Lieber Sohn,
Papa hat gestern nachmittag den Dachboden aufgeräumt. Zusammen mit deinem Bruder hat er einen Container gefüllt, der Montag abgeholt werden soll. Was sich alles so ansammelt in den Jahren.
Dabei bin ich auf eine Kiste gestossen, die ich ganz vergessen hatte.
20 Jahre stand sie da oben und es tut mir im Herzen weh, dass sie aus unserem Blickfeld gerutscht ist.
Als Jakob damals starb und wir seine Sachen ausräumten, hast du dich ja beharrlich geweigert einen Fuß in den Kotten zu setzen oder dir etwas aussuchen, was dich an ihn erinnern soll. Daher haben Papa und ich das damals gemacht. Durch all das, was danach passierte, gerieten die Dinge in Vergessenheit. Wobei ich mir sicher bin, dass wir sie die ersten beiden Jahre noch in der Stube und dann in der Bibliothek verstaut hatten.
Gestern haben wir also hineingesehen.
Du kannst dich bestimmt an die Hemden erinnern, die Jakob immer in der Werkstatt getragen hat, oder?
Eines davon hatte ich für dich aufgehoben, aber nun ist es gänzlich unbrauchbar.
Außerdem waren da seine Werkzeuge. Er hätte gewollt, dass du sie bekommst. Wir waren sie dir beim nächsten Besuch zeigen. Vielleicht möchtest du sie zumindest irgendwo verwahren?
Und dann waren da die ganzen kleinen Holzfiguren, die ihr im Winter davor geschaffen hattet. Die alle unsere Krippe ergänzen sollten und nie veredelt wurden.
Sie sind wunderschön.
Fast so schön wie die Engel, die du letztens verschenkt hast.
Ich habe mir überlegt, ob du sie mit deinem Sohn durchsehen magst.
Wir können nicht beurteilen, ob es sich lohnt, sie aufzubereiten und zu nutzen. Aber es wäre irgendwie zauberhaft.
In der Kiste hatte ich außerdem noch Fotografien und Bücher.
Sie warten hier auf dich, sofern du sie durchsehen möchtest.
Darunter ist auch das Märchenbuch von Andersen, aus dem er ihr dir immer vorgelesen hat. Ach ja, und seine Lesebrille.
Falls du sagst, du möchtest das alles nichts, dann ist das aber auch in Ordnung. Dann werden wir es wieder wegpacken.
Ich glaube aber, dass es Zeit wird, mein Schatz.
Vielleicht schaffen wir es ja, unseren gemeinsamen Frieden zu machen.
Vielleicht können wir doch noch darüber sprechen und gemeinsam trauern? All das, was wir damals hätten tun sollen?
Du weißt, dass wir nur auf ein Zeichen von dir warten.
Egal, wann du so weit bist, wir sind da.
Wir werden immer da sein.
Und wir werden immer zuhören.
Wir sind stolz auf dich, dass du diesen steinigen Weg gegangen bist.
Und endlich froh darüber.
In Liebe
Mama & Papa