der Explosion entstanden zu sein schienen.
Sein Vorteil war, dass die Gleiter nur hintereinander schweben konnten, eine bestimmte Höhe schienen sie dabei nicht zu übersteigen können, womit Nantwin mit seiner Vermutung richtig gelegen hatte.
Das Blut pochte in seinen Schläfen, aber als er die Waffe nun hob, war es die Gelassenheit des Jägers, die seine Körperhaltung ausmachte. Oh, wie viel besser es sich anfühlte, dem Gegner gegenüber zu stehen, anstatt davon zu rennen.
Die Gleiter besaßen eine leicht abgerundete Schnauze, die nach hinten hin breiter wurde. Sie waren sehr schmal, gingen dafür aber in die Höhe. Das Cockpit hatte ein offenes Fenster, in dem mehrere Personen zu sehen waren und an den Seiten waren ebenfalls Türen vorhanden, die jetzt jedoch geschlossen waren.
Den Piloten, Nantwin, triff den Piloten, spornte er sich selbst an. Seine eine Kugel hatte zwar die Außenhülle getroffen, aber er wusste nicht, ob dies nur ein reiner Glückstreffer gewesen war und die Hülle nicht an jeder Stelle so dünn war. Ein Verschwenden von Kugeln konnte er sich nicht leisten.
Er ließ den Gleiter herankommen, bis dieser vor ihm war, dann wagte er sich aus der Deckung und schoss. Schreie ertönten, als das Schiff einen Satz machte und der Pilot die Kontrolle verlor. Irgendwo stießen Flammen aus dem Schiff hervor. Treffer. Irgendwie gelang es dem Piloten noch das Steuer herumzureißen und das Schiff prallte fern von Nantwin auf den Felsen auf.
Dieser beugte sich schon nach vorne und nahm den nächsten Gleiter ins Visier, der nun mit deutlich schnellerer Geschwindigkeit als der erste flog.
Jetzt gelang ihm kein Treffer. Die Kugeln prallten von der Außenhülle ab und ein blaues Schimmern verriet ihm, dass die Schilde verstärkt worden waren. Verdammt. Ihm blieb keine Zeit, um nach Lücken und Schwachstellen zu suchen.
Ohne zu zögern, wandte er sich um und floh. Steine wurden herab gerissen, als er die Steigung hinab rannte und währenddessen Seil und Karabiner aus seiner Manteltasche nahm. Er erreichte den Baum, hakte den Karabiner ein, umfasste die Schlinge mit beiden Händen und stieß sich ab. Layiel, der die andere Seite erreicht hatte, beobachtete ihn. Es ging nach unten, weshalb er zu Beginn relativ schnell hinab rutschte. Seine Hände krallten sich in das Stück Hanf, das ihn von dem tosenden Wasser unter ihm bewahrte. Das Adrenalin strömte durch seine Adern.
Dann waren die verbliebenen Gleiter am Rande der Schlucht angekommen. Nantwin wandte den Kopf um und bemerkte erleichtert, dass sie dort schweben blieben. Seine Vermutung schien wirklich zu stimmen. Die Schüsse, die daraufhin ertönten, zerstörten seine Erleichterung jedoch rasch. Es zischte um ihn herum. Felsbrocken stürzten in den Fluss, als die Flammenwerfer in die Felswand einschlugen. Hitzewellen schossen durch seinen Körper und Schweiß strömte aus seinen Poren. Verdammt. Bewahre die Ruhe, Narr. Panik hilft dir nicht weiter.
Ein weiterer Schuss wurde abgegeben. Er blickte zurück und sah, dass das Seil hinter ihm Feuer gefangen hatte. Verdammt. Seinen Körper schob er noch schneller vorwärts. Mehr als zwei Drittel der Strecke hatte er schon hinter sich gelegt. Seltsamerweise war es Panik, die er auf Layiels Gesicht jenseits des Abgrundes las.
Das Seil riss.