Der Tag war noch kaum angebrochen und schon schwitzte Peter in Strömen. Dicke Schweißperlen tropften von seinen Fingern und verschmutzten die Linsen seines Fernglases. Seufzend wischte er sie ab und sah erneut hindurch.
Sand war alles was er erblickte. Sand, Himmel, Sonne. Dann und wann mal einen größeren Felsen, der zwischen den ewigen Dünen herausschaute. Verdorrtes Gestrüpp oder hin und wieder ein Kaktus war die einzigen Hinweise auf Leben die man sich in dieser trostlosen Wüste erhoffen konnte.
Gerade wollte er aufgeben, da fiel ihm ein Streifen in der Landschaft ins Auge. Mit dem Zeigefinger passte er er die Schärfe minimal an und sein Verdacht bestätigte sich. Dort zog sich eine lange Spur durch den endlosen Sand. Ein deutliches Zeichen von Menschen, oder zumindest größeren Tieren. Und scheinbar ziemlich frisch.
Aufgeregt legte er das Fernglas ab und setzte die Sonnenbrille wieder auf. Sandblindheit war eine Erfahrung die er nicht wiederholen wollte.
Er nahm einen letzten Schluck aus seiner Flasche, dann packte er alles in den ramponierten Lederrucksack und schwang diesen auf seinen Rücken.
Der hagere Mann stand auf und schüttelte den Sand von seiner vielschichtigen Lumpenkleidung. Er hatte schon längst aufgegeben alles loszuwerden, doch seine Kleidung wurde deutlich leichter wenn er zumindest den gröbsten Staub ab und zu abklopfte.
Nach einer letzten Kontrolle des dünnen Schals über seinem braun gebrannten Gesicht rutschte er den Hang der Düne hinab und machte sich auf den Weg zu der Stelle, wo er die Spur gesehen hatte.
Unterwegs ließ spielten seine Finger mit dem Griff der Machete, die an seiner Seite hing. Er hatte es schon besessen bevor die Gesellschaft zusammengebrochen und die Reste der Menschheit in die Wüste verbannt worden waren. Nicht, dass er damals besonderen Nutzen für die Waffe gehabt hatte, es war einfach ein Sammlerstück. Er vermisste es Dinge einfach nur zum Zeitvertrieb zu sammeln.
Kurz bevor die Sonne ihr Zenit erreichte kam er an der Stelle an. Inzwischen war der Schal tropfend nass vor Schweiß, was den Sand noch hartnäckiger machte.
Er folgte der Spur eine Weile, doch als die Hitze unerträglich wurde musste er im künstlichen Schatten seiner aufgespannten Plane Rast machen. Seine Gefährten hatten ihn für verrückt erklärt als er am letzten Handelsposten mehrere Tagesrationen für das große Plastikteil eingetauscht hatte, doch sie hatten ihre Meinung schnell geändert. Man konnte nicht immer darauf hoffen einen Fels oder etwas ähnliches zu finden, um die Mittagsstunden zu überstehen.
Thea und Ruben. Er war mit den beiden unterwegs seit sie zu dritt aus Hamburg entkommen waren. Auch wenn sie sich so gut wie immer uneinig waren, so schweißte sie doch ein Band zusammen, das in der Wüste fast so wertvoll war wie Wasser.
Mit den Gedanken bei seinen Freunden schlief er ein und wachte erst auf als sich die Sonne dem Horizont näherte. Schnell machte er sich wieder auf die Beine. Er wusste nicht genau wie viel Vorsprung sein Ziel hatte und außerdem wusste er wie schwer es sein konnte in der Dämmerung der Spur zu folgen.
Aber er bekam keine Probleme. Die tiefen Spuren deuteten auf mehrere Lebewesen hin, doch da sie in einer Linie gegangen waren konnte er ihre Zahl nur schwer schätzen. Auch am Horizont fand er keine Spur von der Gruppe.
Während er weiterging tauchte die niedergehende Sonne die Welt nacheinander in Gold, dann Rot und schließlich ein dunkles Violett. Der Anblick war so wunderschön dass Peter selbst nach Jahren in der Wüste jedes Mal beinahe das Herz stehen blieb.
Mit dem Verschwinden der letzten Sonnenstrahlen trauten sich auch auf einmal die Tiere der Wüste aus ihren Verstecken. Wie Peter genossen sie die wohlige Kühle, die mit dem Sonnenuntergang einherging. Er wurde von einer Schlange überrascht, die auf Beutesuche seinen Weg kreuzte. Zum Glück war er deutlich zu groß für sie und so gingen sie beide ihre getrennten Wege weiter. Kleine Eidechsen wagten sich aus den Ritzen der Steine und machten sich auf die Jagd nach noch kleineren Insekten und für einen Moment glaubte der einsame Wanderer den Kopf eines Wüstenfuchses hinter einer Düne auftauchen zu sehen.
