Was wäre, wenn … Elred die Wüste allein überlebt?
Fortsetzung von „Das Reich der unsterblichen Gottkönige“, Kapitel 7.
Nach einer Weile stößt du auf einen Bachlauf, dessen Wasser auch halbwegs sauber aussieht. Nicht, dass dich die Wasserqualität nach den Tagen in der Wüste noch interessieren würde. Du trinkst, bis dein Magen vor Spannung schmerzt. Dann harrst du eine Weile aus, halb schlafend nach den Entbehrungen der letzten Tage, bevor du noch etwas mehr trinkst.
Inzwischen ist es Abend. Wage hast du im Kopf, dass mindestens zwei weitere Nächte vergangen sind. Was bedeutet, dass ihr drei Tage in der Wüste wart.
Erst jetzt, mit etwas Wasser, kannst du an Brenna und Karja denken. Die beiden Frauen sind immer noch nicht aufgetaucht. Jetzt kommt dafür das schlechte Gewissen. Du fragst dich, was du falsch gemacht hast. Wurde Brenna vom Schlangengift so weit geschwächt, dass sie zurückbleiben musste? Ist Karja vielleicht einfach bei ihr geblieben? Du malst dir aus, wie die Frauen dir nachbrüllen, dass du halten sollst, während du, in Trance durch den Wassermangel, einfach weitermarschierst.
Du musst die beiden finden! An dem Bachlauf füllst du zunächst deine Trinkschläuche. Der Bach ist Teil eines Netzwerkes kleinerer Flüsse, die sich ihren Weg durch die Wüste bahnen. An ihrem Ufer haben sich Palmen und andere Pflanzen angesiedelt, die dir nun Deckung bieten. Sobald dein Entschluss einmal gefasst ist, bereitest du dich entschlossen auf die nächste Wüstenreise vor. Du legst größere Lederstücke deiner Kleidung ab, alles, was dich nur belasten würde. Am Ende nimmst du nur deinen Bogen, das Wasser und die nötigste Kleidung mit. Ein Hemd wickelst du dir um den Kopf. Du musst dich irgendwie vor der Sonne schützen, das ist das beste, was dir einfällt. Einen Hut hast du leider nicht.
Entschlossen folgst du dem Weg, den du hergekommen bist. Der Wind hat deine Spuren im Sand bereits wieder verwischt. Wie hoffnungslos deine Suche ist, willst du zunächst nicht einsehen. Du durchstreifst den Randbereich der Wüste in einem Raster und rufst ab und zu die Namen deiner Gefährtinnen. Doch du weißt nicht einmal mehr genau, woher du gekommen bist. Du weißt auch nicht, wie weit Brenna und Karja hinter dir sind, wo du sie also überhaupt finden kannst. Und obwohl du dich mit allem Eifer in die Suche stürzt, wachsen deine Zweifel daran, dass du sie überhaupt finden kannst.
Schließlich musst du einsehen, dass deine Suche von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Zwei weitere Tage hast du damit verbracht, die beiden Frauen zu suchen, unterbrochen nur von Pausen, um das Wasser aufzufüllen. Dann werden der Hunger und das daraus folgende Schwindelgefühl so schlimm, dass du aufgeben musst.
Du kehrst zum Bachlauf zurück. Dann folgst du ihm stromabwärts. In der Wüste, wo jedes Wasser kostbar ist, wirst du am Fluss sicherlich bald auf Siedlungen stoßen. Vielleicht kannst du auch ein paar Fische fangen.
°°°
Du hast Glück. Zuerst findest du die Stelle wieder, wo du deine Ausrüstung zurückgelassen hast, dann gelangst du auch noch nach wenigen Stunden Reise zu einer großen Stadt. Die Häuser sind eckig und aus beigem Sandstein erbaut. Bunte Markisen spannen sich über die Straßen und bieten Deckung vor der erbarmungslosen Sonne.
Die Bewohner hier tragen deutlich besser an das Klima angepasste Kleidung. Kurzerhand verkaufst du deine kalynorische Rüstung im Austausch für eines der fließend langen, weißen Gewänder. Der Händler mustert dich misstrauisch, immerhin beherrschst du nicht einmal die Sprache des Landes. Aber die gute, wenn auch etwas abgetragene Rüstung nimmt er dann doch und in dem neuen, weiten Gewand kannst du im Gedränge untertauchen.
Je später es wird, desto voller werden die Straßen. Händler platzieren Waren entlang der Häuserwände. Ab dem Nachmittag erklingt überall Musik und Speisen brutzeln auf glühenden Kochfeuern. Es gibt Fleischspieße und Teigtaschen in kunstvollen Spiralen, Obst mit süßen Soßen und alle möglichen anderen Kleinigkeiten, dazwischen stehen Säcke mit buntem Reis, Gewürzen oder Knollen, Stände mit gackernden Hühnern in Käfigen und sogar lebende Esel, Kamele und Rinder.
Du hast kein Geld dabei, aber in der Masse kannst du hier und da einen Spieß stibitzen, ohne bemerkt zu werden. Aji hätte in dieser Stadt seine helle Freude gehabt, aber leider – oder glücklicherweise – ist er nicht hier.
Während du dich durch das Gedrängel wühlst, bemerkst du plötzlich eine erhöhte Bühne, auf die mehrere Männer und Frauen getrieben werden. Diese sind mit eisernen Ketten und Riemen aneinander befestigt.
Du hast den Sklavenmarkt entdeckt. Je weiter du gehst, desto mehr menschliche Ware umgibt dich. Viele Sklaven sind nahezu nackt, damit die Käufer genau sehen, was sie da erwerben. Doch andere sind in kostbare Kleider gehüllt und werben stattdessen mit ihrem Können, da sie offenbar Poesie vortragen oder ihre Vorzüge aufzählen. Du verstehst kein Wort, aber dennoch nimmst du die Unterschiede wahr.
Die Hoffnung, die beim Anblick der Sklaven aufgeflackert ist, wird jedoch nicht bestätigt. Du kannst Brenna und Karja unter den Gefangenen nicht finden. Schließlich hast du den Stadtrand erreicht und musst wohl einsehen, dass du sie verloren hast – da kommt eine Karawane aus der inzwischen aufgezogenen Nacht. Die Reiter auf Kamelen treiben eine lange Reihe aus Gefangenen hinter sich her, die vor Müdigkeit und Erschöpfung taumeln.
Ganz hinten in der Reihe erkennst du Brennas Brustpanzer und Karjas Hut. Sie leben! Die Erleichterung durchflutet dich wie glühendes Wasser. Abwechselnd wird dir heiß und kalt – denn irgendwie wirst du die beiden Frauen aus den Fesseln der Sklavenhändler befreien müssen.
Die Karawane eilt der Stadt entgegen und dir wird klar, dass jetzt deine einzige Chance ist. Wenn du wartest, bis alle in der Stadt sind, gibt es zu viele Zeugen. Also rennst du los, ohne weiter zu zögern.
Dass du die Gewänder der Leute hier trägst, gibt dir einen kleinen Vorteil, denn es dauert, bis die Sklavenhändler sich fragen, warum du auf sie zu rennst. Dann bist du bereits bei deinen Gefährtinnen, die glücklicherweise nur mit Seilen und nicht mit Ketten gefesselt sind. So kannst du sie mit einigen schnellen Schnitten befreien.
„Elred?“, fragt Brenna.
„Los, schnappt euch ein Kamel!“ Du drehst dich um und richtest den Bogen auf die Sklavenhändler, die vom Kopf der Schlange zu euch eilen. Brenna und Karja waren ganz am Ende, wo es nur noch zwei Wachen gab. Die erste können die beiden Frauen gemeinsam vom Kamel ziehen, dann schnappt sich Karja dessen Säbel und durchbohrt den Rumpf des zweiten Mannes. Brenna zieht die beiden Kamele am Zügel zu euch, und ihr klettert ungeschickt auf die hohen Tiere, ehe ihr sie antreibt.
Ihr flieht in die Stadt. Zum ersten ist die Wüste ringsum so leer, dass ihr dort leicht gefunden werden könnt, vor allem scheinen die Kamele aber auch nicht gewillt, von der Siedlung fortzugehen. Zum Glück könnt ihr eure Verfolger in den engen Gassen abschütteln, und dort erfahrt ihr auch das Ziel der Kamele: Sie suchen einen Brunnen, tauchen die Köpfe ins Wasser und beginnen, zu saufen.
Ihr steigt ab.
„Das war wirklich Rettung in letzter Sekunde!“, stellt Karja fest. „Ich bin froh, dass du aus der Wüste gekommen bist.“
„Ich habe euch gesucht“, berichtest du leise. „Ich kam irgendwann wieder zu mir und ihr wart weg.“
Im Endeffekt hatten auch die beiden Frauen Glück im Unglück. Nachdem sie wegen des Schlangenbisses zurückbleiben mussten, hatten die Sklavenhändler sie mithilfe trainierter Geier gefunden. Sie hatten ihren zukünftigen Sklaven ein Gegengift gegeben und auch genug Essen und Wasser, um die Wüste zu überleben. Sie sind zwar zerschlagen und erschöpft, aber sie sind am Leben.
„Die Kamele sollten wir zurücklassen. Kameldiebstahl ist hier ein schweres Verbrechen“, rät Karja euch. „Wenn die Händler sie wiederfinden, sind wir nur noch entflohene Sklaven – dann sollten weniger Wachen nach uns suchen.“
Du stimmst zu. Als nächstes müsst ihr Kleidung für die beiden Frauen stehlen, damit sie ebenfalls weniger auffallen. Karja hat die Stadt hier allerdings erkannt und weiß, wohin ihr nun müsst.
„Das schaffen wir schon“, sagst du zuversichtlich. Auch wenn ihr viel von eurer alten Ausrüstung verloren habt. Das Wichtigste ist, dass ihr alle lebt.