Die Spur führte jetzt nur noch in den Tälern zwischen den Dünen hindurch, sodass Peter auf seine Taschenlampe zurückgreifen musste, um in der Dunkelheit etwas zu sehen. Das fehlende Mondlicht störte ihn aber nicht, denn das hätte ihm nur den atemberaubenden Anblick der Myriaden von Sternen, der sich ihm am fernen Himmelszelt bot, verwehrt.
Die meiste Zeit wandelte er in der Dunkelheit und schaltete die Lampe nur ab und zu ein um sich zu vergewissern dass er noch am richtigen Weg war. Zwar musste er dank der tagsüber aufgeladenen Solarzellen keine Energie sparen, aber er bevorzugte es seine Augen an die Dunkelheit anzupassen, um die Schönheit der Natur um ihn herum besser genießen zu können. In der lichtverschmutzten Stadt hatte er kaum mehr als ein paar einzelne Sterne gesehen. Als ihn sein Vater ein Mal zum Campen vor die Tore der schützenden Mauer mitgenommen hatte war es ihm schon unglaublich vorgekommen dass er die Milchstraße erkennen konnte. Doch jetzt, ferner von jeder Stadt als er er sich vor dem Untergang der Gesellschaft je getraut hätte stellte die schiere Unzahl an Sternen all diese Erinnerungen in den Schatten.
Sehr zu Peters Bedauern schwand die verführerische Schönheit der Sterne über ihm langsam, als sich langsam der Mond über den Horizont erhob. Noch reichte sein Licht nicht bis hinunter ins Tal um die Spur zu erhellen, doch Peter konnte zusehen wie der weiße Schimmer von den Spitzen der Dünen langsam abwärts wanderte. In dem Licht wirkte der Sand beinahe wie Schnee, während die Schatten im Vergleich umso schwärzer erschienen.
Vor ihm viel das fahle Licht auf eine große Felsformation. Durch das verzerrende Spiel von Licht und Schatten wirkten die zerklüfteten Felsen wie die scharfen Zähne eines gigantischen Monsters, das grinsend auf ihn lauerte.
Die Spur führte ihn auf direktem Weg dort hin.
Peter erschauderte; Und zwar nicht nur wegen der nächtlichen Kälte.
Das Gefühl wiederholte sich als er die tiefen Schatten zwischen den Steingebilden betrat. Kurz verlor er den Mut, doch er zwang sich vorwärts zu gehen. Nach einigen Metern wurde der Sand unter seinen Füßen durch Stein ersetzt und er verlor die Spur kurzzeitig, aber zwischen den steilen Felswänden gab es ohnehin nur einen Weg. Außerdem waren die Leute vor ihm so freundlich gewesen durch jeden sich bietenden Sandhaufen zu laufen. Scheinbar wollten sie gefunden werden.
So überraschte es ihn überhaupt nicht als ihm nach einer Kurve auf einmal der Lauf eines Gewehres entgegenblickte.
"Hände in die Höhe, wo ich sie sehen kann. Und keine Faxen!", rief ihm der Mann entgegen. Seine Stimme klang durch das blaue Halstuch gedämpft. Auf dem Kopf trug er eine Baseball-Kappe, der Rest seines Körpers war in die üblichen Lumpen eines Überlebenden gekleidet. Er schien kaum älter zu sein als 20.
Schnell blickte sich Peter um. Es waren vier Menschen. Neben dem Sprecher standen ein Mann mit einem langen Messer und eine Frau mit blutverkrustetem Baseball Schläger. Ein dritter Mann zielte aus einer erhöhten Position auf dem nächsten Felsen mit einer Steinschleuder auf ihn herab.
Vorsichtig hob er die Hände. "Schon gut Leute, ich will wirklich keinen Ärger. Ich dachte nur ihr könntet ein wenig Gesellschaft gebrauchen", versuchte er sie zu beschwichtigen.
"Dafür hast du dir die Falschen ausgesucht, Freundchen. Wir werden jetzt nämlich deine Sachen beschlagnahmen", erwiderte der Anführer mit hämischem Unterton in der Stimme.
Peter sah sich verzweifelt nach einem Ausweg um, doch leider gab es keinen. Er würde wohl auf Zeit spielen müssen und hoffen dass ihm noch etwas einfiel. "Bitte, Leute", sagte er ganz ruhig. "Ist das echt notwendig? Ich kann euch helfen! Ich bin wirklich nützlich. Ihr könnt mir vertrauen dass ich keinen Blödsinn mache."
Gelächter von den Anderen. "Wo warst du eigentlich das letzte Jahrzehnt?", fragte sein Gegenüber amüsiert. "In der Wüste vertraut man niemals einem Fremden."
"Dann lass mich vorstellen. Ich bin Peter Huber, komme aus Hamburg und war vor dem Virus Programmierer. Wenn du mir jetzt noch sagst wer du bist dann sind wir keine Fremden mehr."
Wieder Gelächter. Der Anführer bedeutete seinen Kameraden still zu sein. "Du musst einen Sonnenstich haben wenn du denkst dass dir das aus der Patsche hilft", meinte er einfach. "Aber wenn du es unbedingt wissen musst: Ich bin Adam und meine Heimat ist die Wüste. Die Städte sind Vergangenheit und Programmierer sind überflüssig. Um hier zu überleben braucht man Stärke und eine harte Einstellung. Du bist hier einfach nicht angepasst genug, darum wirst du früher oder später sterben. Und jetzt nehmt ihm endlich seine Sachen ab!"
Der letzte Befehl galt seinen Untergebenen. Bevor die beiden Schläger jedoch vortreten konnte erhob Peter noch einmal das Wort: "Sollte ich nicht vorher meine Waffen ablegen? Ich will nicht dass mich deine Leute aus Nervosität umbringen." Es war eine verzweifelte Ausrede, aber er musste irgendwie Zeit schinden.
Der Andere überlegte einen Moment, während ihn seine Kameraden anstarrten. Schließlich beschloss er: "Nun gut, aber denk daran, wir sind vier zu eins in der Überzahl. Also mach bloß keine Dummheiten."
Erleichtert nahm Peter die Hände runter und begann sich so langsam und umständlich wie möglich an seinem Gürtel zu schaffen zu machen. Erst nach dem dritten ungeduldigen Ruf des Räubers löste er ihn komplett und warf ihn mitsamt der Machete einen halben Schritt von sich weg. Jetzt überbrückte der Mann mit dem Messer auf einen Wink seines Bosses hin den Abstand und nahm Peters Rucksack an sich.
Gerade als er anfing Peters Kleidung zu durchsuchen zerriss ein Schuss die Stille der Nacht. Peter erschrak, doch er war nicht verletzt. Dafür kippte der Kerl mit der Steinschleuder vorn über und viel von seinem Posten.
Der Rest der Räuberbande umklammerte ihre Waffen und suchte die Umgebung nach dem Ursprung des Schusses ab. Adams Gewehrlauf zielte hektisch von einer Felsspalte zur Nächsten, während der Messermann Peter fester packte.
"Waffen runter und Hände in die Höh´!", schallte Theas Stimme laut durch die Schlucht. Sie musste sich irgendwo über ihnen verschanzt haben. Als die Räuber dem Befehl nicht sofort Folge leisteten krachte ein zweiter Schuss. Diesmal ging die Frau mit dem Baseballschläger zu Boden. Das genügte den letzten Beiden als Argument.
Peter wurde losgelassen und schnappte sich sofort wieder seine Machete. Aus der Dunkelheit einer Felsspalte stiegen Thea und Ruben, sie mit ihrem Gewehr weiterhin im Anschlag und er mit seinem Speer ebenso bereit loszuschlagen.
Peter setzte gerade dazu an etwas zu sagen, da ließ Ruben seinen Speer vorschnellen und durchstach die Kehle des Räubers. Einen Moment lang stand Adam mit vor Schreck geweiteten Augen da, dann begann er zu rennen.
Er kam nicht weit. Peters Freund warf die Waffe und traf zielsicher den Rücken des Räubers, direkt ins Herz. Er starb noch bevor er am Boden aufkam.
Dann legte sich wieder Stille über die Schlucht. Peters Atem ging schwer. Teils wegen der Aufregung, aber auch vor Wut.
"Warum musstet ihr sie töten?", fuhr er die beiden an. "Sie hatten sich schon ergeben!"
Thea sah ihn nur mitleidig an: "Du weißt genau dass es in der Wüste so läuft. Wie oft muss ich dir das noch erklären?"
Nun mischte sich auch Ruben ein: "Recht hat er ja. Wen´gstens die Bitch hättest lebendig lassen können. Mit der hätt ich noch meinen Spaß gehabt."
Ruben sah seine beiden Freunde entgeistert an. Es stimmte, die beiden hatten ihre Standpunkte schon sehr oft geäußert. Aber er wollte nicht glauben dass Mord die einzige Option war für ihr Überleben. Er glaubte immer noch dass die Menschen besser sein konnten als das.
Thea seufzte: "Is ja irgendwie süß, wie du dich naiv an deinen Glauben klammerst. Darum bist du ja auch so ein guter Köder."